Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 II 323



92 II 323

48. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. November 1966 i.S. Strub gegen
Springer. Regeste

    Grundstückkauf, Formmangel, Rechtsmissbrauch; Art. 216 OR, Art. 2 ZGB.

    Nichtigkeit des Vertrages wegen Beurkundung eines andern als des
wirklich vereinbarten Kaufpreises (Erw. 2).

    Unbeachtlichkeit des Formmangels wegen rechtsmissbräuchlicher
Geltendmachung desselben? (Erw. 3-6).

Sachverhalt

    A.- Der Kläger Strub verkaufte mit öffentlich beurkundetem Vertrag
vom 29. Dezember 1961 dem Beklagten Dr. Springer, seinem Nachbarn, zwei
Grundstücke im Masse von 405 m2 und ca 92 m2, die an die Liegenschaft
des Beklagten angrenzten. Die Parteien vereinbarten einen Kaufpreis von
Fr. 75.- pro m2; verurkundet wurde jedoch nur ein Preis von Fr. 35.-.

    Der Beklagte liess durch den Kläger auf den verkauften beiden
Grundstücken Gartenarbeiten ausführen. Im Frühjahr 1963 kam es zwischen
den Parteien zum Streit, da der Beklagte eine ihm vom Kläger gestellte
Rechnung im Betrage von Fr. 2952.35 als übersetzt erachtete. Mit Schreiben
vom 12. März 1963 forderte der Beklagte vom Kläger die Rückerstattung der
Schwarzzahlung von Fr. 22'000.-- und setzte ihm hiefür Frist an bis zum
15. April 1963; er behauptete, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts
sei der Empfänger einer Schwarzzahlung zur Rückerstattung verpflichtet. Der
Kläger kam der Zahlungsaufforderung jedoch nicht nach.

    Am 14. Mai 1963 verlangte der Beklagte vom Kläger die
sofortige Beseitigung von Sträuchern und Bäumen auf den verkauften
Grundstücken. Daraufhin schlug der Kläger mit Schreiben seines Anwalts
vom 31. Mai 1963 dem Beklagten vor, den Kaufvertrag aufzuheben, ansonst
er Klage auf Feststellung der Nichtigkeit desselben einreichen werde. Ein
längerer Briefwechsel der Parteien zwecks gütlicher Beilegung des Streites
führte zu keinem Erfolg.

    B.- Mit Klage vom 22. Dezember 1964 verlangte der Kläger, es sei die
Nichtigkeit des Kaufvertrages vom 29. Dezember 1961 festzustellen und es
seien die gestützt auf diesen Vertrag vorgenommenen Grundbucheintragungen
zu löschen.

    Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage, weil die Berufung des
Klägers auf den Formmangel rechtsmissbräuchlich sei.

    C.- Das Bezirksgericht Zürich schützte mit Urteil vom 3.  November 1965
die Klage.

    Das Obergericht des Kantons Zürich hiess mit Urteil vom 11. Februar
1966 die Berufung des Beklagten gut und wies die Klage mit der Begründung
ab, die Geltendmachung des Formmangels durch den Kläger stelle einen
Rechtsmissbrauch dar.

    D.- Gegen das Urteil des Obergerichts hat der Kläger die Berufung an
das Bundesgericht erklärt, mit der er die Gutheissung der Klage beantragt.

    Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Da die Parteien im Kaufvertrag vom 29. Dezember 1961 einen
Kaufpreis von Fr. 35.- pro m2 haben beurkunden lassen, während der in
Wirklichkeit vereinbarte und bezahlte Preis Fr. 75.- pro m2 betrug, ist
nach gefestigter Rechtsprechung davon auszugehen, dass der abgeschlossene
Kaufvertrag nichtig ist (BGE 84 IV 164, 86 II 37, 231, 260, 400 Erw. 1,
87 II 30, 90 II 156, 296). Das nimmt an sich auch die Vorinstanz
an. Sie vertritt jedoch die Meinung, es handle sich dabei nicht um eine
Nichtigkeit im gewöhnlichen Sinne, sondern um eine Ungültigkeit eigener
Art, die zwar jedermann gegenüber wirke, aber der Geltendmachung durch eine
Vertragspartei bedürfe und daher nicht von Amtes wegen zu berücksichtigen
sei. Diese Auffassung ist jedoch in BGE 86 II 401 f. mit einlässlicher
Begründung abgelehnt worden. Daran ist festzuhalten; dass die These von
der besonderen Natur der Ungültigkeit auch seither im Schrifttum wieder
aufgenommen worden ist (MEIER-HAYOZ ZGB Art. 657 N. 130), gibt nicht
Anlass, auf die oben erwähnte Rechtsprechung zurückzukommen.

Erwägung 3

    3.- Die Formnichtigkeit ist jedoch, wie das Bundesgericht in der
erwähnten Rechtsprechung weiter entschieden hat, im Verhältnis unter den
Parteien unbeachtlich und die Berufung darauf unstatthaft, wenn sie gegen
Treu und Glauben verstösst und daher einen offenbaren Rechtsmissbrauch
im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB darstellt.

    Unter welchen Voraussetzungen insbesondere die Geltendmachung der
auf unwahrer Beurkundung des Kaufpreises beruhenden Formnichtigkeit
als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, stellt ein rechtspolitisch
und praktisch gleichermassen wichtiges Problem dar; weder der
Rechtsprechung noch der Lehre ist es bis anhin gelungen, dafür eine
allseitig befriedigende Lösung zu finden (vgl. hiezu insbesondere MERZ,
ZGB Art. 2, N. 461 -510). Die Gründe hiefür sind mannigfacher Art. Die
vorbehaltlose und unbefristete Anerkennung der üblichen zivilrechtlichen
Auswirkungen der Nichtigkeit unrichtig beurkundeter Grundstück-Kaufverträge
würde zu grössten praktischen Schwierigkeiten und zu einer unerträglichen
Rechtsunsicherheit führen. Anderseits bieten auch das Rechtsempfinden
und die Rechtsethik keine Anhaltspunkte für ein taugliches Kriterium der
missbräuchlichen Geltendmachung der Nichtigkeit des Vertrages. In der
Regel haben mit der Falschbeurkundung beide Parteien gleich oder fast
gleich verwerflich gehandelt; es hält deshalb schwer, zu bestimmen,
welchem von ihnen - wenigstens moralisch - eher der Anspruch auf den
Vorteil aus der Nichtigerklärung bezw. aus der Aufrechterhaltung des
Vertrages zuzubilligen sei. Aus dieser Situation erklärt sich denn auch
der vom Bundesgericht in seiner Rechtsprechung eingenommene Standpunkt,
dass die Frage der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf den Formmangel
nicht nach starren Regeln entschieden werden könne, sondern sich nur unter
Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles beantworten lasse.

    Unter den Umständen, die zu berücksichtigen sind, kommt der
erfolgten freiwilligen Erfüllung des Kaufvertrages durch die Parteien
überragende Bedeutung zu (BGE 90 II 157 und dort erwähnte Entscheide). Sie
schliesst zwar die Berücksichtigung der Nichtigkeit des Vertrages nicht
notwendigerweise aus, lässt aber die Anrufung des Formmangels doch
als rechtsmissbräuchlich erscheinen, wenn nicht die Würdigung aller
übrigen Umstände, namentlich das Verhalten der Parteien bei und nach
Vertragsschluss, aus dem Gesichtswinkel von Treu und Glauben eindeutig
zum gegenteiligen Schlusse führt.

    Zu Unrecht erblickt die Minderheit des Obergerichts in dieser
Auffassung eine "Aufweichung des Gesetzestextes". Die dargelegte Anwendung
des Rechtsmissbrauchsverbotes des Art. 2 Abs. 2 ZGB drängt sich vielmehr
aus Gründen der Rechtssicherheit auf. Diese gebietet, dass im Bereich des
Grundeigentums ein mit Zustimmung aller Beteiligten endgültig geschaffener
Rechtszustand nicht ohne Not rückgängig gemacht wird, sondern wenn
möglich aufrecht erhalten bleibt, auch wenn er auf ein formnichtiges
Rechtsgeschäft zurückgeht. Die uneingeschränkte Berücksichtigung des
Formmangels in so gelagerten Fällen würde zu unübersehbaren Schwierigkeiten
und Unsicherheiten führen, zumal eine zeitliche Begrenzung der Wirksamkeit
des Formmangels fehlt, er also jederzeit 10, 20 und mehr Jahre nach
Vertragsschluss angerufen werden könnte.

    Mit diesen Überlegungen sollen die im Grundstückhandel
häufig anzutreffenden übeln Machenschaften im Zusammenhang mit der
Verurkundung des Kaufpreises keineswegs beschönigt oder gar entschuldigt
werden. Indessen können sie unter der Herrschaft der gegenwärtigen
Rechtsordnung wirksamer mit den Mitteln des Strafrechtes und des
Steuerrechtes, als mit jenen des Zivilrechts bekämpft werden.

Erwägung 4

    4.- Im vorliegenden Falle ist der Kaufvertrag vom 29. Dezember 1961
von beiden Parteien aus freien Stücken erfüllt worden. Der Kläger hat
dank der Schwarzzahlung von Fr. 40.- pro m2 neben dem beurkundeten
Betrag von Fr. 35.- den Kaufpreis erhalten, den er zur Zeit des
Vertragsabschlusses als angemessen erachtete und forderte, nämlich
Fr. 75.- pro m2. Der Kläger hat ferner die gestützt auf den Kaufvertrag
auf den Beklagten übertragenen Eigentumsrechte faktisch anerkannt, indem
er im Jahre 1962 auf dem verkauften Land umfangreiche Gartenarbeiten im
Auftrage des Beklagten ausführte und diesem am 15. Januar 1963 für "die
Gestaltung der Gartenanlage der neu gekauften Parzellen" Rechnung in der
Höhe von Fr. 2952.35 stellte. Er hat sich also mit der Veräusserung der
zwei Parzellen endgültig abgefunden und sein Verhalten während längerer
Zeit hierauf ausgerichtet.

    Diese Umstände sprechen für die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen
Eigentumsverhältnisse; dies um so mehr, als ein einleuchtendes
schutzwürdiges Motiv für die nachträgliche Kehrtwendung des Klägers nicht
ersichtlich ist. Namentlich kann keine Rede davon sein, dass der Kläger
irgendwie auf den Wiedererwerb des Eigentumsrechtes angewiesen ist oder
ohne ihn einen nicht zumutbaren Vermögensverlust erleidet.

    Der Kläger hat, wie aus einem von ihm im kantonalen Verfahren
vorgelegten Schreiben vom 19. Januar 1966 ersichtlich ist, dem Beklagten
vorgeschlagen, ihm die eine der beiden streitigen Parzellen, nämlich
diejenige im Ausmass von 405 m2, erneut zu verkaufen, jedoch zu einem von
Fr. 75.- auf Fr. 115.-- pro m2 erhöhten Preis, d.h. insgesamt zu Franken
46'575.-- statt zu Fr. 30'375.--. Dem Kläger geht es also einzig darum,
die Wertsteigerung, welche das Land seit dem Abschluss des mangelhaften
Vertrages erfahren hat, zu seinen Gunsten auszubeuten und dafür einen
um Fr. 16'200.-- höheren Kaufpreis zu erzielen. Dieses Vorgehen ist
rechtsmissbräuchlich. Zu Unrecht glaubt sich der Kläger darauf berufen zu
können, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts der Verkäufer nicht
rechtsmissbräuchlich handle, wenn er sich auf einen Formmangel beruft,
um die Liegenschaft anderweitig vorteilhafter absetzen zu können. Denn in
den Fällen BGE 86 II 262 und 90 II 29, die der Kläger dabei im Auge hat,
waren die Kaufverträge im Gegensatz zum vorliegenden Falle noch nicht
erfüllt, so dass ein wesentlich anderer Sachverhalt zu beurteilen war.

    Dem Umstande, dass der Kläger den Kaufvertrag in Unkenntnis des
Formmangels erfüllt hat, kommt entgegen der Auffassung der Berufung keine
rechtserhebliche Bedeutung zu; denn der Kläger hat nach der Aufklärung
durch seinen damaligen Anwalt im Frühjahr 1963 nicht unverzüglich die
Aufhebung des Vertrages angestrebt, sondern den Rechtsweg gegen den
Beklagten erst rund 11/4 Jahre später beschritten.

Erwägung 5

    5.- Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Einrede, die Geltendmachung
des Formmangels sei rechtsmissbräuchlich, in der Regel demjenigen
versagt, der sich selber vertragswidriges, gegen Treu und Glauben
verstossendes Verhalten vorwerfen lassen muss (BGE 84 II 376; MERZ, ZGB
Art. 2 N. 477). Der Kläger macht geltend, dem Beklagten sei aus diesem
Grunde die Berufung auf Rechtsmissbrauch nicht zuzubilligen; denn er habe
selber rechtsmissbräuchlich gehandelt, indem er mit seinem Schreiben vom
12. März 1963 die geleistete Schwarzzahlung zurückverlangt habe mit der
unzutreffenden Behauptung, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts
hierauf Anspruch zu haben.

    Dieses Vorgehen des Beklagten ist von der Vorinstanz mit Grund
als verwerfhich bezeichnet worden, weil er sich als Rechtskundiger
darüber klar sein musste, dass seine Behauptung in Wirklichkeit nicht
zutraf. Dieses Verhalten gibt jedoch nicht dazu Anlass, ihm die Einrede
des Rechtsmissbrauches gegenüber der Klage zu verwehren. Nach den
verbindlichen Feststellungen des Obergerichts hat sich der Kläger durch
das Schreiben des Beklagten nicht ernstlich beeindrucken lassen und hat
darauf überhaupt nicht reagiert, und in der Folge ist keine der Parteien
auf die Frage einer solchen Rückerstattung je zurückgekommen. Das erwähnte
Begehren hat insbesondere auch nicht etwa die Einleitung der vorliegenden
Klage ausgelöst.

Erwägung 6

    6.- Die dargelegten Überlegungen führen zum Schlusse, dass die Annahme
der Vorinstanz, die Geltendmachung des Formmangels des Kaufvertrages
vom 29. Dezember 1961 durch den Kläger stelle einen Rechtsmissbrauch dar,
nicht gegen Bundesrecht verstösst. Die Berufung des Klägers ist deshalb
als unbegründet abzuweisen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 11. Februar 1966 bestätigt.