Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 I 369



92 I 369

64. Urteil vom 7. Dezember 1966 i.S. Gemeinde Celerina/Schlarigna gegen
Sinimar AG und Mitbeteiligte sowie Grosser Rat des Kantons Graubünden.
Regeste

    Gemeindeautonomie. Art. 40 Abs. 2 bünd. KV.

    Legitimation der Gemeinde (als Trägerin öffentlicher Gewalt)
zur staatsrechtlichen Beschwerde (Erw. 1). Gegenstand und Umfang der
bundesgerichtlichen Prüfung (Erw. 3).

    Eine Bestimmung, die dem Gemeinderat verbietet, ausserhalb des
eigentlichen Bauzonengebietes Wasser- und Stromanschlüsse zu bewilligen,
verletzt weder die Eigentumsgarantie noch Art. 4 des bünd. Bau- und
Planungsgesetzes (Erw. 4 und 5a).

Sachverhalt

    A.- Am 29. November 1963 nahm die Gemeindeversammlung von
Celerina/Schlarigna ein Baugesetz (BauG) und einen als "Zonenplan"
bezeichneten Bebauungs- und Nutzungsplan an. Das BauG enthält in seinem
2. Teil ("Richtlinien der Planung") u.a. Planungsvorschriften für das
"Baugebiet" (Art. 26-28) und für das "übrige Gemeindegebiet" (Art. 29-33).
Art. 32 BauG lautet:

    Vorschriften für übriges Gemeindegebiet "Für das ,übrige
Gemeindegebiet', d.h. für jenen Teil des Gemeindeterritoriums, welches
noch nicht rechtskräftig dem Baugebiet zugeschieden ist, gelangen die
folgenden Bestimmungen zur Anwendung:

    1. Für das ganze ,übrige Gemeindegebiet' gelten folgende
Bauvorschriften: Es ist eine Ausnützungsziffer von 0. 1 zu beachten, es
sind nur zwei Stockwerke zugelassen und zudem sind im Sinne der Art. 58 und
62 dieses Baugesetzes ein Grenzabstand und ein Gebäudeabstand einzuhalten,
die indessen doppelt so gross sein müssen.

    2. Da das Bauen in diesem ,übrigen Gemeindegebiet' in der Regel
unerwünscht ist, darf der Gemeinderat für keinerlei Bauvorhaben Anschlüsse
an die Trinkwasserversorgung der Gemeinde und an das öffentliche Stromnetz
gewähren.

    3. Will jemand trotzdem in diesem ,übrigen Gemeindegebiet' bauen,
hat er sich im Sinne der bestehenden Gesetzgebung der Gemeinde an das
Kanalisationsnetz der Gemeinde auf eigene Kosten anzuschliessen.

    4. Wer im ,übrigen Gemeindegebiet' baut, darf mit einer Leitung
keinerlei im Eigentum der Bürgergemeinde oder der politischen Gemeinde
befindliche Strasse (im Sinne dieses Gesetzes Art. 38) bzw. Fluss,
Bach oder sonstigen Boden unterirdisch oder überirdisch überqueren oder
benützen. Als Leitungen in diesem Sinne sind Trinkwasserleitungen,
Kanalisationsleitungen und elektrische Leitungen jeder Spannung zu
verstehen. Die Rechte und Pflichten der Bürgergemeinde bleiben vorbehalten.

    5. Ausnahmsweise dürfen solche gemäss vorstehender Ziffer 2 nicht
zugelassene Anschlüsse oder gemäss Ziffer 4 nicht erlaubte Überquerungen
mit Leitungen durch den Gemeinderat nur gewährt werden, wenn ein
Härtefall gemäss Art. 6a oder wenn dringende Bedürfnisse vorliegen,
die einem allgemeinen öffentlichen Interesse entsprechen. (Ein solches
Bedürfnis im allgemeinen öffentlichen Interesse liegt vor, wenn z.B. ein
landwirtschaftlicher Betrieb mit zugehöriger Schweinemästerei aus dem
Baugebiet in das ,übrige Gemeindegebiet' verlegt wird.)

    6. Wer im ,übrigen Gemeindegebiet' baut, hat grundsätzlich
die Errichtung und den Unterhalt der Strassen, Kanalisation und der
Wasserleitungen (gemäss Ziffer 5) auf eigene Kosten zu übernehmen, wobei
diese nach den Weisungen der Gemeinde zu erstellen sind.

    7. Vorbehalten bleiben die besonderen Vorschriften der Gemeinde
betreffend das Skischutzgebiet oder hinsichtlich allfälliger anderer
Zonen mit Bauverboten.

    8. Sobald ein kantonales Gesetz die Schaffung einer Landwirtschaftszone
bzw. einer Forstzone ausdrücklich gestattet, werden im übrigen
Gemeindegebiet Bauten zu landwirtschaftlichen bzw. forstwirtschaftlichen
Zwecken in der Höhe von 2 Stockwerken zulässig sein. Eine Scheune mit Stall
darf höher sein, aber die Höhe von drei Stockwerken nicht überschreiten.

    Die Ausnahmebestimmungen der vorstehenden Ziffer 5 werden zwar auf
solche Bauten anwendbar sein, aber nur solange, als diese Bauten ihrem
landwirtschaftlichen bzw. forstwirtschaftlichen Zwecke erhalten bleiben.

    Der Missbrauch der Ziffer 8 zu nicht landwirtschaftlichen bzw.
forstwirtschaftlichen Zwecken ist verboten. Der Umbau solcher Bauten zu
einem anderen Zweck ist nur dann erlaubt, wenn ein entsprechender Neubau
erlaubt wäre."

    Gegen eine Reihe von Vorschriften des BauG, insbesondere diejenigen
betreffend die Planung im "übrigen Gemeindegebiet" und namentlich gegen
Art. 32 sowie gegen den Zonenplan gingen beim Kleinen Rat des Kantons
Graubünden zahlreiche Rekurse ein. In seinem Beschluss vom 20. April 1964
genehmigte der Kleine Rat das BauG mit verschiedenen Präzisierungen und
Berichtigungen sowie "unter Vorbehalt der hängigen Rekursverfahren". Der
Zonenplan wurde unter demselben Vorbehalt genehmigt. Der Kleine
Rat verfügte u.a.: "Art. 32 Abs. 1 Ziffer 4-7, und Abs. 2 werden
gestrichen". Dabei bezeichnete er als "Abs. 2" das zweite Alinea der
Ziffer 8 von Art. 32 BauG.

    In seinem Beschluss vom 30. Dezember 1964 befasste sich der Kleine
Rat mit den gegen das BauG und den Zonenplan eingereichten Rekursen. In
Ziffer 2 a seines Dispositivs ersetzte er den Wortlaut von Art. 32 Ziff. 2
durch folgenden Text:

    "Solange die Gemeinde nicht über eine ausreichende Wasserversorgung
für die Deckung aller Bedürfnisse im eingezonten Baugebiet verfügt,
besteht hinsichtlich Bauten, die im ,übrigen Baugebiet' errichtet werden
und die nicht der Land- und Forstwirtschaft dienen, kein Rechtsanspruch
auf Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung."

    B.- Am 26. April 1964, also in der Zeit zwischen dem ersten und dem
zweiten Beschluss des Kleinen Rates, nahmen die Bündner Stimmberechtigten
ein Bau- und Planungsgesetz (BPG) an, welches am 1. Juli 1964 in Kraft
trat. Dieser Erlass enthält u.a. die folgenden Bestimmungen:

    Befugnisse der Gemeinden

    "Art. 1. Die Gemeinden sind unter Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen
des eidgenössischen und kantonalen Rechts befugt, im Interesse der
geordneten baulichen Entwicklung, der zwcckmässigen Nutzung des Bodens, der
Erhaltung des Kulturlandes, des Schutzes von Orts- und Landschaftsbildern,
der Wahrung des Gemeinwohls und der Gesundheit der Einwohner Bau- und
Nutzungsvorschriften zu erlassen.

    Bauordnungen

    Art. 2. Die Gemeinde, die solche Vorschriften erlässt, hat eine
Bauordnung aufzustellen, die durch Bebauungs- und Nutzungspläne ergänzt
werden kann.

    Die Bauordnungen und die Bebauungs- und Nutzungspläne bedürfen der
Genehmigung des Kleinen Rates.

    Bebauungs- und Nutzungspläne

    Art. 3. Die Bebauungs- und Nutzungspläne bestimmen die Grundzüge der
künftigen Entwicklung der Ortschaft. Sie können namentlich enthalten:

    a)  die wichtigsten bestehenden und geplanten öffentlichen Anlagen
(wie Strassen, Gehwege, Plätze und Grünanlagen sowie Abstellplätze längs
dieser Anlagen) und die Bau- und Niveaulinien;

    b)  die bestehenden und die geplanten Hauptstränge der öffentlichen
Leitungen sowie die Abgrenzung des Bereiches, innerhalb dessen Bauten an
diese Leitungen angeschlossen werden;

    c)  die wichtigsten bestehenden und geplanten öffentlichen Bauten
und Werke (wie Schulhäuser, Verwaltungsbauten, Kirchen, Friedhöfe,
Kanalisations-, Klär- und Kehrichtverwertungsanlagen, Park- und
Sportanlagen, Kinderspielplätze, Aussichtspunkte, Parkierungsanlagen);

    d)  die Einteilung des Gemeindegebietes in verschiedene Zonen
(wie Wohn-, Industrie-, Grün-, Übergangs-, Forst-, Weide-, Land- und
Rebwirtschaftszonen, Zonen gemischter Bebauung, Gefahrenzonen sowie
Skiabfahrtszonen);

    e)  die Bauabstände, das Mass der zulässigen Ausnützung, die
Gebäudehöhe oder Geschosszahl in den einzelnen Zonen.

    Landwirtschaftlich genutzes Gebiet

    Art. 4. Die Gemeinden können bestimmen, dass im vorwiegend land- und
forstwirtschaftlich genutzten Gebiet Bauten, die nicht im Zusammenhang
mit der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung oder einer angemessenen
Erweiterung eines bestehenden Gewerbebetriebes stehen, nur bewilligt
werden müssen, wenn:

    a)  dem Gemeinwesen aus dem Bau keine eigenen Aufwendungen erwachsen;

    b)  keine erhebliche Störung der land- und forstwirtschaftlichen
Nutzung des umliegenden Landes zu erwarten ist;

    c)  keine wesentlichen Nachteile für die spätere bauliche Entwicklung
zu befürchten sind;

    d)  ein Quartierplanverfahren durchgeführt worden ist."

    Unter Hinweis auf das BPG ersuchte der Gemeinderat von
Celerina/Schlarigna den Kleinen Rat am 7. November 1964 um Wiedererwägung
des Beschlusses vom 20. April 1964. Insbesondere stellte er auch das
Begehren, es sei der ganze Text von Art. 32 BauG zu genehmigen. Ob
der Kleine Rat dieses Gesuch behandelt hat, ist aus den Akten nicht
ersichtlich. Indessen ergibt sich aus dem Beschluss vom 30. Dezember 1964,
dass dem Gesuch mit Bezug auf Art. 32 nicht nur nicht entsprochen wurde,
sondern der Kleine Rat auch den Text von Art. 32 Ziffer 2 geändert hat.

    C.- Die Gemeinde Celerina/Schlarigna zog den Beschluss des
Kleinen Rates vom 30. Dezember 1964 an den Grossen Rat des Kantons
Graubünden weiter. Sie verlangte, die Ziffer 2 lit. a des Dispositivs
des angefochtenen Entscheids sei in vollem Umfange aufzuheben, sodass
Art. 32 Ziff. 2 BauG in der von der Gemeinde beschlossenen Fassung gültig
bleibe. Zur Begründung machte die Gemeinde namentlich geltend, der Kleine
Rat habe den Art. 32 BauG auf Grund des BPG zu beurteilen gehabt. Darin,
dass die Ziffer 2 des Art. 32 abgeändert und zum Teil gestrichen worden
sei, liege ein Eingriff in das freie Ermessen der Gemeinde und somit eine
Verletzung der Autonomie. Nur durch eine scharfe Abgrenzung des "übrigen
Gemeindegebietes" vom "Baugebiet" sei es möglich, Ordnung ins Bauen zu
bringen, eine die Gemeinde überbelastende Streubauweise zu verhindern
und eine wilde Spekulation zu vermeiden. Celerina müsse ein ländlicher,
anziehender Kurort bleiben. Art. 32 Ziff. 2 BauG sei zum Schutze
des Gebiets rechts des Inns und zur Verhinderung einer Streusiedlung
nötig. Seine rechtliche Zulässigkeit ergebe sich aus Art. 3 lit. d
BPG. Das Verbot der Trinkwasserversorgung im "übrigen Gemeindegebiet"
sei weder schikanös, noch verstosse es gegen die Eigentumsgarantie.

    D.- Mit Entscheid vom 26. November 1965 hob der Grosse Rat des
Kantons Graubünden sowohl den Art. 32 Ziff. 2 BauG als auch Ziff. 2 a des
angefochtenen Beschlusses des Kleinen Rates auf. Die Kosten auferlegte
er je zur Hälfte der Gemeinde und den Rekursgegnern.

    Bezüglich der Tragweite und Zulässigkeit von Art. 32 Ziff. 2 BauG
stimmt der Grosse Rat grundsätzlich dem Kleinen Rat zu. Er führt
im wesentlichen aus, die genannte Bestimmung laufe in Verbindung
mit Ziffer 3 des Art. 32 auf eine Verhinderung jeder Überbauung des
übrigen Gemeindegebiets mit nichtlandwirtschaftlichen Gebäuden hinaus
und stelle damit einen enteignungsähnlichen Tatbestand dar ("und zwar
ohne Entschädigung"). Art. 32 Ziff. 2 BauG widerspreche auch dem Art. 4
des nunmehr in Kraft stehenden BPG. Die Bestimmung verletze die gemäss
Art. 9 Abs. 4 KV geschützte Eigentumsgarantie, weshalb der Kleine Rat
sie mit Recht aufgehoben habe.

    Hingegen habe der Kleine Rat die Gemeindeautonomie dadurch verletzt,
dass er den Art. 32 Ziff. 2 BauG neu formulierte. Er habe sich damit
Befugnisse angemasst, die Art. 40 Abs. 1 KV der Gemeinde vorbehalte.

    E.- Gegen den Entscheid des Grossen Rates führt die Gemeinde
Celerina/Schlarigna staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der
Gemeindeautonomie. Sie beantragt Aufhebung des angefochtenen Entscheides
insoweit, als er Art. 32 Ziff. 2 BauG aufhebt. Die Beschwerdeführerin
stellt überdies den Antrag, es seien sämtliche Kosten den Rekursgegnern
aufzuerlegen.

    F.- Die Beschwerdegegner schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Der
Grosse Rat des Kantons Graubünden hat auf Vernehmlassung verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid, durch welchen Art. 32 Ziffer 2
BauG aufgehoben wird, trifft die Beschwerdeführerin nicht wie eine
Privatperson, sondern als Gesetzgeberin, also in ihrer Eigenschaft als
Trägerin öffentlicher Gewalt. In dieser Eigenschaft ist die Gemeinde nur
dann zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert, wenn sie ihre Autonomie,
ihren eigenen selbständigen Wirkungskreis gegenüber dem Staate als dem
ihr übergeordneten Träger öffentlicher Gewalt verteidigen will (Urteil
vom 28. April 1965 i.S. St. Moritz, wiedergegeben in ZBl 66/1965 S. 398
ff., BGE 91 I 42, 89 I 11 l'mit Zitaten). Dies trifft im vorliegenden
Fall zu. Die Beschwerdeführerin macht nämlich geltend, der Grosse Rat
habe sich eine Entscheidungsbefugnis angemasst, die ihm nicht zustehe;
er habe dadurch seine eigene Zuständigkeit überschritten und sei in den
Bereich eingebrochen, den das kantonale Recht der Gemeinde vorbehalte.

    Auf die nur wegen Verletzung der Gemeindeautonomie geführte
staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten. Ob die Gemeinde
als Trägerin öffentlicher Gewalt mit der staatsrechtlichen Beschwerde
auch andere verfassungsmässige Rechte anrufen dürfe, wie es das neueste
Schrifttum verlangt (vgl. H. P. MATTER, Die Legitimation der Gemeinde
zur staatsrechtlichen Beschwerde, Diss. Bern 1965), braucht unter diesen
Umständen nicht entschieden zu werden.

Erwägung 2

    2.- a) Die Gemeindeautonomie bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichts die Zuständigkeit der Gemeinde zur selbständigen Erfüllung
bestimmter öffentlicher Aufgaben. Eine Gemeinde ist insoweit autonom,
als ihr durch Verfassung oder Gesetz freies Ermessen in Rechtsetzung und
Verwaltung eingeräumt ist und sie dieses Ermessen frei von staatlicher
Kontrolle betätigen darf (BGE 91 I 42 Erw. 3, 89 I 111/2 Erw. 2 mit
Zitaten). Ob die Ermessenskontrolle ein geeignetes Kriterium zur Bestimmung
des Umfangs der Autonomie sei, was in der Rechtslehre bestritten wird,
kann (wie in BGE 91 I 42) dahingestellt bleiben. Im vorliegenden Fall
käme man nämlich zum gleichen Ergebnis, wenn man die Autonomie in dem
namentlich von LIVER (ZBl 50/1949, S. 40 ff.) und HANS HUBER (ZbJV 100, S.
339 und 419) befürworteten Sinne als Recht zur Selbstgesetzgebung und
Selbstverwaltung innerhalb des durch Herkommen und Sachzusammenhang als
örtlich gekennzeichneten Wirkungskreises verstehen wollte.

    b) Wie in BGE 91 I 43 dargelegt wurde, fällt die Rechtsetzung auf dem
Gebiet des öffentlichen Baurechts auch seit dem Erlass des BPG in den
Bereich der den Bündner Gemeinden in Art. 40 Abs. 2 KV gewährleisteten
Autonomie. Im gleichen Urteil führte das Bundesgericht sodann aus, dass
der Kleine Rat die Gemeindebauordnungen nur auf ihre Rechtmässigkeit hin zu
prüfen habe und dass er ihnen die Genehmigung bloss verweigern dürfe, wenn
sie gegen zwingende Bestimmungen des eidgenössischen oder kantonalen Rechts
und insbesondere gegen die Eigentumsgarantie verstossen (BGE 91 I 44).

    Da der Grosse Rat auf Rekurs hin die Richtigkeit der vom Kleinen
Rat ausgeübten Rechtmässigkeitskontrolle zu überprüfen hat und er in
gleicher Weise wie dieser die Gemeindeautonomie wahren muss, darf auch
er nur über die Rechtmässigkeit der Gemeindebauordnungen befinden (Urteil
vom 28. April 1965 i.S. Gemeinde St. Moritz, ZBl 66/1965 S. 400 Erw. 2).

Erwägung 3

    3.- Streit herrschte vor dem Grossen Rat einzig darüber, ob die
Beschwerdeführerin durch den Erlass von Art. 32 Ziff. 2 BauG aus
dem Bereich ihres Ermessens ausgebrochen sei und Rechtsätze verletzt
habe, die dem Gemeinderecht vorgehen. Der Grosse Rat bejahte dies,
die Beschwerdeführerin bestreitet es. Damit stellt sich die Frage nach
Gegenstand und Umfang der bundesgerichtlichen Prüfung bei der Beurteilung
einer Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie.

    a) Bis vor kurzem prüfte das Bundesgericht die Rüge der Verletzung
der Gemeindeautonomie stets nur darauf, ob die kantonale Behörde der Form
nach im Bereich ihrer Zuständigkeit geblieben sei (BGE 40 I 279, 65 I
131/2, 83 I 123, 89 I 114). Diese Praxis vermochte in jenen Fällen nicht
zu befriedigen, in denen die kantonalen Instanzen die Beschränkung ihrer
Prüfungsbefugnis auf rechtliche Gesichtspunkte dadurch zu umgehen suchten,
dass sie unter dem Vorwand der Rechtskontrolle eine nicht bestehende
Rechtsverletzung behaupteten und damit in Wirklichkeit ihr Ermessen an
die Stelle desjenigen der Gemeinde setzten. Der Staatsgerichtshof rückte
deshalb in seinem Urteil i.S. Gemeinde St. Moritz (ZBl 66/1965 S. 400
Erw. 3) von der bisherigen Rechtsprechung insofern ab, als er es nicht
bei der Feststellung bewenden liess, die kantonale Instanz habe sich
formell in den Grenzen ihrer Zuständigkeit gehalten, sondern ausserdem
auch die materielle Verfassungsmässigkeit des angefochtenen Entscheides
prüfte. Dieser Betrachtungsweise (sie liegt dem Sinne nach schon dem
Urteil vom 17. Februar 1965 i.S. Stadtgemeinde Ilanz, BGE 91 I 39 ff.,
zugrunde) ist auch im vorliegenden Falle zu folgen.

    b) In Bezug auf den Umfang der Kognition brachte das Urteil
i.S. Gemeinde St. Moritz ebenfalls eine Erweiterung. Danach (ZBl
66/1965 S. 400 Erw. 1) prüft das Bundesgericht das die Gemeindeautonomie
betreffende kantonale Recht frei und nicht - wie bisher - nur auf Willkür
hin. Ob hieran allgemein festgehalten werden kann, braucht indessen nicht
entschieden zu werden. Richtig ist die freie Prüfung sicher dort, wo -
wie in Graubünden - die Gemeindeautonomie in der kantonalen Verfassung
selber umschrieben und die Tragweite einer solchen Verfassungsbestimmung
abzuklären ist. Zwar weicht das Bundesgericht bei der Anwendung des
kantonalen Verfassungsrechts nicht ohne Not von der Interpretation der
obersten Kantonsbehörde ab (BGE 88 I 153, 89 I 44). Doch bedeutet das,
wie in BGE 89 I 375 hervorgehoben wurde, keineswegs einen verkappten
Rückzug auf eine blosse Willkürprüfung (vgl. auch BGE 90 I 240/41).

Erwägung 4

    4.- Der Grosse Rat hat die Ziffer 2 des Art. 32 BauG vor allem deshalb
aufgehoben, weil sie die Eigentumsgarantie verletze. Worin diese Verletzung
liegen könnte, ist jedoch nicht ersichtlich.

    Freilich bestreitet auch die Beschwerdeführerin nicht, dass mit
Art. 32 BauG das Bauen im "übrigen Gemeindegebiet" erschwert werden
soll. Diesem Zweck dienen die minimale Ausnützungsziffer (Art. 32 Ziff.1),
die Auferlegung der gesamten Kosten des Kanalisationsanschlusses an den
Bauherrn (Art. 32 Ziff. 3) und diente vor allem die jetzt aufgehobene
Ziffer 4, die dem Bauherrn die Durchquerung von Strassen, Bächen und
sonstigem öffentlichem Gut mit ober- oder unterirdischen Leitungen
verbot. Die streitige Ziffer 2 geht in die selbe Richtung. Sie soll die
Grundeigentümer im "übrigen Gemeindegebiet" dadurch vom Bauen abhalten,
dass ihnen weder Wasser noch Strom geliefert werden.

    Indessen enthält Art. 32 Ziff. 2 BauG keine öffentlich-rechtliche
Eigentumsbeschränkung. Die Bestimmung befiehlt den Grundeigentümern nicht,
etwas zu tun oder zu unterlassen, schränkt ihre Verfügung über den Boden
also nicht ein. Das ergibt sich schon aus dem Text der Vorschrift selber:
Wohl ist das Bauen im übrigen Gemeindegebiet "in der Regel unerwünscht",
aber nicht verboten. Es braucht deshalb auch nicht geprüft zu werden, ob
die für die Zulässigkeit einer öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung
erforderlichen Bedingungen - gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse,
Entschädigung bei enteignungsähnlicher Wirkung - im vorliegenden Falle
erfüllt seien. Adressat des Art. 32 Ziff. 2 BauG ist vielmehr allein
der Gemeinderat, welchem untersagt wird, Wasser- und Stromanschlüsse
zu bewilligen. Diese Anordnung betrifft ausschliesslich den Gebrauch
der Gemeindewerke. So wenig jedoch die Handels- und Gewerbefreiheit dem
Gewerbetreibenden ein Recht auf Sondernutzung öffentlicher Sachen verleiht
(BGE 81 I 18/9 mit Zitaten), so wenig gibt die Eigentumsgarantie dem Bürger
ein solches auf Benützung öffentlicher Werke. Ob diese zu gestatten oder
zu verweigern sei, entscheidet sich zunächst nach den Vorschriften des
verfügungsberechtigten Gemeinwesens, letztlich nach Art. 4 BV.

    Verstösst aber die Verweigerung von Wasser- und Stromanschlüssen im
"übrigen Gemeindegebiet" nicht gegen die Eigentumsgarantie, so hat der
Grosse Rat diesen Vorwurf zu Unrecht als Grund für die Streichung der
Ziffer 2 von Art. 32 BauG herangezogen.

Erwägung 5

    5.- Nach Ansicht des Grossen Rates widerspricht Art. 32 Ziff. 2 BauG
sodann auch dem Art. 4 BPG. Gemäss dieser Vorschrift können, die Gemeinden
bestimmen, dass Bauten im vorwiegend land- und forstwirtschaftlich
genutzten Gebiet, die nicht im Zusammenhang mit einem Betrieb solcher
Nutzung stehen, nur bewilligt werden müssen, sofern vier abschliessend
aufgezählte Bedingungen erfüllt sind.

    a) Art. 32 Ziffer 2 BauG enthält keine gegenteilige Anordnung,
verbietet aber die Belieferung von Bauten im "übrigen Gemeindegebiet"
mit Wasser und Strom. Seine Anwendung kann also bewirken, dass im
"übrigen Gemeindegebiet" mitunter auch dann nicht gebaut werden kann,
wenn die vier Bedingungen des Art. 4 BPG erfüllt sind. Ob der Grosse Rat -
sein Entscheid enthält diesbezüglich überhaupt keine Begründung - deshalb
eine Verletzung des kantonalen Rechtes angenommen hat, mag offen bleiben.
Jedenfalls wäre ein Widerspruch zwischen den Art. 32 Ziff. 2 BauG und
Art. 4 BPG nur denkbar, wenn man der kantonalen Bestimmung den über
ihren Wortlaut hinausgehenden Sinn beilegte, wonach die Gemeinde bei
Erfüllung der vier Bedingungen das Bauen nicht nur bewilligen, sondern
geradezu ermöglichen müsse. Hiezu verpflichtet indessen das kantonale
Recht die Gemeinde nicht. Es verlangt von ihr lediglich, dass sie die in
Art. 4 BPG erwähnten Bauten unter gewissen Voraussetzungen dulde. In der
Auslegung des Grossen Rates hätte Art. 4 BPG für Gemeinden mit eigenen
Versorgungsbetrieben einen viel weitergehenden Sinn als für die übrigen
Gemeinden: Während letztere nur verpflichtet wären, zonenplanwidrige
Bauten zu dulden, müssten die Gemeinden, welche eigene Versorgungsbetriebe
unterhalten, unerwünschte Bauten durch Lieferung von Wasser und Strom
aktiv fördern. Dem wiederum stünde Art. 3 lit. b BPG entgegen, wonach
alle Gemeinden den Bereich abgrenzen dürfen, innerhalb welchem Bauten an
die öffentlichen Leitungen anzuschliessen sind.

    Weil die Annahme des Grossen Rates, Art. 32 Ziff. 2 BauG widerspreche
dem Art. 4 BPG, somit im kantonalen Gesetz keine Stütze findet, verletzt
sie die Autonomie der Beschwerdeführerin.

    b) Die Streichung der Ziffer 2 von Art. 32 BauG verstösst
übrigens im Ergebnis auch gegen Art. 40 Abs. 2 KV selber. Diese
Vorschrift gewährleistet den Gemeinden das "Recht der selbständigen
Gemeindeverwaltung mit Einschluss der niederen Polizei" und ermächtigt sie,
die "dahin einschlagenden Ordnungen" festzusetzen. Zur "selbständigen
Gemeindeverwaltung" gehört aber zweifellos auch die Einrichtung
gemeindeeigener Versorgungsbetriebe, und unter den Begriff der "dahin
einschlagenden Ordnungen" fällt auch die Zuständigkeit zur Bestimmung des
Aktionsbereichs solcher Betriebe. Dabei kann die Gemeinde, vorbehältlich
der Verstösse gegen Art. 4 BV, alles anordnen, was sie zur Erreichung
der von ihr selber bestimmten öffentlichen Zwecke als tauglich erachtet,
unnötige Vorschriften nicht ausgenommen (BGE 91 I 45).

    Die Gemeinde darf also zum Beispiel neben der Belieferung der
vorhandenen Häuser mit Wasser und Strom auch planerische Resultate zu
erreichen suchen; so darf sie die sog. Streubauweise erschweren sowie
die bestmögliche Überbauung der als Baugebiet bezeichneten Bodenfläche
fördern (REICHLIN, Rechtsfragen der Landesplanung, ZSR nF 66 S. 300 a). Im
Urteil vom 11. Mai 1966 i.S. Hell c. Gemeinde Reinach und Regierungsrat
des Kantons Baselland hat das Bundesgericht das Verfolgen solcher Zwecke
jedenfalls dann als zulässig erachtet, wenn das vorhandene Leitungsnetz
nicht unbeschränkt viele Anschlüsse erträgt. Zwar ging es im erwähnten
Entscheid um einen Kanalisationsanschluss. Daraus kann aber nicht etwa
abgeleitet werden, die Autonomie der Gemeinde Celerina/Schlarigna sei
in Bezug auf die Wasserversorgung und die Stromlieferung von geringerem
Umfang. Bei der Beschwerdeführerin liegen die Verhältnisse im Gegenteil
günstiger. Während im Urteil vom 11. Mai 1966 trotz grundsätzlichen
Anschlusszwangs als zulässig erklärt wurde, einen Anschluss ausserhalb des
Siedlungsgebietes zu verweigern (und dadurch das Bauen zu verunmöglichen),
sofern die Leistungsfähigkeit des Kanalisationsnetzes dies erfordert, setzt
Art. 32 Ziff. 3 des Celeriner BauG als Gegenstück zum Anschlusszwang ein
Recht des Einzelnen auf Anschluss an die Kanalisation voraus und überbindet
dem Bauherrn lediglich die gesamten Kosten des Anschlusses. Für Wasser und
Strom dagegen, deren Lieferung der Gemeinderat im "übrigen Gemeindegebiet"
zu verweigern hat, besteht überhaupt kein Anschlusszwang. Dazu kommt,
dass beim heutigen Ausbau der Gemeindewasserversorgung die vorhandene
Wassermenge nicht ausreicht, um beliebig viele neue Anschlüsse
zu bedienen. Es bestünde somit die Gefahr, dass die Versorgung des
Baugebietes mit Wasser infolge von Anschlüssen im "übrigen Gemeindegebiet"
mit der Zeit in Frage gestellt wäre. Wann nämlich der heute noch vorhandene
Grundwasservorrat der Gemeinde einmal angezapft werden kann, vermochte auch
der Grosse Rat nicht zu sagen. Dann musste er der Beschwerdeführerin aber
erst recht die Entscheidungsfreiheit darüber belassen, für welche Teile
des Gemeindegebietes sie das zur Zeit verfügbare Wasser verwenden wolle.

    Wenn auch die Verhältnisse bezüglich der Stromversorgung befriedigender
sein mögen, so hindert dies die Beschwerdeführerin doch nicht, hier
ebenfalls nach eigenem Ermessen zu entscheiden, wohin sie Elektrizität
liefern will. Gestützt auf Art. 3 lit. b BPG darf sie insbesondere
auch anordnen, dass die Stromabgabe für nichtlandwirtschaftliche Bauten
im Baugebiet zu bewilligen, im "übrigen Gemeindegebiet" dagegen zu
verweigern sei.

    c) Härtefälle bei der Anwendung des Art. 32 Ziff. 2 BauG sind
allerdings nicht auszuschliessen. Verletzte deshalb die Verweigerung von
Ausnahmen Art. 4 BV, so hätte der Gemeinderat die Ausnahmen zu bewilligen
und zwar auch dann, wenn die im allgemeinen Erlaubnisvorbehalt des Art. 6
BauG aufgezählten Bedingungen nicht erfüllt sein sollten.

Erwägung 6

    6.- Einen weiteren Grund für die Aufhebung von Art. 32 Ziff. 2 BauG
erblickte der Grosse Rat schliesslich darin, dass diese Bestimmung auch das
Grundeigentum verschiedener Beschwerdegegner treffe, welches sich am Hang
der Ova da Saluver befindet. Die Erstellung einer eigenen Wasserversorgung
sei hier beinahe unmöglich, die Wirkung von Art. 32 Ziff. 2 BauG aber
umso stossender, als einzelne Parzellen der Beschwerdegegner von der
Wasserleitung der Gemeinde "tangiert" oder sogar durchquert würden. Laut
den Darlegungen der Gemeindevertreter am Augenschein der grossrätlichen
Instruktionskommission sei übrigens in jenem Gebiet die Errichtung
nichtlandwirtschaftlicher Bauten eher erwünscht als rechts des Inns.

    Diese Begründung richtet sich nicht gegen den Text des Art. 32 Ziff. 2
BauG. Auch sie vermag deshalb die Aufhebung nicht zu rechtfertigen. Träfen
nämlich die Ausführungen des Grossen Rates zu, dann wäre dies vielmehr
ein Zeichen dafür, dass der Bauzonenplan ergänzt und der Hang der Ova da
Saluver aus dem "übrigen Gemeindegebiet" herausgenommen werden sollte. Der
Bauzonenplan ist jedoch im vorliegenden Verfahren nicht Streitgegenstand,
er wurde dem Bundesgericht nicht einmal eingereicht.

    Auch in diesem Punkte gilt im übrigen, dass Art. 32 Ziff. 2 BauG
nur in den Grenzen des Art. 4 BV gehandhabt werden darf und - sollten
diese Grenzen im Einzelfall überschritten sein - Ausnahmen zugestanden
werden müssten.

Erwägung 7

    7.- Aus vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Grosse Rat
den Art. 32 Ziff. 2 BauG der Gemeinde Celerina/Schlarigna zu Unrecht
aufgehoben und dass er dadurch die Gemeindeautonomie verletzt hat, was
zur Gutheissung der Beschwerde führt.

    Da die Beschwerdeführerin nunmehr vollständig obsiegt, ist der
Kostenanteil, welcher ihr im kantonalen Verfahren auferlegt wurde, gemäss
Art. 157 OG aufzuheben.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene
Beschluss des Grossen Rates insoweit aufgehoben, als durch ihn Art. 32
Ziffer 2 des Baugesetzes der Gemeinde Celerina/Schlarigna kassiert und
der Gemeinde ein Kostenanteil auferlegt wurde.