Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 IV 37



93 IV 37

11. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. Mai 1967
i.S. Rothermund gegen Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 35 Abs. 2 SVG. Frei ist die Überholstrecke bei Nacht nicht schon,
wenn keine Lichter von Fahrzeugen sichtbar sind; dazu gehört, dass sich
auch keine unbeleuchteten Hindernisse auf der Fahrbahn befinden.

Sachverhalt

    A.- Rothermund lenkte am 20. November 1965 gegen 17.30 Uhr bei Nacht
und Regen einen VW von Langenthal auf der 6,45 m breiten Hauptstrasse
Richtung Herzogenbuchsee. Auf der geraden Strecke bei der Garage Müller vor
Herzogenbuchsee begann er, nachdem er das Scheinwerferlicht eingeschaltet
hatte, mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 km/Std einen Lieferwagen
zu überholen, der mit abgeblendetem Licht und rund 60 km/Std vor ihm
fuhr. Während des Überholens stiess er frontal mit dem entgegenkommenden
Radfahrer Rieder zusammen, der ohne Licht und in angetrunkenem Zustande
(Alkoholkonzentration 2,1 Gewichtspromille) innerhalb seiner Fahrbahn in
der Nähe der Leitlinie gefahren war. Rieder starb kurze Zeit später an
den Folgen der erlittenen Verletzungen.

    B.- Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte Rothermund am
20. Dezember 1966 wegen fahrlässiger Tötung (Art. 117 StGB) zu einer
bedingt vollziehbaren Strafe von einer Woche Gefängnis. Es nahm an, der
Verurteilte habe Art. 35 Abs. 2 SVG missachtet, weil er das Überholmanöver,
als der Radfahrer erkennbar wurde, nicht abgebrochen oder es trotz
ungenügender Sicht ausgeführt habe.

    C.- Rothermund führt gegen das Urteil des Obergerichtes
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei freizusprechen.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Ausführungen darüber, dass der Beschwerdeführer, der den Radfahrer
schon beim Ausbiegen in die linke Fahrbahn im Scheinwerferlicht seines
Wagens hätte sehen können, von der Möglichkeit, das Überholmanöver sofort
abzubrechen und hinter dem Lieferwagen wieder nach rechts einzubiegen,
offensichtlich deswegen keinen Gebrauch gemacht hat, weil er das
Unternehmen nicht mit der bei Nacht und schlechten Sichtverhältnissen
gebotenen Vorsicht und Aufmerksamkeit eingeleitet hatte, weshalb ihm
zu Recht vorgeworfen wird, er habe pflichtwidrig zu spät erkannt, dass
die linke Fahrbahn zum Überholen nicht im Sinne von Art. 35 Abs. 2 SVG
frei war.)

Erwägung 2

    2.- Wie das Obergericht zutreffend beifügt, hätte der Beschwerdeführer
auch dann fahrlässig gegen die Regel des Art. 35 Abs. 2 SVG verstossen,
wenn er den im Scheinwerferlicht auftauchenden und an sich erkennbaren
Radfahrer - sei es wegen der Lichtreflexe der nassen Asphaltstrasse,
sei es wegen der Blendwirkung der hell erleuchteten Tankstelle oder der
Scheinwerfer der vorher gekreuzten Automobile - in Wirklichkeit nicht
sofort hätte sehen können. Denn in diesem Falle stände fest, dass die
Sichtverhältnisse zum Überholen zu schlecht waren und der Beschwerdeführer
zu überholen begann, obschon er nicht pflichtgemäss überprüfen konnte, ob
die Überholstrecke frei sei. Frei ist sie nachts nicht schon, wenn keine
Lichter von Fahrzeugen sichtbar sind, wie der Beschwerdeführer anzunehmen
scheint, sondern erst, wenn sich auf der Fahrbahn auch keine unbeleuchteten
Hindernisse befinden. Es kommt entgegen seiner Auffassung immer wieder vor,
dass in der Dunkelheit Strassenbenützer, insbesondere Fussgänger, Radfahrer
oder Fuhrwerke, ohne Licht angetroffen werden. Der Motorfahrzeugführer
hat daher mit der Möglichkeit, auf unbeleuchtete Hindernisse zu stossen,
zu rechnen und darf sich auch nicht darauf verlassen, dass solche
Hindernisse nur am Strassenrand, nicht innerhalb der Fahrbahn auftauchen
(Urteil des Kassationshofes vom 6. März 1964 i.S. Maibach gegen Bern). Die
Vorschriften über die Beleuchtung der Motorfahrzeuge wurden denn auch
nicht nur erlassen, damit diese von andern Strassenbenützern wahrgenommen
werden, sondern es sollen die Motorfahrzeugführer ebensosehr Hindernisse,
die nicht oder ungenügend beleuchtet sind, rechtzeitig erkennen können,
damit es auch zwischen ihnen nicht zu Zusammenstössen kommt.