Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 II 354



93 II 354

47. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Oktober 1967 i.S. Eheleute Pater.
Regeste

    Klage eines ungarischen Flüchtlings auf Scheidung seiner Ehe mit
einer Deutschen; Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte.

    1.  Die Rüge, ein letztinstanzlicher kantonaler Zwischenentscheid
über diese Zuständigkeit verletze Bundesrecht, ist nicht durch
Nichtigkeitsbeschwerde (Art. 68 Abs. 1 lit. b OG), sondern durch Berufung
(Art. 49 OG) zu erheben (Erw. 1).

    2.  Tragweite von Art. 7 h Abs. 1 NAG (Erw. 2 Abs. 1; vgl. auch
Erw. 5 Abs. 1). Staatsangehörigkeit des Klägers. Nichtanerkennung des
schweizerischen Gerichtsstandes durch seinen Heimatstaat. Nichtanerkennung
seiner Ehe? (Erw. 2 Abs. 2 und 3).

    3.  Ein in der Schweiz wohnender Flüchtling, der unter das Genfer
Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 fällt,
kann an seinem Wohnsitz auf Grund des schweizerischen Rechts auf Scheidung
klagen, ohne nachweisen zu müssen, dass Gesetz oder Gerichtsgebrauch seiner
Heimat den angerufenen Scheidungsgrund zulassen und den schweizerischen
Gerichtsstand anerkennen (Erw. 3).

    4.  Für die Ungarn, die ihr Land im Anschluss an die dortigen
Ereignisse vom Oktober 1956 aus begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne
von Art. 1 lit. A Ziff. 2 des Abkommens vom 28. Juli 1951 verliessen,
gilt das Abkommen in den Vertragsstaaten schon heute, d.h. schon vor dem
Beitritt zum Protokoll vom 31. Januar 1967, das den Stichtag des 1. Januar
1951 beseitigt (Erw. 4; Änderung der Rechtsprechung).

    5.  Nachweis, dass der Heimatstaat der Beklagten den schweizerischen
Gerichtsstand anerkennt. Anwendung der einschlägigen deutschen Vorschriften
durch das Bundesgericht (Art. 65 OG). (Erw. 5, 6).

Sachverhalt

    A.- Pater, der als ungarischer Staatsangehöriger in Ungarn geboren
worden war, verliess dieses Land im Anschluss an die dortigen politischen
Ereignisse vom Oktober 1956. Er befindet sich seit dem 17. November
1956 in der Schweiz. Seit April 1957 arbeitet er in Zofingen. Am 6.
April 1957 stellte ihm die Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz-
und Polizeidepartements einen Reiseausweis im Sinne von Art. 28 des Genfer
Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
(AS 1955 S. 443 ff.) aus, und am 1. Oktober 1966 bestätigte sie, dass
er Flüchtling im Sinne dieses Abkommens sei.

    Im Juli 1965 heiratete Pater in Zofingen Frau Gedövari, die ebenfalls
aus Ungarn stammt, aber nach der Darstellung beider Parteien infolge einer
frühern, durch Scheidung aufgelösten Ehe die deutsche Staatsangehörigkeit
besitzt.

    B.- Am 2. Juni 1966 reichte der Ehemann beim Bezirksgericht Zofingen
Klage auf Scheidung der Ehe wegen tiefer Zerrüttung ein. Die Ehefrau,
die bei der Sühneverhandlung vom 29. März 1966 die Weiterführung der
Ehe abgelehnt und die Scheidung verlangt hatte, stellte mit Eingabe vom
8. Juli 1966 den Antrag, auf die Klage sei wegen Unzuständigkeit der
schweizerischen Gerichte nicht einzutreten.

    Am 6. Oktober 1966 wies das Bezirksgericht die Unzuständigkeitseinrede
der Beklagten ab.

    Das Obergericht des Kantons Aargau hat am 13. Januar 1967 dieBeschwerde
der Beklagten gegen diesen Entscheid abgewiesen.

    C.- Gegen den Entscheid des Obergerichts hat die Beklagte
beim Bundesgericht "Beschwerde" eingereicht mit dem Antrag, ihre
Unzuständigkeitseinrede sei zu schützen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid ist ein Zwischenentscheid, der
in einem Scheidungsprozess, also in einer nicht vermögensrechtlichen
Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 44 OG, ergangen ist. Mit der
"Beschwerde" gegen diesen Entscheid wird geltend gemacht, die Vorinstanz
habe Bundesrecht verletzt, indem sie die Zuständigkeit der schweizerischen
Gerichte zur Beurteilung dieses Prozesses bejahte. Eine solche Rüge
kann gemäss Art. 49 OG mit der Berufung an das Bundesgericht erhoben
werden (vgl. BGE 85 II 159, wonach auch die Frage der internationalen
Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte zur Frage der örtlichen
Zuständigkeit im Sinne von Art. 49 OG gehört). Die "Beschwerde" der
Beklagten genügt den Vorschriften, die für die Berufung gelten. Sie ist
deshalb als Berufung zu behandeln. Die Nichtigkeitsbeschwerde im Sinne
von Art. 68 OG ist nach dieser Bestimmung ausgeschlossen, wo die Berufung
zulässig ist.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 7 h Abs. 1 NAG kann ein ausländischer Ehegatte, der in
der Schweiz wohnt, eine Scheidungsklage beim Richter seines Wohnsitzes
anbringen, wenn er nachweist, dass nach Gesetz oder Gerichtsgebrauch
seiner Heimat der geltend gemachte Scheidungsgrund zugelassen und der
schweizerische Gerichtsstand anerkannt ist. Das Gesetz fordert diesen
Nachweis, um nach Möglichkeit zu vermeiden, dass die Scheidung nicht
schweizerischer Ehegatten durch schweizerische Gerichte Konflikte mit den
Heimatstaaten dieser Personen hinsichtlich des Zivilstands schafft. Hieraus
hat die Rechtsprechung abgeleitet, der klagende ausländische Ehegatte habe,
wenn der Beklagte nicht dem gleichen ausländischen Staat angehört wie er,
den nach Art. 7 h Abs. 1 NAG erforderlichen Nachweis grundsätzlich nicht
bloss für sich selbst, sondern auch für den Beklagten zu erbringen (BGE
59 II 114). Ist aber ein Ehegatte staatenlos, so ist es nicht möglich
und nach dem Grundgedanken des Gesetzes auch nicht nötig, den erwähnten
Nachweis für ihn zu leisten (BGE 59 II 114). Unnötig ist dieser Nachweis
auch für einen Ehegatten, dessen Heimatstaat die zu scheidende Ehe nicht
anerkennt (STAUFFER N. 12, BECK N. 25 zu Art. 7 h NAG).

    Der Kläger behauptet nicht, und es bestehen auch keine Anhaltspunkte
dafür, dass ihm wegen oder im Zusammenhang mit seiner Flucht aus Ungarn
die ungarische Staatsangehörigkeit entzogen worden sei (vgl. zu dieser
Frage MICHEL, "Zur Scheidung der Ehe ungarischer Staatsangehöriger, die
nach dem Aufstand von 1956 in die Bundesrepublik Deutschland flüchteten",
in Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht, Zeitschrift für das
gesamte Familienrecht [FamRZ], 1961, S. 198). Er ist deshalb auch heute
noch als ungarischer Staatsangehöriger zu betrachten. Als solcher vermag
er den Nachweis der Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes
durch den Heimatstaat für seine Person nicht zu leisten, weil nach
einem ungarischen Erlass vom 28. Dezember 1952 die ungarischen Gerichte
in Prozessen über den Personalstand ungarischer Staatsangehöriger,
von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, ausschliesslich
zuständig sind, und zwar auch dann, wenn nur eine Partei die ungarische
Staatsangehörigkeit besitzt (ungarische Verordnung mit Gesetzeskraft
Nr. 22/1952 betr. Inkrafttreten und Durchführung des Gesetzes Nr. III/1952
über die Zivilprozessordnung, § 15, ins Deutsche übersetzt in Zeitschrift
für ausländisches und internationales Privatrecht [RabelsZ] 1954 S. 151,
sowie bei BERGMANN, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 3. Aufl.,
Band V, Art. Ungarn [Stand 31. Januar 1958] S. 8; BGE 88 II 329 mit
Hinweis auf Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden [VEBB] 1958 Nr. 39
I; BOSCHAN, Europäisches Familienrecht, 3. Aufl., Berlin u. Frankfurt
a. M. 1963, S. 491 unten in Verbindung mit S. 500 Ziff. IX B; PALANDT,
BGB, 25. Aufl., München und Berlin 1966, N. 6 a. E. zu EGBGB 17, S. 1739).

    Ob allenfalls Ungarn der vom Kläger nach seiner Flucht in die Schweiz
geschlossenen Ehe die Anerkennung versage und der Kläger aus diesem
Grunde den Nachweis der Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes
durch Ungarn nicht zu leisten habe, kann dahingestellt bleiben, wenn sich
dieser Nachweis aus einem andern Grunde als entbehrlich erweist. (Das
ungarische Gesetz Nr. V/1957 über die Staatsbürgerschaft hat den Erwerb
der ungarischen Staatsangehörigkeit durch Eheschliessung mit einem Ungarn
abgeschafft; siehe SZLEZAK, Das Staatsangehörigkeitsrecht von Ungarn,
Frankfurt a. M. 1959, S. 92 und 184 ff., insbesondere §§ 1 und 7. Wenn
die Beklagte die ungarische Staatsangehörigkeit, die sie durch die Heirat
mit einem Deutschen im Jahre 1942 verlor, durch die Heirat mit dem Kläger
im Jahre 1965 nicht wiedererlangt hat, so liegt hierin also kein Indiz
dafür, dass Ungarn die Ehe der Parteien nicht anerkenne oder dass der
Kläger die ungarische Staatsangehörigkeit nicht mehr besitze.)

Erwägung 3

    3.- Art. 12 Ziff. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, das der Kläger anruft, lautet in der
französischen Originalfassung:

    "Le statut personnel de tout réfugié sera régi par la loi du pays de
son domicile ou, à défaut de domicile, par la loi du pays de sa résidence."

    Unter dem "statut personnel" (englische Fassung: "personal status")
eines Flüchtlings, den diese Bestimmung dem Gesetz seines Wohnsitzlandes
oder - beim Fehlen eines Wohnsitzes - dem Gesetz seines Aufenthaltslandes
unterstellt, ist richtigerweise die persönliche Rechtsstellung zu verstehen
(vgl. MAKAROv in RabelsZ 1955 S. 112/113). Der Ausdruck "personenrechtliche
Stellung", den die deutsche Übersetzung des Abkommens in der Sammlung der
eidgenössischen Gesetze verwendet (AS 1955 S. 448), ist zu eng (im gleichen
Sinne MOSER, ZSR 1967 II 456 Anm. 322). Zur persönlichen Rechtsstellung
einer Person gehören u.a. ihre familienrechtlichen Beziehungen (BBl 1954
II 75/76; BGE 88 II 329 f. und 92 I 385; MAKAROV aaO S. 112 Fussnote 14
mit Hinweis auf einen amerikanischen Kommentar des Abkommens, wonach sich
Art. 12 u.a. mit den "family rights" befasst).

    Art. 16 des Abkommens stellt die Flüchtlinge hinsichtlich des
Zugangs zu den Gerichten den Angehörigen des Staates gleich, wo sie ihren
Wohnsitz bzw. ihren ordentlichen Aufenthalt haben.

    Die Regelung des Abkommens, dem die Schweiz beigetreten ist, geht
innerhalb ihres Geltungsbereichs der Regel des Art. 7 h Abs. 1 NAG vor.

    Ein Flüchtling, der unter das Abkommen fällt und wie der Kläger in der
Schweiz wohnt, kann daher an seinem Wohnsitz (Art. 144 ZGB) auf Grund des
schweizerischen materiellen Rechts auf Scheidung klagen, ohne für seine
Person nachweisen zu müssen, dass Gesetz oder Gerichtsgebrauch seiner
Heimat den angerufenen Scheidungsgrund zulassen und den schweizerischen
Gerichtsstand anerkennen (BBl 1954 II 76). Ist auch der beklagte Ehegatte
Flüchtling im Sinne des Abkommens, so erübrigt sich dieser Nachweis
für beide Ehegatten (BGE 88 II 330). Ist der Beklagte dagegen ein
Ausländer ohne die Eigenschaft eines solchen Flüchtlings, so muss dieser
Nachweis nach der herrschenden Rechtsprechung für ihn erbracht werden,
es sei denn, dass dem Kläger zur Vermeidung einer Rechtsverweigerung ein
sog. Notgerichtsstand in der Schweiz zu gewähren ist (VEBB 1957 Nr. 65,
1958 Nr. 39 II, 1959/60 Nr. 76; BGE 88 II 330/331).

Erwägung 4

    4.- Nach Art. 1 lit. A Ziff. 2 des Abkommens vom 28. Juli 1951 ist
Flüchtling im Sinne dieses Abkommens u.a. jede Person, die sich infolge von
vor dem 1. Januar 1951 eingetretenen Ereignissen (par suite d'événements
survenus avant le premier janvier 1951) und aus begründeter Furcht vor
Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu
einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Auffassungen
ausserhalb ihres Heimatlandes befindet und dessen Schutz nicht beanspruchen
kann oder wegen dieser Befürchtung nicht beanspruchen will.

    Im Falle BGE 88 II 329 ff., wo beide Parteien ungarische Flüchtlinge
waren, hat das Bundesgericht angenommen, die Voraussetzungen von Art. 1
des Abkommens seien nicht erfüllt, weil die Parteien erst durch die
Ereignisse in Ungarn vom Herbst 1956 zur Flucht bestimmt worden seien;
ob die wegen dieser Ereignisse geflüchteten Ungarn in der Schweiz
trotz dem entgegenstehenden Wortlaut von Art. 1 ohne weiteres in jeder
Beziehung als Flüchtlinge im Sinne des Abkommens zu gelten haben, wie
das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement nach seinen von der Vorinstanz
erwähnten Schreiben vom 18. Juni und 16. Juli 1957 in Sachen K. anzunehmen
scheine, könne dahingestellt bleiben; denn der Klägerin müsste, selbst wenn
Art. 12 des Abkommens formell nicht anwendbar wäre, zur Vermeidung einer
Rechtsverweigerung gestattet werden, an ihrem schweizerischen Wohnsitz
gegen den ebenfalls in der Schweiz wohnhaften Ehemann auf Scheidung
zu klagen.

    Schon in dem vom Bundesrat genehmigten Bericht des Eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartements vom 7. März 1957 über die schweizerische
Asylpraxis in neuester Zeit, der als Anhang zum Bericht von Prof. Ludwig
über "Die Flüchtlingspolitik der Schweiz in den Jahren 1933 bis 1955"
veröffentlicht wurde (Beilage zum Bundesblatt 1957 II, S. 410 ff.), war
indessen erklärt worden, das Abkommen gelte auch für die neuen ungarischen
Flüchtlinge; die Voraussetzungen des Art. 1 seien bei ihnen erfüllt,
"liegt doch der Grund zur Flucht in der Auseinandersetzung des ungarischen
Volkes mit dem politischen Regime, wie es seit 1948 in Ungarn besteht";
das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge teile
diese Auffassung, und auch die Mehrzahl der Mitgliedstaaten in Europa habe
kürzlich an der Sitzung des Exekutivkomitees des Hochkommissariats erklärt,
das Abkommen werde auch auf die neuen ungarischen Flüchtlinge angewendet
(a.a. O. S. 415, vgl. dazu MOSER, ZSR 1967 II 447). Die Polizeiabteilung
des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements hat dem Kläger auf Grund dieser
Auffassung im April 1957 einen Reiseausweis im Sinne von Art. 28 des
Abkommens ausgestellt und später ausdrücklich bestätigt, er sei Flüchtling
im Sinne des Abkommens.

    Im Jahre 1965 führte der damalige Hochkommissar für die Flüchtlinge,
SCHNYDER, in einer Vorlesung an der Académie de droit international de
La Haye aus, der vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen
zur Vorbereitung des Abkommens eingesetzte Sonderausschuss habe in
seinem Bericht die Auffassung vertreten, die Festsetzung eines Stichtages
bezwecke nicht, die Anwendung des Abkommens auf Personen auszuschliessen,
die in einem spätern Zeitpunkte Flüchtlinge werden sollten infolge von vor
dem 1. Januar 1951 eingetretenen Ereignissen oder infolge von Wirkungen
solcher Ereignisse, die sich erst später zeigen ("à la suite d'effets de
tels événements qui ne se manifesteraient qu'à une date ultérieure"):
in der Praxis seien die Mitgliedstaaten dieser Auffassung gefolgt; so
hätten sie die Eigenschaft von Flüchtlingen im Sinne des Abkommens den
Ungarn zuerkannt, die ihr Land im Laufe und im Gefolge der dramatischen
Ereignisse vom Jahre 1956 verliessen, welche man als Nachwirkungen
("séquelles") von vor dem 1. Januar 1951 eingetretenen Ereignissen
betrachtet habe (Académie de droit international, Recueil des cours,
1965 I, Band 154 der Sammlung, S. 364 f.).

    In der Bundesrepublik Deutschland, die zu den Vertragsstaaten gehört
und deren Praxis hier wegen der deutschen Staatsangehörigkeit der Beklagten
neben der schweizerischen Praxis von besonderer Bedeutung ist, hat die
innere Verwaltung nach den Feststellungen, die das Oberlandesgericht
Stuttgart in einem Urteil vom 13. Februar 1962 (FamRZ 1962 S. 160 f.) auf
Grund der Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom 20. Dezember
1956 und 13. September 1957 traf, die - anerkannten - Ungarnflüchtlinge
des Winters 1956/57 von Anfang an als Flüchtlinge im Sinne des Abkommens
behandelt (vgl. auch MICHEL aaO, der ebenfalls auf das Rundschreiben des
genannten Bundesministeriums vom 13. September 1957 hinweist und daraus
den gleichen Schluss zieht wie das Oberlandesgericht Stuttgart). Das
Oberlandesgericht Stuttgart hat sich im erwähnten Urteil der dargestellten
Verwaltungspraxis mit näherer Begründung angeschlossen. Der bereits
zitierte Kommentar PALANDT erklärt unter Hinweis auf dieses Urteil
und den Aufsatz von MICHEL, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des
Abkommens sei für die Ungarnflüchtlinge des Jahres 1956 anerkannt (N. 6
a. E. zu EGBGB 17, S. 1739). Der Kommentar ERMAN zum BGB (4. Aufl.,
2. Band,Münster/Westf. 1967) bemerkt, unter die Konvention falle auch,
wer auf Grund der vor dem Stichtag in den osteuropäischen Staaten
eingetretenen politischen Umwälzungen nach dem Stichtag geflohen ist
(Anhang zu Art. 29 EGBGB, Bem. zu Art. 1 lit. A des Abkommens, S. 1824).

    Bei Beurteilung der Anwendbarkeit und der Bedeutung staatsvertraglicher
Abmachungen ist die Praxis der politischen und administrativen Behörden
für die Gerichte nicht verbindlich (BGE 81 II 330; ebenso das angeführte
deutsche Urteil). Sie ist aber für die eigene Meinungsbildung des Richters
immerhin von wesentlichem Interesse (BGE 81 II 330). Das gilt ganz
besonders dann, wenn es sich wie hier um ein internationales Abkommen
handelt, dessen Anwendung zum weitaus grössten Teil in den Händen der
genannten Behörden liegt. In einem solchen Falle lässt sich ein Abweichen
von der Praxis dieser Behörden nur rechtfertigen, wenn schlechthin
zwingende Gründe ihre Übernahme verbieten. So verhält es sich hier
nicht. Die Bedenken, die in der Regel gegen eine ausdehnende Auslegung
staatsvertraglicher Abmachungen bestehen mögen (BGE 90 I 47 unten mit
Hinweisen), fallen weg, wenn wie hier die Praxis aller Vertragsstaaten
oder doch die Praxis der Staaten, die an dem zu beurteilenden Falle
unmittelbar interessiert sind, der fraglichen Auslegung zustimmt.

    Der Kläger ist daher auch von den schweizerischen Gerichten als
Flüchtling im Sinne des Abkommens von 1951 zu behandeln, so dass er für
seine Person den durch Art. 7 h Abs. 1 NAG geforderten Nachweis nicht zu
leisten hat.

    (Voraussichtlich wird übrigens bei Erlass des Sachurteils im
vorliegenden Prozess für die Schweiz und für die Bundesrepublik
Deutschland das Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung
der Flüchtlinge gelten, das den Stichtag des 1. Januar 1951 beseitigt
und das gemäss Bekanntmachung des Hochkommissars der Vereinten Nationen
für die Flüchtlinge vom 5. Oktober 1967 infolge Hinterlegung der sechsten
Beitrittsurkunde in Kraft getreten ist.)

Erwägung 5

    5.- Zu prüfen bleibt nach der Rechtsprechung, ob der Nachweis im Sinne
von Art. 7 h Abs. 1 NAG für die Beklagte erbracht sei. Ist diese Frage zu
bejahen, so kann dahingestellt bleiben, ob und allenfalls in welchem Sinne
der von der Rechtsprechung aufgestellte Grundsatz, dass dieser Nachweis
nicht nur für den Kläger, sondern auch für den Beklagten erforderlich ist,
zu lockern sei.

    Die Vorinstanz hat zur Frage der Anerkennung des schweizerischen
Gerichtsstandes durch den Heimatstaat der Beklagten nicht Stellung
genommen. Sie hat also das deutsche Recht, das für den Entscheid über
die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte zur Beurteilung der
vorliegenden Scheidungsklage neben Art. 7 h NAG und dem ebenfalls zum
schweizerischen Bundesrecht gehörenden Flüchtlingsabkommen massgebend ist,
nicht angewendet. Das Bundesgericht ist daher nach Art. 65 OG befugt,
es selbst anzuwenden. Sein Inhalt lässt sich auf Grund des einschlägigen
Schrifttums mit genügender Zuverlässigkeit ermitteln (vgl. zu diesem
Erfordernis BGE 93 II 184 b mit Hinweisen).

Erwägung 6

    6.- Für Klagen auf Scheidung einer Ehe kann nach § 606 der
deutschen ZPO stets ein deutsches Gericht angerufen werden, wenn auch
nur einer der beiden Ehegatten die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt
(STEIN/JONAS, Kommentar zur ZPO, 17./18. Aufl., Tübingen 1956 ff., N. II
zu § 606 b [4. Nachtrag Juli 1960]; ROSENBERG, Lehrbuch des deutschen
Zivilprozessrechts, 8. Aufl., München und Berlin 1960, § 161 II l'S. 804;
RAAPE, Internationales Privatrecht, 5. Aufl., Berlin und Frankfurt
a. M. 1961, S. 298; BAUMBACH/LAUTERBACH, ZPO, 28. Aufl., München und
Berlin 1965, N. 2 A zu § 606 b). Zuständig ist in solchen Fällen nach §
606, wenn keiner der Ehegatten im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hat, das Landgericht Berlin (STEIN/JONAS N. II 2 f zu § 606; ROSENBERG aaO
Ziff. 2 S. 804 f.; BAUMBACH/LAUTERBACH N. 4 A zu § 606). Auf eine Klage,
die der in der Schweiz wohnhafte Kläger dort anbrächte, wäre gemäss Art. 17
Abs. 1 EGBGB in Verbindung mit Art. 12 Ziff. 1 des Flüchtlingsabkommens
grundsätzlich schweizerisches Recht anwendbar (vgl. RAAPE S. 294 Ziff. 6
in Verbindung mit S. 63 und das erwähnte Urteil des Oberlandesgerichts
Stuttgart, das auf die Klage eines in Deutschland wohnhaften ungarischen
Flüchtlings unter Berufung auf die genannten Bestimmungen deutsches
Recht als das Recht des Wohnsitzlandes des Klägers angewendet hat). Im
Hinblick auf diese Klagemöglichkeit dürfte im vorliegenden Falle nicht
angenommen werden, dem klagenden Ehegatten müsse zur Vermeidung einer
Rechtsverweigerung ein Notgerichtsstand in der Schweiz gewährt werden,
wie es im Falle BGE 88 II 329 ff. geschehen war.

    Deutschland beansprucht jedoch für die Scheidung von Ehen, bei denen
wenigstens ein Ehegatte Deutscher ist, in internationaler Hinsicht nicht
die ausschliessliche Zuständigkeit in dem Sinne, dass es ausländischen
Urteilen auf Scheidung solcher Ehen die Anerkennung in jedem Fall versagen
würde. Der Umstand, dass § 606 ZPO die dort vorgesehenen Gerichtsstände
als ausschliessliche bezeichnet, hindert die Anerkennung derartiger
Urteile in Deutschland namentlich dann nicht, wenn der Beklagte (Mann
oder Frau) nicht Deutscher ist, oder wenn der Beklagte zwar die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzt, aber seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in
Deutschland hat, oder wenn die Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen
Aufenthalt zuletzt im Ausland hatten (STEIN/JONAS N. V zu § 606 b ZPO;
ROSENBERG § 149 III 3 b, S. 748; RAAPE S. 308 f.; BAUMBACH/LAUTERBACH
N. 2 B zu § 606 a ZPO, S. 1024; PALANDT N. 6 b zu EGBGB 17, S. 1739
unten; VEBB 1959/60 Nr. 71, Erw. 2 S. 144). Im vorliegenden Falle
hat die Beklagte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz und
hatten die Ehegatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt
ebenfalls in diesem Lande. Daher ist anzunehmen, dass der schweizerische
Gerichtsstand durch Deutschland anerkannt würde, wenn beide Ehegatten
deutsche Staatsangehörige wären. Das gleiche darf aber auch angenommen
werden für den hier gegebenen Fall, dass nur die Beklagte die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzt und der Kläger ein unter das internationale
Abkommen fallender Flüchtling ist. Die Tatsache, dass der Heimatstaat
des Klägers die Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts nicht
anerkennt, steht der Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes
durch Deutschland nicht im Wege, weil Art. 16 des für die Schweiz und
für Deutschland geltenden Flüchtlingsabkommens die Flüchtlinge im Sinne
des Abkommens hinsichtlich des Zugangs zu den Gerichten den Angehörigen
ihres Wohnsitz- bzw. Aufenthaltsstaates gleichstellt (vgl. das angeführte
Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart, FamRZ 1962 S. 161).

    Der Nachweis der Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes durch
das Heimatland der Beklagten darf somit als erbracht gelten. (Den - im
voraus unmöglich zu erbringenden - Nachweis der Anerkennung des Urteils
durch den Heimatstaat fordert Art. 7 h NAG nicht; vgl. BGE 43 II 283
Erw. 3 und STAUFFER N. 10, BECK N. 50 zu Art. 7 h NAG.)

    Hinsichtlich der Frage, ob das Heimatland der Beklagten den
geltend gemachten Scheidungsgrund zulasse, genügt für den vorliegenden
Zuständigkeitsentscheid die Feststellung, dass die Klage damit begründet
wird, die Ehe sei aus Verschulden der Beklagten tief zerrüttet, und
dass in derartigen Fällen der Scheidungsgrund von § 43 des deutschen
Ehegesetzes zutreffen kann. Die nähere Prüfung der Frage, ob die Scheidung
im vorliegenden Falle nach deutschem Recht zulässig sei, ist dem Sachurteil
vorzubehalten.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Aargau (1. Zivilabteilung) vom 13. Januar 1967 wird bestätigt.