Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 II 168



92 II 168

26. Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Juni 1966 i.S. George S. May
Management Intercol AG gegen Siegenthaler. Regeste

    Übervorteilung bei Auftrag betreffend betriebswirtschaftliche Beratung,
Art. 21 OR.

    Massgebende Gesichtspunkte für die Beurteilung des Missverhältnisses
zwischen Leistung und Gegenleistung (Erw. 2-4).

    Begriff der Unerfahrenheit und der Ausbeutung derselben (Erw. 5).

    Anwendbarkeit der Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung
bei der Auseinandersetzung der Parteien; Art. 62 ff. OR (Erw. 6).

Sachverhalt

    A.- Der Kläger Karl Siegenthaler betreibt unter der Firma Godiva
Watch Co. in Recherswil (SO) eine kleine Uhrenfabrik, die im Durchschnitt
10 Personen beschäftigt. Kaufmännischer Leiter des Unternehmens ist der
Schwiegersohn des Klägers, Josef Kaiser.

    Die Beklagte, die George S. May Management Intercol AG., Zug,
befasst sich mit Betriebsberatung und Betriebsorganisation. Sie ist die
schweizerische Niederlassung der George S. May International Company, deren
Hauptsitz sich in Chicago befindet und die in zahlreichen amerikanischen
und europäischen Städten Zweigniederlassungen hat.

    Am 30. Mai 1962 erteilte J. Kaiser namens der klägerischen Firma
der Beklagten durch Unterzeichnung eines ihm vorgelegten Formulars
einen "Auftrag zur Durchführung einer Voruntersuchung" zum Preise
von Fr. 400.--. Diese Voruntersuchung, als deren Zweck der Auftrag
eine Betriebsanalyse bezeichnete, wurde am 12. Juni 1962 durch einen
Angestellten der Beklagten durchgeführt. Sie endete mit der Empfehlung
an den Kläger, der Beklagten einen weiteren Auftrag zu erteilen, damit
die in der Voruntersuchung zutage getretenen Probleme gelöst werden
könnten. Daraufhin unterzeichnete Kaiser nach anfänglichem Zögern
am 14. Juni 1962 ein "Aktionsmemorandum", durch das die Beklagte
den Auftrag erhielt, eine "Verkaufsplanung extern" mit einem auf
ca. 100 Stunden geschätzten Arbeitsaufwand durchzuführen. Gleichzeitig
unterzeichnete Kaiser das Formular "Ermächtigung zur Durchführung von
Verbesserungsmassnahmen und Zahlungsvereinbarung", das "ein Honorar von Fr.
100.-- pro Arbeitsstunde und MAY-Rationalisierungsfachmann" vorsah.

    Die Angestellten der Beklagten nahmen am 18. Juni 1962 die Arbeit im
Betriebe des Klägers auf und erstatteten diesem bis zum 23. Juli 1962
mehrere Zwischenberichte und einen Schlussbericht. Der Kläger bezahlte
auf Grund der ihm jeweils mit den Berichten vorgelegten Abrechnungen
insgesamt Fr. 12'066.-- an die Beklagte. Da er mit dem Resultat der
Arbeiten nicht zufrieden war, teilte er der Beklagten am 16. November
1962 mit, er fühle sich übervorteilt. Er schlug der Beklagten vor,
ihm vergleichsweise den Betrag von Fr. 6000.-- zurückzuerstatten. Die
Beklagte lehnte jedoch dieses Ansinnen ab.

    B.- Mit Klage vom 19. April/18. Mai 1963 stellte der Kläger das
Begehren, die Beklagte sei zu verpflichten, ihm wegen Übervorteilung
einen Betrag nach richterlichem Ermessen zu bezahlen.

    Die Beklagte bestritt die behauptete Übervorteilung und beantragte,
die Klage abzuweisen.

    C.- Das Kantonsgericht des Kantons Zug verpflichtete mit Urteil
vom 10. September 1965 in teilweiser Gutheissung der Klage die
Beklagte, dem Kläger Fr. 11'466.-- nebst 5% Zins seit 20. Mai 1963 zu
bezahlen. Es verneinte das Vorliegen einer Übervorteilung in bezug auf
den ersten Vertrag vom 30. Mai 1962 betreffend die Durchführung einer
Voruntersuchung. Den Gegenstand des "Aktionsmemorandums" vom 14. Juni
1962 bildenden Hauptvertrag dagegen erklärte es wegen Übervorteilung
als unverbindlich.

    Das Obergericht des Kantons Zug bestätigte auf Berufung der Beklagten
hin den erstinstanzlichen Entscheid mit Urteil vom 1. Februar 1966.

    D.- Gegen das Urteil des Obergerichts hat die Beklagte die Berufung
an das Bundesgericht ergriffen mit dem erneuten Antrag auf gänzliche
Abweisung der Klage.

    Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene
Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Da der Kläger sich mit dem vom Obergericht bestätigten Urteil
der 1. Instanz abgefunden hat, ist im Berufungsverfahren nur noch
streitig, ob die Vorinstanz mit Recht angenommen hat, der zweite Vertrag
vom 14. Juni 1962 sei wegen Übervorteilung für den Kläger unverbindlich.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 21 OR liegt Übervorteilung vor, wenn ein offenbares
Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung begründet wird durch
einen Vertrag, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der
Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichstsinns des andern herbeigeführt
worden ist.

    Es ist daher in erster Linie zu prüfen, ob bei objektiver Betrachtung
ein offenbares Missverhältnis zwischen den gegenseitigen Leistungen der
beiden Parteien bestehe.

    Wie die Beklagte mit Recht geltend macht, sind bei der Beurteilung
dieser Frage grundsätzlich nicht die tatsächlich erbrachten, sondern die
versprochenen Leistungen einander gegenüberzustellen. Eine Leistung, die
den getroffenen Vereinbarungen nicht entspricht, kann nach den Vorschriften
über die Nichterfüllung (Art. 97 ff. OR) einen Schadenersatzanspruch
begründen oder eine Herabsetzung der Gegenleistung rechtfertigen; für die
Anwendung der Vorschriften über die Übervorteilung ist dagegen in einem
solchen Falle kein Raum. Behauptet jedoch die Partei, der Übervorteilung
vorgeworfen wird, ihre vertraglichen Verpflichtungen richtig und
vollständig erfüllt zu haben, und hat sie die volle Gegenleistung
dafür gefordert und erhalten, so darf davon ausgegangen werden, dass
die tatsächlich erbrachte Leistung sich mit der versprochenen decke. Im
vorliegenden Fall hat die Beklagte nie geltend gemacht, die Tätigkeit, für
die sie sich die vereinbarte Vergütung hat bezahlen lassen, habe nicht dem
vollen Umfang der von ihr übernommenen Leistungspflicht entsprochen. Unter
diesen Umständen durfte die Vorinstanz deshalb entgegen der Meinung der
Beklagten bei der Bewertung ihrer Leistung neben ihrer vertraglichen
Umschreibung auch auf die tatsächlich geleistete Arbeit abstellen, wie
sie aus den von der Beklagten erstatteten Berichten ersichtlich ist,
und dabei auch die berufliche Bildung der Hilfspersonen berücksichtigen,
denen die Beklagte die Erfüllung des Vertrags übertrug.

    Die von der Beklagten übernommenen Verpflichtungen gingen allerdings
nicht dahin, dem Kläger ein bestimmtes Arbeitsresultat zu verschaffen;
Gegenstand der Verpflichtung der Beklagten waren die auf die Herbeiführung
eines Resultates gerichteten Bemühungen. Dass das angestrebte Ziel
tatsächlich auch erreicht werde, versprach die Beklagte dagegen
nicht. Daraus folgt, dass bei der Abwägung der gegenseitigen Leistungen,
insbesondere der von der Beklagten versprochenen Bemühungen, nicht das
vom Kläger erhoffte Ergebnis - die Umstellung seines Unternehmens auf
neue Grundlagen und die Erschliessung neuer Absatzgebiete - ins Auge
zu fassen ist, sondern die Qualität und der Wert der von der Beklagten
versprochenen Bemühungen als solcher. Allein auch dabei ist es geboten,
die eingesetzten Mittel, namentlich die Fähigkeiten der beigezogenen
Hilfspersonen, mit in Betracht zu ziehen; denn es kommt darauf an, ob die
eingesetzten Mittel zur Erbringung der von der Beklagten versprochenen
Leistungen überhaupt tauglich waren.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz ist mit Recht davon ausgegangen, dass nach
der allgemeinen Lebenserfahrung ein Stundenhonorar von Fr. 100.-- als
aussergewöhnlich hoch zu betrachten ist. Eine Vergütung in dieser Höhe
lässt sich nur rechtfertigen für Leistungen von ganz besonderem Wert,
die nur von hochqualifizierten Spezialisten erbracht werden können und
deren erhofftes Ergebnis dem Auftraggeber Vorteile verschafft, die dem
ausgelegten Betrag einigermassen entsprechen.

    Gewiss bot die Beklagte die Dienste eines Unternehmens an, das
über eine sehr gut ausgebaute Organisation verfügt. Sie ist laut ihrem
Briefkopf der schweizerische Zweig eines weltumspannenden Unternehmens
mit Sitzen in Chicago, New York, San Francisco, Montreal, Brüssel,
Düsseldorf, London, Mailand, Paris, Rotterdam und Wien. Sie kann ihren
Kunden die Dienste aller dieser Niederlassungen zur Verfügung stellen,
was hohe allgemeine Unkosten mit sich bringt, denen ebenfalls Rechnung
getragen werden muss. Aber jeder freie Beruf, der ähnliche Dienstleistungen
anbietet - Treuhandgesellschaften, Banken, Anwalts- und Notariatsbüros -
hat mit derartigen Unkosten zu rechnen.

    Die Beklagte macht geltend, dass der vereinbarte Betrag eine
Globalvergütung darstelle, die alle Auslagen des Beauftragten umfasst,
wie insbesondere Reise- und Fernmeldekosten. Im obergerichtlichen
Verfahren hat sie diese Auslagen auf 20-30% des Honorars geschätzt. Die
Vorinstanz hat dazu bemerkt, selbst wenn diese unbewiesene Behauptung
zutreffen sollte, wäre auch ein Stundenhonorar von Fr. 70.- immer
noch offensichtlich übersetzt. Wenn die Vorinstanz sich somit über
die Richtigkeit der Behauptung der Beklagten nicht ausgesprochen hat,
so darf doch davon ausgegangen werden, dass nach allgemeiner Erfahrung
die Reisekosten niemals 30% oder auch nur 20% eines Tageshonorars von
Fr. 800.-- ausmachen können. Ein Ansatz von 10%, d.h. von Fr. 80.- im Tag,
wäre schon reichlich bemessen, zumal nach den Berichten der Beklagten nicht
viele Reisen unternommen wurden und diese sich örtlich in bescheidenem
Rahmen hielten. Die Ausgaben für Reisen und Fernmeldekosten konnten
daher im vorliegenden Fall die Beklagte nicht stark belasten; andernfalls
wären nach Ziff. 10 des Vertrages Reise- und Verpflegungskosten besonders
berechnet worden.

    Die Vorinstanz hat somit für die Beurteilung der Angemessenheit
des vom Kläger versprochenen und bezahlten Honorars einen zutreffenden
Masstab angewendet.

Erwägung 4

    4.- Die von der Beklagten für das vereinbarte Stundenhonorar von Fr.
100.-- versprochene Gegenleistung umfasste zwei verschiedene Aufgaben.

    a) Die erste betraf das betriebsinterne Verhältnis zwischen dem
Kläger und seinem Schwiegersohn Kaiser, und zwar handelte es sich, wie
der Beklagten aus der "Job-Information" ihres Angestellten bewusst war,
ausschliesslich darum, die "Pflichten, Rechte und Verantwortlichkeiten"
Kaisers im Unternehmen seines Schwiegervaters zu umreissen. Aus den Akten
geht hervor, dass der 70-jährige Kläger in der Leitung des bescheidenen
Unternehmens von seinem Schwiegersohn unterstützt wird, der sich vor
allem mit den kaufmännischen Angelegenheiten zu befassen hat. Ein Sohn des
Klägers ist im Betrieb tätig, doch fehlen ihm die notwendigen Fähigkeiten,
einmal die Leitung des Betriebes zu übernehmen. Kaiser machte sich nun
Sorgen, weil seine Stellung nicht genügend gesichert war, und er hätte
es gerne gesehen, wenn sein Schwiegervater Anordnungen getroffen hätte,
durch die ihm die Leitung des Unternehmens für alle Zukunft garantiert
worden wäre.

    Wie sich das bewerkstelligen lasse, war nach den zutreffenden
Ausführungen der kantonalen Instanzen zur Hauptsache ein rechtliches
Problem; es kam dafür vor allem eine Regelung im Rahmen eines
Gesellschafts- oder Erbvertrages in Frage. Für die Ausarbeitung solcher
Verträge war die Beklagte nicht zuständig, wie sie in dem bereits
erwähnten internen Bericht selber anerkannte. Sie konnte höchstens
gewisse vorbereitende Erhebungen über die im Unternehmen bestehenden
Verhältnisse durchführen, die dem für die Aufstellung der Verträge
beizuziehenden juristischen Fachmann als Unterlagen dienen konnten. Diese
Vorbereitungsarbeiten boten angesichts des äusserst bescheidenen Umfangs
des Betriebes keine grossen Schwierigkeiten. Ein direkt beigezogener Notar,
Anwalt oder Treuhänder hätte diese Vorarbeit auf Grund der Auskünfte
des Klienten in kurzer Zeit erledigen können. Das von der Beklagten
dafür geforderte Honorar von Fr. 5'000.-- ist derart übersetzt, dass es
als geradezu anstössig bezeichnet werden muss. Was Schwierigkeiten bot,
war die Lösung des aufgezeigten Problems, die Vorbereitung und Abfassung
der erforderlichen Urkunden (Gesellschaftsvertrag, Gründung einer AG oder
GmbH, Erbvertrag), durch welche die bestehenden Schwierigkeiten behoben
worden wären. Die Beklagte hatte sich aber nur verpflichtet, in einem
vorbereitenden Bericht das Problem aufzuzeigen, wozu jeder durchschnittlich
begabte Geschäftsmann im Stande gewesen wäre. Zudem war dem Bericht der
Beklagten die Voruntersuchung vorausgegangen, in der das in Frage stehende
Problem bereits zutage getreten war und für welche die Beklagte ein Honorar
von Fr. 400.-- bezogen hatte. Die Ausführung des weiteren Auftrages,
zu dessen Erteilung der Kläger nach Abschluss der Voruntersuchung
überredet wurde, übertrug die Beklagte sodann nach den Feststellungen der
Vorinstanz keineswegs einem hochqualifizierten Fachmann, sondern einem
Angestellten, der keinen akademischen Grad besitzt. Die schon von der
Vorinstanz erwähnten Ausführungen in seinem Bericht: "Den letzten Punkt,
den wir zu berühren haben, ist nicht mehr betriebswirtschaftlicher noch
juristischer Natur, sondern rein moralisch und auch vorsichtig", lassen
als zweifelhaft erscheinen, ob dieser Angestellte überhaupt eine höhere
Schulbildung genossen hat.

    Die Richtigkeit der vorstehenden Bewertung der Leistung der Beklagten
wird schliesslich auch bestätigt durch das tatsächliche Ergebnis
ihrer Bemühungen, das nach ihrer Behauptung die getreue Erfüllung des
erhaltenen Auftrags darstellen soll. Es sind die drei Seiten umfassenden
"Verfahrensrichtlinien", bei denen es sich um eine weitschweifige
Schilderung der Verhältnisse handelt, die in einen vier Punkte umfassenden
Vorschlag ausmündet. Diese Vorschläge hätte nach den zutreffenden
Feststellungen der Vorinstanz irgendein Durchschnittskaufmann ebenso
gut, wenn nicht besser, anregen können. Die Auffassung der Vorinstanz,
diese "Verfahrensrichtlinien" seien zum Teil als "abstruser Humbug"
zu bezeichnen, ist vollauf berechtigt.

    b) Der zweite Teil der von der Beklagten versprochenen Leistung bestand
in der Durchführung einer Marktanalyse, insbesondere in der Prüfung neuer
Absatzmöglichkeiten, vor allem in Deutschland. Beide kantonale Instanzen
sind zum Schluss gelangt, dass der Beklagten für die Durchführung dieser
Aufgabe jede Eignung fehlte. Sie gehen zutreffend davon aus, dass die
Erschliessung neuer Absatzgebiete geschäftliche Beziehungen zu den dortigen
Abnehmerkreisen sowie Branchekenntnisse erfordert. Die Beklagte erfüllte
keine dieser beiden Voraussetzungen. Ihre Tätigkeit beschränkte sich
darauf, durch einen nicht branchekundigen Angestellten ihrer deutschen
Schwestergesellschaft mit einigen Uhrenmustern des Klägers irgendwelche
Uhrengeschäfte aufsuchen und anfragen zu lassen, ob sie allenfalls bereit
wären, die Erzeugnisse des Klägers zu verkaufen. Dabei kam es meist nicht
einmal zu einer persönlichen Kontaktnahme, sondern es blieb bei einer
blossen telephonischen oder schriftlichen Anfrage. Den Angestellten der
Beklagten konnte nicht entgehen, dass sie mit einem solchen Vorgehen die
vom Kläger zu bezahlenden Arbeitsstunden verschwendeten, weil es auf der
Hand lag, dass praktisch kaum eine Aussicht bestand, auf diesem Wege zu
einem positiven Ergebnis zu kommen.

    Aus dem von der Vorinstanz ermittelten Sachverhalt ist ersichtlich,
dass die Beklagte, die darauf beharrt, ihre tatsächlich erbrachte Leistung
habe den übernommenen Verpflichtungen entsprochen, die Funktionen eines
Vermittlers oder Handelsreisenden zu erfüllen beabsichtigte. Eine
solche Tätigkeit, die zudem weder einem branchekundigen noch im
betreffenden Gebiet eingeführten Personal übertragen wurde, kann nicht
als hochqualifizierte Leistung angesehen werden. Das dafür vereinbarte
Stundenhonorar von Fr. 100.-- ist daher offensichtlich weit übersetzt. Auch
in diesem Punkte ist daher der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts
durch die Vorinstanz beizupflichten.

Erwägung 5

    5.- Die zweite Voraussetzung, die für das Vorliegen einer
Übervorteilung erfüllt sein muss, besteht nach Art. 21 OR darin, dass der
Abschluss des Vertrages von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage,
des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit des andern herbeigeführt worden
ist.

    Nach der Auffassung der Vorinstanz ist im vorliegenden Fall das zuletzt
genannte Erfordernis (Unerfahrenheit) gegeben, da weder der Kläger noch
sein Schwiegersohn Kaiser, der die Vertragsunterhandlungen zur Hauptsache
führte und die Verträge mit der Beklagten unterzeichnete, befähigt gewesen
seien, die Tragweite eines Vertrages über betriebswissenschaftliche
Leistungen richtig zu würdigen.

    a) Die Beklagte rügt mit der Berufung, die Vorinstanz habe bei ihrem
Entscheid den Rechtsbegriff der Unerfahrenheit verkannt.

    Nach der Rechtsprechung ist Unerfahrenheit im Sinne des Art. 21
OR nicht nur vorhanden, wenn ganz allgemein Nichtvertrautsein mit
den Verhältnissen vorliegt, wie es z.B. bei Jugendlichen zutrifft,
sondern auch, wenn im konkreten Fall dem einen Vertragskontrahenten die
Sachkenntnis fehlt, die zur Beurteilung von Verhältnissen der in Frage
stehenden Art im allgemeinen erforderlich ist (BGE 61 II 36). Entgegen
der Auffassung der Beklagten bedarf es somit nicht einer allgemeinen
Unfähigkeit der Vertragspartei, ein bestimmtes Geschäft richtig zu
würdigen; es genügt, wenn sie auf dem in Frage stehenden Gebiet zwar
nicht völlig geschäftsunerfahren ist, aber doch die Tragweite eines ihr
vorgeschlagenen Geschäftes nicht zu erfassen vermag. Diese weitgefasste
Umschreibung des Begriffs der Unerfahrenheit drängt sich um so mehr auf,
wenn man in Betracht zieht, dass mit der fortschreitenden Entwicklung die
technischen Probleme selbst im täglichen Leben immer vielgestaltiger und
komplizierter werden, mit der Folge, dass der Einzelne in immer zunehmendem
Masse genötigt ist, sich auf Spezialisten zu verlassen, ohne sich vom
wahren Wert ihres Angebotes ein richtiges Bild machen zu können. Mit
dieser Entwicklung hat der Schutz des Vertragschliessenden Schritt zu
halten. Diese Betrachtungsweise bedeutet keineswegs eine Erweiterung
des von der bisherigen Rechtsprechung aufgestellten Begriffes der
Unerfahrenheit. Sie ist lediglich die logische Folge der Feststellung,
dass das Gebiet der allgemeinen Erfahrenheit des Einzelnen mit der
fortschreitenden Entwicklung mehr und mehr eingeengt wird. Die Vorinstanz
hat deshalb nicht gegen Bundesrecht verstossen, indem sie den Begriff
der Unerfahrenheit in diesem relativen Sinne aufgefasst hat.

    Gegenkontrahent der Beklagten ist ausschliesslich der Kläger
Siegenthaler. Dass dieser als unerfahren im Sinne der oben dargelegten
Grundsätze zu betrachten ist, bestreitet die Beklagte mit Recht nicht. Nach
den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist der Kläger zwar
ein guter Uhrmacher; die wichtigen geschäftlichen Entscheidungen hat er
dagegen von jeher seiner Frau und später seinem Schwiegersohn überlassen,
woraus geschlossen werden darf, dass er eben selber nicht über die dazu
erforderliche Geschäftserfahrung verfügte.

    Die Beklagte macht geltend - und die Vorinstanz hat ihr in diesem
Punkte beigepflichtet -, dass für die Frage der Übervorteilung auch die
geschäftliche Erfahrenheit des Schwiegersohnes zu berücksichtigen sei, in
dessen Händen die Geschäftsleitung tatsächlich liegt und der den streitigen
Vertrag abgeschlossen hat. Während jedoch die Vorinstanz angenommen hat,
auch ihm habe die erforderliche Erfahrenheit gefehlt, beharrt die Beklagte
darauf, dass bei Kaiser von Unerfahrenheit im Sinne des Gesetzes nicht die
Rede sein könne, da er als langjähriger Geschäftsleiter des klägerischen
Unternehmens mit den allgemeinen Problemen, die das Geschäftsleben
üblicherweise stelle, vertraut sei.

    Nach der Rechtsprechung (BGE 61 II 35) sind bei der Beurteilung der
Frage der Übervorteilung die gesamten Umstände des Vertragsschlusses in
Betracht zu ziehen. Es fragt sich, ob und inwieweit aus diesem Grunde auch
die Kenntnisse und Erfahrungen der Personen, deren sich die Vertragspartei
beim Abschluss des Vertrages bedient hat, mit zu berücksichtigen seien. Die
Frage kann jedoch offen gelassen werden; denn selbst bei ihrer Bejahung
gäbe im vorliegenden Fall den Ausschlag, dass auch dem Schwiegersohn
Kaiser die erforderliche Erfahrenheit abgesprochen werden muss. Nach den
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz fehlte nämlich auch ihm der
kritische Sinn, um die wahre Tragweite des Vertrages und den wirklichen
Wert der von der Beklagten versprochenen Leistungen von vorneherein zu
erfassen. Er war daher auch nicht im Stande, der Beeinflussung des Klägers
durch die Angestellten der Beklagten entgegenzuwirken und ihn über den
praktischen Wert, den ein Vertrag über betriebswirtschaftliche Beratung
für ein derart unbedeutendes Unternehmen haben konnte, in objektiver
Weise aufzuklären.

    b) Zum Tatbestand der Übervorteilung gehört schliesslich noch,
dass die eine Partei die Schwäche der andern, im vorliegenden Fall also
die Unerfahrenheit des Klägers und allenfalls seines Schwiegersohnes,
ausgebeutet, d.h. sie bewusst ausgenützt hat, um den Abschluss des
Vertrages herbeizuführen. Auch dieses Erfordernis ist hier unzweifelhaft
erfüllt: Schon auf Grund der Voruntersuchung war den Angestellten der
Beklagten bekannt, dass die Massnahmen, die zur internen Reorganisation
des Unternehmens in Frage kamen (Abschluss eines Gesellschafts- oder
Erbvertrages), nicht in ihre Kompetenz falle. Das hielt sie jedoch nicht
davon ab, den Kläger zur Erteilung des weiteren Auftrages zu überreden,
weil nur so die in der Voruntersuchung zutage getretenen Probleme gelöst
werden könnten. Auch bezüglich der "Verkaufsplanung extern", mit der sich
die Beklagte weiter beauftragen liess, liegt eine offenkundige Ausbeutung
der Unerfahrenheit der Gegenseite vor. Nach den Feststellungen der
Vorinstanz operierte der Angestellte Schnarrwiler mit den ausgezeichneten
Beziehungen, über welche die Beklagte dank ihrer weltweiten Organisation
verfüge, obwohl solche Beziehungen auf jeden Fall in der Uhrenbranche
gar nicht vorhanden waren. Der Angestellte Jung stellte dem Kläger
die Zuführung von Kunden in ganz Europa in Aussicht, woraus mit einer
jährlichen Umsatzsteigerung von Fr. 20-25'000.-- gerechnet werden dürfe,
obwohl derartige Zusicherungen mangels der erforderlichen Beziehungen der
Beklagten in der Uhrenbranche völlig in der Luft hingen. Trotzdem wurde im
"Fortschrittsbericht" der Beklagten vom 23. Juni 1962 der Gewinn, den der
Kläger dank den Bemühungen der Beklagten erwarten dürfe, auf Fr. 20'000.--
geschätzt. Durch diese Vorspiegelung von Gewinnmöglichkeiten, denen
angesichts der tatsächlichen Verhältnisse jeder reale Hintergrund fehlte,
wurden der Kläger und sein Schwiegersohn dazu bewogen, der Beklagten den
im "Aktionsmemorandum" umschriebenen weiteren Auftrag zu erteilen und
dem weit übersetzten Honoraransatz von 100.-- pro Stunde zuzustimmen.

    Den Einwand der Beklagten, der Kläger hätte den Auftrag jederzeit
widerrufen können, hat die Vorinstanz mit der zutreffenden Begründung
verworfen, dass die Angestellten der Beklagten den Kläger durch weitere
Ausbeutung seiner Unerfahrenheit von einem solchen Widerruf abhielten,
indem sie ihn glauben machten, die bisherigen Ausgaben würden sich nur
lohnen, wenn die Beklagte ihre Aufgabe zu Ende führen könne.

Erwägung 6

    6.- a) Da sämtliche Voraussetzungen des Art. 21 OR erfüllt sind,
ist der Vertrag vom 14. Juni 1962 für den Kläger unverbindlich.
Die Vorinstanz hat gestützt hierauf die Beklagte zur Rückerstattung
des vom Kläger auf Grund dieses Vertrages bezahlten Honorars von
Fr. 11'466.-- verpflichtet. Dazu hat sie bemerkt, die Beklagte
hätte grundsätzlich dem Rückerstattungsanspruch des Klägers eine
Gegenforderung aus ungerechtfertigter Bereicherung verrechnungsweise
entgegenstellen können. Sie hat die Frage des Bestehens eines solchen
Bereicherungsanspruchs jedoch nicht geprüft, weil die Beklagte ihn vor
erster Instanz weder eventualiter noch widerklageweise geltend gemacht
habe und das vom kantonalen Prozessrecht aufgestellte Novenverbot seine
Erhebung vor der oberen Instanz nicht zulasse.

    b) Die Beklagte hält dem entgegen, Art. 21 OR verweise auf die
Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung; daraus folgert
sie, der kantonale Richter hätte - nach ihrer Meinung offenbar von Amtes
wegen - das Ausmass ihrer Bereicherung ermitteln sowie prüfen müssen,
in welchem Umfang der Kläger seinerseits durch die von der Beklagten
tatsächlich erbrachten Leistungen bereichert sei; in diesem Umfang
mindere sich die Bereicherung der Beklagten, weshalb diese Ansprüche
nicht als Gegenforderungen verrechnungs- oder widerklageweise geltend
gemacht werden müssten; der Abzug ergebe sich vielmehr aus der Natur des
Rückforderungsanspruches des Übervorteilten.

    c) Art. 21 OR bestimmt, der Übervorteilte könne "...  erklären, dass er
den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen". Dieses
Rückforderungsrecht beruht also zweifellos auf der Unverbindlichkeit
des Vertrages, die bewirkt, dass die erfolgte Zahlung eines gültigen
Rechtsgrundes ermangelt. Es handelt sich somit um einen Fall der
condictio indebiti. Auf jeden Fall ist es aber Sache des Beklagten,
Umstände zu behaupten und zu beweisen, die seine Rückerstattungspflicht
ausschliessen oder mindern. Diese Auffassung liegt auch BGE 84 II 112
Erw. 4 zugrunde, wo ausgeführt wurde, bei Berufung des Übervorteilten
auf die Unverbindlichkeit des Vertrages könne die Gegenpartei nicht etwa
dessen teilweise Erfüllung verlangen, sondern bleibe darauf beschränkt,
Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend zu machen, wenn
deren Voraussetzungen gegeben seien.

    Man kann sich nun allerdings fragen, ob dies gemäss der Auffassung der
Vorinstanz bedeute, dass der Verletzte einfach seine Leistung im vollen
Umfang zurückverlangen könne und es dem Beklagten überlassen bleibe,
einredeweise ungerechtfertigte Bereicherung des Verletzten geltend zu
machen, oder ob der Rückforderungsanspruch des Art. 21 OR den Schranken
von Art. 62 ff. OR unterliege. Die letztere Lösung liefe praktisch auf
eine Anerkennung der Teilnichtigkeit des Vertrages hinaus, die BGE 84
II 112 bei Geltendmachung vollständiger Unverbindlichkeit seitens des
Übervorteilten mit Recht abgelehnt hat. Die Frage kann jedoch offen
bleiben. Denn im einen wie im andern Falle obliegt es dem Beklagten,
sich auf die Bereicherung des Klägers zu berufen und sie nachzuweisen,
während nichts darauf ankommt, ob dies durch die Erhebung eines
verrechnungsweise geltend gemachten Bereicherungsanspruchs geschieht
oder durch das Vorbringen von Einwendungen, die eine Verminderung seiner
Rückerstattungspflicht bewirken. Die Beklagte hätte somit unter allen
Umständen in rechtsgenüglicher Form den Beweis für eine Bereicherung des
Klägers anbieten müssen. Ein solches Beweisanerbieten hat sie jedoch nach
dem angefochtenen Entscheid nicht gemacht, und sie behauptet nicht, die
Vorinstanz sei in Verletzung von Art. 8 ZGB über taugliche Beweisanträge
hinweggegangen, die sie zum Nachweis einer Bereicherung des Klägers
gestellt habe.

    Unter diesen Umständen kommt daher eine Rückweisung der Sache an die
Vorinstanz zur Prüfung einer allfälligen Bereicherung des Klägers nicht
in Betracht.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Zug vom 1. Februar 1966 bestätigt.