Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 I 358



92 I 358

62. Auszug aus dem Urteil vom 7. Dezember 1966 i.S. Stäubli gegen
Gemeinderat Regensdorf und Regierungsrat des Kantons Zürich. Regeste

    Volksinitiativrecht.

    Die zuständige Gemeindebehörde darf Gemeindeinitiativen auch ohne
ausdrückliche kantonalrechtliche Grundlage auf ihre Übereinstimmung mit
dem kantonalen Recht prüfen.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- C. - Siehe vorangehendes Urteil.

    D.- Gottfried Stäubli führt staatsrechtliche Beschwerde gegen
beide Rekursentscheide des Regierungrates. In derjenigen betreffend
Unzulässigerklärung seiner Motion stellt er u.a. den Antrag, den
angefochtenen Entscheid aufzuheben und den Gemeinderat anzuweisen, "die
gültig gestellte Motion Stäubli der Gemeindeversammlung zur Entscheidung
vorzulegen".

    Der Beschwerdeführer rügt eine Beeinträchtigung seines Stimm-
und Wahlrechts durch Verletzung der Vorschriften über die Behandlung
von Motionen. Seine Motion sei entgegen der gesetzlichen Ordnung der
Gemeindeversammlung nicht unterbreitet worden; der Gemeinderat habe
sich angemasst, sie ungültig zu erklären. Dazu sei er nicht zuständig;
es fehle ihm überdies die nötige Sachkunde und Unparteilichkeit.

    E.- Der Regierungsrat des Kantons Zürich und der Gemeinderat Regensdorf
beantragen Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen, soweit es darauf
eintrat.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer weist zutreffend darauf hin, dass das GG
keine Bestimmung enthält, die dem Gemeinderat ausdrücklich das Recht
gäbe, Motionen auf ihre Rechtmässigkeit hin zu überprüfen und von
sich aus zurückzuweisen, wenn er sie als rechtswidrig betrachtet. Die
kantonalen Instanzen behaupten nicht, dass eine andere Norm des Zürcher
Rechtes dem Gemeinderat diese Kompetenz einräumt. Im Gegensatz zu andern
Kantonsverfassungen gibt die KV des Kantons Zürich auch dem kantonalen
Parlament nicht das Recht, Initiativen auf ihre sachliche Zulässigkeit
hin zu prüfen. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Gemeinderat
verpflichtet ist, rechtswidrige Motionen der Gemeindeversammlung zum
Entscheid vorzulegen. Wie das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung
erkannt hat, sind kantonale Initiativen nicht nur auf die formellen
Voraussetzungen, sondern auch auf ihre Verfassungsmässigkeit und ihre
Übereinstimmung mit dem eidgenössischen Recht zu überprüfen; Initiativen,
die gegen eidgenössisches oder kantonales Verfassungs- oder gegen sonstiges
Bundesrecht verstossen, sind nicht zur Abstimmung zu bringen (BGE 61 I 173,
63 I 172, 80 I 161/2). Der Beschwerdeführer anerkennt diese Praxis. Er
macht jedoch geltend, das Prüfungsrecht erstrecke sich nicht auch auf die
Übereinstimmung von Gemeindeinitiativen mit kantonalem Recht. Jedenfalls
sei der Gemeinderat nicht zuständig, eine Motion zurückzuweisen, die dem
kantonalen Recht widerspreche.

    Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, wenn er das Initiativrecht
gegen alle unzulässigen Eingriffe verteidigt und insbesondere Versuchen
entgegentritt, missliebige Initiativen der Volksabstimmung zu entziehen. In
diesem Sinn hat das Bundesgericht entschieden, dass eine Initiative wegen
tatsächlicher Undurchführbarkeit nur dann ungültig erklärt werden darf,
wenn diese Undurchführbarkeit ganz offensichtlich ist. Kann dagegen bei
einer nicht völlig abwegigen Auslegung des Initiativtextes die bestrittene
Möglichkeit der Verwirklichung nicht als völlig zweifelsfrei ausgeschlossen
werden, so muss der Entscheid über die Initiative dem Volk überlassen
bleiben (vgl. das Urteil vom 24. Juni 1965 i.S. Z. und O. gegen Zürich,
ZBl 67/1966 S. 36/7 Erw. 3).

    Anders verhält es sich bei rechtswidrigen Initiativen. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers hat der Staatsgerichtshof nicht nur
als zulässig erachtet, Initiativen wegen Verstosses gegen eidgenössische
und kantonale Verfassungsvorschriften oder gegen sonstiges Bundesrecht
ungültig zu erklären. Er hat vielmehr allgemein den Behörden von Kantonen
und Gemeinden das Recht zuerkannt, Initiativen auf Gesetzwidrigkeit
zu überprüfen (vgl. ZBl 67/1966 S. 36). Wenn in früheren Entscheiden
die Zulässigkeit der Überprüfung kantonaler Initiativen auf ihre
Übereinstimmung mit dem Bundesrecht bejaht wurde (BGE 80 I 161/2 mit
Verweisungen), so ergibt sich aus den dort angestellten Überlegungen,
dass die Gemeindeinitiativen auch ohne ausdrückliche kantonalrechtliche
Grundlage auf die Übereinstimmung mit dem kantonalen Recht überprüft
werden dürfen. In der Literatur wird die Zulässigkeit dieses Vorgehens
ebenfalls bejaht (GIACOMETTI, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone
S. 426, 429 mit Hinweisen). Im Kanton Zürich ist den Gemeindebehörden in
gefestigter Praxis zuerkannt worden, rechtswidrige Motionen im Sinne von §
50 GG zurückzuweisen (ZBl 58/1957 S. 131 mit Verweisungen). Dieses Recht
ist auch mit den Grundsätzen einer direkten Demokratie vereinbar. Gegen
seine missbräuchliche Ausübung schützt die Möglichkeit, den Entscheid des
Gemeinderates an den Bezirksrat, den Regierungsrat und das Bundesgericht
weiterzuziehen. Die Rückweisung einer Motion wegen Rechtswidrigkeit
ist für den Motionär zudem von ungleich geringerer Bedeutung als etwa
die vom Beschwerdeführer als zulässig betrachtete Ungültigerklärung
bundesrechtswidriger kantonaler Initiativen. Während es nämlich für deren
Zustandekommen regelmässig eines erheblichen Aufwandes bedarf (z.B. Sammeln
der Unterschriften), steht das Motionsrecht jedem Stimmbürger offen
und bringt nahezu keine Umtriebe mit sich. Wird eine Motion rechtswidrig
erklärt, so kann der Stimmberechtigte ohne weiteres eine neue, entsprechend
abgeänderte Motion einreichen, sofern das angestrebte Ziel auf diesem
Wege überhaupt erreichbar ist.

    Der allgemeine, nicht näher ausgeführte Einwand des Beschwerdeführers,
den Gemeindebehörden fehle die für die Prüfung der Rechtswidrigkeit
erforderliche Sachkunde und Unparteilichkeit, ist nicht geeignet, die
Prüfungskompetenz in Frage zu stellen. Träfe der Vorwurf auf einzelne
Gemeinden zu, so böte der ausgebaute Rechtsmittelweg genügend Gewähr dafür,
dass das Motionsrecht auch in jenen Fällen beachtet würde.