Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 II 111



93 II 111

19. Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. März 1967 i.S. Assicuratrice
Italiana gegen Vereinigte Huttwil-Bahnen. Regeste

    Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung.

    Händigt der Versicherer dem Halter vorbehaltlos den
Versicherungsnachweis im Sinne von Art. 68 Abs. 1 SVG und Art. 4 VVV aus,
nachdem der Halter in gültiger Weise (schriftlich oder mündlich) den Antrag
auf Abschluss einer Haftpflichtversicherung mit einer die gesetzlichen
Mindestbeträge (Art. 64 SVG) übersteigenden Deckung gestellt hat, so ist
sein Verhalten grundsätzlich als Annahme des Antrags zu deuten (Erw. 1-4).

    Bestimmen die dem Halter übergebenen Versicherungsbedingungen, dass
die Versicherung an dem im Versicherungsnachweis festgesetzten Tage
beginne, die Gesellschaft aber das Recht habe, "bis zur Aushändigung
der Police den Antrag abzulehnen", so bedeutet die Aushändigung des
Versicherungsnachweises die vorläufige Zusage der beantragten Deckung
(Erw. 5).

    Das gilt auch, wenn der Versicherer die Versicherungsnachweise durch
untergeordnete Angestellte ausstellen und aushändigen lässt (Erw. 6).

    Forderungsrecht des Geschädigten gegen den Versicherer (Erw. 7).

    Haftpflicht für Schaden, der bei einem Zusammenstoss zwischen
Motorfahrzeug und Eisenbahn entstanden ist.

    Natur der Motorfahrzeug- und der Eisenbahnhaftpflicht (Erw. 8 a, b);
Regeln für den Fall der Kollision dieser Haftungen (Erw. 8 c-e).

    Haftpflicht des Motorfahrzeughalters für den Sachschaden der Bahn
(Erw. 8 d, e).

    Rückgriff der Bahnunternehmung auf den Halter im Falle, dass sie
den verunfallten Bahnreisenden ihren Personenschaden und den Sachschaden
an den von ihnen unter ihrer eigenen Obhut mitgeführten Sachen (Art. 11
Abs. 1 EHG) ersetzt hat; Voraussetzungen, unter denen sich die Bahn die
Ansprüche nicht verletzter Reisender auf Ersatz von Sachschaden (Art. 11
Abs. 2 EHG) abtreten lassen kann (Erw. 8 f).

    Rückgriff der Bahn für von der SUVA nicht gedeckten Personenschaden
und für Sachschaden von Bahnangestellten (Erw. 8 g).

    Wann darf angenommen werden, dass neben dem vom einen Teil zu
vertretenden Verschulden die vom andern Teil gesetzte Betriebsgefahr
nicht in rechtserheblicher Weise zum Schaden beigetragen habe? (Erw. 9).

    Grobes Verschulden eines Lastwagenführers, der trotz gehörig
funktionierender und gut sichtbarer Blinklichtanlage mit unverminderter
Geschwindigkeit einen Bahnübergang überquert (Erw. 10). Mitverschulden
der Bahn wegen zu hoher Geschwindigkeit, wegen ungenügender Sicherung
der Übergangs oder wegen unterlassener Bremsung? (Erw. 11).

Sachverhalt

    A.- Die Autotransportfirma Pesenti & Berri in Locarno
beantragte der Assicuratrice Italiana im Juni 1961 den Abschluss einer
Haftpflichtversicherung für ihren Motorlastwagen Marke Skoda, Baujahr 1961.
Der unter Verwendung eines Formulars der Assicuratrice schriftlich
niedergelegte, vom 9. Juni 1961 datierte Antrag sieht u.a. vor, die
Versicherung solle am 10. Juni 1961 in Kraft treten und bis zum 1. Juli
1966 dauern, und nennt als Versicherungssumme den Betrag von Franken
1'000,000.--. Die Assicuratrice stellte der Firma Pesenti & Berri für den
erwähnten Wagen einen vom 10. Juni 1966 an gültigen Versicherungsnachweis
im Sinne von Art. 68 Abs. 1 SVG und Art. 4 der Verordnung vom 20. November
1959 über Haftpflicht und Versicherungen im Strassenverkehr (VVV)
aus, mit dem sie bescheinigte, dass "l'assicurazione stipulata in base
alla polizza suddetta" (die auf Grund der obigen Police abgeschlossene
Versicherung) den Bestimmungen des SVG entspreche. In der für die Angabe
der Nummer der Police bestimmten Rubrik des Versicherungsnachweises steht:
"in corso em." (in corso di emissione = in Ausstellung begriffen). Gegen
Aushändigung dieses Versicherungsnachweises gab das Verkehrsamt des Kantons
Tessin der Firma Pesenti & Berri am 13. Juni 1961 die Kontrollschilder
TI 39864 ab. Die Ausstellung der Versicherungspolice liess auf sich warten.

    B.- Am 28. August 1961, kurz nach 15 Uhr, führte Dario Pini,
Chauffeur der Firma Pesenti & Berri, den Lastwagen TI 39864 und einen
zweiachsigen Anhänger, die gleichen Tages in Henniez mit 350 Harrassen
gefüllter Mineralwasserflaschen beladen worden waren, auf der Staatsstrasse
Huttwil-Willisau von Zell gegen Gettnau. Diese Strasse wird bei Briseck
(Gemeinde Zell), wo sie in einer flachen S-Kurve zuerst nach links
und dann nach rechts biegt, in spitzem Winkel von der eingleisigen
normalspurigen Bahnlinie Zell-Gettnau der Vereinigten Huttwil-Bahnen
(VHB) überquert. Beidseitig des Bahnübergangs sind Blinklichtanlagen mit
Warnglocke und Andreaskreuz angebracht. Ausserdem weisen Vorsignale
(Gefahrsignal Nr. 5, heute Nr. 120: Dreiecktafel mit Darstellung
einer Lokomotive) und Distanzpfähle auf den Bahnübergang hin. Bei der
Annäherung an diesen Übergang bemerkte Pini nicht, dass die Blinklichter
und die Warnglocken das Herankommen eines Zuges ankündigten. Er setzte
seine Fahrt fort, ohne auch nur seine Geschwindigkeit von mindestens
50 Stundenkilometern zu mässigen. Auf der Kreuzungsstelle prallte
der Steuerwagen des von Gettnau kommenden Personenzuges Nr. 229 der
VHB gegen die rechte Vorderseite des Lastwagens, riss diesen mit
und entgleiste. Infolge des Zusammenstosses wurde Umberto Pesenti,
der Pini begleitet hatte, sofort getötet. Pini und der Lokomotivführer
Sommer erlitten schwere, der Kondukteur und sieben Fahrgäste des Zuges
leichte Verletzungen. Ausserdem entstand beträchtlicher Sachschaden. Das
Obergericht des Kantons Luzern verurteilte Pini am 18. Dezember 1962
wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger
Störung des Eisenbahnverkehrs zu einer (bedingten) Gefängnisstrafe von
sechs Monaten und zu einer Busse von Fr. 300.--.

    C.- Mit Klage vom 6. September 1963 forderte die Bahngesellschaft
von der Assicuratrice Italiana Fr. 169'170.25 nebst 5% Zins von diesem
Betrag seit 28. August 1961 und 5% Zins von Fr. 30'000.-- für die Zeit vom
28. August 1961 bis 8. Juni 1963. Sie machte geltend, der Zusammenstoss sei
ausschliesslich auf das grobe Verschulden Pinis zurückzuführen, für das
die Firma Pesenti & Berri als Halterin des von ihm geführten Lastwagens
einzustehen habe; als Haftpflichtversicherer der Firma Pesenti & Berri
könne die Beklagte im Rahmen der vertraglichen Deckung von Fr. 1'000,000.--
für den aus dem Zusammenstoss entstandenen Schaden unmittelbar belangt
werden; die Klägerin habe einen Schaden von Fr. 199'170.25 erlitten
(Kosten der Instandstellung und Betriebsausfall des beschädigten
Rollmaterials; Kosten der Räumung, Bewachung und Instandstellung der
Bahnanlage; von der Klägerin gegen Abtretung der betreffenden Ansprüche
vergüteter Sach- und Personenschaden von Fahrgästen und Bahnangestellten;
weitere durch den Unfall verursachte Auslagen); die Beklagte habe am
9. Juni 1963 Fr. 30'000.-- bezahlt, so dass ein Betrag von Fr. 169'170.25
nebst Zins vom Unfalltag an zu decken bleibe.

    Die Beklagte erklärte sich bereit, über die bereits bezahlten
Fr. 30'000.-- hinaus noch Fr. 776.30 (die Hälfte des für Personenschaden
geforderten Betrages) zu zahlen, und beantragte im übrigen die Abweisung
der Klage. Sie brachte im wesentlichen vor, zwischen ihr und der Firma
Pesenti & Berri sei kein Versicherungsvertrag zustande gekommen; die
Ausstellung des Versicherungsnachweises bedeute nur, dass sie Dritten
gegenüber im Rahmen der in Art. 64 SVG festgesetzten Mindestbeträge hafte;
für Sachschaden könne sie also nur bis zum Betrag von Fr. 30'000.--, den
sie bezahlt habe, belangt werden; die Halterin des Lastwagens hafte im
übrigen nicht für den vollen Schaden; vielmehr sei dieser wegen eines mit
dem Verschulden Pinis konkurrierenden Verschuldens der Bahn und wegen
der von dieser zu vertretenden Betriebsgefahr zwischen der Halterin
und der Klägerin hälftig zu teilen; zahlenmässig werde ein Schaden von
Fr. 86'000.-- anerkannt.

    Das Amtsgericht Willisau verurteilte die Beklagte am 15. Dezember
1965 zur Zahlung von Fr. 140'000.-- nebst Zins.

    Das Obergericht des Kantons Luzern, an das die Beklagte appellierte,
berechnete den Gesamtschaden der Klägerin auf Fr. 164'788.60, indem es den
eigenen Sachschaden der Klägerin niedriger bemass als diese, und sprach
der Klägerin mit Urteil vom 3. März 1966 unter Berücksichtigung der Zahlung
der Beklagten Fr. 134'788.60 nebst 5% Zins von Fr. 164'788.60 ab 7. August
1962 (Betreibungsbegehren) bis 9. Juni 1963 und von Fr. 134'788.60 ab
10. Juni 1963 zu.

    D.- Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das
Bundesgericht erklärt. Sie beantragt "präliminär" die Rückweisung der
Sache an das Obergericht zu neuer Entscheidung nach Abnahme der von ihr
angebotenen Beweise, "principaliter" dem Sinne nach die Abweisung der
Klage und "eventualiter" die Herabsetzung des von ihr zu leistenden
Schadenersatzes auf zwei Drittel des vom Obergericht errechneten
Gesamtschadens, nämlich auf Fr. 109'858.--, so dass sie noch Fr. 79'858.--
nebst Zins zu zahlen hätte.

    Die Klägerin beantragt die Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beklagte macht vor Bundesgericht nicht mehr geltend, zwischen
ihr und der Firma Pesenti & Berri sei überhaupt kein Versicherungsvertrag
zustande gekommen. In der Berufungsschrift anerkennt sie vielmehr,
dass mit der Aushändigung des Versicherungsnachweises an Pesenti
& Berri ein solcher Vertrag geschlossen wurde. Hinsichtlich der
rechtlichen Beziehungen zwischen der Beklagten und der Firma Pesenti &
Berri ist nur noch streitig, ob der Vertrag dieser Firma bis zu der im
Versicherungsantrag genannten Summe von Franken 1'000,000.-- oder nur
bis zu den gesetzlichen Mindestbeträgen im Sinne von Art. 64 SVG Deckung
bot. Während die Klägerin in der Aushändigung des Versicherungsnachweises
die vorbehaltlose Annahme ihres Antrags erblickt, behauptet die Beklagte,
mit der Aushändigung des Versicherungsnachweises sei zwischen ihr und der
Firma Pesenti & Berri lediglich eine Übereinkunft getroffen worden, "auf
Grund welcher einerseits die Versicherungsgesellschaft bis zur Prüfung
des Versicherungsvorschlags sich verpflichtete, das Fahrzeug der Firma
Pesenti & Berri im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften zu versichern,
und anderseits die Firma Pesenti & Berri sich verpflichtete, die Prämie
zu zahlen, die für die gesetzlich vorgeschriebene Deckung festgelegt
ist". Die Beklagte macht damit dem Sinne nach geltend, die Aushändigung
des Versicherungsnachweises habe nur eine auf die Mindestbeträge im Sinne
von Art. 64 SVG begrenzte vorläufige Deckungszusage bedeutet.

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht hat festgestellt, die Beklagte habe den
Versicherungsnachweis auf Grund eines auf die Deckungssumme von
einer Million Franken lautenden Versicherungsantrages ausgestellt
und ausgehändigt. Es nimmt also an, der Versicherungsnachweis sei
ausgestellt und der Firma Pesenti & Berri übergeben worden, nachdem
diese der Beklagten den Abschluss einer Haftpflichtversicherung mit der
erwähnten Deckungssumme beantragt hatte. Diese Feststellung betrifft
tatsächliche Verhältnisse... Der in der Berufungsschrift enthaltene
Antrag, der Beklagten sei der Nachweis zu erlauben, "dass in unserem
Fall der Versicherungsnachweis möglicherweise gleich bei der Ausfüllung
des Versicherungsantrages von einem lokalen subalternen Angestellten der
Gesellschaft ausgehändigt wurde", ist als neues Vorbringen unzulässig
(Art. 55 Abs. 1 lit. c OG), und hievon abgesehen würde der Beweis, dass
der Versicherungsnachweis bei der genannten Gelegenheit ausgehändigt
wurde, die Annahme nicht widerlegen, dass die Firma Pesenti & Berri den
Versicherungsnachweis erhielt, nachdem sie den Abschluss einer Versicherung
für eine Million Franken beantragt hatte. Die in diesem Sinne lautende
Feststellung des Obergerichtes ist also gemäss Art. 63 Abs. 2 OG fùr das
Bundesgericht verbindlich.

Erwägung 3

    3.- Mit dem Versicherungsantrag, den die Firma Pesenti & Berri
der Beklagten nach der eben angeführten Feststellung vor Erhalt des
Versicherungsnachweises unterbreitet hatte, meint das Obergericht, wie
aus einer andern Stelle seines Urteils klar hervorgeht, den schriftlichen
Antrag vom 9. Juni 1961. Das Bundesgericht hat also davon auszugehen, dass
die Firma Pesenti & Berri den Versicherungsnachweis nach Einreichung
des schriftlichen Antrages vom 9. Juni 1961 auf Abschluss einer
Haftpflichtversicherung für eine Million Franken erhielt.

    Der Aushändigung des Versicherungsnachweises an die Firma Pesenti
& Berri wäre im übrigen selbst dann ein gültiger Antrag auf Abschluss
einer solchen Versicherung vorausgegangen, wenn die Firma Pesenti & Berri
einen dahin gehenden Antrag zunächst nur mündlich gestellt hätte und der
schriftliche Antrag erst nach der Aushändigung des Versicherungsnachweises
ausgefertigt worden wäre. Das VVG enthält nämlich keine Vorschriften über
die Form des Antrags des Versicherungsnehmers und der Annahmeerklärung
des Versicherers. In diesem Punkte finden daher gemäss Art. 100 VVG die
Bestimmungen des OR Anwendung. Nach Art. 11 Abs. 1 OR bedürfen Verträge
zu ihrer Gültigkeit nur dann einer besondern Form, wenn das Gesetz eine
solche vorschreibt. Da solche Vorschriften für den Versicherungsvertrag
nicht bestehen, sind der Versicherungsantrag und die Annahmeerklärung
des Versicherers formlos gültig (ROELLI N. 5 b und 7 b zu Art. 1 VVG,
S. 13 und 28; KOENIG, Schweiz. Privatversicherungsrecht, S. 61 und
63). Der Agent der Beklagten war von Gesetzes wegen befugt, eine mündliche
Antragserklärung entgegenzunehmen (ROELLI N. 5 b zu Art. 1 VVG, S. 14).

Erwägung 4

    4.- Der Versicherer hat den Versicherungsnachweis zuhanden der
Behörde auszustellen, die den Fahrzeugausweis abgibt (Art. 68 Abs. 1
SVG). Die Übergabe des Versicherungsnachweises an diese Behörde ist
Voraussetzung für die Zulassung des betreffenden Fahrzeugs zum Verkehr
(Art. 3 VVV). Der Versicherungsnachweis erfüllt also in erster Linie
eine polizeirechtliche Aufgabe. Ausserdem ist er für die gesetzliche
Haftung des Versicherers gegenüber Dritten von Bedeutung (BGE 69 II
169; OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, 2. Aufl., II/2 S. 706, 765
f.). Eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Versicherers gegenüber dem
Halter, der sich versichern will, enthält er dagegen an und für sich
nicht, da er nicht für diesen, sondern für die Behörde bestimmt ist. Er
enthält auch keine nähern Angaben über die Höhe der Versicherungsdeckung,
sondern bezeugt nur, dass die für das fragliche Fahrzeug abgeschlossene
Versicherung den Bestimmungen des SVG entspricht (vgl. den Formulartext
in AS 1959 S. 1308). Seine Aushändigung kann aber gleichwohl auch für
das Zustandekommen des Versicherungsvertrages zwischen dem Versicherer
und dem Halter und für den Umfang der Versicherungsdeckung von
Bedeutung sein: übergibt der Versicherer nach Erhalt eines gültigen,
alle wesentlichen Angaben enthaltenden Antrags für den Abschluss einer
Haftpflichtversicherung dem Halter (oder mit dessen Wissen unmittelbar
der zuständigen Behörde) den Versicherungsnachweis, bevor er den Antrag
auf andere Weise angenommen hat, so ist sein Verhalten als Annahme des
Antrags zu deuten. Der Halter ist in einem solchen Falle nach Treu und
Glauben zur Auffassung berechtigt, der Versicherer wolle ihm erlauben,
sein Fahrzeug mit der von ihm gewünschten Versicherungsdeckung in Verkehr
zu setzen, und der Versicherer kann und muss sich davon Rechenschaft geben,
dass der Halter seine Handlungsweise in diesem Sinne verstehen darf. Das
gilt auf jeden Fall dann, wenn sich aus den dem Halter übergebenen
Versicherungsbedingungen nichts Abweichendes ergibt und der Versicherer
den Versicherungsnachweis vorbehaltlos aushändigt, wie es hier gemäss
verbindlicher Feststellung des Obergerichtes geschehen ist. (Bringt
der Versicherer bei der Aushändigung des Versicherungsnachweises an
den Versicherungsnehmer einen Vorbehalt an, z.B. hinsichtlich der
Versicherungssumme, so kann darin allenfalls ein Gegenantrag liegen, der
als angenommen zu gelten hat, wenn der Halter den Versicherungsnachweis
bei der zuständigen Behörde abgibt, um den Fahrzeugausweis zu erhalten.)
Ob es vorkommt, dass ein Versicherungsnachweis ausgehändigt wird, bevor
ein gültiger Antrag auf Abschluss einer Haftpflichtversicherung für
bestimmte Summen gestellt wurde, und welche Wirkungen die Aushändigung des
Nachweises in einem solchen Falle hätte, kann hier dahingestellt bleiben;
denn die Beklagte hat der Firma Pesenti & Berri den Versicherungsnachweis
nach Erhalt eines gültigen Antrags für eine Haftpflichtversicherung mit
einer Deckungssumme von einer Million Franken übergeben.

Erwägung 5

    5.- Die Firma Pesenti & Berri erklärte in ihrem Versicherungsantrag
vom 9. Juni 1961, ein Exemplar der Allgemeinen Versicherungsbedingungen
erhalten zu haben. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der
Beklagten für die Motorfahrzeughaftpflicht-Versicherung (ausgenommen die
Motorradhaftpflicht-Versicherung), die damit unstreitig gemeint sind,
regeln im Abschnitt II den Beginn und die Dauer der Versicherung. Art. 8
lautet in der allein bei den Akten liegenden deutschen Fassung, von der
nicht behauptet wird, dass sie von der wohl verwendeten italienischen
abweiche, wie folgt:

    "Beginn. Die Versicherung beginnt an dem im Versicherungsnachweis
festgesetzten Tag. Die Gesellschaft hat jedoch das Recht, bis
zur Aushändigung der Police den Antrag abzulehnen. Macht sie davon
Gebrauch, so erlischt ihre Leistungspflicht 3 Tage nach Zustellung der
Ablehnungserklärung an den Versicherungsnehmer. Die Pro-rata-Prämie bis
zum Erlöschen der Leistungspflicht bleibt der Gesellschaft geschuldet."

    Diese Bestimmung verbietet nicht, die Aushändigung des
Versicherungsnachweises an einen Halter, der einen gültigen
Haftpflichtversicherungsantrag gestellt hat, als Zusage der beantragten
Versicherungsdeckung aufzufassen. Ein solcher Halter darf unter der
"Versicherung", die nach Satz 1 an dem im Versicherungsnachweis
festgesetzten Tage beginnt, und unter der "Leistungspflicht" des
Versicherers, die nach Satz 3 bis zum dritten Tage nach Zustellung der
"Ablehnungserklärung" im Sinne von Satz 2 dauert, nach Treu und Glauben
die Versicherung bezw. die Leistungspflicht nach Massgabe der im Antrag
festgesetzten Summen verstehen, da die Versicherungsbedingungen die
in einem solchen Falle geltenden Versicherungssummen nicht anderswie
festsetzen. Wenn Satz 2 der Beklagten das Recht wahrt, bis zur Aushändigung
der Police "den Antrag abzulehnen", so heisst das nicht, dass die Höhe
der Deckung, welche die am ersten Geltungstag des Versicherungsnachweises
beginnende Versicherung dem Halter bietet, sich nicht nach dem Antrag,
sondern nach den gesetzlichen Vorschriften über die Mindestversicherung
richte. Vielmehr bedeutet Satz 2 bloss, dass der Versicherer, solange
er die Police nicht ausgehändigt hat, nicht für die ganze im Antrag
vorgesehene Dauer, sondern nur einstweilen gebunden sein und das Recht
haben will, die am genannten Tage in Kraft getretene Versicherung
durch eine einseitige, in seinem Belieben stehende Erklärung zum
Erlöschen zu bringen. Satz 2 unterstellt also den mit der Aushändigung
des Versicherungsnachweises zustande gekommenen, vom angegebenen Tage
an wirksamen Versicherungsvertrag einer auflösenden Wollensbedingung,
m.a.W.: er legt fest, dass die Aushändigung des Versicherungsnachweises
nur als vorläufige Zusage der beantragten Deckung verstanden werden darf
(vgl. hiezu KOENIG, aaO S. 59).

    Wenn die Behauptung der Beklagten zutrifft, dass jährlich sehr viele
Versicherungsanträge abgewiesen werden, nachdem der Versicherungsnachweis
abgegeben wurde, so folgt daraus nicht, dass die Aushändigung dieses
Nachweises "keine stillschweigende Annahme des Versicherungsantrages
bedeutet". Vielmehr ergäbe sich daraus nur, dass den Haltern, die den
Abschluss einer Haftpflichtversicherung beantragen, sehr häufig zunächst
nur eine vorläufige Deckungszusage erteilt wird und dass die Versicherer
von der Befugnis, den Abschluss eines länger dauernden Vertrages
abzulehnen, verhältnismässig oft Gebrauch machen. Das Obergericht hat daher
mit Recht davon abgesehen, über die erwähnte Behauptung Beweis zu erheben.

    Ob der Versicherer den Entscheid, den er sich vorbehalten hat,
beliebig hinauszögern dürfe, braucht im vorliegenden Fall nicht geprüft
zu werden. Auf jeden Fall bleibt die vorläufige Deckungszusage wirksam,
solange der Versicherer sich nicht entschieden hat (und der mit dieser
Zusage zustande gekommene Vertrag auch nicht auf andere Weise aufgelöst
worden ist). Im vorliegenden Falle stand also die in der Aushändigung des
Versicherungsnachweises liegende vorläufige Zusage der Deckung bis zu
der im Antrag genannten Summe im Zeitpunkt des Unfalles vom 28. August
1961 noch in Kraft; denn die Beklagte hat bis dahin unstreitig keine
"Ablehnungserklärung" im Sinne von Art. 8 ihrer Versicherungsbedingungen
abgegeben, und das Versicherungsverhältnis ist auch nicht aus einem andern
Grunde vor dem Unfall zu Ende gegangen.

    Zur Vermeidung von Missverständnissen mag, obwohl das für den
vorliegenden Fall keine Rolle spielt, noch bemerkt werden, dass die
Leistungspflicht der Beklagten, wenn sie eine "Ablehnungserklärung" im
Sinne von Art. 8 ihrer Versicherungsbedingungen abgibt, gegenüber dem
Geschädigten nicht schon nach Ablauf von drei Tagen seit der Zustellung
dieser Erklärung an den Versicherungsnehmer aufhört, sondern erst mit der
Abgabe des Fahrzeugausweises und der Kontrollschilder, spätestens aber
60 Tage nach Eingang der Meldung, die der Versicherer der zuständigen
Behörde beim Aussetzen oder Aufhören der Versicherung zu erstatten hat
(Art. 68 Abs. 2 SVG).

Erwägung 6

    6.- Die Beklagte macht geltend, die Aushändigung des
Versicherungsnachweises könne auch deshalb nicht als Annahme des vom
Halter gestellten Antrags gelten, weil die Versicherungsnachweise von
untergeordneten Angestellten des Versicherers ausgestellt und ausgehändigt
würden; die Angestellten seien nur hiezu befugt, dagegen nicht ermächtigt,
Anträge anzunehmen, die eine höhere als die gesetzlich vorgeschriebene
Versicherungssumme vorsehen. Sie hat im kantonalen Verfahren den Beweis
dafür angeboten, dass der Agent Jacky de Carli die Verhandlungen mit
der Firma Pesenti & Berri geführt habe und dass dieser Agent nicht
unterschriftsberechtigt gewesen sei.

    Auch dieser Beweis war wegen Unerheblichkeit des behaupteten
Sachverhalts nicht abzunehmen. Der Versicherungsnachweis wurde der
Firma Pesenti & Berri anerkanntermassen von einem hiezu ermächtigten
Angestellten der Beklagten ausgehändigt (vgl. auch Art. 34 Abs. 1
VVG). Diese Handlung hat daher die gleichen Rechtsfolgen, wie wenn der
Versicherer selber (durch ein Organ mit umfassender Vertretungsbefugnis)
sie vorgenommen hätte, und zu diesen Folgen gehört eben, dass der Antrag
der Firma Pesenti & Berri im Sinne einer vorläufigen Deckungszusage als
angenommen zu gelten hat. Ob der betreffende Angestellte der Beklagten
unterschriftsberechtigt war, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Es
genügt, dass er den Versicherungsnachweis abgeben durfte. Mit der Abgabe
des Versicherungsnachweises vor der endgültigen Annahme des Antrags verhält
es sich ähnlich wie mit der Abgabe dieses Nachweises vor der Zahlung der
ersten Prämie (vgl. hiezu BGE 83 II 75 ff.).

Erwägung 7

    7.- War demnach die Firma Pesenti & Berri bei der Beklagten im
Zeitpunkt des Unfalles für eine Million Franken gegen die Folgen der
Haftpflicht versichert, so steht den Geschädigten gemäss Art. 65 Abs. 1
SVG im Rahmen dieser Deckung ein Forderungsrecht unmittelbar gegen die
Beklagte zu.

    Die in der Berufungsschrift enthaltene Bemerkung, dass der Antrag der
Firma Pesenti & Berri "eine Deckung von Fr. 1'000,000.-- nicht ausdrücklich
für Sachschäden, sondern allgemein für den Schadensfall vorsah" und dass
somit die Firma Pesenti & Berri die erwähnte Deckung "für den Schadensfall
und nicht nur für Sachschäden gewünscht" habe, ist an sich richtig. Die
Deckung von einer Million Franken gilt nicht allein für den Sachschaden,
sondern für den Personen- und den Sachschaden zusammen. Das ist auch die
Auffassung der Klägerin und des Obergerichtes. Mit dieser Feststellung
ist aber für die Beklagte nichts gewonnen. Die Forderung der Klägerin
erreicht den Betrag von Fr. 1'000,000.-- bei weitem nicht. Dass die
Gesamtsumme der Forderungen aus dem Unfall vom 28. August 1961 diesen
Betrag übersteige, wird nicht behauptet, und es bestehen dafür auch keine
Anhaltspunkte. Eine Ermässigung der Forderungen der Geschädigten gemäss
Art. 66 Abs. 1 SVG kommt daher nicht in Frage, sondern die Beklagte
hat die Schadenersatzforderung der Klägerin voll zu decken, soweit sie
materiell begründet ist.

Erwägung 8

    8.- Die Klägerin verlangt von der Beklagten als dem
Haftpflichtversicherer der Firma Pesenti & Berri den Ersatz des Schadens,
den sie infolge Beschädigung ihres Rollmaterials und der Bahnanlage beim
Zusammenstoss ihres Zuges mit dem Lastwagen der Firma Pesenti & Berri
erlitten hat, sowie unter Berufung auf Abtretungen den Ersatz des Sach-
und Personenschadens von Fahrgästen und Bahnangestellten, der bei diesem
Zusammenstoss entstanden ist. Für die Beurteilung der Schadenersatzfolgen
dieses Unfalls sind nicht allein die Vorschriften über die Haftpflicht
der Motorfahrzeughalter, sondern auch jene über die Eisenbahnhaftpflicht
von Bedeutung.

    a) Wird durch den Betrieb eines Motorfahrzeuges ein Mensch getötet oder
verletzt oder Sachschaden verursacht, so haftet nach Art. 58 Abs. 1 SVG
(früher Art. 37 Abs. 1 MFG) der Halter für den Schaden. Dabei handelt
es sich um eine sog. Gefährdungshaftung (OFTINGER II/2 S. 453), d.h.
der Halter haftet ohne Verschulden auf Grund der blossen Verursachung des
Schadens durch den mit Gefahren verbundenen Betrieb seines Fahrzeugs. Die
vom Obergericht verwendete Bezeichnung "Kausalhaftung, bei der ein
Verschulden vermutet wird" ist ungenau. Eine Schuldvermutung besteht
zulasten des Halters nur insofern, als er sich nach Art. 59 Abs. 1 SVG
(Art. 37 Abs. 2 MFG) durch den Beweis, dass der Unfall durch höhere
Gewalt oder durch grobes Verschulden des Geschädigten oder eines
Dritten verursacht wurde, von seiner Haftung nur zu befreien vermag,
wenn er ausserdem (u.a.) beweist, dass weder ihn noch Personen, für
die er verantwortlich ist, ein Verschulden trifft (vgl. OFTINGER II/2
S. 554 lit. d und die dort in Note 482 angeführten Entscheide). Diese
Bestimmung ist im vorliegenden Falle schon deshalb nicht anwendbar, weil
die Beklagte mit Recht nicht behauptet, den Lastwagenführer Pini, für den
die Halterin Pesenti & Berri nach Art. 58 Abs. 4 SVG verantwortlich ist,
treffe kein Verschulden.

    b) Wenn beim Betrieb einer Eisenbahn ein Mensch getötet oder körperlich
verletzt wird, so haftet der Inhaber der Bahnunternehmung nach Art. 1
EHG für den daraus entstandenen Schaden, sofern er nicht beweist,
dass der Unfall durch höhere Gewalt, durch Verschulden Dritter oder
durch Verschulden des Getöteten oder Verletzten verursacht wurde. Das
gleiche gilt nach Art. 11 Abs. 1 EHG für Schaden an Gegenständen,
die der Betroffene (victime, persona uccisa o lesa, d.h. der Getötete
oder Verletzte) unter seiner eigenen Obhut mit sich führte, wenn
die Beschädigung, die Zerstörung oder der Verlust mit dem Unfall
zusammenhängt. Abgesehen von diesem Falle ist die Bahnunternehmung
gemäss Art. 11 Abs. 2 EHG für Beschädigung, Zerstörung oder Verlust von
Gegenständen, die weder als Frachtgut noch als Reisegepäck aufgegeben
wurden, nur dann schadenersatzpflichtig, wenn ihr ein Verschulden
nachgewiesen wird. Für Personenschaden und die unter Art. 11 Abs. 1
EHG fallenden Sachschäden besteht also eine Gefährdungshaftung, für
die nicht von Art. 11 Abs. 1 EHG erfassten Sachschäden dagegen unter
Vorbehalt der Bestimmungen über das Frachtgut und das Reisegepäck bloss
eine Verschuldenshaftung der Bahnunternehmung.

    c) Für Schaden aus Körperverletzung haften demnach sowohl der
Motorfahrzeughalter als auch der Inhaber der Bahnunternehmung ohne
Verschulden auf Grund der blossen Verursachung durch den Betrieb des
betreffenden Verkehrsmittels. Hieraus hat die Rechtsprechung abgeleitet,
dass bei einem Unfall, an dem ein Motorfahrzeug und die Eisenbahn
beteiligt sind, der dem Motorfahrzeughalter infolge Körperverletzung
entstandene Schaden grundsätzlich zwischen ihm und dem Inhaber der
Bahnunternehmung nach dem Verhältnis zu teilen ist, in welchem die
den beiden Verkehrsmitteln innewohnenden Betriebsgefahren zum Schaden
beigetragen haben, m.a.W. dass der Halter seinen Personenschaden, soweit
er auf die Betriebsgefahr seines eigenen Fahrzeugs zurückzuführen ist,
selbst zu tragen hat (BGE 67 II 183 ff., 69 II 159, 76 II 324). Hat auf
der einen oder andern oder auf beiden Seiten ein Verschulden zum Schaden
beigetragen, so kann sich nach der Rechtsprechung eine andere Verteilung
rechtfertigen (BGE 67 II 187 Erw. 3, 69 II 159, 76 II 325). Bildet ein
dem Motorfahrzeughalter anzurechnendes Verschulden die einzige adäquate
Ursache des Unfalls, so wird die Bahnunternehmung von ihrer Haftung für
den Personenschaden des Halters befreit (BGE 76 II 325, 87 II 306 f.,
88 II 450). Stellt dagegen ein vom Inhaber der Bahnunternehmung zu
vertretendes Verschulden die einzige adäquate Unfallursache dar, so
muss sich der Motorfahrzeughalter wegen der - in diesem Fall eben nicht
adäquat kausalen - Betriebsgefahr seines Fahrzeugs eine Herabsetzung
seiner Schadenersatzansprüche gegen den Inhaber der Bahnunternehmung nicht
gefallen lassen, sondern haftet ihm dieser für den vollen Personenschaden.

    Der umgekehrte Fall, dass bei einem Unfall der erwähnten Art der
Inhaber der Bahnunternehmung körperlich verletzt wird, dürfte praktisch
kaum vorkommen, weil die Bahnunternehmungen gewöhnlich juristischen
Personen gehören, wäre aber gegebenenfalls entsprechend zu behandeln.

    d) Die Haftung für Sachschaden ist, wie dargelegt, im SVG (früher
MFG) und im EHG verschieden geregelt. Da die Bahnunternehmung im
Gegensatz zum Motorfahrzeughalter für solchen Schaden, vom Falle des
Art. 11 Abs. 1 EHG abgesehen, nur bei Verschulden haftet und da es als
unbillig erscheint, bei Unfällen mit Beteiligung beider Verkehrsmittel
den Motorfahrzeughalter gegenüber der Bahnunternehmung strenger haften
zu lassen als umgekehrt, wurde unter der Herrschaft des MFG bei solchen
Fällen die Kausalhaftpflicht des Halters für Sachschäden im Verhältnis
zwischen ihm und der Bahnunternehmung nicht berücksichtigt. Vielmehr wurde
die für die Haftung zwischen Haltern aufgestellte Vorschrift von Art. 39
Satz 2 MFG, die für Sachschaden das OR als massgebend erklärt, entsprechend
angewendet, so dass sich die Haftung für Sachschaden im Verhältnis zwischen
dem Motorfahrzeughalter und der Bahnunternehmung ausschliesslich nach dem
Verschulden richtete (BGE 69 II 160 lit. c und 410 Erw. 3, 76 II 332/333).

    Anstelle von Art. 39 Satz 2 MFG gilt heute Art. 61 Abs. 2 SVG,
wonach für Sachschaden eines Halters ein anderer Halter nur haftet,
"wenn der Geschädigte beweist, dass der Schaden verursacht wurde
durch Verschulden oder vorübergehenden Verlust der Urteilsfähigkeit des
beklagten Halters oder einer Person, für die er verantwortlich ist, oder
durch fehlerhafte Beschaffenheit seines Fahrzeuges". Diese Bestimmung
weicht von der früher geltenden Regelung der Sache nach nur darin ab,
dass sie dem Verschulden des beklagten Halters oder einer Person, für die
er verantwortlich ist, den vorübergehenden Verlust der Urteilsfähigkeit
und die fehlerhafte Beschaffenheit des Fahrzeugs gleichstellt. Statt
Art. 39 Satz 2 MFG ist daher heute grundsätzlich Art. 61 Abs. 2 SVG auf
die Haftung für Sachschaden im Verhältnis zwischen Motorfahrzeughalter
und Bahnunternehmung entsprechend anzuwenden. Das führt dazu, dass der
Halter für den Sachschaden der Bahn ohne Rücksicht auf die beidseitigen
Betriebsgefahren voll haftet, wenn er oder eine Person, für die er
verantwortlich ist, den Schaden nachgewiesenermassen verschuldet hat und
der Bahn kein Mitverschulden zur Last fällt. (Von vorübergehendem Verlust
der Urteilsfähigkeit eines Beteiligten oder von fehlerhafter Beschaffenheit
eines der beteiligten Fahrzeuge ist im vorliegenden Falle nicht die Rede.)

    e) In der Lehre wird freilich die Auffassung vertreten, die für das
Verhältnis unter Motorfahrzeughaltern geltenden, grundsätzlich auf das
Verschulden abstellenden Vorschriften über die Haftung für Sachschäden
seien auf das Verhältnis zwischen einem Motorfahrzeughalter und einer
Bahnunternehmung nur dann ohne Vorbehalt entsprechend anwendbar, wenn
beim Unfall kein Personenschaden entstehe; werde beim Unfall ein Mensch
getötet oder verletzt, so hafte die Bahnunternehmung für Sachschäden
gemäss Art. 11 Abs. 1 EHG kausal, wenn der Verunfallte die betreffenden
Sachen unter seiner eigenen Obhut mit sich führte und der Schaden im
Zusammenhang mit dem Unfall eintrat (vgl. lit. b hievor); in einem
solchen Falle bestehe kein Grund, von der nach dem Gesetzeswortlaut
geltenden Kausalhaftung des Motorfahrzeughalters abzusehen, sondern habe
die Auseinandersetzung zwischen diesem und der Bahnunternehmung nach den
Regeln für die Kollisionen von Kausalhaftungen (genauer: nach den von der
Rechtsprechung für die Kollision der Gefährdungshaftungen nach Art. 1
EHG und Art. 37 MFG bezw. Art. 58 SVG entwickelten Regeln; vgl. lit. c
hievor) zu erfolgen (P. PORTMANN, Die Ersatzpflicht bei gegenseitiger
Schädigung mehrerer Haftpflichtiger..., ZBJV 1954 S. 1 ff., insbesondere
S. 29 ff.; zustimmend OFTINGER I S. 278 Note 11). Diese Auffassung hat
weittragende Folgen, wenn man annimmt, Art. 11 Abs. 1 EHG gelte entgegen
der Meinung, die bei Erlass der entsprechenden Bestimmung des EHG von
1875 (Art. 8 Abs. 1 aEHG) wahrscheinlich herrschte (BGE 56 II 65) und
zu der A. BUSSY (Les accidents de passages à niveau, 1956, S. 43 No 79)
zu neigen scheint, nicht nur für die von verunfallten Bahnreisenden (und
Bahnangestellten) mitgeführten Sachen, sondern Art. 11 Abs. 1 EHG erfasse
entsprechend seinem allgemein gehaltenen Wortlant auch die von einem
andern Verunfallten mitgeführten Gegenstände, z.B. ein Motorfahrzeug,
das eine bei einem Zusammenstoss mit der Bahn verunfallte Person führte
(so OFTINGER II/1 S. 314; ähnlich A. MARTIN in SJZ 1951 S. 193 und
PORTMANN aaO S. 30). Haftet in einem solchen Falle die Bahnunternehmung
dem Motorfahrzeughalter für den Schaden aus der Beschädigung oder
Zerstörung des Motorfahrzeugs nach den Regeln über die Kollision der
erwähnten Gefährdungshaftungen, so unterliegt diesen Regeln aus Gründen
der Gleichbehandlung wohl auch die Haftung des Halters für den Sachschaden,
den die Bahnunternehmung infolge Beschädigung des Eisenbahnzuges erleidet,
wenn dessen Führer beim Zusammenstoss verletzt wurde.

    Alle diese Streitfragen können hier jedoch offen bleiben, wenn sich
ergibt, dass das von der Firma Pesenti & Berri zu vertretende Verschulden
des Fahrzeuglenkers Pini die einzige adäquate Ursache des eingeklagten
Schadens ist; denn in diesem Falle haftet die Firma Pesenti & Berri,
deren Haftpflicht die Beklagte zu decken hat, sowohl nach den Grundsätzen
der Verschuldenshaftung als auch nach den Regeln der Gefährdungshaftung
für den vollen Schaden.

    f) Für den Personenschaden der Bahnreisenden haften die Klägerin und
der Motorfahrzeughalter auf Grund von Art. 1 EHG bezw. Art. 58 Abs. 1 SVG
solidarisch, und zwar kausal. Mit der Deckung dieses Schadens durch die
Klägerin gingen die Ansprüche der Geschädigten gegen beide Solidarschuldner
unter (Art. 147 Abs. 1 OR). Die Klägerin konnte sich daher die Ansprüche
der Geschädigten gegen den Motorfahrzeughalter nicht abtreten lassen,
sondern es kann sich nur fragen, ob und wieweit die Klägerin zum Rückgriff
auf den Motorfahrzeughalter berechtigt sei.

    Nach Art. 18 EHG bleibt der Bahnunternehmung der Rückgriff
vorbehalten gegenüber Personen, die durch ihr Verschulden einen Unfall
verursacht haben, aus welchem Schadenersatzansprüche geltend gemacht
wurden. Ob auch ein Rückgriff der Bahnunternehmung auf neben ihr haftende
Kausalhaftpflichtige (insbesondere auf Motorfahrzeughalter) möglich sei,
wird im Gesetz nicht gesagt, doch ist diese Frage mit OFTINGER (II/1
S. 376/77) grundsätzlich zu bejahen. Auf den Rückgriff der Bahnunternehmung
gegen den Motorfahrzeughalter für von ihr gedeckten Personenschaden der
Reisenden sind die Regeln über die gegenseitige Haftung des Halters und
des Inhabers der Bahnunternehmung für ihnen zugestossene Personenschäden
(lit. c hievor) entsprechend anzuwenden (OFTINGER I S. 317). Der Klägerin
ist also der Rückgriff für den vollen Personenschaden der Reisenden
zu gewähren, wenn der Unfall ausschliesslich auf das Verschulden des
Motorfahrzeuglenkers, für das die Firma Pesenti & Berri einzustehen hat,
zurückzuführen ist.

    Für Sachschaden infolge Beschädigung, Zerstörung oder Verlustes
von Gegenständen, die von verletzten Bahnreisenden unter ihrer eigenen
Obhut (im Bahnwagen) mitgeführt wurden, gilt das gleiche wie für den
Personenschaden der Reisenden.

    Für sonstigen Sachschaden von Reisenden (insbesondere für den
Sachschaden von nicht verletzten Reisenden) würde die Bahn nur bei
Verschulden haften, wenn man von der hier nicht in Frage stehenden
Verantwortlichkeit für aufgegebenes Frachtgut und Reisegepäck
absieht. Fällt der Bahn kein Verschulden zur Last, so hat sie mit der
Deckung solchen Sachschadens nicht eine eigene Schuld erfüllt. Unter
der eben genannten Voraussetzung konnte sie sich also gegen Zahlung des
Schadenersatzbetrags die Ansprüche der Reisenden gegen die Firma Pesenti
& Berri abtreten lassen. Diese Firma haftet den Geschädigten gegenüber
für den Sachschaden kausal (Art. 58 Abs. 1 SVG). Von den Entlastungs-
und Ermässigungsgründen des Art. 59 SVG kommt im Verhältnis zwischen
den geschädigten Bahnreisenden und der Firma Pesenti & Berri praktisch
nur der Entlastungsgrund des groben Verschuldens eines Dritten (der
Bahn) in Betracht. Trifft die Klägerin kein Verschulden, sondern ist
der Lastwagenführer Pini am Unfall alleinschuldig, so ist der Klägerin
folglich der hier in Frage stehende Schadensposten voll zuzusprechen.

    g) Als Personenschaden von Bahnangestellten macht die Klägerin den
Unterschied zwischen dem vollen Lohn des verunfallten Lokomotivführers
Sommer und dem ihm von der SUVA gemäss KUVG ausgerichteten Krankengeld von
80% dieses Lohnes geltend. Sie hat Sommer diese Differenz auf Grund des
mit ihm bestehenden Dienstvertrages bezahlt und kann dafür auf die Firma
Pesenti & Berri auf jeden Fall dann Rückgriff nehmen, wenn der Unfall
ausschliesslich durch das von dieser Firma zu vertretende Verschulden
des Lastwagenführers Pini verursacht wurde.

    Für den Sachschaden, den Bahnangestellte bei einem Eisenbahnunfall
erleiden, gilt das KUVG nicht. In dieser Hinsicht sind also die
Vorschriften des EHG (das ursprünglich auch für den Personenschaden von
Bahnangestellten aus Betriebsunfällen galt) durch das KUVG (Art. 128
Ziff. 3) nicht aufgehoben worden (OFTINGER I S. 384). Vielmehr ist für
Sachschäden der erwähnten Art der Art. 11 EHG massgebend geblieben. Was
vorstehend über den von der Klägerin gedeckten Sachschaden der
Bahnreisenden ausgeführt wurde, gilt daher auch für den entsprechenden
Schaden von Bahnangestellten.

    Als Gesamtergebnis der bisherigen Erwägungen ist festzuhalten, dass
die Beklagte als Haftpflichtversicherer der Firma Pesenti & Berri die
Forderung der Klägerin in dem vom Obergericht festgesetzten Betrage,
dessen Berechnung als solche nicht angefochten ist, voll zu decken hat,
wenn das von dieser Firma zu vertretende Verschulden des Lastwagenführers
Pini die einzige adäquate Ursache des geltend gemachten Schadens ist.

Erwägung 9

    9.- OFTINGER pflichtet der Rechtsprechung des Bundesgerichts
grundsätzlich darin bei, dass die Regel, wonach bei Kollision verschiedener
Haftungen der einer Gefährdungshaftung unterstehende Geschädigte wegen
der von ihm gesetzten Betriebsgefahr einen Teil des Schadens selbst zu
tragen hat, dann nicht gilt, wenn das vom andern Teil zu vertretende
Verschulden die einzige adäquate Ursache des Schadens ist, m.a.W. wenn
die vom Geschädigten gesetzte Betriebsgefahr nicht adäquat kausal wirksam
geworden ist (I S. 276, 285 Ziff. 4, II/1 S. 342/43, II/2 S. 648 Ziff. 1,
650 Ziff. 4, 653 mit Note 839). Er ist jedoch der Auffassung, das sei
"selten der Fall" (I S. 276, II/1 S. 342/43, II/2 S. 649), "praktisch
kaum denkbar" (II/2 S. 650 Ziff. 4), "nur ausnahmsweise der Fall" (II/2
S. 653). Er beanstandet deswegen (II/2 S. 650) das Urteil BGE 85 II
519 ff., das bei einem Unfall, der einem Autohalter und dessen Ehefrau
infolge groben Verschuldens eines angetrunkenen Fussgängers zugestossen
war, dieses Verschulden als einzige rechtserhebliche Ursache des Schadens
bezeichnete und es darum ablehnte, die Haftung des Fussgängers aus Art. 41
ff. OR im Hinblick auf die Betriebsgefahr des Autos zu mildern.

    Richtig ist, dass nicht leichthin angenommen werden darf, die vom
einen Teil zu vertretende Betriebsgefahr habe neben einem Verschulden,
für das der andere Teil einzustehen hat, nicht in rechtserheblicher
Weise auf den Schaden eingewirkt. Dass das nur ausnahmsweise angenommen
werden dürfe oder sogar praktisch kaum denkbar sei, kann jedoch nicht
zugegeben werden. Es kommt häufig vor, dass Verkehrsteilnehmer in gröbster
Weise gegen elementare Gebote der Vorsicht verstossen (vgl. BGE 87 II
307), und es ist sehr wohl denkbar, dass ein solcher Verstoss sich
bei einem Unfall so intensiv auswirkt, dass daneben die vom andern
Teil zu vertretende Betriebsgefahr als adäquate Ursache des Schadens
ausscheidet. Die Vorschriften über die Entlastung der Bahnunternehmung
und des Motorfahrzeughalters durch ein Selbstverschulden des Geschädigten
(Art. 1 Abs. 1 EHG, Art. 59 Abs. 1 SVG) beruhen auf dieser Auffassung. Die
gleiche Auffassung muss auch zur Geltung kommen, wenn es sich darum
handelt, ob ein schuldloser Geschädigter, der infolge Verschuldens
des andern Teils einen Unfall erlitten hat, sich im Hinblick auf die
von ihm gesetzte Betriebsgefahr eine Ermässigung des ihm geschuldeten
Schadenersatzes gefallen lassen müsse.

Erwägung 10

    10.- Die Beklagte anerkennt heute mit Recht, dass der Lastwagenführer
Pini die Hauptverantwortung für den Unfall trägt. Pini übertrat Art. 3
Abs. 1 und Art. 4 Abs. 3 des Bahnpolizeigesetzes vom 18. Februar 1878
in Verbindung mit Art. 11 Ziff. 2 lit. a der Verordnung vom 7. Mai
1929 betr. den Abschluss und die Signalisierung der Niveaukreuzungen
(Niv-KreuzV), wonach die Bahn beim Nahen eines Zuges nicht überschritten
werden darf und Fahrzeuge bei einem Übergang, der durch eine im Gang
befindliche Blinklichtanlage gesperrt ist, wenigstens 10 m vor dieser
Sperre angehalten werden müssen. Ferner verstiess seine Fahrweise gegen
die Art. 4 Abs. 2 des Bahnpolizeigesetzes, Art. 11 Ziff. 2 lit. c und d
NivKreuzV und Art. 25 Abs. 1 des zur Zeit des Unfalls in diesem Punkte
noch gültig gewesenen MFG, aus denen sich ergibt, dass der Fahrzeugführer
bei der Annäherung an einen Bahnübergang erhöhte Vorsicht walten lassen
und seine Geschwindigkeit so bemessen muss, dass er wenn nötig vor dem
Geleise anhalten kann (vgl. zu alledem BGE 87 II 309/10). Ob Pini,
wie das Obergericht annimmt, auch Art. 11 Ziff. 2 lit. b NivKreuzV
betreffend das Verhalten vor unbewachten Übergängen verletzt habe (vgl. zu
diesem umstrittenen Begriff BGE 87 II 309 und 316 ff. mit Hinweisen,
sowie Art. 8 Abs. 2 der seit dem Unfall erlassenen Verordnung über die
Strassensignalisation vom 31. Mai 1963, der den in BGE 87 II 309 und
316 ff. erwähnten Art. 9 der entsprechenden Verordnung vom 17. Oktober
1932/23. November 1934 ersetzt), kann dahingestellt bleiben; denn im
Verhalten Pinis lag auch dann, wenn Art. 11 Ziff. 2 lit. b NivKreuzV
als nicht anwendbar erachtet wird, ein grober Verstoss gegen mehrere
Verkehrsvorschriften und gegen elementare Gebote der Vorsicht. Insbesondere
war es grob fahrlässig, dass er die funktionierenden Blinklichter
übersah. Die Leuchtkraft dieser Lichter wurde nach den tatsächlichen
Feststellungen des Obergerichts durch das Sonnenlicht nicht beeinträchtigt,
sondern ihr Aufleuchten war auf eine Entfernung von 100 m einwandfrei
erkennbar. Was die Beklagte gegen diese Feststellung vorbringt, ist als
Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung nicht zu hören (Art.
55 Abs. 1 lit. c OG). Das gleiche gilt auch für ihre Behauptung,
das über den Blinklichtern angebrachte Andreaskreuz sei "auf eine
bestimmte Entfernung schwer auszumachen", d.h. durch die Farbe eines
Hauses "verwischt". Mit dieser Behauptung wendet sich die Beklagte in
unzulässiger Weise gegen die Feststellung des Obergerichtes, wonach alle
Signale gut sichtbar waren. Wenn die Zeichen der Warnglocke im Führerstand
eines Lastwagens kaum zu hören waren, was dem. Obergericht als glaubhaft
erscheint, so entlastet das Pini nicht. Der Führer eines Lastwagens, der
selber einen starken Lärm entwickelt, muss sich davon Rechenschaft geben,
dass ihm akustische Signale entgehen können. Um so mehr muss er auf die
optischen Signale aufpassen. Die akustischen Signale so zu verstärken,
dass auch der Führer eines Lastwagens mit starkem Eigenlärm sie deutlich
hören kann, darf von den Bahnunternehmungen schon mit Rücksicht auf
die Allgemeinheit nicht verlangt werden. Das Verhalten Pinis war zudem
auch deshalb höchst unvorsichtig, weil er sich durch die gut sichtbaren
Vorsignale nicht dazu bestimmen liess, die Geschwindigkeit seines schweren
Lastzuges bei der Annäherung an den Bahnübergang so zu mässigen, dass
er nötigenfalls vor dem Übergang anhalten konnte. Pini verhielt sich
also in mehr als einer Beziehung grob schuldhaft, und es steht auch
ausser Zweifel, dass sein fehlerhaftes Verhalten sich beim Unfall als
entscheidende Ursache auswirkte.

Erwägung 11

    11.- Gegen die Annahme des Obergerichtes, das Verschulden Pinis sei
nicht bloss die Hauptursache, sondern die einzige adäquate Ursache des
Schadens, wendet die Beklagte ein, die Bahn habe nicht alles getan, um
den Unfall zu vermeiden oder wenigstens seine Folgen zu mildern. Vielmehr
sei der Bahnunternehmung und dem Lokomotivführer ein Mitverschulden
vorzuwerfen. Deswegen und wegen der Betriebsgefahr der Bahn sei die
Ersatzpflicht der Firma Pesenti & Berri um 1/3 zu ermässigen. Die Argumente
der Beklagten halten jedoch nicht stand.

    a) Der Vorwurf ungenügender Wirksamkeit der den Bahnübergang und das
Nahen eines Zuges anzeigenden Signale wurde bereits widerlegt (Erw. 10
hievor).

    b) Es bedeutet auch kein Verschulden der Bahn, dass ihr
Fahrdienstreglement beim fraglichen Übergang eine Geschwindigkeit von 75
Stundenkilometern zulässt und dass der Unfallzug mit einer Geschwindigkeit
von 67 Stundenkilometern fuhr, als für den Lokomotivführer ungefähr 50 m
vor der Kreuzung erkennbar wurde, dass der Führer des Lastenzuges vor dem
Übergang nicht anzuhalten gedachte. Entgegen der Auffassung der Beklagten
ist den Bahnen nicht zuzumuten, vor Übergängen die Geschwindigkeit so zu
mässigen, dass der Zug beim Auftauchen eines Hindernisses noch vor dem
Übergang angehalten werden kann. Eine solche Anforderung wäre mit dem
Bahnbetrieb unvereinbar, weshalb das Gesetz der Bahn bei Niveauübergängen
die unbedingte Priorität gewährt (BGE 87 II 315 lit. c). Hieran hat das
Aufkommen des motorisierten Strassenverkehrs nichts geändert.

    c) Die Beklagte erblickt eine Fahrlässigkeit der Klägerin oder doch
eine erhöhte Betriebsgefahr der Bahn darin, dass ein - nach dem Unfall
entfernter - Baum die Sicht auf das Bahngeleise behinderte und dass der
Übergang gleichwohl nicht mit Schranken oder Halbschranken gesichert wurde.

    Die Klägerin betreibt eine sog. Nebenbahn. Nach Art. 11 Ziff. 4
Abs. 2 der Verordnung vom 19. März 1929 über Bau und Betrieb der
schweizerischen Nebenbahnen ist bei mit fernbedienten Barrieren versehenen
oder unbewachten Wegübergängen "für grösstmöglichste Übersichtlichkeit zu
sorgen". Ob Übergänge, die mit einer Blinklichtanlage ausgestattet sind,
im Sinne dieser Bestimmung als unbewacht zu gelten haben (vgl. zu dieser
Streitfrage BGE 87 II 316 ff. mit Hinweisen und Erw. 10 hievor), braucht
im vorliegenden Falle so wenig wie im Falle BGE 87 II 301 ff. entschieden
zu werden. Selbst wenn man nämlich zugunsten der Beklagten annehmen
wollte, der streitige Übergang habe als unbewacht zu gelten, so könnte
doch nicht anerkannt werden, dass die Nichtbeseitigung des erwähnten
Baumes vor dem Unfall der Klägerin zum Verschulden gereiche oder eine
erhöhte Betriebsgefahr begründet habe. Die einwandfrei funktionierende
Blinklichtanlage, die wie die Vorsignale auf genügende Entfernung gut
sichtbar war, bildete angesichts der Tatsache, dass der in Frage stehende
Übergang ausserhalb des Dorfkerns liegt, für jeden auch nur einigermassen
aufmerksamen Fahrzeuglenker eine so zuverlässige Sicherheitsvorkehr, dass
nicht von ungenügender Übersichtlichkeit des Übergangs gesprochen werden
kann, auch wenn die Sicht auf das von rechts vorn kommende Bahngeleise erst
ca. 25 m vor dem Übergang frei wurde (vgl. BGE 87 II 318/19, wo ähnliche
Verhältnisse vorlagen). Wie dem aber auch sei, so kann die Beklagte
aus der Behinderung der Sicht auf das Bahngeleise auf jeden Fall deshalb
nichts zu ihren Gunsten ableiten, weil Pini nach den für das Bundesgericht
massgebenden tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts derart sorglos
auf die Kreuzung zufuhr, dass sich der Zusammenstoss auch bei besserer
Sicht auf das Bahngeleise mit gleicher Intensität ereignet hätte.

    Das Fehlen von Schranken oder Halbschranken kann aus den in BGE 87
II 313 lit. a dargelegten Gründen, die hier entsprechend gelten, nicht
als Mangel der Anlage angesehen werden.

    d) Die Beklagte macht schliesslich noch geltend, den Lokomotivführer
Sommer treffe ein Verschulden, weil er nach Erkennen der Gefahr im
Vertrauen auf sein Vortrittsrecht nur Pfeifsignale abgegeben habe, statt
seine Geschwindigkeit herabzusetzen, wodurch der Zusammenstoss vermieden
worden wäre. Mit diesen Vorbringen übergeht die Beklagte die verbindliche
tatsächliche Feststellung des Obergerichts, wonach Sommer bremste. Nach dem
u.a. auf die Untersuchung des Geschwindigkeitsmesser-Streifens gestützten
Gutachten Winter, auf welches das Obergericht abstellt, leitete Sommer eine
Schnellbremsung ein, sobald er erkennen konnte, dass der Lastwagenführer
nicht anzuhalten gedachte. Damit hat er getan, was ihm zuzumuten war. Wenn
sich durch diese Bremsung die Geschwindigkeit bis zur Kreuzungsstelle
wegen der kurzen Entfernung nicht mehr wesentlich vermindern liess, so
war das nicht seine Schuld. Durch das Senken des Stromabnehmers, wozu
nach seiner Darstellung die Zeit nicht reichte, wäre nach dem Gutachten
am Ablauf der Ereignisse nichts geändert worden. Das Obergericht hat
daher ein Verschulden Sommers am Unfall zu Recht verneint. - Hat demnach
die Klägerin weder ein Verschulden noch eine erhöhte Betriebsgefahr zu
vertreten, so konnte das Obergericht ohne Verletzung von Bundesrecht
annehmen, das grobe Verschulden Pinis, der unter Missachtung elementarer
Gebote der Vorsicht blindlings drauflosfuhr, sei die einzige adäquate
Ursache des geltend gemachten Schadens. Die dem Bahnbetrieb normalerweise
innewohnende Betriebsgefahr wird durch dieses Verschulden, das sich beim
Unfall entscheidend ausgewirkt hat, als Ursache des Unfalls so sehr in den
Hintergrund gedrängt, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen dieser
Gefahr und dem Unfall nicht mehr als rechterheblich gelten kann. Die
Halterin des Lastwagens haftet deshalb für den vollen Schaden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Luzern, I. Kammer, vom 3. März 1966 bestätigt.