Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 III 20



93 III 20

5. Auszug aus dem Entscheid vom 18. April 1967 i.S. Scherer. Regeste

    Retention (Art. 283 SchKG).

    1.  Anders als die Pfändung (Art. 90 SchKG) ist die Aufnahme eines
Retentionsverzeichnisses dem Schuldner nicht anzukündigen.

    2.  Bei der Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses ist Art 97 SchKG
entsprechend anzuwenden. Der Betreibungsbeamte hat einen Sachverständigen
beizuziehen, wenn die Schätzung eines Gegenstandes Fachkenntnisse verlangt,
die er nicht besitzt. Wegen Verletzung dieser Vorschrift ist nicht das
Retentionsverzeichnis aufzuheben, sondern eine neue Schätzung durch einen
Sachverständigen anzuordnen und das Betreibungsamt anzuweisen, den Umfang
der Retention dieser neuen Schätzung anzupassen.

Sachverhalt

                     (Gekürzter Tatbestand)

    Am 14. Februar 1967 retinierte das Betreibungsamt Meggen auf Begehren
von Dr. Scherer in der Wohnung Meiers für fälligen Mietzins im Betrage
von Fr. 690.-- und für laufenden Mietzins im Betrage von Fr. 2070.-- 34
Bilder (zum Teil mit Rahmen), die es auf insgesamt Fr. 3020.-- schätzte
(Retention Nr. 2/1967).

    Auf Beschwerde Meiers hin hob die kantonale Aufsichtsbehörde die
Retentionsurkunde auf und wies das Betreibungsamt an, die Bilder unter
Beiziehung eines Sachverständigen neu zu schätzen und nicht mehr Bilder
als zur Deckung der Forderung samt Zins und Kosten nötig zu retinieren.

    Diesen Entscheid hat Dr. Scherer an das Bundesgericht weitergezogen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    1., 2. - ... (Fragen des Beschwerdeverfahrens.)

Erwägung 3

    3.- Der Vollzug der streitigen Retention wurde dem Schuldner unstreitig
nicht angekündigt. Er war deshalb nicht in der Lage, der Aufnahme des
Retentionsverzeichnisses beizuwohnen oder sich dabei gültig vertreten zu
lassen. Der angefochtene Entscheid, der die Retentionsurkunde aufhebt,
wäre deshalb zu bestätigen, wenn Art. 90 SchKG, wonach dem Schuldner
die Pfändung spätestens am vorhergehenden Tage anzukündigen ist, auf den
Vollzug der Retention entsprechend anzuwenden wäre (vgl. zu den Folgen der
Unterlassung der Pfändungsankündigung BGE 89 IV 80/81 mit Hinweisen). Das
ist jedoch nicht der Fall (Entscheid des Bundesrates vom 11. Mai 1894 in
Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs III Nr. 85 S. 215 f.; JAEGER N. 6
zu Art. 283 SchKG; BRAND, Schweiz.Jur.Kartothek Nr. 1092, II B 1 S. 5/6;
STUDER in BlSchK 1952 S. 135). Die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses
ist wie der Arrestvollzug eine Sicherungsmassnahme, deren Erfolg durch
die Voranzeige an den Schuldner vereitelt werden könnte.

Erwägung 4

    4.- Im Unterschied zu Art. 90 SchKG ist Art. 97 Abs. 1 und 2 SchKG,
wonach der Beamte die gepfändeten Gegenstände nötigenfalls mit Zuziehung
von Sachverständigen schätzt und nicht mehr pfänden darf, als zur
Befriedigung der pfändenden Gläubiger für ihre Forderungen samt Zinsen
und Kosten nötig ist, auf die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses
entsprechend anzuwenden (BGE 61 III 13/14). Der Betreibungsbeamte
hat einen Sachverständigen beizuziehen, wenn die Schätzung eines
Gegenstandes besondere Fachkenntnisse verlangt, die er nicht besitzt
(BGE 41 III 360, 46 III 89, 51 III 115; FAVRE, Droit des poursuites,
2. Aufl,. S. 175; JOOS, Handbuch für die Betreibungsbeamten, S. 156), was
bei Kunstgegenständen wie Gemälden oder Plastiken regelmässig zutrifft
(JOOS aaO). Wurden mehr Gegenstände als nötig gepfändet oder retiniert,
so weist die Aufsichtsbehörde das Betreibungsamt auf Beschwerde des
Schuldners hin an, Gegenstände im Werte des Überschussbetrages freizugeben,
wie es hinsichtlich einer Retention im Falle BGE 61 III 14 geschehen
ist. In einem solchen Falle ist nicht die ganze Pfändung oder Retention
aufzuheben. Schätzt der Betreibungsbeamte die gepfändeten oder retinierten
Gegenstände selber, obwohl er die nötigen Fachkenntnisse nicht besitzt, so
hat die Aufsichtsbehörde auf Beschwerde des Gläubigers oder des Schuldners
eine neue Schätzung durch einen Sachverständigen anzuordnen (vgl. BGE
46 III 89). Die Pfändung oder die Retention als solche sind dabei nicht
aufzuheben. Vielmehr hat die Aufsichtsbehörde diese Massnahmen als an sich
gerechtfertigt einstweilen bestehen zu lassen, aber das Betreibungsamt
anzuweisen, ihren Umfang dem Ergebnis der neuen Schätzung anzupassen.

    Im vorliegenden Falle hat demnach die Vorinstanz mit Recht angeordnet,
die retinierten Bilder seien unter Zuziehung eines Sachverständigen neu
zu schätzen. Dagegen ging sie mit der Aufhebung der Retentionsurkunde
zu weit. Diese Massnahme, die den Rekurrenten zur Stellung eines neuen
Retentionsbegehrens und zur Anhebung einer neuen Betreibung zwingt und
ihm für die Zeit bis zur Aufnahme einer neuen Retentionsurkunde den Schutz
entzieht, auf den er nach dem Gesetz Anspruch hat, ist nicht erforderlich,
um die berechtigten Interessen des Schuldners zu schützen. Zur Wahrung
dieser Interessen genügt es, das Betreibungsamt anzuweisen, einen Teil
der Retentionsgegenstände freizugeben, wenn die neue Schätzung ergeben
sollte, dass zuviel retiniert wurde.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und der
angefochtene Entscheid wird dahin abgeändert, dass die Retentionsurkunde
Nr. 2/1967 des Betreibungsamtes Meggen im gegenwärtigen Stande des
Verfahrens aufrechterhalten und das Betreibungsamt angewiesen wird, die
retinierten Bilder unter Beiziehung eines Sachverständigen neu zu schätzen
und im Falle, dass die Retentionsurkunde nach dem Ergebnis dieser neuen
Schätzung mehr Gegenstände als zur Deckung der durch das Retentionsrecht
gesicherten Forderung samt Zinsen und Kosten nötig enthalten sollte,
Gegenstände im Werte des Überschusses freizugeben.