Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 IV 92



92 IV 92

24. Urteil des Kassationshofes vom 12. Juli 1966 i.S. Gemper gegen
Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 138 Abs. 1 StGB. Aus Leichtsinn handelt, wer die Entwendung
unbedacht begeht.

Sachverhalt

    A.- Gemper kaufte am Vormittag des 25. September 1965 im
Selbstbedienungsladen der Konsumgenossenschaft Bern, Filiale
Effingerstrasse, verschiedene Waren. Bei dieser Gelegenheit liess er in
seiner Mappe fünf Tafeln Schokolade und eine Tube Kondensmilch im Wert
von zusammen Fr. 7.55 verschwinden, die er beim Verlassen des Geschäftes
nicht an der Kasse zur Bezahlung vorwies.

    B.- Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern verurteilte
Gemper am 24. Februar 1966 wegen Diebstahls zu einer auf zwei Jahre
bedingt aufgeschobenen Strafe von vier Tagen Gefängnis.

    C.- Gemper führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, es sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit sie dem Verfahren keine Folge gebe oder ihn freispreche. Er macht
geltend, ein Diebstahl liege nicht vor und wegen Entwendung könne er
mangels Strafantrages nicht verurteilt werden.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig ist einzig, ob der Beschwerdeführer die Esswaren von
geringem Wert aus Leichtsinn gemäss Art. 138 StGB oder in der Absicht
unrechtmässiger Bereicherung weggenommen hat.

    Leichtsinn bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch, dass jemand
unbedacht, unüberlegt handelt. Art. 138 StGB setzt nicht einen besonders
gearteten Leichtsinn voraus. Der Mangel an Überlegung kann demnach sowohl
durch besondere Umstände des einzelnen Falles hervorgerufen werden als
auch im Charakter oder in der Geistesverfassung des Täters begründet sein.
Leichtsinnig handelt daher nicht bloss, wie die Vorinstanz annimmt, wer
die Tat in einer augenblicklichen Anwandlung von Übermut oder Mutwillen
begeht. Der Leichtsinn kann auch z.B. auf einen Depressionszustand des
Täters zurückzuführen sein, was indessen nicht heisst, dass ein depressiv
gestimmter Täter die strafbare Handlung immer unüberlegt begangen haben
muss, so wenig von einem charakterlich haltlosen oder leichtsinnigen
Menschen gesagt werden kann, seine Handlungen beruhten stets auf einem
Mangel an Überlegung.

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht hält es für unwahrscheinlich, aber auch nicht ganz
für ausgeschlossen, dass sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Tat
in einer depressiven Stimmung befand. Es gelangt jedoch gestützt auf die
gesamten Umstände zum Schluss, dass nicht diese Stimmung ausschlaggebender
Grund für die Wegnahme der Esswaren war, sondern der Wille, sich auf
billige Art und Weise Lebensmittel zu verschaffen. Diese Feststellung,
die tatsächlicher Natur ist, bindet den Kassationshof (Art. 277 bis Abs. 1
BStP; BGE 74 IV 205; 81 IV 130, 237, 283). Aus ihr ergibt sich, dass der
Beschwerdeführer ausschliesslich oder doch hauptsächlich durch die Absicht
unrechtmässiger Bereicherung zur Tat bestimmt worden ist. Er hat somit
nicht unbedacht und infolgedessen nicht aus Leichtsinn gehandelt. Seine
Verurteilung wegen Diebstahls nach Art. 137 StGB verletzt daher nicht
Bundesrecht.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.