Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 IV 184



92 IV 184

47. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. Dezember 1966
i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Zysset. Regeste

    Art. 61 Abs. 1 StGB, Art. 102 Ziff. 2 SVG.

    1.  Angetrunkenheit am Steuer ist ein so häufiges und gefährliches
Vergehen, dass die Veröffentlichung des Urteils zur Abschreckung sowohl
des fehlbaren Fahrers wie der übrigen Strassenbenützer im öffentlichen
Interesse geboten sein kann (Erw. 1).

    2.  Die Bestimmungen des Art. 102 Ziff. 2 SVG wollen den Art. 61 Abs. 1
StGB nicht einschränken, sondern vielmehr ergänzen, um zu verdeutlichen,
wann auf dem Gebiete des Strassenverkehrsrechtes das öffentliche Interesse
an der Veröffentlichung des Strafurteils schon von Gesetzes wegen zu
bejahen ist (Erw. 2).

    3.  Dass Art. 102 Ziff. 2 lit. b SVG sich auf Rückfälle von
Angetrunkenheit am Steuer bezieht, schliesst nicht aus, Vorstrafen wegen
solcher Vergehen unter dem Gesichtspunkt von lit. a ebenfalls Rechnung
zu tragen (Erw. 3).

    4.  Wer trunksüchtig ist, gehört überhaupt nicht ans Steuer (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Othmar Zysset, geb. 1934, ist Tankwart und Chauffeur von Beruf. Von
1952 bis 1964 musste er vierzehnmal, meistens wegen Übertretung von
Verkehrsvorschriften gebüsst werden. Zudem wurde er dreimal insbesondere
wegen Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustande verurteilt,
1957 zu 20 Tagen Haft und 150 Franken Busse, 1958 zu zwei Monaten Gefängnis
und 100 Franken Busse, 1959 zu einem Monat Gefängnis und 20 Franken Busse.

    Am 26. August 1965 fuhr Zysset mit einem Personenwagen von seinem
Wohnort Münsingen nach Bern, wo er nach 16 Uhr mehrere Wirtshäuser
aufsuchte und vor allem Bier trank. Gegessen hat er den ganzen Tag
angeblich nichts. Um Mitternacht wollte er nach Hause fahren. Er setzte
sich in der Metzgergasse ans Steuer seines Wagens und fuhr, ohne die
Scheinwerfer einzuschalten, weg. Nach kurzer Fahrt wurde er von der
Polizei angehalten. Da sein Zustand auf Trunkenheit schliessen liess,
hatte er sich einer Blutprobe zu unterziehen, die eine Alkoholkonzentration
von 2,22 Gewichtspromille ergab.

    B.- Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte am 1.  Februar 1966
Zysset wegen Fahrens in angetrunkenem Zustande und ohne Licht zu drei
Monaten Gefängnis.

    Den Antrag des öffentlichen Anklägers auf Veröffentlichung des Urteils
lehnte das Obergericht ab. Es hält dafür, dass der Angeklagte zwar
vorsätzlich und daher zweifellos rücksichtslos gehandelt habe. Dieser
Vorwurf treffe jedoch angetrunkene Fahrer überhaupt, wenn sie sich, wie
Zysset, bewusst vergingen. Hingegen könne dem Angeklagten keine besondere
Rücksichtslosigkeit im Sinne von Art. 102 Ziff. 2 lit. a SVG zur Last
gelegt werden, da er nur wenige Meter weit gefahren sei. Dass er bereits
drei Vorstrafen wegen Angetrunkenheit am Steuer aufweise, ändere nichts,
denn für die Beantwortung der Frage, ob besondere Rücksichtslosigkeit
vorliege, sei allein der zur Beurteilung stehende Vorfall massgebend. Die
wiederholte Begehung genüge für die Veröffentlichung des Urteils nur, wenn
der Verurteilte innert 5 Jahren rückfällig werde, d.h. die Voraussetzung
des Art. 102 Ziff. 2 lit. b SVG gegeben sei, was hier nicht zutreffe.

    C.- Der Generalprokurator des Kantons Bern führt
Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt dem Bundesgericht, das Urteil
des Obergerichts insoweit aufzuheben, als es die Veröffentlichung
verweigere, und die Sache zur Anordnung dieser Massnahme an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    D.- Zysset beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 61 Abs. 1 StGB ordnet der Richter die Veröffentlichung
eines Strafurteils unter anderem dann an, wenn sie im öffentlichen
Interesse geboten ist. Dieses Interesse an der Veröffentlichung kann
darin bestehen, den Verurteilten mit einem zusätzlichen Mittel von der
Wiederholung der Verfehlung abzuhalten und damit die Allgemeinheit
in Zukunft vor ihm zu schützen. Es kann aber auch darin liegen,
andere Personen von der Begehung gleicher oder ähnlicher Straftaten
abzuschrecken. Diesfalls muss allerdings die allgemeine Abschreckung
wegen der Häufigkeit, mit der Verbrechen oder Vergehen der betreffenden
Art begangen werden, oder wegen der Umstände des einzelnen Falles in
besonderem Masse nötig sein, da sonst das Gesetz die Veröffentlichung
ohne Einschränkung zuliesse (BGE 78 IV 15).

    Angetrunkene Fahrer schaffen für andere Verkehrsteilnehmer schwere
Gefahren, weil ihre Leistungs- und Beurteilungsfähigkeit spätestens
bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 Gewichtspromille, der heute als
allgemeingültiger Grenzwert gilt, eindeutig abnimmt. Diese Tatsache ist
ernst zu nehmen, zumal im heutigen Verkehr vielfach schon der nüchterne
Fahrer überfordert ist (BGE 90 IV 160 ff.). Angetrunkenheit am Steuer
führt denn auch immer wieder zu schweren Unfällen. Dazu kommt, dass es
sich dabei um ein sehr häufiges Vergehen handelt. Nach der Schweizerischen
Kriminalstatistik mussten 1962 und 1964 jährlich über 5000, im Jahre
1963 sogar mehr als 6400 Fahrer wegen Führens eines Motorfahrzeuges
in angetrunkenem Zustande bestraft werden. Zu bedenken ist ferner,
dass das Vergehen in vielen Fällen, die der Strafverfolgung entgehen,
ungeahndet bleibt. Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass in Fällen
von Verurteilungen die Veröffentlichung des Entscheides nicht bloss
zur Abschreckung des fehlbaren Fahrers, sondern auch der übrigen
Strassenbenützer im öffentlichen Interesse geboten sein kann.

Erwägung 2

    2.- Den gleichen Zwecken dienen auch die Vorschriften des Art. 102
Ziff. 2 SVG. Sie bestimmen, dass der Richter die Veröffentlichung
des Strafurteils nach Art. 61 StGB anordnen soll, wenn der Verurteilte
besondere Rücksichtslosigkeit an den Tag gelegt hat (lit. a) oder wenn
er innert fünf Jahren mehr als einmal wegen Führens eines Motorfahrzeuges
in angetrunkenem Zustand bestraft wird (lit. b).

    In welchem Verhältnis diese Normen zu Art. 61 Abs. 1 StGB stehen,
sagt das Strassenverkehrsgesetz nicht ausdrücklich, ergibt sich jedoch
aus dessen Entstehungsgeschichte. Die Gerichte übten in der Anwendung
des Art. 61 StGB grosse Zurückhaltung. Dieser Umstand veranlasste den
Gesetzgeber, in Art. 102 Ziff. 2 SVG zwei Fälle von Verkehrsstrafhandlungen
hervorzuheben, in denen er die öffentliche Blosstellung des Täters immer
für gerechtfertigt hält und der Richter fortan davon auszugehen hat, dass
die Öffentlichkeit an der Bekanntgabe des Urteils stets interessiert
ist. Der Gesetzgeber wollte damit erreichen, dass angesichts der
Leichtfertigkeit, mit der einzelne im Verkehr immer wieder Menschenleben
aufs Spiel setzen, vom Abschreckungsmittel der Urteilsveröffentlichung
vermehrt Gebrauch gemacht werde (s. Botschaft des Bundesrates zum Entwurf
eines Bundesgesetzes über den Strassenverkehr vom 24. Juni 1955, BBl 1955
II 66). Daraus erhellt, dass die Bestimmungen des Art. 102 Ziff. 2 SVG
den Art. 61 Abs. StGB nicht einschränken, sondern vielmehr ergänzen wollen,
um zu verdeutlichen, wann auf dem Gebiete des Strassenverkehrsrechtes das
öffentliche Interesse an der Veröffentlichung des Strafurteils schon von
Gesetzes wegen zu bejahen ist, die Massnahme folglich angeordnet werden
muss (vgl. SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des SVG, S. 100 ff. und dort
angeführtes Schrifttum). Fehlen die besonderen Voraussetzungen des SVG,
so heisst das somit nicht, dass die Urteilsveröffentlichung dann auch
gemäss StGB zu unterbleiben habe.

Erwägung 3

    3.- a) Das Vorleben des Beschwerdegegners ist, wie insbesondere seine
drei Vorstrafen wegen Angetrunkenheit am Steuer zeigen, schwer belastet
(was näher ausgeführt wird). Dazu kommt, dass dem Zysset infolge dieser
Vergehen jeweils der Führerausweis entzogen worden ist, das erste Mal
für drei Monate, das zweite und dritte Mal für unbestimmte Zeit. Da
er sich zur Abstinenz verpflichtete und fürsorgerisch betreuen liess,
gab ihm das Strassenverkehrsamt 1961 nachsichtigerweise den Ausweis auf
Begehren hin nochmals zurück, um ihm in seinem Beruf das Fortkommen zu
erleichtern. Dagegen verweigerte es ihm 1964 einen Führerausweis für den
Personentransport mit schweren Motorwagen, weil Zysset sich inzwischen
wiederholt über die Abstinenzverpflichtung hinweggesetzt hatte.

    b) All diese Vorgänge vermochten den Beschwerdegegner am 26. August
1965, als er mit einem Personenwagen nach Bern fuhr, nicht davon
abzuhalten, sich wieder sinnlos zu betrinken. Obschon er wusste, dass er
nachher den Wagen führen werde, suchte er zwischen 16 Uhr und Mitternacht
mindestens sechs Wirtshäuser auf, um sich dem Trunke hinzugeben. Vor
einer beabsichtigten Heimfahrt als Automobilist einen solchen Pintenkehr
zu unternehmen, war in hohem Masse verwerflich und verantwortungslos. Das
gilt umsomehr, als Zysset im Verlaufe des Abends Gelegenheit genug hatte,
sich nicht nur an die Ursachen und Folgen seiner frühern Vergehen zu
erinnern, sondern sich auch über die schädlichen Auswirkungen übermässigen
Alkoholgenusses auf die Fahrsicherheit und über die schweren Gefahren,
die betrunkene Fahrzeugführer für andere Verkehrsteilnehmer schaffen,
Rechenschaft zu geben. Er war sich übrigens nach seinen eigenen Erfahrungen
durchaus im klaren, dass er im angetrunkenen Zustand kein Motorfahrzeug
lenken durfte. Wenn er sich dennoch erheblich betrank und mit einem
Alkoholgehalt von 2,22 Promille, d.h. einem ziemlich schweren Rausch,
ans Steuer zu setzen wagte, um mit dem Wagen nach Münsingen zu fahren,
so zeugt das von einer besonders rücksichtslosen und gewissenlosen
Einstellung andern Strassenbenützern gegenüber.

    Dass er bereits nach kurzer Fahrt von der Polizei angehalten wurde,
hilft über diese Einstellung des Beschwerdegegners nicht hinweg. Wie die
Vorinstanz selber feststellt, hatte Zysset die Absicht, nach Hause zu
fahren, wobei er andere Verkehrsteilnehmer wegen seines Rauschzustandes
vor allem auf der gefährlichen Strecke von Bern nach Münsingen schwer
gefährdet hätte. Dazu kam es aber nur deshalb nicht, weil die Polizei
rechtzeitig auf ihn aufmerksam wurde. Das Obergericht geht auch insofern
fehl, als es glaubt, den Vorfall vom 26. August 1965 losgelöst von den
früheren Fällen würdigen zu müssen. Es ist eine höchst natürliche, ja
gewollte Wirkung, dass Strafen und Massnahmen mit all ihren Folgen dem
Fehlbaren für immer zur Warnung werden. An solchen Warnungen hat es dem
Beschwerdegegner gegenüber wahrlich nicht gefehlt.

    c) Die Vorinstanz meint freilich, die wiederholte Begehung spiele
für die Urteilspublikation nur in dem Falle eine Rolle, den Art. 102
Ziff. 2 lit. b SVG regle, da diese Bestimmung sonst überflüssig würde
und die darin enthaltene Frist von fünf Jahren keinen Sinn mehr hätte.
Sie irrt. Art. 102 Ziff. 2 lit. b SVG setzt nicht voraus, dass der Fahrer
rücksichtslos handle. Selbst eine zweimalige Angetrunkenheit am Steuer
braucht nicht notwendig besondere Rücksichtslosigkeit zu offenbaren. Dies
wird zum Beispiel dann zu verneinen sein, wenn ein nur leicht angetrunkener
Motorfahrzeugführer im Bewusstsein seines Zustandes äusserst vorsichtig
fährt, um irgendwelchen Unfallzu vermeiden. Auch in einem solchen Falle
hat der Richter jedoch die Urteilspublikation anzuordnen, wenn der Fahrer
innert fünf Jahren rückfällig geworden ist. Legt der Motorfahrzeugführer
dagegen eine besondere Rücksichtslosigkeit an den Tag, so ist die Massnahme
gemäss Art. 102 Ziff. 2 lit. a SVG schon bei erstmaliger Begehung und ohne
Rücksicht darauf, ob und allenfalls in welchem Grade er angetrunken sei,
anzuordnen (BGE 91 IV 35 f.).

    Schon daraus erhellt, dass die beiden Bestimmungen verschiedene
Fälle regeln. An ihrer selbständigen Bedeutung ändert auch nichts,
dass lit. b sich auf Rückfälle von Angetrunkenheit innert fünf Jahren
bezieht. Das schliesst nicht aus, Vorstrafen wegen solcher Vergehen unter
dem Gesichtspunkt von lit. a ebenfalls Rechnung zu tragen. Wie sehr
dies sachlich gerechtfertigt sein kann, zeigt gerade der vorliegende
Fall. Wer sich, wie Zysset, erneut in einem Rauschzustand ans Steuer
setzt, um sich mit dem Wagen auf eine verkehrsreiche Strasse zu begeben,
schon früher mehrere Warnungen in den Wind geschlagen und das Vertrauen,
das ihm durch mehrmalige Rückgabe des Führerausweises bekundet wurde,
wiederholt schwer enttäuscht hat, der verdient den Vorwurf besonderer
Rücksichtslosigkeit auch dann, wenn seine letzte Verurteilung wegen
Betrunkenheit am Steuer mehr als fünf Jahre zurückliegt. Es besteht,
wie der Beschwerdeführer mit Recht einwendet, kein innerer Grund,
ihn anders zu behandeln als denjenigen, der sich bloss einmal schwer
vergeht. Ebensowenig ist ersichtlich, weshalb der Beschwerdegegner, der
innert acht Jahren nun zum vierten Mal wegen Fahrens in angetrunkenem
Zustand zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, milder beurteilt
werden sollte als ein Fahrer, der wegen des gleichen Vergehens innert
fünf Jahren ein zweites Mal bestraft wird.

Erwägung 4

    4.- Der angefochtene Entscheid, der auf der Annahme beruht,
dem Beschwerdegegner könne keine besondere Rücksichtslosigkeit
vorgeworfen werden, ist daher aufzuheben und die Sache zur Anordnung
der Urteilsveröffentlichung gemäss Art. 102 Ziff. 2 lit. a SVG an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Die Voraussetzungen zur Veröffentlichung
wären übrigens auch gemäss Art. 61 Abs. 1 StGB gegeben. Dass Zysset durch
die Massnahme unter Umständen hart getroffen wird, hätte er rechtzeitig
bedenken sollen; die gesetzlichen Folgen seines Verhaltens können ihm
deswegen nicht erspart werden. Und seine Neigung zum Trinken als psychische
Krankheit abtun zu wollen, steht dem Beschwerdegegner, nachdem er sich
immer wieder um die Rückgabe des Führerausweises bemüht hat, schlecht
an. Wenn er trunksüchtig ist, gehörte er sowieso nicht ans Steuer.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil
aufgehoben, soweit es die Urteilspublikation verweigert, und die Sache
zur Anordnung dieser Massnahme an die Vorinstanz zurückgewiesen.