Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 I 278



93 I 278

34. Urteil vom 31. Mai 1967 i.S. Nationalunternehmen Ceskoslovenské
Textilni Zavody gegen Baj-Macario und Kreisamt Oberengadin. Regeste

    Arrestkaution (Art. 273 Abs. 1 SchKG). Art. 17 der Haager Übereinkunft
betreffend Zivilprozessrecht (IÜ). Art. 4 BV.

    Art. 17 IUe bezieht sich nur auf eigentliche Prozesskautionen und
ist daher nicht anwendbar auf die Sicherheitsleistung, zu welcher
der Arrestgläubiger (ohne Rücksicht auf seinen Wohnsitz und seine
Staatsangehörigkeit) gemäss Art. 273 Abs. 1 SchKG verhalten werden kann
(Erw. 4).

    Begriff des Schadens, für den der Arrestgläubiger bei
ungerechtfertigtem Arrest haftet. Die Annahme, dass dazu auch die dem
Arrestschuldner im Arrestprosequierungsprozess erwachsenden Kosten gehören,
ist nicht willkürlich (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Der Beschwerdeführer, das Nationalunternehmen Ceskoslovenské
Textilni Zavody in Prag, stellte am 23. März 1966 beim Kreisamt Oberengadin
das Begehren, ein in St. Moritz gelegenes, dem Beschwerdegegner Giovanni
Baj-Macario in Mailand gehörendes Wohnhaus, das darin befindliche Mobiliar
und allfällig dort untergebrachte weitere Gegenstände (Motorfahrzeuge,
Wertschriften, Schmuck und Bargeld) mit Arrest zu belegen für eine
vom Zivilgericht Mailand mit Urteil vom 1. Oktober 1953 rechtskräftig
geschützte Forderung von Fr. 216'000.-- gegen die Kollektivgesellschaft
E.M.B.A. in Mailand, deren unbeschränkt haftender Teilhaber Baj-Macario
gewesen sei. Dieser bestritt, dem Beschwerdeführer etwas zu schulden,
und ersuchte das Kreisamt, ihn gemäss Art. 273 Abs. 1 SchKG zur Leistung
einer Sicherheit von Fr. 3'000.-- zu verhalten. Der Beschwerdeführer
beantragte Abweisung dieses Begehrens, leistete dann aber zur Vermeidung
einer weiteren Verzögerung die verlangte Arrestkaution am 27. Juni 1966
unter Vorbehalt.

    Durch Verfügung vom 23. Januar 1967 verpflichtete das Kreisamt
Oberengadin den Beschwerdeführer, die hinterlegten Fr. 3'000.-- bis
zur Aufhebung des Arrestes als Sicherheitsleistung beim Kreisamt zu
belassen. Zur Begründung führte es aus: Seit dem Erlass des Arrestbefehls
sei nun fast ein Jahr vergangen. Dass bisher kein Rechtsöffnungsgesuch
gestellt worden sei, lasse vermuten, dass die Rechtslage nicht eindeutig
sei. Die Möglichkeit, dass der Arrest ungerechtfertigt sei, sei daher nicht
von der Hand zu weisen, weshalb das Gesuch um Sicherheitsleistung begründet
sei. Der Schuldner werde durch Verarrestierung seines Eigentums für längere
Zeit in seinen Verfügungsmöglichkeiten wesentlich behindert. Daraus
könne ihm, abgesehen von den Unkosten und Umtrieben, welche ihm die
Arrestierung bringe, ein bedeutender Schaden entstehen. Die verlangte
Summe erscheine nicht übertrieben. Ausführungen über die internationalen
Verträge erübrigten sich, da die Sicherheitsleistung sich nur auf Art. 273
SchKG stütze und der Wohnsitz der Parteien im Ausland lediglich in dem
Sinne Bedeutung habe, dass die Erledigung der Hauptfrage voraussichtlich
längere Zeit in Anspruch nehmen und dadurch ein eventueller Schaden
infolge des Arrestes sich vergrössern werde.

    B.- Gegen diese Verfügung des Kreisamts Oberengadin führt der
Arrestgläubiger staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, sie
aufzuheben. Er macht eine Verletzung des Art. 4 BV sowie des Art. 17 der
Haager Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht (IÜ) geltend.

    C.- Das Kreisamt Oberengadin hat unter Hinweis auf die Ausführungen im
angefochtenen Entscheid auf Vernehmlassung verzichtet. Der Beschwerdegegner
G. Baj-Macario beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Am 1. März 1954 ist im Haag eine neue internationale Übereinkunft
betreffend Zivilprozessrecht abgeschlossen worden. Diese ist für die
Schweiz am 5. Juni 1955 und für die Tschechoslowakei am 11. August 1966
in Kraft getreten (AS 1957 S. 467 und 1966 S. 972) und ist daher im
vorliegenden Falle anwendbar (Art. 29 der IÜ vom 1. März 1954). Dass sich
der Beschwerdeführer noch auf die IÜ vom 17. Juli 1905 beruft, schadet
ihm indes nicht, da der als verletzt bezeichnete Art. 17 in beiden
Staatsverträgen den gleichen Wortlaut hat.

Erwägung 2

    2.- Art. 17 IÜ ist keine zivil- oder strafrechtliche
Staatsvertragsbestimmung (Art. 84 lit. c OG), sondern prozessrechtlicher
Natur. Da die behauptete Verletzung des Art. 17 IÜ auch nicht sonstwie
durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer andern
Bundesbehörde geltend gemacht werden kann (vgl. Art. 125 lit. c OG),
ist die staatsrechtliche Beschwerde zulässig (Art. 84 Abs. 2 OG).

Erwägung 3

    3.- Die angefochtene Verfügung des Kreisamtes kann mit keinem
kantonalen Rechtsmittel angefochten werden (Art. 10 Ziff. 12 und Art. 12
der bünd. Ausführungsverordnung vom 23. November 1954 zum SchKG),
stellt also einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid dar. Dass
die Nichtleistung der vom Arrestgläubiger verlangten Sicherheit die
Nichtbewilligung bzw. das Dahinfallen des Arrestes zur Folge gehabt
hätte, wird im angefochtenen Entscheid nicht ausdrücklich gesagt, ist
aber klar, da sonst die Auflage der Sicherheitsleistung keinen Sinn
hätte. Die angefochtene Verfügung ist somit ein Zwischenentscheid,
der für den Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil
zur Folge hat (vgl. BGE 77 I 46 Erw. 2), so dass auch auf die Rüge der
Verletzung des Art. 4 BV einzutreten ist (Art. 87 OG). Für die Beschwerde
wegen Missachtung von Art. 17 IÜ gilt Art. 87 OG ohnehin nicht (BGE
87 I 368 mit Verweisungen) und ist auch die Erschöpfung des kantonalen
Instanzenzuges nicht erforderlich (BGE 86 I 36 Erw. 1 mit Verweisungen). Ob
die angefochtene Verfügung gegen diese Bestimmung eines Staatsvertrages
verstosse, ist vom Bundesgericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
frei zu prüfen (BGE 89 I 117 Erw. 2 mit Verweisungen, 90 I 117 Erw. 3).

Erwägung 4

    4.- Das Kreisamt erklärt im angefochtenen Entscheid, Ausführungen über
die internationalen Verträge erübrigten sich, da sich die Arrestkaution
nur auf die Bestimmung des SchKG stütze. Mit dieser in der Beschwerde als
"schlechthin unverständlich" bezeichneten Bemerkung will das Kreisamt
offenbar sagen, dass Art. 17 IÜ auf Sicherheitsleistungen gemäss Art. 273
Abs. 1 SchKG nicht anwendbar sei. Dem wird in der Beschwerde lediglich
entgegengehalten, auch die Bestimmungen des SchKG unterständen den
staatsvertraglichen Beschränkungen. Die in diesem Zusammenhang angerufenen
Urteile des Bundesgerichts betreffen jedoch nicht die hier streitige Frage,
ob eine Arrestkaution unter Art. 17 IÜ falle, sondern befassen sich mit
der Zulässigkeit von Arresten im Hinblick auf den Gerichtsstandsvertrag
mit Frankreich vom 15. Juni 1869 (BGE 49 I 550 und 63 I 240) und mit der
Zulässigkeit der Pfändung und Arrestierung von rollendem Eisenbahnmaterial
im Hinblick auf das Internationale Abkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr
vom 23. Oktober 1924 (BGE 63 III 98). Aus diesen Entscheiden lässt sich
nichts ableiten für die Auslegung des Art. 17 IÜ. Diese Bestimmung steht
im Abschnitt über "Sicherheitsleistung für die Prozesskosten", bezieht
sich auf "Kläger oder Intervenienten (vor Gericht)" und handelt von der
Befreiung von der Sicherheitsleistung, Hinterlegung oder Vorauszahlung von
"Gerichtskosten" und "Prozesskosten" (französischer Originaltext: "frais
judiciaires" und "caution judicatum solvi"). Art. 18 IÜ spricht von dem
"Staate der Klageerhebung". Angesichts dieses klaren Wortlauts lassen sich
unter Sicherheitsleistungen im Sinne von Art. 17 IÜ nur solche verstehen,
die einer im Zivilprozess als Kläger oder Intervenient auftretenden Partei
auferlegt werden, also nur eigentliche Prozesskautionen. Um eine solche
handelt es sich bei der von der Arrestbehörde gemäss Art. 273 Abs. 1 SchKG
angeordneten Arrestkaution nicht, weshalb sie nicht unter Art. 17 IÜ
fällt (so schon das zürch. Obergericht, ZR 27 Nr. 34 S. 61). Das gilt
jedenfalls, soweit die Arrestkaution der Sicherstellung von Ansprüchen
auf Ersatz des unmittelbaren Schadens dient, der dem Arrestschuldner
aus der Verfügungsbeschränkung über den Arrestgegenstand erwächst und
für den nach Auffassung des Beschwerdeführers die Sicherheitsleistung
allein statthaft ist. Fraglich könnte nur sein, ob die Arrestkaution
insoweit unter Art. 17 IÜ fällt, als sie auch zur Deckung der Kosten und
Umtriebe angeordnet wird, die dem Arrestschuldner im Arrestaufhebungs-
oder Arrestprosequierungsprozess entstehen, wobei der Arrestgläubiger
allerdings nur in letzterem als "Kläger" auftritt. Die Frage kann
offenbleiben, da Art. 17 IÜ aus einem andern Grunde nicht anwendbar ist.

    Diese Bestimmung verbietet, Angehörigen eines Vertragsstaates mit
Wohnsitz in einem solchen Staate Prozesskautionen aufzuerlegen "wegen ihrer
Eigenschaft als Ausländer oder deswegen, weil sie keinen Wohnsitz oder
Aufenthalt im Inland haben". Art. 273 Abs. 1 SchKG sieht die Arrestkaution
nicht wegen ausländischer Staatsangehörigkeit, Wohnsitzes oder Aufenthaltes
des Arrestgläubigers vor, sondern ohne Rücksicht hierauf zur Sicherstellung
des Schadens aus einem ungerechtfertigten Arrest, für den der Gläubiger dem
Arrestschuldner nach dieser Bestimmung haftet. Trifft aber Art. 273 Abs. 1
SchKG Inländer und Ausländer ohne Rücksicht auf den Wohnsitz und Aufenthalt
in gleicher Weise, so verstösst er nicht gegen Art. 17 IÜ, der lediglich
verhindern will, dass der Angehörige eines Vertragsstaates deswegen,
weil er Ausländer ist oder im Inland weder Wohnsitz noch Aufenthalt
hat, schlechter gestellt wird als ein Inländer. Daran ändert auch die
Erwägung im angefochtenen Entscheid nichts, der Wohnsitz der Parteien
im Ausland habe nur in dem Sinne Bedeutung, dass deswegen die Erledigung
"der Hauptfrage" (womit die Frage der Begründetheit der Arrestforderung
gemeint ist) voraussichtlich längere Zeit brauchen werde, wodurch ein
eventueller Schaden infolge der Verfügungsbeschränkung vergrössert
werde. Diese Erwägung bezieht sich lediglich auf die Höhe des Schadens
und damit der zu leistenden Sicherheit und hat Gültigkeit ohne Rücksicht
darauf, ob es sich um schweizerische oder ausländische Staatsangehörige
mit Wohnsitz im Ausland handelt.

    Falls der Beschwerdeführer mit der Bemerkung, es wäre unzulässig,
einem Ausländer, dessen Heimatland der IÜ beigetreten ist, eine höhere
Kaution aufzuerlegen als einem Schweizer, geltend machen will, dass einem
Schweizer eine kleinere Kaution auferlegt worden wäre und insofern Art. 17
IÜ verletzt sei, so wäre auf diese Rüge nicht einzutreten, da sie der
nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG erforderlichen Begründung ermangelt.

Erwägung 5

    5.- Der Beschwerdeführer rügt als Willkür (Verletzung des Art. 4
BV), dass das Kreisamt in aktenwidriger Weise davon ausgehe, es sei ein
unmittelbarer Arrestschaden geltend gemacht worden, und dass es entgegen
Praxis und Literatur annehme, Art. 273 SchKG lasse den Arrestgläubiger
auch für bloss mittelbaren Schaden haften.

    a) Der Arrestschuldner begründete sein Sicherheitsleistungsgesuch
vom 21. April 1966 mit dem Schaden, der ihm aus dem ungerechtfertigten
Arrest erwachse. Er sprach dabei von Schaden schlechthin, ohne ihn auf
die Kosten und Umtriebe des zu erwartenden Arrestprosequierungsprozesses
zu beschränken. Da auch der angefochtene Entscheid sich über die Natur
des in Frage stehenden Schadens nicht äussert, ist unerfindlich, wieso
der Beschwerdeführer behaupten kann, das Kreisamt gehe "in aktenwidriger
Weise" davon aus, der Arrestschuldner habe (auch) einen unmittelbaren
Schaden geltend und glaubhaft gemacht. Abgesehen davon ist es gar nicht
erforderlich, dass der Arrestschuldner Schadenersatzansprüche geltend macht
und begründet, da die Sicherheitsleistung, wie jedenfalls ohne Willkür
angenommen werden kann, von Amtes wegen anzuordnen ist, wenn die Forderung
oder der Arrestgrund zweifelhaft ist (JAEGER N. 5 zu Art. 273 SchKG).

    b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts haftet der
Arrestgläubiger nur für den unmittelbaren Vermögensschaden, der auf
die Behinderung in der Verfügung über die Arrestobjekte zurückzuführen
ist (BGE 34 II 283, 48 II 236), und die Rechtslehre hat sich dieser
Auffassung angeschlossen (JAEGER und JAEGER-DAENIKER N. 2 zu Art. 273
SchKG, FRITZSCHE, SchK II S. 227/8, FAVRE, SchK [deutsche Ausgabe]
S. 332/3). Ferner hat das Bundesgericht in BGE 48 III 236/7 die
Ansicht geäussert, dass die Kosten des Arrestaufhebungs- und des
Arrestprosequierungsprozesses nicht zum unmittelbaren Schaden zu rechnen
seien. Das zürch. Obergericht hat jedoch in ZR 27 Nr. 34 S. 60 gegenteilig
entschieden. Seine Auffassung, die auch von JUD (Die Entwicklung der
Rechtsprechung zum Arrestrecht des SchKG, Zürch. Diss. 1940 S. 73/4)
geteilt wird, stützt sich auf beachtliche Gründe und kann zum mindesten
nicht als offensichtlich unrichtig, geradezu unhaltbar bezeichnet werden,
zumal da Art. 273 Abs. 1 SchKG vom Schaden schlechthin spricht und nicht
zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schaden unterscheidet. Soweit
die im vorliegenden Falle angefochtene Arrestkaution zur Deckung der dem
Arrestschuldner im Arrestprosequierungsprozess erwachsenden Kosten bestimmt
ist, hält sie daher vor Art. 4 BV stand, obwohl sie auf einer Auslegung von
Art. 273 Abs. 1 SchKG beruht, die von der in einem BGE vertretenen abweicht
(vgl. BGE 86 I 269 mit Verweisungen). Davon abgesehen ist sie auch deshalb
nicht willkürlich, weil sich sehr wohl die Auffassung vertreten lässt,
die Verfügungsbeschränkung über ein Wohnhaus samt Mobiliar und weiteren
darin befindlichen Vermögenswerten könne einen die Auferlegung einer
Arrestkaution rechtfertigenden unmittelbaren Schaden verursachen, wenn die
Rechtsverhältnisse zwischen Arrestgläubiger und Arrestschuldner wie hier
nicht klar sind und daher über die Begründetheit der Arrestforderung,
wie der Beschwerdeführer selber ausführt, in einem ordentlichen
Prozessverfahren zu entscheiden ist, das längere Zeit dauern kann.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.