Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 IV 86



92 IV 86

22. Urteil des Kassationshofes vom 10. Mai 1966 i.S. Walzer gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden. Regeste

    Art. 117 StGB; fahrlässige Tötung.

    Rechtserheblicher Kausalzusammenhang bei mitwirkenden Handlungen oder
Unterlassungen Dritter; Unterbrechung der Ursachenfolge verneint.

Sachverhalt

    A.- Am 14. August 1964 war X. mit Kollegen Gast im Berghaus
Niederbauen. Alkoholisiert (1,4é), begab er sich um 0.15 Uhr auf die
Toilette. Nach ca. 10 Minuten forderte ihn ein Kollege auf herauszukommen,
worauf X. erwiderte, er komme, sobald er sich besser fühle. Als er um
1.45 Uhr auf Klopfen und Rufen nicht antwortete, wurde die Toilette mit
dem Nachschlüssel geöffnet, X. gerüttelt und aufgefordert, ins Bett zu
gehen; er erklärte, man solle ihn in Ruhe lassen. Um 6.30 Uhr wurde er
tot in der Toilette aufgefunden.

    Die Untersuchung ergab, dass X. an einer Kohlenoxyd-Vergiftung
gestorben war. Die nur 2,96 m3 Rauminhalt aufweisende Toilette
besass weder Fenster noch sonstige Lüftung. Die Propangas-Beleuchtung
verbrauchte deshalb bei geschlossener Tür in kurzer Zeit die Luft, was
durch unvollständige Verbrennung die Bildung von tödlichem Kohlenmonoxyd
und Kohlendioxyd bewirkte.

    Es wurden zur Verantwortung gezogen der bauleitende Architekt Paul
Wolfisberg, weil er in der Toilette keine Lüftungsvorrichtungen hatte
anbringen lassen, und Ernst Walzer, Installateur der Gasbeleuchtung,
weil er diese ohne Lüftungseinrichtung in Betrieb gesetzt hatte.

    B.- Am 20. Oktober 1965 verurteilte das Kantonsgericht Nidwalden
Wolfisberg und Walzer wegen fahrlässiger Gefährdung durch Verletzung der
Regeln der Baukunde und fahrlässiger Tötung zu Bussen von Fr. 500.--
und Fr. 350.--.

    Das Obergericht bestätigte den Schuldspruch am 10. März 1966 und
erhöhte die Bussen für Wolfisberg auf Fr. 900.-- und für Walzer auf
Fr. 600.--.

    C.- Einzig Ernst Walzer führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag
auf Freisprechung von der Anklage der fahrlässigen Tötung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Durch das in diesem Punkte rechtskräftige Urteil des Obergerichts ist
erstellt, dass Walzer sich der fahrlässigen Gefährdung durch Verletzung
der Regeln der Baukunde schuldig gemacht hat. Hingegen bestreitet der
Beschwerdeführer, durch sein Verhalten gleichzeitig den Tatbestand der
fahrlässigen Tötung erfüllt zu haben. Nach dem angefochtenen Urteil steht
die Verletzung von Regeln der Baukunde in ursächlichem Zusammenhang mit
dem Tod von X. Diese Feststellung bindet den Kassationshof, soweit sie den
natürlichen Kausalzusammenhang betrifft (Art. 277 bis Abs. 1 BStP). Zu
prüfen bleibt die Rechtserheblichkeit der Ursachenfolge. Diese wird vom
Beschwerdeführer bestritten mit der Begründung, der Kausalzusammenhang
sei mehrfach unterbrochen worden. Einmal sei das ganze Berghaus von der
Baubehörde abgenommen und genehmigt worden; sodann habe die Bauherrschaft
in unvoraussehbarer Weise Toiletten ohne Lüftung erstellt; ferner habe
X. die Toilette "zweckentfremdend" benützt, indem er mehrere Stunden dort
verweilt sei; schliesslich seien die Kollegen von X. "ihrer minimalsten
Pflicht" diesem gegenüber nicht nachgekommen, sondern hätten ihn in
alkoholisiertem Zustand in dem kleinen Raum belassen.

    Zur Annahme des rechtserheblichen Kausalzusammenhangs ist nicht
erforderlich, dass die Pflichtwidrigkeit des Täters die alleinige und
unmittelbare Ursache des Erfolges sei (BGE 83 IV 18). Es genügt, dass sein
schuldhaftes Verhalten geeignet war, nach der Erfahrung des Lebens und
dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu den tatsächlich eingetretenen Folgen
zu führen. Dass dies in seinem Fall zutrifft, wird vom Beschwerdeführer
mit Recht nicht in Abrede gestellt, denn sein Inbetriebsetzen der
Gasbeleuchtung vor Bestehen einer Lüftung war objektiv geeignet, den Tod
eines Toilettenbenützers herbeizuführen.

    Von Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch die vom
Beschwerdeführer genannten Personen könnte nur die Rede sein, wenn die von
diesen gesetzten Mitursachen derart unsinnigem Verhalten zuzuschreiben
wären, dass nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge damit schlechthin
nicht hätte gerechnet werden müssen (BGE 84 IV 64 und dort angeführte
Entscheide). Das trifft nicht zu. Sowohl die Möglichkeit, dass der
Mangel an den Toiletten bestehe, wie auch dass er der Abnahmebehörde
entgehen könnte, lagen durchaus im Bereiche praktischer Erfahrung. Dem
Beschwerdeführer konnte nicht unbekannt sein, dass derartige Mängel
bei Gebäudeabnahmen häufig übersehen werden. Was den Mangel selbst
anbelangt, so hatte er ihn, wie von der Vorinstanz festgestellt und von
ihm ausdrücklich anerkannt ist, rechtzeitig bemerkt und sogar gerügt;
für ihn lag er also sicher nicht ausserhalb normalen Geschehens. Noch
ist es etwas Aussergewöhnliches, womit schlechterdings nicht hätte
gerechnet werden können, dass X. so lange auf der Toilette blieb. Es
kommt im Leben häufig vor, dass jemand, der angetrunken und unwohl ist,
sich lange Zeit auf dem WC aufhält. Im vorliegenden Fall kam überdies
fortschreitende Betäubung als höchst natürliche Folge sich steigernden
Sauerstoffmangels und Bildung von Kohlenoxyd hinzu. Von den Kollegen, die
sich nach den Feststellungen des Obergerichts wiederholt und nachdrücklich
um X. gekümmert haben, kann wahrlich nicht behauptet werden, sie hätten
ihn in unvoraussehbarer Weise einfach seinem Schicksal überlassen. Ob
vorauszusehen war, dass sich die Ereignisse bis in alle Einzelheiten
genau so abwickeln würden, wie sie sich tatsächlich abgespielt haben,
ist für den rechtserheblichen Kausalzusammenhang sowenig von Belang wie
für das Verschulden (BGE 81 IV 255, 84 IV 64, 86 IV 155, 87 IV 159).

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.