Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 IV 107



92 IV 107

28. Urteil des Kassationshofes vom 13. Juni 1966 i.S. Born gegen
Statthalteramt des Bezirkes Zürich. Regeste

    Art. 91 der eidgenössischen Fleischschauverordnung.

    Gesetzmässigkeit der Vorschrift, dass Räume, in denen Fleisch und
Fleischwaren verkauft werden, vor ihrer Inbetriebnahme behördlich zu
genehmigen sind.

Sachverhalt

    A.- Die Gesundheitsbehörde von Schlieren erteilte am 20.  November
1961 der Import und Grosshandels AG in Zürich für das Verkaufslokal
der Dennerfiliale am Kesslerplatz in Schlieren die Bewilligung zum
Verkauf aller Fleischwaren, die in Art. 88 lit. a-e der eidgenössischen
Fleischschauverordnung (EFV) aufgeführt sind und nach dieser Bestimmung
in Lebensmittelgeschäften mit entsprechender Ausstattung geführt werden
dürfen (Konserven, Dauerfleischwaren, begrenzt haltbare Fleischwaren,
tiefgekühltes Fleisch und Fleischwaren jeder Art in verkaufsfertigen
Kleinpackungen). Nachträglich stellte sich heraus, dass in dieser Filiale
auch offenes, nicht abgepacktes Frischfleisch verkauft wurde, das nur
in Räumen geführt werden darf, welche die an Metzgereiverkaufsräume
gestellten Anforderungen erfüllen, und wozu es nach Art. 91 EFV einer
vorgängigen behördlichen Genehmigung der Räume bedarf, die von der Import
und Grosshandels AG nicht eingeholt worden war. Die Gesundheitsbehörde
verbot hierauf durch Verfügungen vom 1., 6. und 10. April 1964 den Verkauf
von nicht abgepacktem Frischfleisch im erwähnten Verkaufslokal. Dieser
wurde indessen weitergeführt. Das Statthalteramt des Bezirkes Zürich und
der Regierungsrat des Kantons Zürich wiesen den gegen das Verkaufsverbot
erhobenen Rekurs ab, der Regierungsrat mit Entscheid vom 30. Juli 1964.

    B.- Am 27. Januar 1965 erklärte das Statthalteramt des Bezirkes
Zürich Jean Born als Generaldirektor der Import und Grosshandels AG und
der Denner Vereinigte Filialunternehmen AG der Übertretung von Art. 91
EFV schuldig und büsste ihn mit Fr. 250.--.

    Auf Einsprache des Gebüssten hob der Einzelrichter in Strafsachen des
Bezirksgerichts Zürich am 28. Mai 1965 die Strafverfügung auf und sprach
Born frei.

    Gegen diesen Freispruch legte das Statthalteramt des Bezirkes Zürich
Berufung beim Obergericht des Kantons Zürich ein. Dieses verurteilte Born
am 3. Februar 1966 gestützt auf Art. 41 LMG und Art. 117 EFV zu einer
Busse von Fr. 250.--, weil vor Aufnahme des Verkaufs von Frischfleisch
entgegen Art. 91 Abs. 1 und 2 EFV keine behördliche Genehmigung der Räume
eingeholt worden war.

    C.- Born führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, es sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an das
Obergericht zurückzuweisen. Bestritten wird einzig die Gesetzmässigkeit des
Art. 91 EFV, indem geltend gemacht wird, der Bundesrat sei nicht befugt
gewesen, auf dem Verordnungsweg die vorgängige behördliche Genehmigung
der Räume vorzuschreiben.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Grundlage der eidgenössischen Fleischschauverordnung (EFV) ist Art.
54 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und
Gebrauchsgegenständen (LMG), der den Bundesrat beauftragt, die nötigen
Vorschriften zum Schutze der Gesundheit und zur Verhütung von Täuschungen
im Verkehr mit Waren und Gegenständen, die den Bestimmungen dieses Gesetzes
unterliegen, zu erlassen.

    a) Ob diese Delegationsnorm und der auf sie gestützte Art. 91 EFV
verfassungsmässig seien, ist nicht zu entscheiden. Das Bundesgericht
ist gemäss Art. 113 Abs. 3 und Art. 114 bis Abs. 3 BV an die von der
Bundesversammlung erlassenen Gesetze gebunden und hat sich auch an die
Vollziehungsverordnungen zu halten, soweit sie in den Grenzen der dem
Bundesrat im Gesetz erteilten Gesetzgebungskompetenz bleiben; in diesem
Umfange nehmen sie an der Verbindlichkeit des Gesetzes teil. Sie können
nur daraufhin überprüft werden, ob sie über den Rahmen der Ermächtigung
hinausgehen (BGE 84 IV 75; 87 IV 33; 87 I 321, 435; 88 I 279). Daher ist
nicht zu untersuchen, ob die Vorschrift des Art. 91 EFV, nach der die
Benützung der zum Verkauf von Fleisch und Fleischwaren bestimmten Räume
vorher behördlich zu genehmigen ist, mit dem Grundsatz der Handels- und
Gewerbefreiheit und mit andern Grundsätzen des schweizerischen Staatsrechts
vereinbar sei (vgl. BGE 75 IV 79 Erw. 1; 76 IV 290 Erw. 1).

    b) Art. 54 Abs. 1 LMG bestimmt bloss den Zweck, den die zu erlassenden
Ausführungsvorschriften zu verfolgen haben, und überlässt es dem Ermessen
des Bundesrates, über Art und Umfang der Massnahmen zu befinden, die er zur
Erreichung des gesetzten Zieles für geeignet und nötig hält. Da der Richter
nicht sein Ermessen an die Stelle jenes des Bundesrates treten lassen
kann (BGE 88 I 281 Erw. 1), hat er sich auf die Prüfung zu beschränken,
ob sich der Bundesrat mit dem Erlass von Art. 91 EFV eines Mittels bedient
habe, das objektiv geeignet ist, den durch Art. 54 Abs. 1 LMG verfolgten
Zweck zu erreichen, d.h. ob die vorgängige Genehmigung der für den
Fleischverkauf bestimmten Räume überhaupt zum Schutze der Gesundheit oder
zur Verhütung von Täuschungen im Verkehr dienen kann. Ob die umstrittene
Verordnungsvorschrift zur Erreichung des gesetzlichen Zweckes auch nötig
und das geeignetste Mittel sei, steht dagegen nicht zur Entscheidung (BGE
75 IV 79 Erw. 2; 76 IV 290 Erw. 2; 84 IV 77; 85 IV 71; 87 IV 34 Erw. 2).

    In Art. 75 ff. EFV werden die Anforderungen näher umschrieben,
denen die zum Verarbeiten, Herstellen, Lagern und Verkauf von Fleisch
und Fleischwaren bestimmten Räume hinsichtlich ihrer Lage, Grösse, ihres
baulichen Zustandes, ihrer Ausstattung und Einrichtungen entsprechen
müssen. Mit diesen Vorschriften will die Frische und Haltbarkeit
des Fleisches und der Fleischwaren sowie deren Nähr- und Genusswert
gewährleistet und verhindert werden, dass dieses Nahrungsmittel schädlichen
Einflüssen wie Staub, Ungeziefer, Verunreinigungen jeder Art und andern
nachteiligen Einwirkungen ausgesetzt und in unzuträglichem oder verdorbenem
Zustande in Verkehr gebracht wird. Es versteht sich von selbst, dass der
Schutz der Gesundheit, den diese Verordnungsvorschriften bezwecken, umso
wirksamer ist, je nachhaltiger diesen nachgelebt wird. Es liegt daher
im Interesse der Gesundheit, dass die Räume auf die vorgeschriebenen
Anforderungen hin schon vor der Aufnahme des Betriebes amtlich geprüft
werden, nicht erst nachträglich, wenn mit dem Inverkehrbringen von Fleisch
und Fleischwaren bereits begonnen wurde. Die vorgängige Genehmigung der
Räume erlaubt, allfällige Mängel zu beheben, bevor sie sich auf Fleisch
und Fleischwaren nachteilig auswirken. Wird dagegen die Kontrolle erst
nach Inbetriebnahme der Räume vorgenommen, so besteht die Gefahr, dass
gegen Mängel erst nach bereits eingetretenen gesundheitlichen Schädigungen
eingeschritten wird, womit den Betroffenen wenig geholfen ist.

    Die beanstandete vorgängige Prüfung der Räume dient somit unzweifelhaft
dem in Art. 54 Abs. 1 LMG angestrebten Schutz der Gesundheit, und
infolgedessen wird Art. 91 EFV, für sich allein betrachtet, durch die
Delegationsnorm gedeckt.

Erwägung 2

    2.- Fragen kann sich nur noch, ob andere besondere Bestimmungen des
Lebensmittelgesetzes die Anordnung einer vorgängigen Genehmigung der Räume
verbieten. Das wäre der Fall, wenn diese Frage im Gesetz abschliessend
in dem Sinne geregelt worden wäre, dass nur eine nachträgliche Prüfung
zulässig sei. Davon kann aber nicht die Rede sein.

    Es trifft zwar zu, dass Art. 11 Abs. 1 LMG die vorgängige Genehmigung
der Räume und Einrichtungen, die dem Verkehr mit Lebensmitteln und
andern dem Lebensmittelgesetz unterstellten Gegenständen dienen, nicht
vorsieht, sondern davon ausgeht, dass die Prüfung nach der Aufnahme
des Betriebes durchgeführt werde; denn die Bestimmung erklärt, dass
den Aufsichtsbehörden die Befugnis zur Besichtigung der Räumlichkeiten,
Apparate, Gefässe und Vorrichtungen während den üblichen Geschäftsstunden
oder während der Zeit, da die Räumlichkeiten dem Verkehr geöffnet sind,
zustehe. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass das Gesetz die vorgängige
Prüfung allgemein ausschliessen und den Bundesrat daran hindern wolle, sie
auf Gebieten, wo es erforderlich erscheint, später einzuführen. Auch die
Gesetzesmaterialien bieten hiefür keine Anhaltspunkte. Die Auffassung des
Beschwerdeführers, dass der Bundesrat ohne ausdrückliche Ermächtigung keine
vom Gesetz abweichende Verordungsvorschrift erlassen dürfe, steht zudem im
Widerspruch zu den Überlegungen, von denen sich der Gesetzgeber beim Erlass
des Lebensmittelgesetzes leiten liess und auf die zurückzuführen ist, dass
Art. 54 Abs. 1 LMG den Bundesrat nicht bloss mit dem Vollzug des Gesetzes
betraut, sondern ihm darüber hinaus sehr weitgehende Verordnungskompetenzen
einräumt. Wie schon in der Botschaft des Bundesrates vom 28. Februar 1899
hervorgehoben wurde, war man bestrebt, das Lebensmittelgesetz so einfach
und so kurz als möglich zu fassen, weil man schon damals die Notwendigkeit
einer Anpassung der Vorschriften an die rasch wechselnden Verhältnisse,
insbesondere an den jeweiligen Stand der Wissenschaft, Technik und des
Verkehrs voraussah und erkannte, dass das Verfahren einer Gesetzesrevision
zu umständlich und zu zeitraubend ist, als dass mit der Entwicklung ständig
Schritt gehalten werden könnte, und dass dieses Ziel nur auf dem Wege der
Verordnung erreicht werden kann (BBl 1899 I 615, 633). Der Auffassung
des Bundesrates, dass im Gesetz selber nur der Rahmen, namentlich die
Organisation der Beaufsichtigung des Lebensmittelverkehrs festgelegt,
der Inhalt der materiellen Bestimmungen aber im Interesse einer raschen
Anpassung der Gesetzgebung an veränderte Verhältnisse durch bundesrätliche
Verordnungen näher geordnet werden sollte, schlossen sich nach anfänglichen
Bedenken auch die eidgenössischen Räte an (so schon BGE 39 I 412 mit
Hinweisen auf das stenographische Bulletin der Bundesversammlung).
Demnach ist ohne Belang, dass im bundesrätlichen Entwurf (Art. 9 Abs. 2
und 3) und in der Gesetzesberatung von einer vorgängigen Prüfung der
Räume noch nicht die Rede war. Seit Erlass des Lebensmittelgesetzes im
Jahre 1905 sind nicht nur auf dem Gebiete der Herstellung, Behandlung
and Aufbewahrung der Lebensmittel umwälzende Neuerungen eingetreten,
sondern auch in der Hygiene auf Grund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse
erhebliche Fortschritte erzielt worden. Dementsprechend wurde auch an die
im Lebensmittelhandel zu ergreifenden gesundheitspolizeilichen Massnahmen
ein immer strengerer Masstab angelegt. Wenn es daher der Bundesrat im
Jahre 1957 für geboten erachtete, auf dem besonders empfindlichen Gebiet
des Fleisches und der Fleischwaren die Räume und Einrichtungen einer
vorgängigen Kontrolle zu unterwerfen, so verstösst diese vorbeugende
Schutzmassnahme nicht gegen Art. 11 Abs. 1 LMG. Sie entspricht im
Gegenteil dem Sinn und Geist des Gesetzes, der darauf gerichtet ist,
dass die Vorschriften den Erfordernissen der Zeit und damit auch den
erhöhten hygienischen Ansprüchen von heute angepasst werden.

    Aus den gleichen Gründen kann die Gesetzwidrigkeit von Art. 91
Abs. 1 und 2 EFV auch nicht aus Art. 15-20 LMG abgeleitet werden. Diese
Bestimmungen regeln das Verfahren bei Beanstandungen und können, insoweit
es sich um Räume und Einrichtungen handelt, bei der vorgängigen Prüfung
in gleicher Weise angewendet werden wie bei der nachträglichen.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.