Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 II 62



92 II 62

9. Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. März 1966 i.S. Küttel-Herger
gegen Erben des F. Küttel-Pfyl. Regeste

    Streit über die Einräumung eines Notweges; Art. 694 ZGB.
Streitwertberechnung im Berufungsverfahren vor Bundesgericht; Art. 36 OG.

    1.  Bestimmung des Streitwertes von Amtes wegen, auch bei
übereinstimmenden Angaben der Parteien. Art. 36 Abs. 2 OG (Erw. 2).

    2.  Streitwert einer Grunddienstbarkeit oder einer nachbarrechtlichen
Eigentumsbeschränkung: Es genügt, dass das Interesse der einen oder der
andern Partei den nach Art. 46 OG erforderlichen Betrag erreicht. Die
Vorteile des herrschenden und die Nachteile des dienenden Grundstücks
sind aber nur alternativ zu berücksichtigen und nicht zusammenzurechnen
(Erw. 3-5).

Sachverhalt

    A.- Die Erben des Franz Anton Küttel-Pfyl sind Eigentümer
eines landwirtschaftlichen Grundstücks in Seewen. Sie stellten beim
Gemeinderat Schwyz das Gesuch um Einräumung eines Notfahrwegrechts über die
benachbarten Grundstücke des Alois Küttel-Herger. Dieser widersetzte sich
dem Begehren, doch entsprach die angerufene Behörde dem Gesuch und traf
die näheren Anordnungen betreffend Wegbreite, Tragung der Errichtungs-
und Unterhaltskosten, Stützmauer, Wegvermessung und Vormerkung im
Grundbuch. Die Beschwerde des Gesuchsgegners an den Regierungsrat des
Kantons Schwyz hatte in der Hauptsache keinen Erfolg. Der Regierungsrat
änderte nur die Tragung des Unterhaltsaufwandes; im übrigen bestätigte
er den erstinstanzlichen Entscheid.

    B.- Mit vorliegender Berufung an das Bundesgericht beantragt
der Gesuchsgegner neuerdings die vollständige Abweisung des
Gesuchsbegehrens. Den Streitwert bemisst er auf Fr. 15'000.--.

    Der Antrag der Gesuchsteller geht auf Abweisung der Berufung, soweit
darauf einzutreten sei. Zur Streitwertangabe bemerken sie was folgt:
"Es ist unbestritten, dass der Streitwert für die Appellatschaft über
Fr. 15'000.-- liegt. Für den Appellanten kann von einem derartigen
Streitwert jedoch nicht gesprochen werden...".

    C.- Der Präsident der II. Zivilabteilung liess den Streitwert durch
einen Sachverständigen feststellen. Dessen Bericht vom 16. März geht im
wesentlichen dahin:

    a) Die Grundstücke des Gesuchsgegners (Vermessungsparzelle Nr. 264)
sind auf der in Frage stehenden Wegstrecke bereits mit andern Rechten
belastet, die indessen nur einen geringen Ertragsausfall bewirken. Das
von den Gesuchstellern beanspruchte Notfahrwegrecht bringt für den
Gesuchsgegner folgende Nachteile mit sich:

    Landverlust   Fr.  340.--
          "   120.--

    Inkonvenienzen        "   540.--

    Nachteil der beschränkten Benützung von Auto-

    abstellplätzen        "  2000.--

    "Total der Nachteile des Alois Küttel-Herger  "       Fr. 3000.--

    b) Die Gesuchsteller ihrerseits ziehen aus dem beanspruchten
Notfahrwegrecht einen Vorteil, der in seinem Nettowert zu berücksichtigen
ist; denn nach dem Entscheid des Regierungsrates fällt der ganze
Unterhaltsaufwand zu ihren Lasten. Der Weg wird nicht mit Schwerfahrzeugen
befahren werden können, da seine Breite nur auf 2 bis 2,5 m festgesetzt
ist und er im obern Teil gegen die Einmündung in die Kantonsstrasse
eine Steigung von über 20% aufweist. Das Benutzungsrecht ist also
beschränkt. Der jährliche Nutzwert kann auf Fr. 200. - bemessen werden.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    1 - 2. - Über den Streitwert enthalten die kantonalen Akten und
Entscheide keine zuverlässigen Angaben. Solche liegen namentlich nicht
in den Bemerkungen des Regierungsrates betreffend die Kosten, die für
ein praktisch nicht ausführbares Projekt aufzuwenden wären.

    Die Parteien selber sind sich zwar zum Teil über die Bewertung
des Streitgegenstandes einig. Beide bemessen in Berufungsschrift und
Berufungsantwort die Vorteile des beanspruchten Notfahrwegrechtes für
die Gesuchsteller auf mindestens Fr. 15'000.--. Indessen halten die
Gesuchsteller (Berufungsbeklagten) dafür, es komme auf das Interesse des
Gesuchsgegners (Berufungsklägers), also auf die ihm aus der streitigen
Rechtseinräumung erwachsenden Nachteile an. Diese seien aber sehr gering;
es möge darüber das kantonale Meliorationsamt befragt werden.

    Bei Klagen, die nicht auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme
gehen, hat das Bundesgericht nach dem geltenden Gesetz (Art. 36 Abs. 2
OG) nicht einfach (wie nach Art. 53 Abs. 3 des früheren OG) auf die
übereinstimmenden Angaben der Parteien abzustellen. Es hat den Streitwert
"von Amtes wegen auf summarischem Weg nach freiem Ermessen, nötigenfalls
nach Befragung eines Sachverständigen" festzustellen (s. die Botschaft
zum Gesetzesentwurf, BBl 1943 S. 114: Die neue Vorschrift will namentlich
vermeiden, "dass durch eine die Wirklichkeit übersteigende Schätzung des
Streitwertes, über die beide Parteien einig sind, die bundesgerichtliche
Zuständigkeit begründet werden könne"). Im vorliegenden Fall war die
Einholung eines Schätzungsbefundes angezeigt, einerseits, weil die
Gesuchsteller die vom Gesuchsgegner zu gewärtigenden Nachteile gering
einschätzen, und anderseits, weil die übereinstimmende Bewertung der
Vorteile der streitigen Rechtseinräumung für die Gesuchsteller nicht als
zuverlässig erschien.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 36 Abs. 1 OG wird der Wert des Streitgegenstandes durch
das klägerische Rechtsbegehren bestimmt. Das bedeutet nicht etwa, es sei
nur das Interesse des Klägers an der Zusprechung, nicht auch das allenfalls
nicht gleich zu bewertende Interesse des Beklagten an der Abweisung
der Klage zu berücksichtigen. Immerhin fällt vorweg das Interesse des
Klägers in Betracht. Kläger sind aber hier die Gesuchsteller, welche
für sich ein Notfahrwegrecht beanspruchen. Ihr Interesse ist daher
auch in der bundesgerichtlichen Instanz bei der Streitwertbemessung
zu berücksichtigen. Der Umstand, dass der kantonale Entscheid zu ihren
Gunsten ausfiel und sie infolgedessen in der Rolle der Berufungsbeklagten
auftreten, spielt in dieser Hinsicht keine Rolle. Nach dem auf
zutreffenden Überlegungen beruhenden Sachverständigenbefund erreicht
nun aber dieses Interesse nicht den von den Parteien angegebenen Betrag
von Fr. 15'000.--; ja es bleibt unter dem nach Art. 46 OG erforderlichen
Betrag von Fr. 8000. -. Denn der jährliche Nutzen von Fr. 200.-- ergibt
nach Art. 36 Abs. 5 OG einen Kapitalwert von bloss Fr. 4000.--.

Erwägung 4

    4.- Die Eigenart der Streitsache bringt es allerdings mit sich,
dass unabhängig vom Interesse der Gesuchsteller an der Zusprechung ihres
Begehrens auch das Interesse des Gesuchsgegners an dessen Abweisung in
Betracht fällt. Es würde also für die Anrufung des Bundesgerichts genügen,
dass das eine oder das andere Interesse den nach Art. 46 OG erforderlichen
Betrag erreicht. Zwar enthält Art. 36 OG keine besondere Bestimmung
über den Wert einer Grunddienstbarkeit (oder einer nachbarrechtlichen
Eigentumsbeschränkung), wie sie etwa in Art. 138 Abs. 4 der bernischen
ZPO zu finden ist, und wonach zunächst der Wert eines solchen Rechts für
das herrschende Grundstück in Betracht fällt, dann aber, "wenn der Betrag,
um welchen sich der Wert des dienenden Grundstücks durch die Dienstbarkeit
mindert, grösser ist", dieser zweite Betrag. Die Rechtsprechung hat jedoch
diese sich aus der Natur der Sache ergebende Art der Streitwertberechnung
auch beim Fehlen einer ausdrücklichen Vorschrift anerkannt (vgl. BGE 45
II 406 oben, 81 II 193 Erw. 1, 82 II 123 unten). Nur dann, wenn die bei
Errichtung der streitigen Grunddienstbarkeit zu erwartende Werterhöhung des
herrschenden Grundstücks den erforderlichen Streitwert bereits erreicht,
kann die dem dienenden Grundstück erwachsende Wertverminderung ungeprüft
bleiben (so im Falle von BGE 84 II 617).

    Die Nachteile, die sich für den Gesuchsgegner bei Einräumung des
streitigen Rechts an die Gesuchsteller ergeben, sind nun zwar nach
dem Sachverständigenbefund nicht unbeträchtlich. Sie erreichen aber den
Wertbetrag von Fr. 8000. - ebenfalls bei weitem nicht; der Experte schätzt
sie auf Fr. 3000.--.

Erwägung 5

    5.- Die Vorteile des herrschenden und die Nachteile des dienenden
Grundstücks sind nicht zusammenzurechnen. sondern bloss alternativ zu
berücksichtigen. Wie dargetan, erreicht weder der eine noch der andere
Betrag den nach Art. 46 OG erforderlichen Streitwert. Übrigens bliebe
selbst ihre Summe unter Fr. 8000.--.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Berufung wird nicht eingetreten.