Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 II 39



92 II 39

6. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. März 1966 i.S. Grädel gegen Krapf
und Mitbeteiligte Regeste

    Motorfahrzeughaftpflicht.

    Intertemporales Recht MFG/SVG (Erw. 3).

    Schadenersatzpflicht zwischen Haltern, Art. 61 SVG.

    Begriff des Halters (Erw. 4 a).

    Erfordernis der Verletzung eines Halters (Erw. 4 b).

    Ermässigung der Ersatzpflicht des Halters wegen Mitverschuldens des
Geschädigten, Art. 59 Abs. 2 SVG.

    Allgemeine Grundsätze (Erw. 5).

    Einfluss unrichtiger Strassensignalisierung auf das Verschulden des
Halters (Erw. 6).

    Sorgfaltspflichten des Vortrittsberechtigten (Erw.  7).

    Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften? Art. 8 ZGB (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Frau Pia Krapf, die Ehefrau und Mutter der Kläger, fiel am 6. Juli
1962 einem Verkehrsunfall zum Opfer, der sich unter den folgenden Umständen
ereignete:

    Frau Krapf fuhr am Steuer des ihrem Ehemann gehörenden PW "Morris"
von Arbon über Stachen gegen Baumannshaus. Ihr Ehemann Johann Krapf
sass neben ihr im Wagen. Als sie in Riedern zu der Kreuzung mit der
Strasse Roggwil-Ebnet gelangte, kam von links, von Roggwil her, Ernst
Grädel in seinem PW "Peugeot 404" mit einer Geschwindigkeit von ungefähr
80 km. Grädel bremste, als er den andern Wagen in die unübersichtliche
Kreuzung einfahren sah, vermochte aber auf der regennassen Strasse nicht
mehr rechtzeitig anzuhalten, so dass es zum Zusammenstoss kam. Der Wagen
Grädels traf den andern Wagen auf der linken Seite hinten und stiess
ihn in die Wiese hinaus. Johann Krapf und seine Ehefrau wurden aus dem
Wagen geschleudert. Während ersterer nur unerheblich verletzt wurde, starb
seine Ehefrau einige Tage später an den erlittenen Verletzungen. Grädel
blieb unverletzt.

    Frau Krapf hinterliess neben dem Ehemann sieben Kinder im Alter
von 2-17 Jahren. Der Ehemann Krapf ist infolge eines im Jahre 1961
erlittenen Schlaganfalles halbseitig gelähmt und daher voll invalid. Das
landwirtschaftliche Gewerbe der Familie wurde seither von der Ehefrau
mit Hilfe eines Knechtes betrieben.

    Die Anklagekammer des Kantons Thurgau stellte das gegen Grädel
eröffnete Strafverfahren ein, da sie der Auffassung war, Grädel sei
auf einer Hauptstrasse gefahren und daher vortrittsberechtigt gewesen,
weshalb ihn kein strafrechtliches Verschulden am Unfall treffe.

    B.- Johann Krapf und seine sieben Kinder belangten Grädel auf Bezahlung
von Schadenersatz- und Genugtuungsleistungen von insgesamt Fr. 66'059.--
nebst Zins.

    Der Beklagte bestritt, haftpflichtig zu sein, und beantragte, die
Klage abzuweisen.

    C.- Das Bezirksgericht Arbon und das Obergericht des Kantons Thurgau
schützten die Klage im Betrage von Fr. 63'065.20 nebst 5% Zins seit
6. Juli 1962.

    Beide kantonalen Instanzen nahmen an, der Beklagte sei entgegen
der Auffassung der Anklagekammer nicht vortrittsberechtigt gewesen,
da die von ihm befahrene Strasse Roggwil-Ebnet gleich wie die Strasse
Stachen-Baumannshaus eine Nebenstrasse sei; die Geschwindigkeit des
Beklagten von 80 km sei zu hoch gewesen und zudem habe er es an der
gebotenen Aufmerksamkeit fehlen lassen; es treffe ihn daher ein schweres
Verschulden am Unfall. Das Mitverschulden der vortrittsberechtigten Frau
Krapf sei gering und rechtfertige nicht, die Ansprüche der Kläger um mehr
als die von ihnen zugestandenen 25% zu kürzen.

    D.- Gegen das Urteil des Obergerichts vom 28. September 1965 hat der
Beklagte die Berufung erklärt. Er stellt den Hauptantrag, die Sache zu
neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventuell beantragt
er, die Klage abzuweisen, soweit sie den Betrag von Fr. 48'000.-- nebst
Zins übersteigt. Die Kläger beantragen, die Berufung abzuweisen und den
angefochtenen Entscheid zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Der Beklagte bringt zur Begründung der behaupteten Verletzung des
Art. 8 ZGB vor, die Vorinstanz habe sein Begehren betreffend Abklärung
der Lebenserwartung der Erstklägers durch medizinische Expertise
ohne st i chhaltige Begründung abgelehnt, obschon es fraglich sei,
ob beim vollinvaliden Kläger von einer nach den statistischen Tabellen
errechneten Lebenserwartung ausgegangen werden dürfe. Mit der Annahme,
die körperliche Lähmung allein lasse nicht auf einen vorzeitigen Tod
schliessen, und ein Experte werde die voraussichtliche Lebensdauer kaum
näher bestimmen können, habe die Vorinstanz den Rahmen der ihr zustehenden
Beweiswürdigung überschritten.

    Der Beklagte stützt seinen Antrag im Berufungsverfahren wie schon
vor den kantonalen Instanzen einzig auf die unbestrittene Tatsache, dass
Johann Krapf im Jahre 1961 einen Gehirnschlag erlitten hat und seither
halbseitig gelähmt ist. Einen Anhaltspunkt dafür, dass diese körperliche
Behinderung oder ihre Ursache sich lebensverkürzend auswirken könnte und
wahrscheinlich auch auswirken werde, hat er nicht geltend gemacht. Bei
dieser Sachlage war die Vorinstanz zur Anordnung einer medizinischen
Expertise nur verpflichtet, wenn sie bezüglich der normalen Lebenserwartung
des Johann Krapf Zweifel hegte. Da sie dies mit der Begründung verneinte,
Krapf sei nicht von einem innern Leiden befallen, und - auf Grund der
allgemeinen Lebenserfahrung - die Auffassung vertrat, die körperliche
Lähmung allein lasse nicht auf einen vorzeitigen Tod schliessen, verstiess
die Abweisung des Antrages auf Einholung eines medizinischen Gutachtens
nicht gegen Art. 8 ZGB. Die Vorinstanz hätte die Schadenersatzberechnung
selbst dann nicht anders vornehmen dürfen, wenn ein medizinischer Gutachter
bloss die Möglichkeit einer verkürzten Lebenserwartung bejaht hätte. Mehr
war von einem solchen Gutachten aber bei der gegebenen Sachlage nicht
zu erwarten. Eine Rückweisung der Sache zur Durchführung der verlangten
Begutachtung rechtfertigt sich daher nicht.

Erwägung 3

    3.- Da der Verkehrsunfall, aus dem die Kläger ihre Ansprüche ableiten,
sich am 6. Juli 1962 ereignet hat, beurteilt sich die Haftung des Beklagten
nach den Vorschriften der Art. 58 ff. SVG betreffend Haftpflicht und
Versicherung, die am 1. Januar 1960 in Kraft getreten sind (VVV vom 20.
November 1959 Art. 61 Abs. 1). Für die Beurteilung des Verhaltens der
beteiligten Fahrzeuglenker dagegen ist auf die im Zeitpunkt des Unfalls
noch massgebenden Verkehrsregeln des MFG abzustellen.

Erwägung 4

    4.- Der Beklagte verlangt, seine Ersatzpflicht sei nicht nur um 25%,
sondern um 50% herabzusetzen. Diese hälftige Schadensteilung leitet er in
erster Linie aus Art. 61 SVG ab, den die Vorinstanz durch Nichtanwendung
verletzt haben soll.

    a) Art. 61 SVG regelt die Schadenersatzpflicht zwischen
Motorfahrzeughaltern. Der Beklagte hält diese Bestimmung für anwendbar,
weil nach den tatsächlichen Verhältnissen Frau Krapf als Halter des von
ihr gelenkten Fahrzeugs zu betrachten sei.

    Diese Ansicht ist unrichtig. Halter des Motorfahrzeugs war
im massgebenden Zeitpunkt des Unfalls der Ehemann Krapf. Dass der
Fahrzeugausweis auf ihn lautete, ist zwar nicht von entscheidender
Bedeutung, da dem Gesetz nicht der formelle, sondern der materielle
Halterbegriff zugrunde liegt, wonach "als Halter derjenige aufzufassen
ist, auf dessen eigene Rechnung und Gefahr der Betrieb des Fahrzeuges
erfolgt und der zugleich über dieses und allenfalls über die zum Betrieb
erforderlichen Personen die tatsächliche, unmittelbare Verfügung
besitzt" (OFTINGER, Haftpflichtrecht, 2. Aufl. II/1 S. 481). Diese
Voraussetzungen treffen auf den Ehemann Krapf zu: Er ist Inhaber des
Landwirtschaftsbetriebes, aus dessen Erträgnissen die Unterhalts- und
Betriebskosten des Fahrzeuges bestritten werden. Er ist daher in erster
Linie an dessen Halten interessiert. Ebenso steht ihm als Betriebsinhaber
das Verfügungsrecht über das Fahrzeug zu. Es fehlt jeder Anhaltspunkt,
der den Schluss zuliesse, Krapf habe sich in keiner Weise um den Besitz
eines Fahrzeuges interessiert, und dieses sei einzig von seiner Ehefrau
gewünscht und betrieben worden. Dass Krapf im Zeitpunkt des Unfalles seit
ungefähr 9 Monaten voll invalid war und seine Ehefrau den Betrieb in der im
vorinstanzlichen Urteil umschriebenen Weise leitete, ändert nichts. Gerade
wegen seiner Invalidität hatte Krapf vielmehr am Halten des Fahrzeugs
das überwiegende Interesse, obwohl er es nicht selber führen konnte.

    b) Der Beklagte macht geltend, selbst wenn Krapf Halter sei, finde
Art. 61 Abs. 1 SVG gleichwohl Anwendung, weil die Kausalhaftung des
Halters auch die Haftung seiner Ehefrau als Lenkerin des Fahrzeugs umfasse.

    Nach Art. 58 Abs. 4 SVG ist wohl der Halter für das Verschulden
des Fahrzeugführers und mitwirkender Hilfspersonen wie für eigenes
Verschulden verantwortlich. Daraus allein kann jedoch nicht gefolgert
werden, wenn den Lenker, der nicht Halter ist, ein Verschulden treffe,
finde die Vorschrift von Art. 61 SVG über die Haftung zwischen Haltern
Anwendung. Voraussetzung hiefür ist, wie Art. 61 Abs. 1 SVG ausdrücklich
sagt, dass ein Halter körperlich geschädigt ist, was im vorliegenden Fall
eben nicht zutrifft. Daher kann die Auferlegung des Schadens zu gleichen
Teilen nicht schon aus dieser Bestimmung abgeleitet werden, ganz abgesehen
davon, dass eine andere Verteilung zulässig ist, wenn sich dies nach den
Umständen, namentlich nach dem Verschulden, rechtfertigt.

    Die Rüge der Verletzung von Art. 61 SVG ist somit nicht begründet.

Erwägung 5

    5.- Fällt Art. 61 SVG ausser Betracht, so beurteilt sich die Haftung
des Beklagten ausschliesslich nach Art. 58/59 SVG.

    a) Der Beklagte behauptet im Berufungsverfahren nicht mehr, von
seiner durch Art. 58 SVG begründeten Kausalhaft gemäss Art. 59 Abs.
1 gänzlich befreit zu sein. Er macht lediglich unter Berufung auf Art. 59
Abs. 2 SVG geltend, seine Ersatzpflicht sei auf die Hälfte herabzusetzen,
weil Frau Krapf als Lenkerin des am Unfall mitbeteiligten Fahrzeugs ein
erhebliches Selbstverschulden treffe, das sich die Kläger im Streit um
den Versorgerschaden entgegenhalten lassen müssten.

    Die Kläger anerkennen, dass die Ersatzpflicht des Beklagten gestützt
auf Art. 59 Abs. 2 SVG zu kürzen ist. Die Herabsetzung kann jedoch nach
ihrer Auffassung nicht mehr als 25% ausmachen, da das Verschulden der
Getöteten nur ganz geringfügig sei.

    b) Für das Ausmass der Herabsetzung der Ersatzpflicht des Beklagten ist
in erster Linie die Schwere des Verschuldens der getöteten Fahrzeuglenkerin
massgebend, das der Beklagte zu beweisen hat. Je schwerer dieses
Verschulden ist, umsomehr vermindert sich die Ersatzpflicht des Beklagten,
der kraft seiner Kausalhaftung grundsätzlich für den vollen Schaden
einzustehen hat. Trifft ihn zusätzlich ein Verschulden, so wiegt dieses
das mitwirkende Verschulden der Frau Krapf zum Teil auf, mit der Folge,
dass sich die Ersatzpflicht des Beklagten in geringerem Masse vermindert,
als es das Mitverschulden der Getöteten, für sich allein betrachtet,
rechtfertigen würde (BGE 91 II 223). Es ist somit das Verschulden der
beiden Fahrzeugführer abzuklären.

Erwägung 6

    6.- a) Der Beklagte wirft dem Obergericht vor, es habe sein
Verschulden unrichtig beurteilt, indem es annehme, für die Würdigung
seiner Fahrweise sei bedeutungslos, dass in Roggwil ein blauer Wegweiser
zur Verbindungsstrasse Roggwil-Ebnet hinleitet.

    Mit diesem Einwand hat es folgende Bewandtnis: Die Strasse
Roggwil-Ebnet verbindet die Hauptstrasse Nr. 153 St. Gallen-Arbon mit
der Hauptstrasse Nr. 33 Amriswil-Arbon. Sie ist eine gut ausgebaute
Staatsstrasse, jedoch nach den verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz nicht als Hauptstrasse im Sinne von Art. 27 Abs. 2 MFG
gekennzeichnet und in der Liste der Hauptstrassen mit Vortrittsrecht nicht
aufgeführt. Dementsprechend war sie auch nicht mit einer Nummer (Art. 1
Abs. 2 BRB vom 26. Januar 1937 über die Numerierung der Hauptstrassen
usw.) versehen, welche nach den einschlägigen Vorschriften unter dem
Ortsbezeichnungssignal am Ausgang der Ortschaften und auf den Wegweisern
anzubringen gewesen wäre. Bei der in Roggwil (innerorts) gelegenen
Verzweigung der Strassen nach Arbon und Ebnet wies ein blauer Wegweiser
ohne Nummer zur Verbindungsstrecke Roggwil-Ebnet, wo die Einmündung in
die Hauptstrasse Nr. 33 erfolgt.

    Die Vorinstanz ist der Ansicht, ein solcher blauer Wegweiser ohne
Nummer bedeute nur, dass die Strasse zu einer Hauptstrasse führe,
ohne selbst eine solche zu sein; wo die Hauptstrasse beginne, sage der
Wegweiser nicht. Der Beklagte habe daher auf Grund dieser Signalisierung
nicht annehmen dürfen, er befinde sich auf einer Hauptstrasse.

    Der Beklagte wendet hiegegen ein, die Strassensignalisierung in
Roggwil sei unrichtig; die Strassen nach Ebnet hätte richtigerweise
mit einem weissen Wegweiser bezeichnet sein müssen. Auf Grund der
unzutreffenden Strassensignalisation habe er in guten Treuen annehmen
dürfen, er befinde sich auf einer vortrittsberechtigten Hauptstrasse,
so dass er auf allfällige Einmündungen und Kreuzungen nicht oder doch
weniger zu achten habe und mit entsprechender Geschwindigkeit fahren dürfe.

    b) Das Obergericht irrt, indem es annimmt, ein blauer Wegweiser
ohne Nummer zeige lediglich an, dass man in der angegebenen Richtung
zu einer Hauptstrasse komme, gebe aber keinen Aufschluss darüber, wo
die Hauptstrasse beginne, so dass deren Beginn der Nummernangabe auf der
nächsten Ortstafel oder auf dem nächsten blauen Wegweiser entnommen werden
müsse. Art. 4 des massgebenden BRB vom 26. März 1934 bestimmt:

    "Die Hauptstrasse mit Vortrittsrecht wird auf dieser selbst durch
den blauen Wegweiser gekennzeichnet. Ausserorts darf dieser Wegweiser nur
an Hauptstrassen zur Bezeichnung der Richtung dieser Strassen verwendet
werden; innerorts nur, wenn er auf eine Ortschaft hinweist, zu der auf
der Überlandstrecke eine Hauptstrasse führt.

    Für die Richtungsbezeichnung nach und auf Nebenstrassen darf nur der
weisse Wegweiser verwendet werden."

    Abs. 1 dieser Vorschrift kann nur so verstanden werden, dass die ganze
zur angegebenen Ortschaft hinführende Ausserortsstrecke Hauptstrasse sein
muss. Ist die Ausserortsstrecke, die sich unmittelbar an die Ortschaft
anschliesst, in der der Wegweiser steht, eine Nebenstrasse, so muss
ein weisser Wegweiser angebracht werden. Da im vorliegenden Fall die
unmittelbar anschliessende Überlandstrecke (d.h. die Verbindungsstrecke
Roggwil-Ebnet) keine Hauptstrasse ist, hätte somit in Roggwil eine
weisse Tafel nach Ebnet weisen sollen. Angesichts der tatsächlichen
Signalisierung durfte daher der Beklagte, trotz dem Fehlen einer Nummer auf
dem Wegweiser, der Meinung sein, er befahre eine Hauptstrasse; dies um so
mehr, als auch der (richtigerweise) blaue Wegweiser für die Hauptstrasse
nach Arbon, der ebenfalls an der Strassenverzweigung in Roggwil steht,
nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz keine Nummer aufwies.

    Der erwähnten irrtümlichen Meinung konnte der Beklagte aber nur sein,
bis er zum Gefahrsignal Nr. 3 (heute Nr. 114) "Kreuzung" gelangte, das
gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz gut sichtbar ungefähr 150
m vor der Unfallstelle angebracht ist. Hätte der Beklagte dieses Signal
beachtet, dann hätte ihm nicht nur klar werden müssen, dass er sich einer
gefährlichen Kreuzung nähere (ansonst kein Gefahrsignal angebracht worden
wäre), sondern er hätte überdies erkennen müssen, dass er sich doch nicht
auf einer Hauptstrasse befinde; denn sonst hätte nicht das Kreuzungssignal
Nr. 3, sondern das Signal "Kreuzung mit Strasse ohne Vortrittsrecht"
(Nr. 10, jetzt Nr. 115) angebracht sein müssen, das durch BRB vom 8. März
1953 (in Kraft seit 15. März 1953) geschaffen wordenwar. Bei der gegebenen
Sachlage, wie auch in Anbetracht der beidseits der Strasse liegenden
Gebäude, der Erkennbarkeit der Strassenkreuzung und der schlechten
Sicht nach rechts, bestand daher für den Beklagten die Pflicht, seine
Geschwindigkeit zu mässigen und sich darauf einzurichten, einem von rechts
kommenden Fahrzeug den Vortritt gewähren zu können. Statt dessen fuhr er
mit der von ihm selber zugegebenen unverminderten Geschwindigkeit von 80
km weiter und bremste erst, als er sah, dass der andere Wagen, der noch
etwa 6 m von der Kreuzung entfernt war, nicht anhielt, sondern in die
Kreuzung einfuhr. Dass der Beklagte das Kreuzungssignal übersehen hatte
und darum weiter wähnte, auf der Hauptstrasse zu fahren, hat er allein
zu verantworten. Nur wenn kein Kreuzungssignal angebracht gewesen wäre,
könnte er sich mit Grund auf den durch die unrichtige Signalisierung in
Roggwil hervorgerufenen Irrtum berufen. Selbst dann wäre übrigens seine
Geschwindigkeit wegen der örtlichen Verhältnisse und der regennassen
Strasse übersetzt gewesen.

    Die Vorinstanz hat daher die Art. 25 und 27 MFG entgegen der Auffassung
des Beklagten nicht verletzt, wenn sie ihm ein schweres Verschulden am
Unfall zur Last legt. Ihre irrtümliche Auffassung über die Bedeutung des
blauen Wegweisers in Roggwil ist für die Bemessung der Schwere dieses
Verschuldens unerheblich; es bleibt ein schweres Verschulden.

    Auch der Vorwurf der Vorinstanz, der Beklagte hätte ein Hornsignal
geben sollen, als er den andern Wagen erblickte, was möglicherweise Frau
Krapf noch rechtzeitig zum Anhalten veranlasst hätte, ist angesichts der
örtlichen Verhältnisse keineswegs unbegründet. Übrigens handelt es sich
dabei um ein zusätzliches Argument, das bei der Bewertung des Verschuldens
des Beklagten nicht ins Gewicht fiel.

Erwägung 7

    7.- Der Beklagte rügt, die Vorinstanz habe Art. 25 MFG und Art. 59
Abs. 2 SVG dadurch verletzt, dass sie das Verschulden der Frau Krapf zu
gering bewertet habe. Diese Rüge ist unbegründet.

    Frau Krapf war gegenüber dem von links kommenden Beklagten
vortrittsberechtigt. Da ihre Sicht nach links durch ein Gebäude, sowie
durch abgelagerte Baumaterialien und durch Bäume beeinträchtigt war,
hatte sie allerdings trotz ihres Vortrittsrechts auch ihrerseits erhöhte
Vorsicht walten zu lassen. Einen Sicherheitshalt brauchte sie jedoch
nicht einzuschalten. Eine solche Zumutung würde eine völlige Entwertung
des Vortrittsrechts bedeuten. Sie durfte vielmehr davon ausgehen, ein von
links kommender Vortrittsbelasteter werde seinerseits dem beschränkten
Überblick Rechnung tragen und seine Geschwindigkeit entsprechend vermindern
(BGE 90 IV 90 f. und dort erwähnte Entscheide). War Frau Krapf aber zu
einem Sicherheitshalt nicht verpflichtet, so ist es für die Beurteilung
ihres Verschuldens belanglos, ob sie tatsächlich einen solchen gemacht hat
oder nicht, und infolgedessen ist es auch für die Haftung des Beklagten
ohne Bedeutung, dass diese Frage nicht hat abgeklärt werden können;
denn nur die Unbeweisbarkeit eines Umstandes, der dem Geschädigten zum
Verschulden gereichen würde, kann sich zum Nachteil des beweispflichtigen
Halters auswirken.

    Die erhöhte Vorsicht, die Frau Krapf wegen der schlechten
Sichtverhältnisse oblag, konnte nur darin bestehen, dass sie ihre
Geschwindigkeit verminderte und sich auch nach links vergewisserte, ob
sie freie Fahrt habe. Sah sie oder konnte sie sehen, dass von dort ein
Fahrzeug herannahe, dessen Lenker ihr den Vortritt nicht lassen wolle
oder nicht mehr lassen könne, so hatte sie alles Zumutbare vorzukehren,
um einen Zusammenstoss zu verhüten. Sie brauchte aber nicht von vorneherein
mit der Missachtung ihres Vortrittsrechts zu rechnen und sich entsprechend
zu verhalten (BGE 90 IV 90 und dortige Hinweise).

    Wie nicht streitig ist, näherte sich Frau Krapf der Kreuzung mit
geringer Geschwindigkeit, die vom Beklagten selber mit 18 km angegeben
wird. Wie an dieser Stelle üblich, hielt ihr Ehemann nach rechts Ausschau,
während sie ihre Aufmerksamkeit vorab der linken Seite zuwendete. Insoweit
kann ihr deshalb nicht ein Mangel an Sorgfalt vorgeworfen werden. Da
sie gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz ungefähr 6 m vor
der Kreuzung die von links kommende Strasse auf ca. 150 m zu überblicken
vermochte, hätte sie das herannahende Fahrzeug Grädels sehen und erkennen
müssen, dass ihr dieser den Vortritt nicht mehr gewähren könne. Ob sie das
Fahrzeug nicht oder zu spät wahrnahm oder ob sie dessen Geschwindigkeit
falsch einschätzte und daher glaubte, sie gelange noch vor diesem über
die Kreuzung, ist nicht abgeklärt. Das Verschulden, das ihr im einen wie
im andern Falle zur Last gelegt werden muss, ist jedoch im Vergleich zum
Verschulden des Beklagten gering und rechtfertigt nicht, die Ersatzpflicht
des letzteren um mehr als 25% zu kürzen.

Erwägung 8

    8.- Die Höhe des Schadens der Kläger und ihre Genugtuungsansprüche
sind vor Bundesgericht nicht mehr streitig.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Thurgau vom 28. September 1965 bestätigt.