Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 IV 94



92 IV 94

25. Urteil des Kassationshofes vom 24. Juni 1966 i.S. Dr. S. gegen Dr. F.
Regeste

    Art. 173 Ziff. 1 und 2, 177 Abs. 1 StGB.

    1.  Diese Bestimmungen setzen nicht voraus, dass der Betroffene in
der Äusserung namentlich genannt werde; es genügt, dass nach den Umständen
erkennbar ist, auf wen sie sich bezieht (Erw. 1).

    2.  Ob eine Äusserung ehrverletzend sei, beurteilt sich nach dem Sinn,
den der unbefangene Hörer ihr beilegen muss.

    3.  Der Vorwurf, ein Apotheker verletze seine Standespflichten,
berührt nicht nur sein berufliches Ansehen, sondern auch seine Geltung
als ehrbarer Mensch (Erw. 2).

    4.  Die Beleidigungsabsicht gehört nicht zum Tatbestand der üblen
Nachrede; erforderlich ist nur, dass der Täter sich der Ehrenrührigkeit
seiner Behauptung bewusst ist und sie trotzdem erhebt (Erw. 3).

    5.  Beweisschwierigkeiten machen eine ehrverletzende Äusserung nicht
erlaubt (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Dr. F. ist Arzt in St. Gallen. Im Januar und Februar 1963 ersuchte
er zwei Patientinnen, denen er Rezepte ausgestellt hatte, diese in der
Apotheke A ausführen zu lassen. Als er nachträglich erfuhr, dass sie
sich an die Apotheke B gewandt hatten, schalt er sie und fügte bei, die
Apotheke B sei unzuverlässig, man gebe dort den Leuten gerade was man
wolle. Im gleichen Sinne äusserte er sich bereits im Herbst 1962 einer
Patientin gegenüber.

    Dr. S., Inhaber und verantwortlicher Leiter der Apotheke B, fühlte
sich durch die Äusserung in seiner Ehre verletzt und liess gegen
Dr. F. Strafklage einreichen.

    B.- Das Bezirksgericht St. Gallen erklärte Dr. F. am 6.  April 1965 der
üblen Nachrede schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 200.--.

    Das Kantonsgericht St. Gallen, an das Dr. F. Berufung einlegte, hob
am 7. März 1966 das bezirksgerichtliche Urteil auf und sprach ihn frei.

    Es fand, die eingeklagte Äusserung sei nicht ehrverletzend, weil damit
nicht eine allgemeine Unzuverlässigkeit des Klägers behauptet werde. In
Frage gestellt werde bloss, dass man sich als Kunde darauf verlassen
könne, bei ihm richtig bedient zu werden. Eine solche Unzuverlässigkeit
brauche nicht mit einem Charakterfehler zusammenzuhängen. Wer als Apotheker
einem Kunden etwas anderes abgebe, als der Arzt vorschreibe, handle nicht
notwendig aus einem minderwertigen Motiv; hier lasse sich jedenfalls nicht
sagen, dass der Arzt dem Apotheker einen solchen Beweggrund unterstellt
habe oder habe unterstellen wollen.

    C.- Dr. S. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Kantonsgerichtes aufzuheben und die Sache zur Verurteilung des Angeklagten
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er hält die Äusserung des Arztes für
ehrverletzend.

    D.- Dr. F. schliesst auf Abweisung der Beschwerde, eventuell auf
Rückweisung der Sache zu neuer Beurteilung.

Auszug aus den Erwägungen:

               Der Kassationshofzieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Vorwurf, die Apotheke B sei unzuverlässig und man gebe dort den
Leuten gerade was man wolle, richtete sich nicht nur gegen die Apotheke
als solche, wie der Beschwerdegegner behauptet, sondern auch und vor
allem gegen den Apotheker selber, der für die Ausführung der Rezepte und
die Abgabe der Heilmittel verantwortlich ist. Dass der Beschwerdegegner
den Namen des Apothekers nicht erwähnt hat und die Apotheke B sich in
einer Stadt befindet, ändert nichts. Art. 173 StGB setzt nicht voraus,
dass der Betroffene in der Äusserung namentlich genannt werde. Es genügt,
dass nach den Umständen erkennbar ist, auf wen sie sich bezieht. Das war
hier aber ohne weiteres zu ersehen.

Erwägung 2

    2.- Eine andere Frage ist, ob die eingeklagte Äusserung ehrverletzend
sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Kassationshofes schützen die
Art. 173 ff. StGB nur den Ruf und das Gefühl des Betroffenen, ein ehrbarer
Mensch zu sein. Äusserungen, die sich eignen, jemanden in anderer Hinsicht,
z.B. als Berufs- oder Geschäftsmann, in der gesellschaftlichen Geltung
herabzusetzen oder in seinem Selbstbewusstsein zu verletzen, fallen nicht
unter die angeführten Bestimmungen. Voraussetzung ist aber immer, dass
die Kritik an den strafrechtlich nicht geschützten Seiten des Ansehens und
Empfindens des Betroffenen keine Schatten auf seine Geltung als ehrbarer
Mensch werfe und sein Gefühl, ein solcher zu sein, unberührt lasse. Durch
Beanstandung des beruflichen Verhaltens eines Menschen darf nicht der
Eindruck oder auch bloss der Verdacht erweckt werden, es fehlten ihm von
jenen Eigenschaften, die nach allgemeiner Anschauung ein ehrbarer Mensch
haben muss (BGE 71 IV 230, 72 IV 172, 76 IV 28, 77 IV 98, 80 IV 164).

    Ob Dr. F. durch seine Kritik einen solchen Eindruck oder Verdacht
erweckt habe, lässt sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht schon
damit verneinen, dass er dem Kläger weder eine allgemeine Unzuverlässigkeit
noch ein Handeln aus unehrenhaften Beweggründen vorgeworfen, noch ihn habe
heruntermachen wollen. Art. 173. Ziff. 1 StGB verlangt nicht, dass das
Ansehen des Betroffenen tatsächlich geschmälert werde; erforderlich ist
bloss, dass die Äusserung geeignet ist, den Ruf des Beschuldigten oder
Verdächtigten zu schädigen. Ob dieses Erfordernis hier zutreffe, hängt
nicht von den Beziehungen der Parteien, ihren Absichten und den Gründen
ab, die einen Apotheker veranlassen oder verleiten mögen, einem Kunden
ein anderes als das vom Arzt verschriebene Mittel abzugeben. Es ist daher
belanglos, dass eine solche Abgabe nicht notwendig einem eigennützigen
Beweggrund zu entspringen braucht und dass die Parteien sich erst im
Verfahren kennenlernten und miteinander nicht verfeindet sind. Entscheidend
ist einzig, welchen Sinn der unbefangene Hörer der eingeklagten Äusserung
nach den Umständen beilegen musste. Das ist eine Frage der Auslegung
und damit eine Rechtsfrage, die der Kassationshof frei zu überprüfen hat.

    Die Behauptung, die Apotheke B sei unzuverlässig, konnte in der
Auseinandersetzung des Arztes mit den Patientinnen nur dahin verstanden
werden, der Beschwerdeführer biete keine Gewähr, dass die Rezepte richtig
ausgeführt würden, er verdiene als Apotheker kein Vertrauen. Dieser Sinn
ergibt sich auch aus dem weitern Satz, man gebe dort den Leuten gerade was
man wolle, womit zudem der Vorwurf erhoben wurde, der Beschwerdeführer
handle willkürlich, setze sich leichtsinnig oder ohne Bedenken über
die Weisungen des Arztes hinweg. Das ist mehr als blosse Kritik an
den beruflichen Fähigkeiten und Leistungen; das ist ein Angriff auf die
persönliche Ehre des Apothekers, dessen erste Pflicht gerade darin besteht,
ärztliche Rezepte gewissenhaft und getreu auszuführen. Wirft man ihm
Unzuverlässigkeit und Willkür in der Abgabe von Arzneien vor, so heisst
das, er verletze seine Standespflichten, lasse insbesondere die gebotene
Sorgfalt und Pflichttreue vermissen. Man gibt ein herabwürdigendes Urteil
über sein Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein ab, freilich bloss über
sein Pflichtgefühl als Apotheker, aber nichtsdestoweniger ein Urteil über
Eigenschaften, die ihn als Mensch verächtlich machen und seinen Charakter
in ein ungünstiges Licht rücken können. Die eingeklagte Äusserung berührt
somit ausser dem Ansehen des Klägers als Apotheker auch seine Geltung als
ehrbarer Mann, ist folglich ehrverletzend im Sinne von Art. 173 ff. StGB
(vgl. nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 26. November
1948 i.S. Zwinggi).

Erwägung 3

    3.- Das Kantonsgericht hat die Frage, ob der Beschwerdegegner
vorsätzlich gehandelt habe, offen gelassen. Seinem Urteil kann bloss
entnommen werden, dass Dr. F. dem Kläger keine minderwertigen Motive
habe unterstellen wollen. Das ist jedoch nicht entscheidend. Da die
tatsächliche Schädigung des Rufes nicht Tatbestandsmerkmal der üblen
Nachrede ist, muss der Vorsatz auch nicht auf eine solche Schädigung
gerichtet sein (BGE 71 IV 232, 79 IV 22). Der Beschwerdegegner brauchte
folglich nicht beabsichtigt zu haben, den Kläger zu beleidigen. Es genügt,
dass er sich der Ehrenrührigkeit seiner Behauptung bewusst gewesen ist
und sie trotzdem erhoben hat. Dass dies der Fall war, kann angesichts der
Bildung des Beschwerdegegners und seiner Verärgerung über die Apotheke
B nicht zweifelhaft sein.

Erwägung 4

    4.- Das angefochtene Urteil ist demzufolge aufzuheben und die Sache
an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie zu den Entlastungsbeweisen
Stellung nehme.

    Die Äusserung, die Apotheke B sei unzuverlässig, bezog sich gleich
wie die weitere Behauptung, man gebe dort den Leuten gerade was man wolle,
auf die Geschäftsleitung von Dr. S. Bei der ersten handelt es sich um ein
an bestimmte Tatsachen geknüpftes beschimpfendes Werturteil, das unter
Art. 177 StGB fällt, bei der zweiten geht es um eine Tatsachenbehauptung
und damit um eine Nachrede im Sinne von Art. 173 Ziff. 1 StGB. Die Vorwürfe
sind nach den angeführten Bestimmungen strafbar, sofern sie nicht nach
den Vorgängen, die dazu Anlass gaben, sachlich vertretbar waren oder vom
Täter in guten Treuen für sachlich vertretbar gehalten werden konnten
(BGE 74 IV 101; 77 IV 99 Erw. 4 und 168).

    Der Beschwerdegegner führt dazu in der Beschwerdeantwort
insbesondere aus, dass die kantonale Sanitätskommission ihn nicht von
der ärztlichen Schweigepflicht entbunden habe, er sich folglich in einem
Beweisnotstand befinde. Damit lässt sich seine Äusserung jedoch nicht
entschuldigen. Gewiss muss ein Arzt die Möglichkeit haben, Patienten auf
die Unzuverlässigkeit einer Apotheke aufmerksam zu machen. Das kann er tun,
wenn er zu beweisen vermag, dass die Äusserung der Wahrheit entspricht
oder dass er ernsthafte Gründe hat, sie in guten Treuen für wahr zu halten
(Art. 173 Ziff. 2 StGB). Wer dagegen über solche Beweise nicht verfügt,
muss sich eben hüten, den Vorwurf zu erheben und den andern damit in
seiner Ehre anzugreifen. Beweisschwierigkeiten machen eine ehrverletzende
Äusserung nicht erlaubt, auch Beweisnotstand nicht. Das gilt für Ärzte
so gut wie für andere Berufe, ganz abgesehen davon, dass ein Arzt sich
jederzeit an die Aufsichtsbehörde wenden kann, wenn ein Apotheker sich
nicht an seine Rezepte hält.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil
des Kantonsgerichts St. Gallen vom 7. März 1966 aufgehoben und die
Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen wird.