Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 IV 57



92 IV 57

15. Auszug aus dem Entscheid der Anklagekammer vom 8. März 1966
i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Instruktionsrichter von
Leuk und Westlich Raron. Regeste

    1.  Art. 221 MStG, Art. 264 BStP. Überträgt das Eidgenössische
Militärdepartementdie Gerichtsbarkeitden bürgerlichenBehörden, ohne
ein bestimmtes Gericht zu bezeichnen, so kann für die Bestimmung des
interkantonalen Gerichtsstandes die Anklagekammer des Bundesgerichts
angerufen werden.

    2.  Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. Erhebungen der bürgerlichen Behörden,
die in einer an sich der Militärgerichtsbarkeit unterstehenden Sache
vorgenommen wurden, bevor ein Beschluss nach Art. 221 MStG auf Übertragung
der Gerichtsbarkeit an die bürgerlichen Behörden gefasst worden ist,
fallen bei der Bestimmung des Gerichtsstandes des Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2
StGB ausser Betracht.

Sachverhalt

    A.- Zurbuchen entwendete am 26./27. September 1965 in Courtételle
ein Motorfahrzeug zum Gebrauch.

    Als er später im Militärdienst stand, eignete er sich am Abend des 7.
November 1965 in Tavannes (BE) das Motorfahrzeug einer Zivilperson zum
Gebrauche an und stahl einen Radioapparat, der sich in diesem Wagen befand.
Am folgenden Morgen verliess er unerlaubterweise die Truppe und stahl
in einem Bauernhaus einen Kittel, worauf er seinen Waffenrock irgendwo
zurückliess, während er die Militärhose auch noch trug, nachdem seine
Truppe am 13. November entlassen worden war.

    In der Folge trieb er sich bis zu seiner Verhaftung am 6. Dezember
1965 in verschiedenen Kantonen herum, wobei er mehrere Motorfahrzeuge
zum Gebrauch entwendete. Ausserdem stahl er am 14. November in La Tourne
(NE) aus einem Ferienhaus einige Gebrauchsgegenstände, und am Tage darauf
betrog er in Grandson (VD) einen Pfarrer um Fr. 20.-. Am 18. November
brach er in Susten bei Leuk (VS) in den Laden des Konsumvereins ein und
stahl daselbst Esswaren. Am 24. November beging er eine gleichartige Tat
in einem Laden in Gümligen (BE). Ferner stahl er an den folgenden Tagen in
verschiedenen nicht näher bekannten Ortschaften Harasse und leere Flaschen,
die er verkaufte.

    B.- Der Untersuchungsrichter des Divisionsgerichts 2, der gegen
Zurbuchen eine Voruntersuchung wegen unerlaubter Entfernung (Art.
84 MStG), Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch (Art. 94 SVG),
Diebstahls (Art. 129 MStG) und Missbrauchs und Verschleuderung von Material
(Art. 73 MStG) führte, beantragte dem Oberauditor, die Gerichtsbarkeit
zur Verfolgung dieser Verbrechen und Vergehen den bürgerlichen
Gerichten zu übertragen. Am 12. Januar 1966 entsprach der Vorsteher des
eidgenössischen Militärdepartementes diesem Antrag und liess die Akten
dem Untersuchungsrichter 4 von Bern überweisen, der gegen Zurbuchen eine
Voruntersuchung wegen des Diebstahls in Gümligen eröffnet hatte.

    C.- Der Generalprokurator des Kantons Bern ersucht die Anklagekammer
des Bundesgerichts, die Behörden des Kantons Wallis zur Verfolgung und
Beurteilung der Zurbuchen zur Last gelegten Taten zuständig zu erklären.

    Der Instruktionsrichter von Leuk und Westlich-Raron beantragt, das
Gesuch abzuweisen und die Behörden des Kantons Bern zuständig zu erklären.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Wird die Verfolgung und Beurteilung von strafbaren Handlungen,
die der Militärgerichtsbarkeit unterstehen, vom Eidgenössischen
Militärdepartement in Anwendung von Art. 221 MStG und Art. 16 lit. c der
Verordnung über die Militärstrafrechtspflege vom 29. Januar 1954 einem
bestimmten bürgerlichen Gericht übertragen, so ist nach der Rechtsprechung
der Anklagekammer diese Gerichtsstandsbestimmung auch für die bürgerlichen
Straffälle verbindlich, die mit den militärischen zusammentreffen, und es
kann die Verfügung des Militärdepartements nur durch Verwaltungsbeschwerde
beim Bundesrat, nicht bei der Anklagekammer des Bundesgerichts angefochten
werden (BGE 81 IV 265 ff.). Im gleichen Sinne hat auch der Bundesrat
entschieden (Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden, 1956 Nr. 75).

    Zu dieser Rechtsprechung braucht nicht Stellung genommen zu
werden. Das Eidgenössische Militärdepartement hat im vorliegenden
Falle die Gerichtsbarkeit den bürgerlichen Gerichten übertragen, ohne
den Gerichtsstand zu bestimmen. Es erliess die Verfügung "conformément
à la proposition du juge d'instruction du Tribunal de division 2", und
dementsprechend lautet der Entscheid lediglich: "Le jugement de toutes les
infractions est déféré au tribunal ordinaire". Der Untersuchungsrichter
des Divisionsgerichts 2 hatte in seinem Antrag ausdrücklich darauf
hingewiesen, der Untersuchungsrichter 4 von Bern, der die Vereinigung
der beiden Untersuchungen ebenfalls für notwendig halte, werde seine
Strafakten dem Generalprokurator des Kantons Bern überweisen, der den
bürgerlichen Strafgerichtsstand noch werde bestimmen müssen. Der am Fusse
des Delegationsentscheides angebrachte Vermerk, dass die Verfügung mit
den militärgerichtlichen Akten zum Vollzug an den Untersuchungsrichter von
Bern zu überweisen sei, bedeutet daher nicht, dass das Militärdepartement
die Behörden von Bern als örtlich zuständig bezeichnen wollte, sondern
die Überweisung kann nur den Sinn haben, dass der Untersuchungsrichter
von Bern die weiteren Schritte zur Ermittlung des örtlich zuständigen
Gerichts veranlassen sollte.

    Auf das Gesuch des Generalprokurators des Kantons Bern ist daher
einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Wird jemand wegen mehrerer strafbarer Handlungen verfolgt,
die er an verschiedenen Orten begangen hat, so befindet sich für alle
der Gerichtsstand dort, wo wegen einer der mit der schwersten Strafe
bedrohten Taten die Untersuchung zuerst angehoben worden ist (Art. 350
Ziff. 1 StGB). Untersuchungen, die nur mit milderer Strafe bedrohte
Handlungen betreffen, begründen den Gerichtsstand des Art. 350 StGB nicht
(BGE 71 IV 169 und ständige Rechtsprechung). In der vorliegenden Sache
sind daher die mit Gefängnis als Höchststrafe bedrohten Taten (Entwendung
von Motorfahrzeugen zum Gebrauch, Unerlaubte Entfernung, Missbrauch und
Verschleuderung von Material) nicht in Betracht zu ziehen. Die Diebstähle
(Art. 137 Ziff. 1 StGB, Art. 129 Ziff. 1 MStG) und der Betrug (Art. 148
Abs. 1 StGB) werden mit Zuchthaus bedroht.

Erwägung 3

    3.- Der Gerichtsstand der ersten Untersuchungshandlung kann nur in
einem Kanton begründet werden, dem an sich in der betreffenden Sache die
Gerichtsbarkeit zusteht, nicht aber in einem Kanton, dessen Behörden sich
vorläufig mit einer Sache befassen, die, für sich allein betrachtet,
in einem andern Kanton verfolgt werden müsste (BGE 72 IV 95, 73 IV
59). Daher fallen auch Erhebungen der bürgerlichen Behörden in einer an
sich der Militärgerichtsbarkeit unterstehenden Sache bei der Bestimmung des
Gerichtsstandes des Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ausser Betracht, wenn sie
vorgenommen wurden, bevor ein Beschluss nach Art. 221 MStG auf Übertragung
der Gerichtsbarkeit an die bürgerlichen Behörden gefasst worden ist;
der Delegationsbeschluss wirkt nicht auf den Zeitpunkt zurück, in dem die
bürgerliche Behörde vorläufige Erhebungen traf. Es ist deshalb unerheblich,
dass der in der Nacht vom 7./8. November 1965 verübte Diebstahl an einem
Radioapparat am folgenden Tag dem Kantonspolizeiposten von Tavannes
angezeigt wurde und erst später Gegenstand der militärgerichtlichen
Voruntersuchung bildete.

    Von den anderen mit der schwersten Strafe bedrohten Taten wurde zuerst
der in Susten begangene Diebstahl in Untersuchung gezogen. Es sind daher
die Behörden des Kantons Wallis zuständig, Zurbuchen für alle ihm zur
Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen.