Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 IV 59



93 IV 59

16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. September 1967
i.S. Bumann gegen Staatsanwaltschaft Oberwallis. Regeste

    1.  Art. 31 Abs. 2 und 3 VRV. Der Motorfahrzeugführer kann nachts auch
dann die Abblendlichter verwenden, wenn kein Nebel über der Strasse liegt
und ihm kein anderes Fahrzeug entgegenkommt oder vorausfährt (Erw. 1).

    2.  Art. 32 Abs. 1 und 33 Abs. 2 SVG. Überblickbar im Sinne der
Sichtweite, auf die der Führer muss anhalten können, ist nachts eine
Strasse im Bereiche eines Fussgängerstreifens nur, wenn der ganze Streifen
beobachtet werden kann (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Bumann steuerte am 9. Oktober 1964 nach Einbruch der Dunkelheit und
bei starker Bewölkung einen Taxiwagen, Marke Taunus, auf der Kantonsstrasse
von Visp gegen Turtmann. Um 18.45 Uhr näherte er sich mit etwa 60 km/Std
dem Weiler Turtig, in dem die Kantonsstrasse eine Nebenstrasse kreuzt.

    Die Hauptstrasse verläuft dort nahezu gerade und ist 10,5 m breit. Sie
ist beidseitig mit Trottoirs und unmittelbar vor und nach der Kreuzung
mit je einem 4 m breiten Fussgängerstreifen versehen, die damals beide
frisch gestrichen waren.

    Als Bumann dem ersten Fussgängerstreifen nahe war, erblickte er
plötzlich einen Fussgänger in seiner Fahrbahn. Es handelte sich um den
62-jährigen Vitus Imboden, der die Hauptstrasse - in der Fahrrichtung
des Taxiwagens gesehen - auf dem zweiten Streifen von links nach rechts
überqueren wollte. Bumann bremste stark, worauf sein Fahrzeug leicht
ins Schleudern geriet, den Fussgänger frontal erfasste und ihn auf die
Strasse schleuderte. Imboden erlitt schwere Verletzungen, die einige Tage
später zu seinem Tode führten.

    B.- Das Kreisgericht Oberwallis und auf Berufung hin am 9. November
1966 auch das Kantonsgericht Wallis erklärten Bumann der fahrlässigen
Tötung im Sinne von Art. 117 StGB schuldig und verurteilten ihn zu einer
bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 20 Tagen.

    C.- Mit der Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Bumann, das Urteil des
Kantonsgerichts aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Er bestreitet, sich pflichtwidrig unvorsichtig
verhalten zu haben.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Kantonsgericht erblickt das Verschulden des Beschwerdeführers
in erster Linie darin, dass er die Abblendlichter verwendete. Es hält
dafür, dass Bumann unter den gegebenen Umständen die Fernlichter hätte
einschalten sollen, zumal kein Gegenverkehr geherrscht habe. Diesfalls
hätte er aber die Strasse auf eine grössere Strecke beobachten, den
Fussgänger folglich auch aus einer grösseren Entfernung wahrnehmen und
der Gefahr eines Zusammenstosses früher vorbeugen können.

    Die Vorinstanz ist demnach der Ansicht, ein Motorfahrzeugführer
müsse nachts, wenn nichts anderes bestimmt ist, stets mit Vollicht
verkehren. Diese Auffassung findet, wie der Beschwerdeführer mit Recht
einwendet, in den gesetzlichen Bestimmungen indes keine Stütze. Welche
Lichter beim Fahren zu verwenden sind, sagt Art. 31 Abs. 2 VRV. Danach
hat der Fahrer auf gut und gleichmässig beleuchteten Strassen die
Standlichter (lit. a), bei Nebel, Schneetreiben oder starkem Regen
die Nebel- oder Abblendlichter (lit. b) und in den übrigen Fällen die
Fern- oder Abblendlichter zu benutzen (lit. c). Daraus erhellt, dass
es in Fällen, wie hier, dem Ermessen des Fahrers überlassen ist, ob er
mit offenen oder abgeblendeten Scheinwerfern verkehren wolle. Er kann
also nachts auch dann die Abblendlichter gebrauchen, wenn kein Nebel
über der Strasse liegt und ihm kein anderes Fahrzeug entgegenkommt oder
vorausfährt (vgl. Art. 31 Abs. 3 VRV und nicht veröffentlichtes Urteil
des Kassationshofes vom 16. Juni 1967 i.S. Leimgruber).

Erwägung 2

    2.- Dagegen verpflichtet Art. 32 Abs. 1 SVG den Fahrer,
die Geschwindigkeit jederzeit den gegebenen Strassen- und
Verkehrsverhältnissen, insbesondere der beschränkten Sichtweite
anzupassen. Das heisst nach ständiger Rechtsprechung, dass er nicht
schneller fahren darf, als dass er Gefahren, mit denen er rechnen muss,
durch Anhalten innerhalb der zuverlässig überblickbaren Strecke bannen
kann. Dieses Verbot gilt auch bei Nacht, und zwar unbekümmert darum, ob
ein Fahrzeug mit Vollicht oder mit abgeblendeten Scheinwerfern, innerorts
oder ausserorts verkehre; im einen wie im andern Fall hat sich der Fahrer
vorzusehen, dass er auf Sichtweite anhalten kann (s. insbes. BGE 79 IV 66,
84 II 129, 88 IV 149). Wenn er sich einem Fussgängerstreifen nähert, hat
er zudem darauf zu achten, dass er Fussgängern, die sich schon auf dem
Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten, den Vortritt
lassen kann (Art. 33 Abs. 2 SVG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VRV). Dies setzt
voraus, dass er die Fahrbahn im Bereiche von Fussgängerstreifen nicht
nur gegen den rechten, sondern auch gegen den linken Strassenrand hin
beobachtet. Kann er nachts die linke Fahrbahn weniger weit überblicken als
die rechte, sei es, weil sein Fahrzeug mit asymmetrischen Abblendlichtern
versehen ist, sei es, weil die Strasse eine Linksbiegung beschreibt, so hat
er vor Fussgängerstreifen auch darauf Rücksicht zu nehmen. Überblickbar im
Sinne der Sichtweite, auf die der Fahrer muss anhalten können, ist eine
solche Strecke daher nur, wenn die linke Hälfte des Streifens ebenfalls
beobachtet werden kann. Auch von dort her kann ein Fussgänger kommen,
dem der Fahrer den Vortritt zu lassen hat.

    Diesen Pflichten hat der Beschwerdeführer nicht genügt. Nach den
tatsächlichen Feststellungen des Kantonsgerichtes hat Imboden die
Strasse auf dem Streifen zu überqueren begonnen, als der Wagen Bumanns
noch mindestens 50 m davon entfernt war. Auf diese Entfernung hätte
der Beschwerdeführer der Gefahr aber vorbeugen können. Auf ebener
und trockener Strasse benötigt ein Personenwagen, der mit 60 km/Std
fährt, bei 1 sec Reaktionszeit 40,5 m zum Anhalten; kann der Führer die
Bremsen, weil er bremsbereit ist, schon innert 0,5 - 0,6 sec betätigen,
so verkürzt sich der Anhalteweg sogar auf 32,2 - 33,8 m. Daraus erhellt
nicht nur, dass Imboden die Strasse in angemessener Entfernung vor dem
nahenden Wagen betreten hat, sondern auch, dass Bumann sein Fahrzeug bei
gehöriger Vorsicht und Aufmerksamkeit vor dem Streifen hätte anhalten
können. Bumann sah sich jedoch weder durch Mässigung der Geschwindigkeit
noch dadurch vor, dass er gegen die Kreuzung hin Bremsbereitschaft erstellt
hätte. Weil die Strasse durch die Leuchtreklame einer Gaststätte und durch
die Aussenlampe einer Garage "etwas beleuchtet" wurde, nahm er vielmehr
leichthin an, dass die Kreuzung samt den beiden Streifen frei sei und
er sie mit unverminderter Geschwindigkeit durchfahren könne. Dadurch
verstiess er gegen die elementaren Gebote, vor Fussgängerstreifen erhöhte
Vorsicht walten zu lassen und die Geschwindigkeit stets der zuverlässig
überblickbaren Strecke anzupassen. Sein Verhalten war umso leichtsinniger,
als er Berufsfahrer ist, mit den örtlichen Verhältnissen vertraut war und
um die besondere Gefährlichkeit der Kreuzung, auf der sich schon viele
Unfälle ereignet hatten, wissen musste.