Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 I 108



92 I 108

20. Urteil vom 11. Mai 1966 i.S. Kroeger gegen Schweizerische
Bundesanwaltschaft. Regeste

    Bundesgesetz betr. die Auslieferung gegenüber dem Ausland.
Auslieferungsvertrag mit Deutschland.

    1.  Der Auslieferungsrichter hat grundsätzlich nicht zu prüfen, ob
ein Schuldausschliessungs- oder Strafmilderungsgrund (hier: Einrede des
Handelns auf Befehl) vorliege. Ist die Schuldfrage bei einem leicht und
sicher überprüfbaren Alibi abzuklären? Frage offen gelassen (Erw. 1).

    2.  Auch im Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland
schliesst die Verjährung schon nach einem der beiden Rechte die
Auslieferung aus. Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang
wird die Verjährung für den ersuchten (schweizerischen) Staat durch eine
Verfolgungshandlung des ersuchenden (deutschen) Staates unterbrochen,
wenn dem Beschuldigten Mord vorgeworfen wird? (Erw. 2).

    3.  Kriegsrepressalien: Begriff der Verhältnismässigkeit und des
Exzesses (Erw. 3 b).

Sachverhalt

    A. - Das Amtsgericht Wuppertal erliess am 10. Januar 1962 gegen
den deutschen Staatsangehörigen Dr. jur. Erhard Kroeger, geb. 1905,
einen Haftbefehl wegen dringenden Verdachtes des gemeinschaftlichen
Mordes in zahlreichen Fällen. Dr. Kroeger wurde am 31. Dezember 1965
in Steinmaur-Sünikon/ZH verhaftet. Am 11. Januar 1966 stellte das
Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen das förmliche Ersuchen
um Auslieferung.

    Der Haftbefehl vom 10. Januar 1962 wirft Dr. Kroeger im einzelnen vor,
auf seinen Befehl hin habe das unmittelbar hinter der Ostfront tätige
Einsatzkommando 6 wiederholt Erschiessungen vorgenommen, nämlich:

    am 2.7.1941   in Lemberg 135 Juden

    um den 15.9.1941      in Winniza 600 Juden

    um den 19.9.1941      in Kriwoi-Rog 105 Juden

    vom 28.9.-4.10.1941   in Dnjepropetrowsk 179 Juden

    um den 15.11.1941     in Dnjepropetrowsk
          in Dnjeprodershink in Werchnadneprowsk 1000 Juden in
          Nowo-Moskowsk in Saproshje und in Nikopol

    vom 24.-30.11.1941    im Raume Dnjepropetrowsk 226 Juden

    am 12.11.1941 im Raume Dnjepropetrowsk 800 Insassen der Irrenanstalt
Igrin.

    Die Juden (wehrlose Männer, Frauen und Kinder) seien ohne rechtliche
Grundlage, nur um sie auszurotten, die Insassen der Irrenanstalt, um
sich ihrer zu entledigen, hingerichtet worden. Die Erschiessungen seien
geheim gehalten und die Leichen in Massengräber oder in stillgelegte
Bergwerksschächte geworfen worden.

    Am 28. Februar 1966 übermittelte der Justizminister des Landes
Nordrhein-Westfalen der Eidg. Polizeiabteilung ein Nachtragsbegehren, das
sich auf einen weiteren Haftbefehl des Amtsgerichtes Wuppertal vom 22.
Februar 1966 stützt. Darin wird geltend gemacht, Dr. Kroeger habe im
Range eines SS-Standartenführers das Einsatzkommando 6 bis Dezember 1941
geführt. Unter seiner Leitung habe dieses Kommando über die im Haftbefehl
vom 10. Januar 1962 erwähnten Hinrichtungen hinaus erschossen:

    am 29.6.1941  in Sambor-Dobromil 132 Juden

    am 8.7.1941   in Zloczow 16 kommuni-
          stische Funktionäre u. Zu- bringer, darunter drei Jüdinnen

    im Juli 1941  in Tarnopol eine grössere,
          der Höhe nach unbekannte Anzahl Juden

    im Juli 1941  in Proskurow 146 Kommunisten

    im Juli/August 1941   in Winniza 146 Juden

    im August 1941        in Korosten 53 Juden und
          2 kommunistische Funk- tionäre

    im September 1941     in Kirowograd 48
          kommunistische Funk- tionäre

    im September 1941     in Kriwoj-Rog 39
          kommunistische Funk- tionäre

    vom 14.-27.9.1941     in Kriwoj-Rog 26 Juden und
          13 kommunistische Funk- tionäre

    vom 28.9.-4.10.1941   in Kriwoj-Rog 8 kommunistische Funk-
          tionäre

    vom 28.8.-4.10.1941   in Dnjepropetrowsk 85 kommunistische Funk-
          tionäre

    vom 26.10.-2.11.1941  im Raume 43 Juden und
          Dnjepropetrowsk 26 kommunistische Funk- tionäre

    vom 3.-9.11.1941      im Raume 113 Juden und
          Dnjepropetrowsk 20 kommunistische Funk- tionäre

    vom 10.-16.11.1941    im Raume 47 Juden und
          Dnjepropetrowsk 4 kommunistische Funk- tionäre

    vom 17.-23.11.1941    im Raume 61 Juden und
          Dnjepropetrowsk 24 kommunistische Funk- tionäre

    Auf Grund eines Geheimbefehls Hitlers seien die Juden auch in
diesen Fällen ohne rechtliche Grundlage nur ihrer Abstammung wegen und
die kommunistischen Funktionäre allein ihrer politischen Einstellung
halber getötet worden. Auch diese Erschiessungen seien geheim gehalten
und die Opfer in Massengräbern verscharrt worden. Die Verjährung der
Strafverfolgung sei durch einen Haftbefehl des Amtsgerichtes Darmstadt
vom 25. April 1960 unterbrochen worden.

    B.- Kroeger hat sich bei seinen Einvernahmen durch die Kantonspolizei
Zürich und durch Eingaben seines Verteidigers an das eidg. Justiz- und
Polizeidepartement vom 21. Januar 1966 der Auslieferung widersetzt. Er
bestreitet die ihm zur Last gelegten Erschiessungen (mit Ausnahme der
Vorkommnisse in Sambor/Dobromil und in Lemberg) und beruft sich auf das
Zeugnis des Matthias Graf im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. Mit
eidesstattlichen Erklärungen der Gertrud von Radetzky, des Erich von
Sievert und des Friedrich Buchhardt macht er geltend, er sei zur fraglichen
Zeit weder in Südpolen noch in der Ukraine gewesen. Überdies seien die
ihm vorgeworfenen Handlungen nach deutschem und nach schweizerischem
Recht nicht Mord, sondern vorsätzliche Tötung, welches Vergehen
aber verjährt sei. Selbst bei Annahme des Mordtatbestandes wäre die
zwanzigjährige Verjährungsfrist am 1. Dezember 1961 abgelaufen; denn
verjährungsunterbrechende Verfolgungshandlungen seien vorher nicht
erfolgt. Bei den vom Haftbefehl namhaft gemachten Sachverhalten gehe es
um relativ-politische Delikte. Zwar habe er in Sambor/Dobromil und in
Lemberg je 80 Personen erschiessen lassen; diese Taten qualifizierten
sich indessen als völkerrechtlich zulässige Repressalie auf ein vorher
unter Geistlichen und deutschen Kriegsgefangenen angerichtetes Blutbad hin.

    C.- Das eidg. Justiz- und Polizeidepartement überwies am 30. März
1966 die Akten dem Bundesgericht zum Entscheid.

    Die Bundesanwaltschaft beantragt mit Eingabe vom 17. März 1966,
die Einsprache des Dr. Kroeger sei abzuweisen und seine Auslieferung
an das Justizministerium Nordrhein-Westfalen zu bewilligen. Mit den
Anforderungen an einen Alibibeweis sei es im Auslieferungsverfahren
streng zu nehmen. Solchen Anforderungen könnten aber die von
Dr. Kroeger beigebrachten eidesstattlichen Erklärungen nicht genügen.
Die Erschiessung von 135 Juden in Lemberg könne nach der Darstellung des
Sachverhaltes in den Haftbefehlen nicht als Kriegsrepressalie für den
von russischer Seite angeblich begangenen Massenmord an Priestern und
deutschen Kriegsgefangenen gelten. Nach deutschem und schweizerischem
Recht seien die in den Haftbefehlen hervorgehobenen Handlungen als Mord
zu bewerten. Die 20jährige Verjährungsfrist sei durch den Haftbefehl des
Amtsgerichtes Darmstadt vom 25. April 1960 sowohl nach deutschem wie nach
schweizerischem Recht unterbrochen worden. Unter den in den Haftbefehlen
geschilderten Umständen könne sich Kroeger auch nicht darauf berufen,
seine Handlungen seien als relativpolitische Delikte zu bewerten. Daran
ändere nichts, dass das Appellationsgericht Bologna in einem Urteil vom
6. Februar 1963 diese Voraussetzungen nach italienischem Recht als gegeben
erachtet und die Auslieferung Kroegers an die Bundesrepublik Deutschland
gestützt auf den gleichen Haftbefehl verweigert habe.

    Dem Sachbericht der Polizeiabteilung des eidg. Justiz-
und Polizeidepartementes ist zu entnehmen: Die formellen
Voraussetzungen des deutschen Auslieferungsbegehrens seien auf Grund
des schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrages als erfüllt zu
betrachten. Gemäss Art. 1 Ziff. 1 stelle Mord ein Auslieferungsdelikt
dar. Soweit Kroeger in seiner Abhörung bestreite, die ihm zur Last gelegten
Straftaten begangen zu haben, könne darauf im Auslieferungsverfahren
nicht eingetreten werden. Der Entscheid über Schuld und Tatfragen sei
dem Sachrichter vorbehalten.

    D.- In einer Eingabe vom 15. April 1966 hat sich die
Schweiz. Bundesanwaltschaft zum Nachtragsbegehren des Justizministeriums
Nordrhein-Westfalen vom 28. Februar 1966 geäussert. Sie beantragt, die
Auslieferung Dr. Kroegers sei auch wegen der im Haftbefehl des Amtsgerichts
Wuppertal vom 22. Februar 1966 aufgeführten Straftaten zu bewilligen. Neu
am Haftbefehl sei, dass unter den Opfern der zahlreichen zusätzlich
geltend gemachten Erschiessungen eine grosse Zahl kommunistischer
Funktionäre erwähnt werden. Auch wenn Kroeger in amtlicher Eigenschaft
gehandelt habe, so könnten die Erschiessungen kommunistischer Funktionäre
nicht als Ausfluss des Kampfes um die politische Macht in den besetzten
Ostgebieten gelten und damit relativ politischen Charakter aufweisen. Denn
der Haftbefehl spreche sich über das Handlungsmotiv in dem Sinne aus,
dass die kommunistischen Funktionäre nur erschossen worden seien,
um sich ihrer zu entledigen. Auch die Berufung auf einen Geheimbefehl
Hitlers ändere daran nichts. Da die Erschiessungen nicht als von einander
losgelöste Einzelakte, sondern als eine Gesamtheit zu betrachten seien,
sei es nicht notwendig gewesen, die in diesem Haftbefehl neu angeführten
Hinrichtungen schon im Haftbefehl vom 25. April 1960 einzeln aufzuführen,
um die Verjährung zu unterbrechen. Der Fortsetzungszusammenhang sei für
das deutsche und das schweizerische Recht als gegeben zu betrachten. Auch
die von Kroeger nachträglich zugestandene Erschiessung von etwa 80 Juden
(am 29. Juni 1941 in Sambor/Dobromil) könne nicht als ausnahmsweise
zulässige Repressalie gelten.

    E.- Der Verteidiger Kroegers hat sich in einer Eingabe an das
Bundesgericht nochmals zur Sache geäussert. Eine Untersuchungshandlung
im Sinne von Art. 72 StGB sei am 25. April 1960 nicht erfolgt; denn der
Haftbefehl sei nicht zur Vollstreckung weitergeleitet worden. Um eine
Unterbrechung herbeizuführen, müsse sich die unterbrechende Handlung
gegen den Täter richten und nach aussen in Erscheinung treten. Sollte im
Haftbefehl vom 25. April 1960 trotzdem eine Unterbrechung der Verjährung
gesehen werden, so dürfe nur auf die dort vorgeworfenen Handlungen
in Lemberg (2. Juli 1941) und Winniza (15. September 1941) abgestellt
werden. Im Haftbefehl vom 22. Februar 1966 werde darauf hingewiesen,
dass die vom Verfolgten angeblich ausgeführten Handlungen in Erfüllung
eines Geheimbefehls Hitlers geschehen seien. Der Haftbefehl gehe somit
davon aus, dass dem Beschuldigten nicht eigenmächtige, vom Dienstbefehl
losgelöste Taten vorgehalten werden können.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Auslieferungsrichter hat lediglich zu untersuchen, ob die
Voraussetzungen der Auslieferung gegeben seien. Bei Prüfung dieser Frage
ist er grundsätzlich frei (BGE 78 I 45/46, 79 I 36 Erw. 2); er ist jedoch
hinsichtlich des Hergangs der Tat und der Schuld des Auszuliefernden
an die zur Begründung des Auslieferungsersuchens vorgelegten Urkunden
gebunden: Soweit diese nicht offensichtliche Irrtümer enthalten,
geht der Auslieferungsrichter in den genannten Punkten von der
Darstellung des Sachverhalts im ausländischen Urteil, im Haftbefehl
oder in anderen Urkunden aus, auf die das Auslieferungsbegehren Bezug
nimmt. Ob dieser Sachverhalt bewiesen sei und ob der Auszuliefernde die
ihm gemachten Vorhalte bestreite, ist demnach unerheblich (vgl. BGE 32
I 122, 346; 41 I 140; 49 I 267; 60 I 215 Erw. 3 a; 79 I 36 Erw. 2; 88
I 40/41). Das Bundesgericht prüft als Auslieferungsgericht auch nicht,
ob ein Schuldausschliessungs- oder Strafmilderungsgrund vorliege (BGE 59
I 144 Erw. 2, 78 I 45 Erw. 2).

    Das Auslieferungs- und das Nachtragsbegehren des Justizministeriums
des Landes Nordrhein-Westfalen stützen sich je auf einen Haftbefehl,
was nach Art. 7 des deutsch-schweizerischen Auslieferungsvertrages als
rechtliche Unterlage genügt. Das Bundesgericht hat daher vom Tatbestand
auszugehen, wie er in diesen Haftbefehlen umschrieben worden ist. Dagegen
vermag die entgegenstehende Darstellung des Matthias Graf, wonach
die Juden-Erschiessungen nicht durch das vom Beschuldigten befehligte
Einsatzkommando 6, sondern durch Leute des höhern Polizeiführers Jeckeln
erfolgt seien, im Auslieferungsverfahren nicht aufzukommen. Abgesehen davon
gibt der Beschuldigte zu, er habe am 29. Juni in Sambor/Dobromil und am 2.
Juli 1941 in Lemberg an der Massenerschiessung von je etwa 80 Personen
teilgenommen. Seine Einrede, er habe lediglich in amtlicher Eigenschaft
Befehle (insbesondere einen Geheimbefehl Hitlers) ausgeführt, die ihm
vorgeworfenen Tatbestände seien daher dem deutschen Staat zuzurechnen,
kann ebenfalls nicht gehört werden: Sie betrifft einen vom deutschen
Sachrichter zu prüfenden Rechtfertigungs- oder Strafmilderungsgrund,
wobei bereits feststeht, dass der Befehl - für den Beschuldigten als
ausgebildeten Juristen ohne weiteres erkennbar - Verbrechen in unabsehbarer
Zahl bezweckte (vgl. § 47 Ziff. 2 des deutschen Militärstrafgesetzes vom
20. Juni 1872).

    Der Beschuldigte beruft sich schliesslich auf die eidesstattlichen
Erklärungen der Gertrud von Radetzky, des Erich von Sievert und des
Friedrich Buchhardt und macht somit einen Alibibeweis geltend. Richtig
ist, dass im schweizerischen Schrifttum die Meinung vertreten wird,
die Schuldfrage sei dann vom Auslieferungsrichter abzuklären, wenn ein
behauptetes Alibi leicht und sicher überprüft werden könne (SCHULTZ,
Das Schweiz. Auslieferungsrecht, S. 202 N. 222; SCHEIM-MARKEES, in
Schweiz. Jur. Kartothek, Nr. 755 S. 10 lit. c). Ob dieser Lehrmeinung
gefolgt werden soll, kann indessen offen bleiben. Denn das Bundesgericht
könnte die eidesstattlichen Erklärungen, die der Beschuldigte beigebracht
hat, nicht ohne zusätzliche Erhebungen auf ihre Glaubwürdigkeit
prüfen. Zudem sind sie so allgemein gehalten, dass sie die behauptete
Abwesenheit von der Ukraine und Südpolen während der fraglichen Zeit
nicht mit genügender Sicherheit dartun. Es fehlt daher, auch nach dem
angeführten Schrifttum, im vorliegenden Fall an den Voraussetzungen,
um auf den angetragenen Alibibeweis einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Wie das Auslieferungsgesetz (Art. 3 Abs. 1), so bestimmt
die Mehrzahl der von der Schweiz geschlossenen Auslieferungsverträge
ausdrücklich, dass ein Beschuldigter nur für Handlungen und Unterlassungen,
die nach dem Recht des ersuchenden und des ersuchten Staates strafbar
sind, ausgeliefert werde. Der schweizerisch-deutsche Auslieferungsvertrag
erwähnt das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit in Art. 1 Abs. 1
Ziff. 9, 12 und 13 für einzelne Auslieferungsdelikte, ebenso im letzten
Absatz für den Versuch. In diesen Klauseln wird ein Grundsatz verdeutlicht,
der stillschweigend auch hinsichtlich der übrigen Auslieferungsdelikte
vorausgesetzt wird und den ganzen Auslieferungsvertrag beherrscht. Nach
der neuern Rechtsprechung des Bundesgerichts ist daher im Verhältnis
zwischen der Schweiz und Deutschland in allen Fällen am Erfordernis der
beidseitigen Strafbarkeit festzuhalten (BGE 88 I 40 mit Verweisungen). Das
bewirkt nach der Praxis, entgegen der zu engen Fassung in Art. 5
des Auslieferungsvertrages, dass die - vom Beschuldigten ausdrücklich
angerufene - Verjährung schon nach einem der beiden Rechte die Auslieferung
ausschlösse (vgl. SCHULTZ, aaO, S. 342). Es ist daher zu prüfen, ob diese
Voraussetzungen. im vorliegenden Fall erfüllt sind.

    a) Das Auslieferungsbegehren des Justizministeriums des Landes
Nordrhein-Westfalen vom 11. Januar 1966 stützt sich auf den Haftbefehl
vom 10. Januar 1962, das Nachtragsbegehren vom 28. Februar 1966 auf den
vom 22. Februar 1966. Es stellt sich zunächst die Frage, ob der darin
umschriebene Tatbestand sowohl nach schweizerischem als auch nach deutschem
Recht ein Auslieferungsdelikt sei.

    Die Haftbefehle wurden wegen dringenden Verdachtes gemeinsamen Mordes
in zahlreichen Fällen erlassen. Von den Qualifikationsgründen, die nach §
211 des deutschen StGB (DStGB) und Art. 112 des eidg. StGB den Mord von
der Tötung unterscheiden, kommen namentlich die niederigen Beweggründe,
bzw. die besonders verwerfliche Gesinnung in Betracht. Sie werden
offenbar darin erblickt, dass der rechtskundige Beschuldigte seine Opfer
"ohne rechtliche Grundlage", die Juden "aus Gründen der Ausrottung", die
Kommunisten "nur ihrer politischen Einstellung wegen" und die Insassen
der Irrenanstalt, "um sich ihrer zu entledigen", erschiessen liess;
ferner im Umstand, dass die Hinrichtungen geheim gehalten und die Opfer
in Massengräbern verscharrt oder in stillgelegte Bergwerksschächte
geworfen wurden. Jene Recht und Sitte grob widersprechenden Gründe
können als niedrig im Sinne von § 211 DStGB (vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER,
StGB-Komm., 11. Aufl. 1963, N. 11 zu § 211) und die Begleitumstände
bei den Hinrichtungen als eine besonders verwerfliche Gesinnung gemäss
Art. 112 eidg. StGB (vgl. BGE 87 IV 115) offenbarend beurteilt werden. In
der Tötung von etwa 3 000 wehrlosen jüdischen Männern, Frauen und Kindern
sowie Geisteskranken und kommunistischen Funktionären zeigt sich zudem die
Gefährlichkeit des Täters, womit ein weiteres Qualifizierungsmerkmal von
Art. 112 eidg. StGB erfüllt ist. Der in den Haftbefehlen umschriebene
Tatbestand ist somit als Mord im Sinne beider Strafgesetze zu
betrachten. Mord aber ist nach Art. 1 Ziff. 1 des Auslieferungsvertrages
und Art. 3 Ziff. I/1 des Auslieferungsgesetzes ein Auslieferungsdelikt.

    b) Bei dieser Sachlage ist die Einrede der Verjährung von
entscheidender Bedeutung. Die Verfolgung des Mordes verjährt, weil diese
Tat mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht ist (§ 211 DStGB und Art. 112
eidg. StGB), nach deutschem und nach schweizerischem Recht in 20 Jahren (§
67 DStGB, Art. 70 eidg. StGB). Da die eingeklagten Handlungen vom 2. Juli
bis 30. November 1941 begangen worden waren, trat die Verjährung spätestens
am 30. November 1961 ein, wenn sie nicht vorher unterbrochen worden ist.

    aa) Der Haftbefehl vom 10. Januar 1962 und der vom 22.  Februar 1966,
welche dem Auslieferungs- und dem Nachtragsbegehren zugrunde liegen,
ergingen später und konnten die Verjährung nicht unterbrechen. Das
Amtsgericht Darmstadt erliess jedoch schon am 25. April 1960 gegen den
Beschuldigten einen Haftbefehl wegen Tötungen in Lemberg und Winniza. Darin
wurden die niedrigen Beweggründe ausdrücklich erwähnt und zudem Grausamkeit
genannt. Durch Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 23. November 1962
wurde festgestellt, "die Strafverfolgung bezüglich der im Haftbefehl
(vom 10. Januar 1962) bezeichneten Straftaten sei unterbrochen worden
durch den rechtswirksam erlassenen Haftbefehl des Amtsgerichts Darmstadt
vom 25. April 1960." Gleiches gilt von den im Haftbefehl vom 22. Februar
1966 neu aufgeführten Erschiessungen, die dem deutschen Richter im April
1960 im einzelnen noch nicht bekannt waren; denn es genügt, dass das
Vorkommnis im allgemeinen bezeichnet wird (vgl. Leipziger Komm. des
StGB, 8. Aufl. 1957, N. I/3 zu § 68, S. 576). Damit steht für den
schweizerischen Auslieferungsrichter verbindlich fest, dass die Taten
nach deutschem Recht nicht verjährt sind.

    bb) Der Beschuldigte behauptet überdies, die vorgeworfenen
Taten seien nach schweizerischem Recht verjährt. Er macht geltend,
die Verjährung nach schweizerischem Recht hätte nur durch Vorkehren
schweizerischer Behörden unterbrochen werden können. Damit verkennt er
die Bedeutung der Überprüfung nach dem Recht des ersuchten Staates. Die
Verfolgungshandlungen gehen in der Regel vom ersuchenden Staate aus,
sind aber vom ersuchten Staat so zu beurteilen, wie wenn sie von seinen
Behörden vorgenommen wären; wenn sie dann die Verjährung unterbrochen
hätten, haben sie auch so diese Wirkung nach seinem Recht (SCHULTZ, aaO,
S. 344). Nach Art. 72 StGB (Fassung vom 5. Oktober 1950, AS 1951 S. 7)
wird die Verjährung unterbrochen durch jede Untersuchungshandlung einer
Strafverfolgungsbehörde, namentlich durch Erlass von Haftbefehlen. Da gegen
den Beschuldigten innert der Verjährungsfrist ein Haftbefehl erlassen
wurde, dessen Gültigkeit nur durch das deutsche Recht bestimmt werden
kann und danach gegeben ist, ist die Verjährung auch nach schweizerischem
Recht grundsätzlich unterbrochen worden.

    Im Haftbefehl vom 25. April 1960 waren indessen die in den späteren
Haftbefehlen einzeln aufgeführten Tatbestände nicht genannt; es war
nur von mehrfachen Tötungen in Lemberg und Winniza die Rede. Es ist
fraglich, ob damit die Verjährung nur für die dort oder für alle als
Führer des Einsatzkommandos unter den genannten Umständen begangenen
Untaten unterbrochen wurde; letzteres ist insbesondere der Fall, wenn diese
Taten als fortgesetztes Delikt im Sinne von Art. 71 Abs. 3 eidg. StGB zu
betrachten sind. Ein fortgesetztes Delikt liegt vor, wenn gleichartige
oder ähnliche Handlungen, die gegen das gleiche Rechtsgut gerichtet sind,
auf ein und denselben Willensentschluss zurückgehen (BGE 72 IV 184/5). Das
trifft hier zu. Der Beschuldigte hat vom Reichsführer der SS Himmler einen
Auftrag entgegengenommen, der alle Untaten, die er im Sommer und Herbst
1941 in Südpolen und der Ukraine angeordnet hat, in sich schloss. Der
Fortsetzungszusammenhang zwischen den einzelnen Teilakten der gesamten
Handlungsgruppe, also namentlich der gegen das Leben Wehrloser gerichtete
einheitliche Vorsatz, erscheint damit auch nach schweizerischem Recht
als hinlänglich behauptet. Unser diesen Umständen ist die Auslieferung
für alle in den beiden Haftbefehlen vom 10. Januar 1962 und 22. Februar
1966 aufgeführten Erschiessungen zu bewilligen.

Erwägung 3

    3.- a) Der Beschuldigte wendet ein, es handle sich um politische
Delikte im Sinne von Art. 4 Abs. 1 des deutschschweizerischen
Auslieferungsvertrages und von Art. 10 des Auslieferungsgesetzes. Der
Appellationshof von Bologna habe in einem Urteil vom 6. Februar 1963 die
politische Natur dieser Handlungen ausdrücklich bejaht.

    Die Beweggründe, welche die Tötungen zum Mord stempeln - Ausrottung
der Juden, Erschiessung kommunistischer Funktionäre wegen ihrer
politischen Einstellung, Beseitigung der Insassen einer Irrenanstalt
-, entspringen der nationalsozialistischen Lehre und haben insofern
politischen Gehalt. Ob diese Gründe den gemeinrechtlichen Verbrechen des
Beschuldigten einen vorwiegend politischen Charakter zu verleihen vermögen,
ist vom schweizerischen Auslieferungsrichter nur unter dem Gesichtswinkel
des schweizerischen Rechtes zu beurteilen (BGE 90 I 299).

    Nach schweizerischer Auffassung genügt es nicht, dass der Täter
aus politischem Antrieb gehandelt hat. Die Tat muss vielmehr im Rahmen
eines Kampfes um die Macht im Staat erfolgen und in einem angemessenen
Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen, d.h. - mindestens nach der
Meinung des Täters - geeignet sein, zu dessen Erreichung beizutragen
(BGE 90 I 300). Das Auslöschen menschlichen Lebens als eines der
verwerflichsten Verbrechen erscheint nur dann als entschuldbar, wenn
es der letzte Ausweg zur Verfolgung eines politischen Zweckes ist (BGE
54 I 215; nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 5. Mai
1949 i.S. Hoter). Davon kann bei dem in den Haftbefehlen umschriebenen
Tatbestand keine Rede sein. Der Beschuldigte handelte in einem Zeitpunkt,
als das nationalsozialistische Regime auf dem Höhepunkt seiner Macht stand;
er ging gegen wehrlose Frauen, Kinder und Kranke vor, welche die deutsche
Herrschaft in den besetzten Gebieten Südpolens und der Ukraine nicht in
Frage stellen konnten.

    b) Überdies macht der Beschuldigte geltend, die Erschiessung, an
der er am 29. Juni im Sambor/Dobromil, bzw. am 2. Juli 1941 in Lemberg
teilgenommen habe, stelle eine völkerrechtlich zulässige Kriegsrepressalie
dar. Sie sei die Antwort auf das von den Russen bei ihrem Rückzug
unter deutschen Kriegsgefangenen und Priestern angerichtete Blutbad.
Mehrere Hingerichtete seien daran beteiligt gewesen.

    Die Erschiessungen in Sambor/Dobromil, bzw. Lemberg sowie die weiteren
in den Haftbefehlen geschilderten Massaker waren ihrer Natur nach nicht
geeignet, die sowjetischen Behörden zu veranlassen, die - allenfalls
von russischen Streitkräften oder Zivilpersonen verletzten - Regeln des
Völkerrechtes künftig zu beachten. Vielmehr besteht nach dem für den
Auslieferungsrichter verbindlich umschriebenen Sachverhalt zwischen den
Hinrichtungen des Einsatzkommandos 6 und dem Kriegsgeschehen nur insofern
ein Zusammenhang, als dieses die Gelegenheit zum Gemetzel gegeben und
seine Tarnung ermöglicht hat. Aber selbst wenn solche Massenerschiessungen
von der deutschen Führung als Repressalien gewertet worden sein sollten,
wäre das Vorgehen des Einsatzkommandos 6 nicht durch Kriegsrecht gedeckt.

    Einem allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts gemäss sind im Kriege
Repressalien zwar erlaubt, es sind ihnen aber Schranken gesetzt. So
soll das durch sie zugefügte Übel nicht grösser sein als das durch die
Völkerrechtsverletzung begangene (GUGGENHEIM, Lehrb. des Völkerrechts
Bd. II, S. 585/6); zum mindesten dürfen sie in keinem auffälligen
Missverhältnis zum Unrecht stehen, gegen das sie sich wenden (DAHM,
Völkerrecht Bd. II, S. 430; VON DER HEYDTE, Völkerrecht Bd. II, S. 380;
VERDROSS, Völkerrecht, 5. Aufl., S. 459). Nach der ersten und nach der
zweiten Umschreibung der unerlässlichen Verhältnismässigkeit von Eingriffen
hat der Beschuldigte das zulässige Mass überschritten. Er hat nach den
Erschiessungen von Sambor/Dobromil, bzw. Lemberg Ende Juni/Anfang Juli noch
weit über 2000 Menschen umbringen lassen. Diese summarischen Hinrichtungen
betrafen im wesentlichen gefangene kommunistische Funktionäre, wehrlose
Frauen und schuldlose Kinder sowie Geisteskranke. Die unmenschlichen
Vergeltungsmassnahmen zogen sich über Monate hin.

    Wird das Mass der zulässigen Zwangsakte überschritten, so liegt ein
Repressalienexzess vor (VERDROSS, aaO, S. 459 Anm. 2) und diese Akte
werden ihrerseits rechtswidrig (DAHM, aaO, S. 430). Die Tötungen, die
das Einsatzkommando 6 in Südpolen und der Ukraine von Ende Juni bis Ende
November 1941 hinter der deutschen Front begangen hat, können daher auf
keinen Fall als Kriegsmassregeln ausserhalb des strafrechtlichen Rahmens
gelten. Auch der letzte Einwand des Beschuldigten ist demzufolge nicht
stichhaltig.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Einsprache des Erhard Kroeger gegen die Auslieferung an Deutschland
wird abgewiesen und die Auslieferung bewilligt.