Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 I 189



93 I 189

23. Urteil vom 17. März 1967 i.S. Bauelemente AG gegen
Eidg. Steuerverwaltung. Regeste

    Couponabgabe und Verrechnungssteuer; schweizerisch-deutsches
Doppelbesteuerungsabkommen.

    1.  Das Verständigungsverfahren nach Art. 13 Abs. 1 des Abkommens
hindert die Durchführung der in der allgemeinen Gesetzgebung eines
Vertragsstaates vorgesehenen Rechtsmittel nicht (Erw. 1).

    2.  Dividenden, die von einer im schweizerischen Handelsregister
eingetragenen Aktiengesellschaft ausgeschüttet werden, unterliegen nach
der allgemeinen schweizerischen Gesetzgebung der Couponabgabe und der
Verrechnungssteuer (Erw. 2).

    3.  Das Abkommen steht dieser Besteuerung auch dann nicht entgegen,
wenn die Aktiengesellschaft nur in Deutschland eine Betriebsstätte besitzt
und von deutschen Unternehmungen beherrscht wird. Begriff der inländischen
Dividenden im Sinne des Art. 6 Abs. 2 des Abkommens (Erw. 3, 4).

Sachverhalt

    A.- Am 25. März 1957 wurde die Aluco-Bauelemente-Patentgesellschaft als
Aktiengesellschaft mit Sitz in Luzern gegründet. Der einzige Verwaltungsrat
X. legte sein Mandat am 30. Juni 1964 nieder, nachdem er die Aktien an
drei deutsche Unternehmungen - Deutsche Libbey Owens-Gesellschaft für
maschinelle Glasherstellung AG (Delog), Deutsche Tafelglas AG (Detag),
Glas- und Spiegel-Manufaktur AG (Schalke) - verkauft hatte. Ebenfalls
am 30. Juni 1964 änderte eine ausserordentliche Generalversammlung
der schweizerischen Gesellschaft die Firma in Bauelemente AG Luzern ab
und bezeichnete als neuen einzigen Verwaltungsrat den im Kanton Luzern
wohnenden Rechtsanwalt Y., dem treuhänderisch zwei Aktien übergeben wurden.

    Durch Vereinbarung vom 30. Oktober 1964 übertrug die Bauelemente AG
ihre Geschäftsführung und Vertretung einer aus den Unternehmungen Delog,
Detag und Schalke bestehenden einfachen Gesellschaft, die durch Z. in
Gelsenkirchen (Deutschland) vertreten wird. Die einfache Gesellschaft hat
die Geschäftsbuchhaltung und das Inkasso zu besorgen. Sie ist verpflichtet,
die Weisungen des Verwaltungsrates zu befolgen, ihm neue Lizenzverträge
zur Genehmigung vorzulegen und ihn über alle wichtigen Geschäftsvorfälle
zu orientieren.

    Gemäss Beschluss der ordentlichen Generalversammlung der Bauelemente
AG vom 31. Oktober 1966 wurden den Aktionären für das Geschäftsjahr 1965
Dividenden im Betrage von Fr. 69'O19.- ausgerichtet.

    B.- Für diese Leistung fordert die Eidg.  Steuerverwaltung von
der Bauelemente AG Fr. 2070.50 an Couponabgabe und Fr. 18'635.10 an
Verrechnungssteuer. Sie hat an der Forderung in einem Einspracheentscheid
vom 12. Dezember 1966 festgehalten.

    Sie führt aus, die in Frage stehenden Dividenden unterlägen nach
innerschweizerischem Recht der Couponabgabe und der Verrechnungssteuer,
weil die Bauelemente AG im schweizerischen Handelsregister
eingetragen sei. Das schweizerischdeutsche Abkommen zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der
Erbschaftssteuern vom 15. Juli 1931 lasse diese Besteuerung zu. Nach
Art. 6 Abs. 2 des Abkommens sei jeder Vertragsstaat befugt, inländische
Dividenden an der Quelle zu besteuern. Gemeint seien Dividenden, die
von Aktiengesellschaften mit Sitz im Inland ausgeschüttet werden.

    C.- Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Bauelemente
AG, den Einspracheentscheid aufzuheben und sie von den geforderten Abgaben
zu befreien.

    Sie macht geltend, seit 1964 wickle sich ihre ganze geschäftliche
Tätigkeit in Deutschland ab. In Luzern unterhalte sie keine Betriebsstätte.
Dort befinde sich nur noch ihr formeller Sitz, den sie beibehalten
habe, um ihre Auflösung zu vermeiden. Daher sei sie nach Art. 3 des
schweizerisch-deutschen Abkommens für ihr Vermögen und die Einkünfte
daraus ausschliesslich in Deutschland steuerpflichtig.

    Die Couponabgabe und die Verrechnungssteuer würden an der Quelle
erhoben. Die Quelle der umstrittenen Dividenden fliesse aber nicht in
der Schweiz, sondern in Deutschland. Zudem seien Dividendenempfänger
drei deutsche Gesellschaften. Nach Art. 6 des Abkommens seien aber
Gewinnausschüttungen nur in dem Staate zu besteuern, in dem der Gläubiger
seinen Wohnsitz hat. Die Beschwerdeführerin sei unter dem Gesichtspunkte
des Steuerrechts eine deutsche Gesellschaft.

    Das Abkommen solle die Doppelbesteuerung vermeiden. Im vorliegenden
Fall weigere sich indessen die zuständige deutsche Behörde, die in der
Schweiz erhobenen Quellensteuern auf die Steuern anzurechnen, welche
in Deutschland von den Dividendengläubigern zu entrichten sind. Dieser
Standpunkt sei begründet, da alle wirtschaftlichen Vorgänge, an welche
die Besteuerung anknüpfe, sich in Deutschland abgespielt hätten.

    D.- Die Beschwerdeführerin hat unter Hinweis darauf, dass die deutschen
Behörden das in Art. 13 des Abkommens vorgesehene Verständigungsverfahren
eingeleitet hätten, das Gesuch gestellt, der Beschwerde sei aufschiebende
Wirkung zu erteilen. Dem Gesuch, dem sich die Eidg. Steuerverwaltung nicht
widersetzt hat, ist entsprochen worden.

    E.- Die Eidg. Steuerverwaltung schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 13 Abs. 1 des schweizerisch-deutschen
Doppelbesteuerungsabkommens kann ein Steuerpflichtiger, der das Opfer
einer Doppelbesteuerung zu sein glaubt, sich an die zuständige oberste
Verwaltungsbehörde des Staates wenden, in dem er seinen Wohnsitz hat.
Erachtet diese Behörde seine Einwendungen für begründet, so soll sie
versuchen, sich mit der zuständigen obersten Verwaltungsbehörde des anderen
Staates zu verständigen, um in billiger Weise eine Doppelbesteuerung
zu vermeiden.

    Im vorliegenden Fall haben nach den Angaben der Eidg. Steuerverwaltung,
die von der Beschwerdeführerin nicht widerlegt worden sind, die zuständigen
Behörden der beiden Vertragsstaaten bisher keinerlei Schritte zum Zwecke
einer Verständigung unternommen. Daher besteht kein Anlass, im Hinblick
auf ein Verständigungsverfahren, das vielleicht nie stattfinden wird,
die Beurteilung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auszusetzen. Übrigens
wird nach Art. 13 Abs. 1 des Abkommens und dem Schlussprotokoll dazu der
Steuerpflichtige durch die Einleitung eines Verständigungsverfahrens an der
Geltendmachung eines innerstaatlichen Rechtsmittels nicht gehindert. Die
beiden Verfahren sind voneinander unabhängig. Das Bundesgericht wäre also
selbst dann, wenn ein Verständigungsverfahren eingeleitet worden wäre,
nicht verpflichtet, sein Urteil aufzuschieben (vgl. BGE 82 I 4).

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 3 Abs. 1 lit. c CG und Art. 4 Abs. 1 lit. a VStB
sind Gegenstand der Couponabgabe und der Verrechnungssteuer u.a. die
Dividenden für Aktien, die von einem Inländer ausgegeben worden sind. Als
Inländer gilt, wer im Inland seinen Wohnsitz hat; bei Geschäftsfirmen
tritt an Stelle des Wohnsitzes im Inland die Eintragung im inländischen
Handelsregister (Art. 2 Abs. 1 CG in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 StG;
Art. 4 Abs. 5 VStB). Da die Beschwerdeführerin im Handelsregister von
Luzern eingetragen ist, sind ihre Aktien demnach von einem Inländer
ausgegeben. Die von ihr ausgeschütteten Dividenden unterliegen somit nach
dem innerstaatlichen Rechte der Couponabgabe und der Verrechnungssteuer.

Erwägung 3

    3.- Es bleibt zu prüfen, ob diese Lösung mit dem
schweizerisch-deutschen Doppelbesteuerungsabkommen vereinbar ist.

    Art. 6 des Abkommens bestimmt in Abs. 1, dass das bewegliche
Kapitalvermögen und die Einkünfte daraus nur in dem Staate besteuert
werden, in dem der Gläubiger seinen Wohnsitz hat. Diese Regel wird jedoch
durch Abs. 2 eingeschränkt, welcher lautet: "Soweit in einem der beiden
Staaten die Steuern von inländischen Dividenden und Zinsen im Abzugsweg (an
der Quelle) erhoben werden, wird das Recht zur Vornahme des Steuerabzugs
durch die Bestimmung des Absatzes 1 nicht berührt." Das Abkommen umschreibt
den Begriff der "inländischen Dividenden" nicht näher. Es geht davon aus,
dass die Steuerhoheit eines Gemeinwesens auf dessen Gebietshoheit beruht,
d.h. auf der Herrschaft über die seinem Gebiet zugehörigen Individuen
und Sachgüter. Demnach kann ein Vertragsstaat mit der Quellensteuer nur
solche Dividenden belegen, die seiner Gebietshoheit unterworfen sind.

    Die Dividenden werden von der Aktiengesellschaft, auf deren Aktien
sie auszuschütten sind, festgesetzt und geschuldet. Wenn die Gesellschaft
die Dividenden, deren Ausschüttung sie beschlossen hat, nicht bezahlt,
ist sie dort zu belangen, wo sie domiziliert ist. Die Dividenden werden
demnach von der Gebietshoheit des Staates erfasst, in dem sich das
Domizil der Gesellschaft befindet. Dieses Domizil liegt gemäss Art. 8
Abs. 4 des Abkommens dort, wo die Gesellschaft ihren Sitz hat. Nach dem
Abkommen steht also das Recht, die Dividenden an der Quelle zu besteuern,
dem Staate des Gesellschaftssitzes zu. Die Quelle der Dividenden befindet
sich in diesem Staate. Das ist hier die Schweiz, da die Beschwerdeführerin
ihren Sitz in Luzern hat.

Erwägung 4

    4.- Die Einwendungen der Beschwerdeführerin sind unbegründet.

    Zu Unrecht beruft sich die Beschwerdeführerin auf Art. 3 des Abkommens,
wonach Betriebe von Handel, Industrie und Gewerbe sowie Einkünfte daraus
nur in dem Staate besteuert werden, in dessen Gebiet das Unternehmen seine
Betriebsstätte hat. Diese Bestimmung betrifft ausschliesslich die Steuern
für Vermögen und Gewinne eines Unternehmens; sie ist auf den vorliegenden
Fall der Besteuerung einer Aktiengesellschaft für Leistungen, die sie
den Aktionären erbracht hat, nicht anwendbar.

    Ebensowenig hilft der Beschwerdeführerin der Einwand, dass die Gewinne,
die sie in Form von Dividenden verteilt hat, nicht in der Schweiz, sondern
in Deutschland erzielt worden seien. Gegenstand der umstrittenen Steuern
sind nicht die Gewinne, sondern daraus erbrachte Leistungen (Dividenden),
die von der Gebietshoheit der Schweiz erfasst werden.

    Wenn die deutschen Aktionäre der Beschwerdeführerin auf die Steuern,
die sie in Deutschland zu entrichten haben, die in der Schweiz auf den
Dividenden erhobenen Quellensteuern nicht anrechnen lassen können, so
ist auch das unerheblich. Mangels einer gegenteiligen Bestimmung des
schweizerischdeutschen Abkommens ist die schweizerische Behörde nicht
verpflichtet, auf die innerdeutsche Ordnung Rücksicht zu nehmen. Wenn
die Beteiligten den Sitz einer Gesellschaft, deren Tätigkeit sich
hauptsächlich in Deutschland abwickelt, in der Schweiz haben belassen
wollen, haben sie die daraus sich ergebenden Folgen auf sich zu nehmen
(vgl. Urteil vom 17. Februar 1956, ASA Bd. 24 S. 502).

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.