Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 I 475



92 I 475

77. Auszug aus dem Urteil vom 21. Dezember 1966 i.S. AGIVA AG gegen
Basel-Stadt, Kanton und Appellationsgericht. Regeste

    Kantonales Enteignungsrecht. Art. 4 BV und Eigentumsgarantie.

    Bemessung der Entschädigung für eine Liegenschaft, die der Enteignete
in Kenntnis der bevorstehenden Enteignung kurz vorher zu einem übersetzten
Preis gekauft hat.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Am 4. September 1959 unterbreitete der Regierungsrat des Kantons
Basel-Stadt dem Grossen Rat zwei zusammen das ganze Kantonsgebiet
umfassende Grünflächenpläne zur Genehmigung und schlug ihm gleichzeitig
Änderungen des Anhangs zum Hochbautengesetz (HBG) vom 11. Mai 1939 vor. Der
Grosse Rat genehmigte die beiden Pläne am 10. Mai 1962 und fügte dem
Anhang des HBG u.a. eine Bestimmung bei, nach welcher der Eigentümer
einer der Bebauung entzogenen Grünfläche vom Kanton Entschädigung für
die Wertverminderung des Bodens oder Übernahme der Liegenschaft zum
Verkehrswert verlangen kann, wobei "für die Bemessung der Entschädigung
und des Verkehrswertes die Verhältnisse im Zeitpunkt der Festlegung der
Zone der Grünflächen massgebend" sind.

    Frau Wackernagel war Eigentümerin zweier zusammen 14 132 m2 haltender
Parzellen in der Gemeinde Riehen, die am 10. Mai 1962 der Grünzone
zugewiesen wurden. Am 10. November 1960 räumte sie dem Erwin Ziegler
an den beiden Parzellen ein Kaufrecht für Fr. 1 300 000.-- ein. Ziegler
übte dieses Kaufrecht am 30. Dezember 1960 aus unter der aufschiebenden
Bedingung, dass das Land gemäss den damals geltenden Zonenbestimmungen
überbaut werden könne und nicht zur Grünzone erklärt werde. Am 12. Mai 1961
wurde vereinbart, dass diese Bedingung aufgehoben sei und der Kaufvertrag
rechtskräftig geworden sei.

    Inzwischen hatte Ziegler am 27. März 1961 dem Architekten Johann
Ackermann ein übertragbares Kaufrecht am grössten Teil des Landes (11170.5
m2) eingeräumt für Fr. 1 284 607.50 (= Fr. 115.-- pro m2), wobei auf
die im Kaufvertrag Wackernagel/Ziegler vom 30. Dezember 1960 enthaltene
Suspensivbedingung Bezug genommen wurde. Mit Schreiben vom 29. März 1961
wurde Ackermann vom Baudepartement Basel-Stadt, dem er seine Absicht,
auf jenem Land Wohnungen für Invalide zu erstellen, bekannt gegeben
hatte, darauf aufmerksam gemacht, dass die fraglichen Liegenschaften
voraussichtlich der Grünzone zugewiesen würden und abgesehen hievon auch
mangels Erschliessung mit Strassen vorläufig nicht überbaut werden könnten;
der von ihm genannte, weit übersetzte Preis von Fr. 110.-- pro m2 könne
unter diesen Umständen im Falle der Versetzung des Landes in die Grünzone
nicht als Verkehrswert anerkannt werden.

    Trotz dieser Warnung übte Ackermann sein Vorkaufsrecht am 12. Mai
1961 für die in Gründung begriffene, von ihm beherrschte AGIVA AG für
Invaliden- und Alterswohnungen aus, vereinbarte jedoch gleichzeitig mit
Ziegler, dass bei Einbezug des Landes in die Grünzone der von der AGIVA
AG zu bezahlende Kaufpreis entsprechend der Expropriationsentschädigung
gesenkt und ein allfälliger Verlust von Ziegler und Ackermann persönlich
je zur Hälfte übernommen würde.

    Nachdem die AGIVA AG mit einem Gesuch um Bewilligung, aufihren
Grünzonenparzellen eine Invaliden- und Alterssiedlung zu bauen, vom
Regierungsrat abgewiesen worden war, verlangte sie am 10. Januar 1964
sofortige Übernahme der Parzellen durch den Kanton. Im nachfolgenden
Enteignungsverfahren wurde ihr vom Appelationsgericht des Kantons
Basel-Stadt auf Grund der in der Zeit der Festlegung der Grünzone
(Mai/Juni 1962) in der betreffenden Gegend bezahlten Grundstückpreise
eine Entschädigung von Fr. 800 000.-- zugesprochen.

    Gegen dieses Urteil hat die AGIVA AG staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung des Art. 4 BV sowie der Eigentumsgarantic erhoben. Das
Bundesgericht weist ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Die Beschwerdeführerin wendet ein, es verstosse gegen die
Eigentumsgarantie und sei willkürlich, wenn ihr der Kanton nur den auf
Grund von Vergleichszahlen ermittelten Verkehrswert von Fr. 800 000.--
ersetzen müsse und nicht den Kaufpreis von Fr. 1284 000.--, den sie für
den Erwerb der beiden Parzellen effektiv aufgewendet habe.

    Die Beschwerdeführerin beruft sich für ihren Standpunkt in erster
Linie auf den im Enteignungsrecht geltenden allgemeinen Grundsatz, dass der
Enteignete durch die Enteignung weder ärmer noch reicher werden soll (vgl.
BGE 89 I 347). Dieser Grundsatz besagt indessen nicht, dass dem Enteigneten
stets und unter allen Umständen der Preis zu ersetzen ist, den er für die
enteignete Sache bezahlt hat (vgl. AUBERT, Du renchérissement foncier,
ZSR 1964 II 74/5). Insbesondere lässt sich daraus nicht ableiten, dass der
Enteignete, der aus spekulativen oder andern Gründen einen den objektiven
Verkehrswert übersteigenden Preis bezahlt hat, auf Ersatz desselben selbst
dann Anspruch habe, wenn er beim Erwerb mit der Enteignung rechnen musste
(vgl. das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 13. Dezember
1957, ZBl 1958 S. 169).

    Der Umstand, dass das Gemeinwesen die Enteignung eines Grundstücks
oder dessen Einweisung in die Grünzone plant, steht der Veräusserung des
Grundstücks zu einem beliebigen Preise nicht entgegen, doch muss der
Käufer, der jenen Plan kennt, damit rechnen, dass ihm gegebenenfalls
nur der nach den üblichen Berechnungsmethoden bestimmte, objektive
Verkehrswert ersetzt wird. Wenn er sich im Kaufvertrag für diesen
Fall nicht eine Herabsetzung des Kaufpreises auf den Betrag der
Enteignungsentschädigung vorbehält, verschafft er dem Verkäufer einen
sonst unsichern Gewinn und nimmt selber die Gefahr eines entsprechenden
Verlustes in Kauf. Ein solches Geschäft mit spekulativem Charakter liegt
hier vor. Ziegler, der die enteigneten Grundstücke zunächst kaufte,
erwarb sie zum Weiterverkauf mit Gewinn, also in spekulativer Absicht,
und sicherte sich durch eine Suspensivbedingung im Kaufvertrag gegen das
Risiko, das sich aus der drohenden Einweisung des Landes in die Grünzone
ergab. Im Gegensatz zu Ziegler kaufte die Beschwerdeführerin das Land
unmittelbar zum Zwecke der Überbauung. Ihr Vertreter Ackermann war sich
jedoch des damit verbundenen Risikos durchaus bewusst, denn er hatte nicht
nur von der geplanten Einweisung des Landes in die Grünzone Kenntnis,
sondern wurde unmittelbar nach dem Erwerb des Kaufrechts und sechs Wochen
vor der Ausübung desselben vom Baudepartement noch ausdrücklich darauf
aufmerksam gemacht, dass mit der Erteilung einer Baubewilligung nicht zu
rechnen sei und ein Kaufpreis von Fr. 110.-- pro m2 als übersetzt nicht
als Verkehrswert anerkannt werden könne. Ziegler und Ackermann haben
sich denn auch im Hinblick auf das eingegangene Risiko in einer (zunächst
geheim gehaltenen) Vereinbarung verpflichtet, einen allfälligen Verlust der
Beschwerdeführerin je zur Hälfte zu übernehmen. Wenn unter diesen Umständen
Ziegler auf die ihn schützende Suspensivbedingung verzichtete und mit Frau
Wackernagel auch keine Herabsetzung des Kaufpreises für den Fall einer
niedrigeren Enteignungsentschädigung vereinbart haben sollte, so erzielt
Frau Wackernagel einen Gewinn, der ihr ohne Verkauf vor der Umzonung nicht
zugekommen wäre, während die Beschwerdeführerin bzw. Ziegler und Ackermann
einen entsprechenden Verlust erleiden. Diesen haben sie aber, durch den
Abschluss der Kaufverträge in Kenntnis der bevorstehenden Umzonung und
trotz Warnung des Baudepartements, bewusst in Kauf genommen, weshalb es
als gerechtfertigt erscheint und keinesfalls als stossend und willkürlich
bezeichnet werden kann, wenn sie den Verlust nicht auf den Staat abwälzen
können, dieser sie hiefür bei der Enteignung nicht zu entschädigen hat.

    Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, die ihr zugesprochene
Entschädigung reiche auf keinen Fall aus, um einen passenden Realersatz
zu beschaffen; es sei schlechthin unmöglich, in Riehen oder Bettingen
ein gleich günstig gelegenes Grundstück von ungefähr gleicher Grösse
für Fr. 70.- pro m2 zu kaufen. Diese Behauptung mag richtig sein. Die
Beschwerdeführerin hat aber nicht dargetan, dass ihr nach dem kantonalen
Enteignungsrecht ein Anspruch auf Realersatz zustehe, und aus der
Eigentumsgarantie kann ein solcher Anspruch nicht abgeleitet werden,
zumal nicht für den Fall der Entschädigung für Land, bei dessen Erwerb
der Enteignete schon mit der Enteignung oder mit einem Bauverbot rechnen
musste. Wenn auch die Entschädigung dem Enteigneten im allgemeinen
gestatten soll, sich ein Objekt zu beschaffen, das dem ihm wider seinen
Willen entzogenen gleichwertig ist (BGE 89 I 347, mit Bezug auf das BG
über die Enteignung), ist die Beschaffung von Ersatzland doch häufig
schwierig und gelegentlich, wie z.B. bei Enteignung einer Liegenschaft
im Geschäftszentrum einer Stadt, geradezu unmöglich; deshalb kann sehr
wohl angenommen werden, die grössere oder kleinere Schwierigkeit der
Wiederbeschaffung habe keinen entscheidenden Einfluss auf die Höhe der
Entschädigung. Dem Appellationsgericht kann daher nicht Willkür vorgeworfen
werden, weil es als Entschädigung den auf Grund von Vergleichszahlen
bestimmten objektiven Verkehrswert zugesprochen und den Gesichtspunkt
der Wiederbeschaffung unberücksichtigt gelassen hat.