Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 I 66



92 I 66

13. Auszug aus dem Urteil vom 18. Februar 1966 i.S. Dr. A. Wander AG
gegen Werner Bürki und Mitbeteiligte, Staat Bern sowie Appellationshof
des Kantons Bern. Regeste

    Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Rahmen des Gewässerschutzes, Art.
14 GSchG.

    1.  Sie ist zulässig gegen Zwischenentscheide, durch die eine Frage
vorgängig der materiellen Beurteilung behandelt und darüber endgültig
entschieden wird.

    2.  Sie ist auch zulässig, wenn anstatt des anwendbaren GSchG
kantonales Recht angewendet wird.

Sachverhalt

    A.- Die Wander AG besitzt in der Aumatte in Neuenegg Quellenrechte
auf 62 Grundstücken und bezieht aus drei Grundwasserfassungen erhebliche
Mengen Wasser, die sie zum Teil an die Gemeinde Neuenegg für deren
Wasserversorgung abgibt. Auf ihr Gesuch bewilligte der bernische
Regierungsrat mit Beschluss vom 25. Februar 1964 gestützt auf Art. 2
Abs. 1 und Art. 6 des eidg. Gewässerschutzgesetzes vom 16. März 1955
(GSchG) und Art. 114 ff. des bernischen Gesetzes über die Nutzung des
Wassers vom 3. Dezember 1950 (WNG) die Errichtung einer Schutzzone,
wodurch u.a. 49 343 m2 Land mit einem absoluten Bauverbot belegt wurden,
und verlieh ihr am 28. Februar 1964 auf 40 Jahre das Recht zum Bezuge
von 5000 l/min Wasser aus dem Grundwasser des Sensetales.

    Acht Grundeigentümer, deren Grundstücke durch das erwähnte Bauverbot
betroffen wurden, erhoben vor dem Gerichtspräsidenten von Laupen gegen
die Wander AG Klage auf Bezahlung einer gerichtlich festzusetzenden
Entschädigung. Sie erblickten in den ihnen auferlegten Beschränkungen eine
materielle Enteignung und bezifferten den daraus entstehenden Schaden
auf insgesamt Fr. 1'754,515.--. Die Beklagten erhoben die Einreden der
sachlichen Unzuständigkeit und der fehlenden Passivlegitimation. Mit
Vorentscheid vom 14. April 1965 bejahte der Gerichtspräsident von Laupen
seine Zuständigkeit, wies jedoch die Klage mangels Passivlegitimation
der Beklagten ab.

    Hiegegen appellierten die Kläger, denen der Staat Bern als Intervenient
beitrat, und beantragten Bejahung der Passivlegitimation der Wander
AG. Diese bestritt mittels Anschlussappellation erneut die sachliche
Zuständigkeit des Gerichtspräsidenten.

    Mit Urteil vom 15. Juli 1965 schützte die I. Zivilkammer des bernischen
Appellationshofes die Appellation und wies die Anschlussappellation
ab. Sie bejahte zunächst die Zuständigkeit des Gerichtspräsidenten zur
Beurteilung der Klagen aus materieller Enteignung. Sodann führte sie aus,
falls die Errichtung der Schutzzone eine materielle Enteignung darstelle,
so habe für den Schaden daraus, gleich wie bei einer formellen Enteignung,
nicht der Staat aufzukommen, der sie bewillige, sondern derjenige, zu
dessen Gunsten dies geschehe. Art. 123 Abs. 2 rev. WNG, der Staatsbeiträge
an die Kosten von Schutzzonen vorsehe, bedeute nichts anderes als dass
die Gemeinde oder der Private, auf deren Betreiben und zu deren Gunsten
die Schutzzone errichtet werde, als dafür ersatzpflichtig betrachtet
würden, wobei der Staat an diese Kosten Beiträge ausrichten könne. Da die
Schutzzone in Neuenegg auf Gesuch und vorwiegend zugunsten der Wander AG
errichtet worden sei, sei diese ersatzpflichtig, sofern eine materielle
Enteignung vorliege. Ihre Passivlegitimation sei deshalb zu bejahen und die
Streitsache zur einlässlichen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    B.- Gegen diesen Entscheid erhebt die Wander AG gleichzeitig
Verwaltungsgerichtsbeschwerde betreffend Gewässerschutz und
staatsrechtliche Beschwerde wegen Willkür und Verletzung der
Eigentumsgarantie.

    Zur Begründung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird zur Hauptsache
geltend gemacht, der angefochtene Entscheid verletze die Art. 2-6 GSchG,
indem er den darin vorgesehenen Schutz des Wassers davon abhängig mache,
dass der Benützer die Grundeigentümer für das Unterlassen der verbotenen
Handlungen entschädige; so könnten sie zur Aufgabe des Schutzes und des
Wassers gezwungen und der Gewässerschutz praktisch hinfällig werden. Wenn
der Kanton, der durch die Erteilung der Konzession über das Grundwasser
gegen Entgelt verfüge, die Grundeigentümer für das entschädigen wolle,
was sie in der übrigen Schweiz gestützt auf das GSchG als gesetzliche
Eigentumsbeschränkung auf sich nehmen müssten, so möge er selbst solche
Entschädigungen ausrichten; die Auferlegung der Entschädigungspflicht an
die Benützer aber verstosse gegen das GSchG. Im Gegensatz zur formellen
Enteignung, bei welcher ein Recht vom Enteigneten auf den Enteigner
übergehe, betreffe die materielle Enteignung nur das für den Eingriff
verantwortliche Gemeinwesen; ein Privater könne den Eingriff weder verfügen
noch aufheben.

    C.- Der Appellationshof beantragt Abweisung der Beschwerde. Er
verweist auf die Begründung des angefochtenen Entscheids und hebt hervor,
dass dadurch die Fragen, ob eine materielle Enteignung vorliege und ob und
wieweit allenfalls eine Entschädigung geschuldet werde, nicht präjudiziert
worden seien.

    D.- Die Beschwerdegegner Bürki & Cons. beantragen Nichteintreten auf
die Beschwerde, in zweiter Linie Abweisung derselben.

    Sie führen aus, der angefochtene Entscheid sei nicht in Anwendung
des GSchG ergangen, sondern beruhe wie ihre Klage ausschliesslich auf
kantonalem Recht; daher sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen ihn
nicht zulässig.

    Das auf ihre Grundstücke gelegte absolute Bauverbot stelle eine
materielle Enteignung dar, die sowohl nach der Praxis des Bundesgerichts
als auch nach Art. 115 WNG die Entschädigungspflicht begründe. Es gehe
nicht an, einen so schwerwiegenden Eingriff einfach als entschädigungslose
gesetzliche Eigentumsbeschränkung zu erklären; sonst wäre die kantonale
Regelung sinnlos. Der Grundsatz des bernischen WNG, dass der Benützer
einer Wassernutzungsanlage für deren Kosten aufzukommen habe, gelte
auch für die Schutzzonen. Die Schutzzone in der Aumatte sei für die
Wasserfassung der Wander AG errichtet worden; also sei diese dafür im
Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen entschädigungspflichtig.

    E.- Der Staat Bern schliesst auf Nichteintreten, allenfalls auf
Abweisung der Beschwerde.

    Er bringt vor, das angefochtene Urteil sei ein Zwischenentscheid
gemäss Art. 196 ZPO, der das Verfahren nicht abschliesse; gegen
Zwischenverfügungen sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht
zulässig. Sie sei gegenüber jenem Urteil auch nicht gegeben, weil es kein
Verwaltungsentscheid und nicht auf Grund des GSchG erlassen worden sei;
es beruhe vielmehr auf dem kantonalen Expropriationsrecht, so dass eine
Verletzung von Bundesrecht nicht in Frage stehe.

    Richtig sei, dass auf Grund von Art. 2 ff. GSchG verfügte Massnahmen
keine Entschädigungspflicht zugunsten der Grundeigentümer begründeten. Das
angefochtene Urteil bejahe indessen eine solche Pflicht keineswegs und
verletze deshalb das GSchG nicht. Es nehme lediglich an, im Falle des
Bestehens einer Entschädigungspflicht treffe diese die Beschwerdeführerin
und nicht den Kanton Bern, wofür es sich auf Vorschriften des kantonalen
Rechtes betreffend die materielle Enteignung stütze. Diese habe
denselben Rechtsgrund wie die formelle Enteignung, nämlich das staatliche
Hoheitsrecht, und die Vorschrift über die Entschädigungspflicht gelte für
beide in gleicher Weise. Die Beschwerdeführerin tue nicht dar, dass ihre
Anwendung durch Bundesrecht ausgeschlossen werde.

    F.- In der Replik macht die Beschwerdeführerin noch geltend, die
Schutzzone diene nicht nur ihr, sondern auch der Gemeinde Neuenegg. Das
Grundwasser hätte auch ohne ihren Antrag von Gesetzes wegen den nötigen
Schutz der kantonalen Behörden erhalten. Gegenstand der Beschwerde bilde
die Nichtanwendung des GSchG. Durch das angefochtene Urteil werde über
die Passivlegitimation endgültig entschieden.

    Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf
eingetreten werden konnte.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Staat Bern beantragt in erster Linie, es sei auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht einzutreten, weil diese gegenüber
Zwischenentscheiden nicht zulässig sei.

    Der Gerichtspräsident von Laupen beschränkte - gestützt auf Art 196
ZPO - das Verfahren zunächst auf die Fragen der sachlichen Zuständigkeit
und der Passivlegitimation. Hätte er die erstere verneint oder wäre
es bei einer Verneinung der Passivlegitimation geblieben, so hätte
hierin ein Endurteil gelegen. Nachdem aber der Appellationshof sowohl
die Zuständigkeit als auch die Passivlegitimation bejaht und die Sache
zu materieller Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen hat, liegt
lediglich ein Zwischenentscheid der letzten kantonalen Instanz vor.

    Während gemäss Art. 87 OG die staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung von Art. 4 BV erst gegen letztinstanzliche Endentscheide
zulässig ist, gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie
für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge
haben, besteht mit Bezug auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde keine
solche Bestimmung. Der Staat Bern beruft sich für seine Auffassung auf
BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 418, wonach Zwischenverfügungen
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht unterliegen. Diese Stelle
und die darin zitierten Urteile des Bundesgerichts beziehen sich
jedoch auf blosse Verfügungen (Beanstandung von Eintragungsgesuchen für
Handelsmarken, Fristansetzungen), nicht aber auf Entscheide, durch welche
eine Frage vorgängig der materiellen Beurteilung behandelt und darüber
endgültig entschieden wird. Gegen solche Vor- bzw. Zwischenentscheide
ist - auch im Falle der Rückweisung an eine untere Instanz - die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig.

Erwägung 2

    2.- In zweiter Linie begründet der Staat Bern den Antrag auf
Nichteintreten damit, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur gegen
Verwaltungsentscheide zulässig sei und das Urteil des Appellationshofes
- im Gegensatz zu dem Beschlusse des Regierungsrates vom 25. Februar
1964 über die Errichtung der Schutzzone, der nicht angefochten wurde
- kein Verwaltungsentscheid sei. Indessen kommt es nicht darauf an,
ob der Entscheid von einer Verwaltungsbehörde oder von einem Gericht
erlassen wurde; denn auch Gerichte können Verwaltungsentscheide fällen,
wie der Staat Bern selbst feststellt. Er macht jedoch geltend, der
Appellationshof habe in dem angefochtenen Urteil einzig eine Frage
aus dem Expropriationsrecht entschieden, wofür er nach dem kantonalen
Recht zuständig sei, aber keinen Verwaltungsentscheid auf dem Gebiete
des Gewässerschutzes getroffen. Dieses Vorbringen fällt zusammen
mit demjenigen der Beschwerdegegner Bürki und Mitbeteiligte, die den
Antrag auf Nichteintreten damit begründen, der angefochtene Entscheid
sei nicht in Anwendung des GSchG ergangen, was Voraussetzung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wäre.

    Art. 14 GSchG erklärt sie als zulässig gegen Entscheide der letzten
kantonalen Instanz, "die in Anwendung dieses Gesetzes ergehen". Der
Beschluss des Regierungsrates vom 25. Februar 1964 über die Errichtung
der Schutzzone stützte sich einerseits auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GSchG
und anderseits auf Art. 115 des kantonalen WNG. Gegen ihn hätte somit den
heutigen Klägern und Beschwerdegegnern die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
offen gestanden. Sie haben diese jedoch nicht ergriffen - offenbar
weil sie nicht die Schutzzone als solche anfechten, sondern nur eine
Entschädigung für die ihnen damit auferlegten Eigentumsbeschränkungen
verlangen wollten, wofür ihnen das GSchG keine Handhabe bot, während ihnen
nach ihrer Auffassung das kantonale Recht die Klage auf Entschädigung
für materielle Enteignung zur Verfügung stellte. Sie leiteten deshalb
die Klage gegen die Wander AG ein, die sie auf Art. 115 WNG und das
kantonale Enteignungsgesetz gründeten. Zwar erwähnte Art. 115 WNG in der
damals noch gültigen ursprünglichen Fassung keine Entschädigungpflicht;
erst die Revision vom 6. Dezember 1964 fügte den Absatz 4 ein: "Auf
die Entschädigungen finden die Bestimmungen des Bauvorschriftengesetzes
sinngemäss Anwendung". Auf diese am 1. Januar 1965 in Kraft getretene
Bestimmung hat der Appellationshof in seinem Urteil vom 15. Juli 1965
entscheidend abgestellt, ferner kraft der Verweisung auf Art. 26
des Gesetzes über die Bauvorschriften und auf § 26 des kantonalen
Enteignungsgesetzes. Es trifft also zu, dass dieses Urteil ausschliesslich
in Anwendung kantonalen Rechtes ergangen ist.

    Die Beschwerdeführerin macht jedoch geltend, der Appellationshof
hätte auch Art. 2-6 GSchG anwenden, nämlich berücksichtigen müssen, dass
die Behörden die mit der Schutzzone verfügten Massnahmen zum Schutze des
Grundwassers auch ohne ihr Gesuch von Amtes wegen und ohne Entschädigung
hätten anordnen müssen; indem er sie von der Entschädigung abhängig mache,
durchkreuze er den Gewässerschutz und verletze damit jene Bestimmungen des
GSchG. In der Tat kann ein Gesetz nicht nur durch unrichtige Anwendung
verletzt werden, sondern auch dadurch, dass es nicht angewendet wird,
obwohl es angewendet werden sollte - namentlich dann, wenn statt seiner
ein anderes, ihm zuwiderlaufendes Recht zur Anwendung gelangt. So kann
insbesondere eine Verletzung von Bundesrecht daran liegen, dass anstatt
des anwendbaren eidgenössischen Rechtes kantonales Recht angewendet wird
(vgl. dazu BIRCHMEIER, aaO, S. 87). Es liegt auf der Hand, dass auch
eine solche Verletzung des GSchG durch Verwaltungsgerichtsbeschwerde muss
angefochten werden können. Sein Art. 14, wonach sie gegen "in Anwendung
dieses Gesetzes" ergangene Entscheide offen steht, ist daher nicht in
dem engen buchstäblichen Sinne auszulegen, dass sich der betreffende
Entscheid ausdrücklich darauf stützen muss, sondern umfasst sinngemäss
auch Entscheide, in denen es hätte angewendet werden sollen, aber nicht
angewendet worden ist. Da die Beschwerdeführerin gerade das geltend macht,
ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten. Ob die behauptete
Verletzung wirklich vorliegt, ist eine Frage nicht des Eintretens,
sondern der materiellen Beurteilung.

Erwägung 3

    3.- ...