Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 I 104



92 I 104

19. Auszug aus dem Urteil vom 27. April 1966 i.S. Kocher gegen Vogel,
Gemeinderat Kölliken und Regierungsrat des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 4 BV. Willkürliche Verweigerung einer Baubewilligung?

    Voraussetzung für die Ausnahmebewilligung von der Zonenordnung, wenn
ein Baugrundstück in verschiedenen Bauzonen liegt. Ausnahmen hinsichtlich
der Ausnützungziffer sind zurückhaltend zu bewilligen.

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Das streitige Bauprojekt betrifft ein Achtfamilienhaus mit drei
Geschossen im mittleren und östlichen, zwei Geschossen im westlichen Teil
und einer Ausnützungszahl von 0'4209. Ungefähr 90% des Baues kämen auf
denjenigen Teil des Grundstückes zu stehen, der zur Zone I gehört, wo nur
Ein- und Zweifamilienhäuser mit zwei Geschossen und einer Ausnützungszahl
von 0,35 zulässig sind. Das Bauvorhaben verletzt somit die Zonenordnung
der Gemeinde Kölliken (ZOK).

    a) Der Beschwerdeführer macht geltend, der Gemeinderat habe mit seinem
Brief vom 23. Dezember 1964 von dem ihm gemäss den geltenden Bestimmungen
des Baureglements zustehenden Recht zum Erlass von Sonderbauvorschriften
Gebrauch gemacht. Auf welche Bestimmungen er sich beruft, sagt er
nicht. Falls er damit § 14 der Bauordnung der Gemeinde Kölliken (BOK)
meint, so irrt er. Für den Erlass derartiger Vorschriften ist nicht der
Gemeinderat, sondern die Gemeindeversammlung unter dem Vorbehalt der
Genehmigung durch den Regierungsrat zuständig. Abgesehen davon lässt sich
im erwähnten Brief nicht der Erlass einer Sonderbauvorschrift im Sinne
von § 14 BOK erblicken; denn darin werden lediglich die Anregungen des
Ortsplaners bezüglich des Bauprojektes des Beschwerdeführers übernommen.

    b) Dem Beschwerdeführer schwebt offenbar die Erteilung einer
Ausnahmebewilligung vor. Nach § 4 BOK kann der Gemeinderat, wenn
ausserordentliche Verhältnisse vorliegen oder die Anwendung der Bauordnung
zu hart wäre, unter billiger Abwägung der beteiligten privaten Interessen
Ausnahmen und Abweichungen von den Gemeindebauvorschriften gestatten,
sofern dies mit dem öffentlichen Wohl vereinbar ist. In ähnlicher Weise
bestimmt Ziff. 11 ZOK: "Wenn besondere Verhältnisse vorliegen, kann der
Gemeinderat in Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen Ausnahmen
von dieser Zonenordnung gewähren".

    Die Zonenordnung enthält keine Bestimmung darüber, wie sie anzuwenden
ist, wenn das Baugrundstück in zwei verschiedenen Zonen liegt und die
Zonengrenze hindurch läuft. Erlauben es die Grösse und Form der zu
verschiedenen Zonen gehörenden Teile eines Grundstücks, gemäss den für
jeden Teil geltenden Bestimmungen, insbesondere bezüglich Ausnützungsziffer
und Grenzabstand, zu bauen, stellt sich die Frage einer Ausnahmebewilligung
nicht; denn dann ist es dem Eigentümer möglich, sein Grundstück nach
den für die einzelnen Teile massgebenden Vorschriften der Zonenordnung
zu überbauen. Nun reicht der zur Zone III gehörende Teil der Parzelle
Nr. 293 unbestrittenermassen aus, um darauf gemäss den für diese Zone
geltenden Vorschriften zu bauen. Schon aus diesem Grunde ist es nicht
willkürlich, wenn es der Regierungsrat ablehnt, dem Beschwerdeführer den
Bau eines dreigeschossigen Achtfamilienhauses zu bewilligen, das zu 90%
auf den zur Zone I gehörenden Teil der Liegenschaft zu stehen käme,
wo derartige Bauten unzulässig sind. Daran ändert nichts, dass auf
dem in der Zone III liegenden Teil des Grundstücks ein Einfamilienhaus
steht. Wenn dem Beschwerdeführer daran gelegen ist, ein dreigeschossiges
Achtfamilienhaus zu erstellen, das nur auf diesem Teil des Grundstücks
zulässig ist, dann muss er eben, sofern das für die Ausführung eines
solchen Neubaus unerlässlich ist, das Einfamilienhaus opfern.

    Es ist aber auch nicht willkürlich, dass der Regierungsrat keine
Ausnahmebewilligung auf Grund von Art. 4 BOK und Ziff. 11 ZOK erteilt
hat. Die Ausnahmebewilligung würde vor allem die Ausnützungsziffer
betreffen. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die ZOK die Anwendung
gemischter Ausnützungsziffern nicht verbiete. Anderseits gestattet sie
sie aber auch nicht. Wenn schon in der Lehre die Auffassung vertreten
wird, dass die Ausnützungsziffer als eine zwingende Schranke jeder
Ausnahmebewilligung zu gelten habe (ZIMMERLIN, Bauordnung der Stadt
Aarau, S. 123 N. 6), so ist auf alle Fälle grösste Zurückhaltung zu üben
bei der ausnahmsweisen Bewilligung höherer als der sonst zulässigen
Ausnützungsziffern. Dazu kommt vor allem, dass der Regierungsrat ohne
Willkür davon ausgehen durfte, dass weder ein Härtefall im Sinne von §
4 BOK noch besondere Verhältnisse im Sinne von Ziff. 11 ZOK vorliegen, da
es möglich ist, auf jedem der beiden in verschiedenen Zonen liegenden Teile
der Parzelle Nr. 293 gemäss den Vorschriften der ZOK zu bauen. Inwiefern
auf diese Weise keine fachgerechte Überbauung des Grundstücks möglich sein
soll, tut der Beschwerdeführer nicht dar. Es ist somit ausgeschlossen,
bei der in Ziff. 11 ZOK vorgeschriebenen Abwägung der öffentlichen und
privaten Interessen das private Interesse an der Bewilligung einer Ausnahme
von der Zonenordnung als überwiegend zu betrachten. Daran vermögen auch
die Behauptungen des Beschwerdeführers, die Ausführung der vorgesehenen
Baute benachteilige die Nachbarn nicht - was der Regierungsrat übrigens
bestreitet -, die Erstellung preiswerter Wohnungen sei dringlich und er
habe sich zu der streitigen Überbauung seines Grundstückes entschlossen,
um der Familie eine zusätzliche Erwerbsquelle zu schaffen, nichts zu
ändern. Derartige Überlegungen rechtfertigen ein Abweichen von der
Zonenordnung jedenfalls dann nicht, wenn - wie hier - eine zonengemässe
Überbauung des Grundstücks möglich ist (vgl. BGE 89 I 522 mit Bezug auf die
Ablehnung von Ausnahmebewilligungen zugunsten des sozialen Wohnungsbaues;
VOLLENWEIDER, Stadtgestaltung und Bauvorschriften, in Rechtsprobleme von
Stadtgemeinden, S. 180).

    Der Umstand, dass Architekt Gelpke die vom Gemeinderat bewilligte
Lösung vorgeschlagen hat, ist für das Schicksal der staatsrechtlichen
Beschwerde unerheblich. Die Ansicht des Ortsplaners ist für die
Baubewilligungsbehörde nicht verbindlich. Ausschlaggebend ist, ob die
Auffassung des Regierungsrates der Rüge der Willkür standhalte. Das
trifft aber zu. Es kann keine Rede davon sein, dass der Regierungsrat
sein Ermessen pflichtwidrig überschritten habe und dass seinem Entscheid
die gesetzliche Grundlage fehle. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.