Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 II 111



92 II 111

19. Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Mai 1966 i.S. Sznajer gegen
Rodi & Wienenberger A.-G. Regeste

    Internationales Privatrecht. Zulässigkeit der Berufung.

    Bestimmung des auf zwischenstaatliche Schuldverhältnisse anwendbaren
Rechts (Erw. I/1).

    Der schweizerische Richter hat den Inhalt des nach den schweizerischen
Kollisionsnormen anwendbaren ausländischen Rechts nicht von Amtes wegen zu
ermitteln, soweit ihm dessen Anwendung nicht zwingend vorgeschrieben ist
(Bestätigung der Rechtsprechung) (Erw. I/2).

    Schweizerisches Recht, das der kantonale Richter anstelle des
anwendbaren ausländischen Rechts subsidiär (als sog. Ersatzrecht)
angewendet hat, ist vom Bundesgericht auf Berufung hin zu überprüfen
(Änderung der Rechtsprechung) (Erw. I/3-6).

    Als subsidiäres kantonales Recht angewendetes eidgenössisches Recht
ist vom Bundesgericht nicht überprüfbar (Erw. I/7).

    Zulässigkeit des Vertriebs patentverletzender Erzeugnisse auf Grund
eines Vergleiches? (Erw. II).

Sachverhalt

    A.- Die Klägerin, die Firma Rodi & Wienenberger A.-G. in Pforzheim,
erzeugt und vertreibt Bijouteriewaren aller Art. Sie ist Inhaberin
der Schweizer Patente Nr. 296423 vom 17. April 1954 und Nr. 338991
vom 31. Juli 1959 (beide mit deutscher Priorität) betreffend ein
dehnbares Gliederband für Schmuck- und Gebrauchszwecke, insbesondere
für Armbanduhren. Für diese Erfindungen besitzt sie überdies zahlreiche
ausländische Patente, u.a. auch ein japanisches.

    Der in Brüssel ansässige Beklagte David Sznajer treibt unter der
Firmabezeichnung "Maison Universimpex" mit gleichartigen Waren Handel. Er
sandte im März 1963 10 Pakete mit dehnbaren Gliederbändern japanischen
Ursprungs von Brüssel an die Transportfirma Danzas A.-G. in Basel, wo
sie im Zollfreilager eingelagert wurden. Da diese Gliederbänder nach
der Ansicht der Klägerin ihre Patentrechte verletzten, erwirkte sie am
14. Oktober/13. November 1963 eine vorsorgliche Verfügung, durch welche die
eingelagerte Ware gemäss Art. 77 Abs. 1 PatG vorsorglich beschlagnahmt und
der Klägerin Frist für die Anhebung der Prosekutionsklage angesetzt wurde.

    B.- Am 6. Januar 1964 reichte die Klägerin beim Zivilgericht des
Kantons Basel-Stadt Klage ein mit den Begehren:

    "1.  Es sei festzustellen, dass die vom Beklagten bei der Firma
Danzas A.-G. in Basel eingelagerten und gemäss vorsorglicher Verfügung vom
14. Oktober 1963 beschlagnahmten dehnbaren Gliederbänder (Uhrarmbänder)
die Schweizer Patente Nr. 296423 und 338991 der Klägerin verletzen,
und es sei demgemäss deren Vernichtung gerichtlich zu verfügen.

    2.  Es sei dem Beklagten unter Strafandrohung im Falle der
Nichtbefolgung zu verbieten, dehnbare Gliederbänder, welche die Schweizer
Patente Nr. 296423 und 338991 verletzen, selber in die Schweiz einzuführen
oder sie durch Dritte in die Schweiz einführen zu lassen oder sie durch
die Schweiz ins Ausland abzusetzen oder durch Dritte absetzen zu lassen."

    Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen.

    C.- Das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt stellte mit Urteil vom
17. März 1965 fest, dass die vom Beklagten bei der Firma Danzas in Basel
eingelagerten 10 Pakete mit dehnbaren Gliederbändern (Uhrarmbändern)
die Schweizer Patente Nr. 296423 und 338991 der Klägerin verletzen
und verfügte in Anwendung von Art. 69 Abs. 1 PatG die Zerstörung der
patentverletzenden Ware; die weitergehenden Klagebegehren wies es ab.

    D.- Gegen dieses Urteil reichte der Beklagte Berufung an das
Bundesgericht ein, mit der er beantragte:

    "1.  Es sei das angefochtene Urteil aufzuheben.

    2.  Es sei die Klage abzuweisen.

    3.  Es seien durch einen Sachverständigen die gemäss vorsorglicher
Verfügung vom 14.10.1963 beschlagnahmten Uhrenarmbänder im Zollfreilager
Dreispitz in Basel in Augenschein zu nehmen zur Feststellung, dass es
sich um ein Fabrikat der Firma Ueno Boeki in Tokio handelt.

    4.  Eventuell sei die Sache zur Neubehandlung an die Vorinstanz
zurückzuweisen."

    In der Berufungsschrift hat der Beklagte anerkannt, dass die
beschlagnahmten Uhrenarmbänder an sich die Patente der Klägerin
verletzen. Er hat lediglich noch geltend gemacht, er sei zum Verkauf
dieser Armbänder berechtigt auf Grund eines Vertrages, den die Klägerin
am 2. Oktober 1963 mit der Herstellerin derselben, der Firma Ueno Boeki
in Tokio, sowie mit mehreren andern japanischen Firmen abgeschlossen habe
im Rahmen eines Vergleiches zur Beilegung verschiedener wegen Verletzung
der klägerischen Patentrechte geführten Prozesse. Diesen Vertrag habe die
Vorinstanz nicht richtig gewürdigt, indem sie seinen Einwand verworfen
habe, es könne ihm mit Rücksicht auf die darin getroffenen Vereinbarungen
keine Patentverletzung zur Last gelegt werden.

    Die Klägerin hat in ihrer Berufungsantwort in erster Linie den
Standpunkt eingenommen, die Berufung des Beklagten sei unzulässig, weil
der am 2. Oktober 1963 zwischen der Klägerin und der Firma Ueno Boeki in
Tokio abgeschlossene Vertrag nicht dem schweizerischen Recht unterstehe und
daher dem Bundesgericht die Befugnis fehle, die Auslegung des Vertrages
durch die kantonale Instanz zu überprüfen. Eventuell hat sie beantragt,
die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.

    E.- Da die Vorinstanz es entgegen der Vorschrift von Art. 51 Abs. 1
lit. c OG unterlassen hatte, in ihrem Entscheid anzugeben, inwieweit ihre
mit der Berufung angefochtene Würdigung des Vertrages vom 2. Oktober
1963 auf der Anwendung eidgenössischer, kantonaler oder ausländischer
Gesetzesbestimmungen beruhe, wurde sie vom Bundesgericht gestützt auf
Art. 52 OG aufgefordert, diesen Mangel zu verbessern.

    Mit Zuschrift vom 12. November 1965 hat die Vorinstanz daraufhin
dem Bundesgericht mitgeteilt, sie habe bei der Beurteilung des genannten
Vertrages auf schweizerisches Recht als Ersatzrecht für primär anwendbares
ausländisches Recht abgestellt.

    F.- Vom Bundesgericht aufgefordert, zur Frage der Zulässigkeit der
Berufung Stellung zu nehmen, hat der Beklagte mit Eingabe vom 27. November
1965 anerkannt, dass der streitige Vertrag nicht dem schweizerischen
Recht unterstehe. Er hält jedoch die Berufung gleichwohl für zulässig,
weil die Vorinstanz den von ihm gegen die Klägerin erhobenen Vorwurf
des Verstosses gegen Treu und Glauben im Sinne von Art. 2 ZGB unrichtig
gewürdigt habe. Die genannte Vorschrift sei um der öffentlichen Ordnung
willen aufgestellt und ihre unrichtige Anwendung durch die Vorinstanz
stelle deshalb eine Verletzung von Bundesrecht auch dann dar, wenn das in
Frage stehende Rechtsverhältnis nicht dem schweizerischen Recht unterstehe.

    G.- An der Berufungsverhandlung. vom 21. Dezember 1965 wurde den
Parteien Gelegenheit geboten, sich zu der Frage der Zulässigkeit der
Berufung zu äussern. Beide Parteien hielten an ihren im Schriftenwechsel
eingenommenen Rechtsstandpunkten fest.

    Nach Durchführung des Meinungsaustausches im Sinne von Art. 16
OG hat die I. Zivilabteilung mit Zustimmung der II. Zivilabteilung die
Zulässigkeit der Berufung aus den in den folgenden Erwägungen dargelegten
Gründen bejaht.

Auszug aus den Erwägungen:

           Das Bundesgericht hat in Erwägung gezogen:

Erwägung 1

    I.1.- Im Berufungsverfahren ist lediglich noch die Tragweite
des Vertrages vom 2. Oktober 1963 streitig, aus dem der Beklagte die
Berechtigung zum Verkauf der die Patentrechte der Klägerin verletzenden,
beschlagnahmten Uhrenarmbänder ableitet.

    a) Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass dieser Vertrag
nicht dem schweizerischen Recht unterstehe, sondern einem ausländischen
(wahrscheinlich dem japanischen).

    Dieser Auffassung ist beizupflichten. Nach den Regeln des
schweizerischen internationalen Privatrechtes ist auf zwischenstaatliche
Schuldverhältnisse beim Fehlen einer Rechtswahl durch die Parteien das
Recht jenes Landes anzuwenden, mit dem das Vertragsverhältnis den engsten
räumlichen Zusammenhang aufweist; dieser besteht in der Regel mit dem
Recht am Wohnsitz der Partei, deren Leistung für den in Frage stehenden
Vertrag charakteristisch ist (BGE 91 II 358 Erw. 1, 445 Erw. 1, 89 II 216,
88 II 199 Erw. 1 und dortige Hinweise).

    Der streitige Vertrag enthält keine Bestimmung über das
anwendbare Recht. Er wurde in Japan abgeschlossen im Verlaufe eines
Patentverletzungsprozesses, den die in Deutschland ansässige Klägerin
gegen eine Anzahl japanischer Firmen angestrengt hatte. Der Beklagte war
am Abschluss des Vertrages nicht beteiligt. Es fehlt somit diesem Vertrag
jeder räumliche Zusammenhang mit der Schweiz. Ein solcher entstand erst
nachträglich durch die zufälligerweise hier erfolgte Beschlagnahme von
Armbändern, die unter Verletzung klägerischer Patentrechte in Japan
hergestellt worden waren. Der dadurch geschaffene Gerichtsstand vermag
indessen, sowenig wie derjenige des Arrestes, die Anwendung der lex fori
nicht zu rechtfertigen. Er genügt lediglich, um die für die Zulässigkeit
einer (hier fehlenden) nachträglichen Rechtswahl durch die Parteien im
Prozess erforderliche Beziehung herzustellen (BGE 91 II 52 Erw. 6).

    b) Die Vorinstanz ist ebenfalls davon ausgegangen, dass der streitige
Vertrag grundsätzlich vom ausländischen Recht beherrscht sei. Sie hat nach
ihrer Erklärung vom 12. November 1965 das schweizerische Recht lediglich
als Ersatzrecht für primär anwendbares ausländisches Recht herangezogen.

    Angesichts dieser Erklärung, die eine nach Art. 52 OG zulässige,
das angefochtene Urteil ergänzende authentische Interpretation desselben
bedeutet, wäre nach der bisherigen langjährigen Rechtsprechung auf die
Berufung nicht einzutreten; denn das Bundesgericht hat stets angenommen,
dass es als Berufungsinstanz die Anwendung des vom kantonalen Richter als
blosses Ersatzrecht herangezogenen schweizerischen Rechts nicht überprüfen
dürfe (BGE 87 II 202, 88 II 202 und dort angeführte Entscheide).

    Im Schrifttum zum schweizerischen internationalen Privatrecht ist diese
Rechtsprechung seit Jahren angefochten worden; es wurde der Standpunkt
vertreten, auch die Verletzung des als blosses Ersatzrecht angewendeten
schweizerischen Rechts könne mit der Berufung an das Bundesgericht gerügt
werden (FRITZSCHE, ZSR 44 [1925] S. 266a, sowie Schweiz. Jahrbuch für
internationales Recht XIII [1956] S. 270; W. BOSSHARD, Die Aufgabe
des Richters bei der Anwendung ausländischen Rechts, Diss. Zürich
1929, S. 28 f., 102, 109; NIEDERER, Einführung in die allgemeinen
Lehren des internationalen Privatrechts, 3. Aufl. S. 353; derselbe in
"Die Rechtsordnung im technischen Zeitalter", 1961, S. 73; SCHNITZER,
Internationales Privatrecht, 4. Aufl. Bd. II S. 874; K. BLOCH, SJZ 50
[1954] S. 308; F. VISCHER, Internationales Vertragsrecht S. 79 N. 1,
sowie SJZ 51 [1955] S. 34; W. VON STEIGER, ZBJV 99 [1963] S. 425 f.;
J. GENTINETTA, Das schweizerische Bundesgericht und die Überprüfung der
Anwendung ausländischen Rechts, 1964, S. 35 ff., 54 ff.). Es ist deshalb
geboten, die Frage einer erneuten Überprüfung zu unterziehen.

Erwägung 2

    I.2.- Erklären die Kollisionsnormen des schweizerischen internationalen
Privatrechts ausländisches Recht als anwendbar, so kann dessen Anwendung
zwingend vorgeschrieben sein, sei es durch einen Staatsvertrag, sei es
durch eine Bestimmung des einheimischen Rechts, wie z.B. im Gebiete der
Ehescheidung (Art. 7 h NAG). In diesem Falle muss die Partei, die einen vom
fremden Recht beherrschten Anspruch geltend macht, den Inhalt dieses Rechts
nachweisen, ansonst sie Gefahr läuft, dass ihre Klage abgewiesen wird. Ist
dagegen die Anwendung des fremden Rechts nicht zwingend vorgeschrieben, so
hat der Richter dessen Inhalt zwar nicht von Amtes wegen zu ermitteln, aber
er kann den Schutz der Klage auch nicht vom Nachweis desselben abhängig
machen. Denn die Klageabweisung mangels Feststellung des Inhalts des
massgebenden ausländischen Rechts würde der höchsten Aufgabe des Rechts und
der Rechtspflege, die zutreffende Sachentscheidung herbeizuführen, nicht
gerecht. Einer weitverbreiteten Gepflogenheit entsprechend (BATIFFOL,
Traité élémentaire de droit international privé, 3. Aufl., Paris 1959,
S. 405; RAAPE, Internationales Privatrecht, 5. Aufl., Berlin 1961, S. 123),
wenden auch in der Schweiz die kantonalen Gerichte das schweizerische
Recht als lex fori an, wenn der Nachweis für den Inhalt des nach der
schweizerischen Kollisionsnorm an sich anwendbaren ausländischen Rechts
nicht erbracht worden ist. Dieses in der Schweiz allgemein gebräuchliche
Vorgehen stützt sich meist aufeine Vorschrift des kantonalen Prozessrechts
(so z.B. Zürcher ZPO § 100, waadtländ. ZPO Art. 127); beim Fehlen einer
solchen Vorschrift ist diese Lösung auch auf dem Wege der Gerichtspraxis
eingeführt worden (so z.B. im Kanton Bern; vgl. LEUCH, Berner ZPO 3. Aufl.,
N. 3 zu Art. 202, S. 266).

    Diese Regelung, die das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung stets
als zulässig erachtet hat (BGE 80 II 50, 180; 81 II 177), ist im Schrifttum
verschiedentlich angefochten worden mit der Begründung, selbst wenn man
Art. 32 NAG nicht auch in solchen Fällen als anwendbar ansehen wolle,
so sollte doch auf Grund der allgemeinen Prinzipien des internationalen
Privatrechts eine Pflicht zur Anwendung des massgeblichen ausländischen
Rechts von Amtes wegen angenommen und nicht zugelassen werden, dass durch
prozessrechtliche Vorschriften die Anwendung des zutreffenden materiellen
Rechts verunmöglicht werde (NIEDERER, Internationales Privatrecht, S. 345;
VISCHER, SJZ 51 [1955] S. 33).

    Es besteht jedoch kein Anlass, in diesem Punkte von der bisherigen
Rechtsprechung abzugehen. Das Vertragsrecht ist vom Grundsatz der
Autonomie des Parteiwillens beherrscht; das gilt auch hinsichtlich des
anwendbaren Rechts (BGE 79 II 299 lit. d; RAAPE, op.cit. S. 455 f.). Aus
dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung lässt sich nicht ableiten,
dass dem ausländischen Recht der Vorrang vor dem schweizerischen Recht
zukomme. Die Parteien wissen, dass der Richter seinem Entscheid das
schweizerische Recht zugrunde legen wird, wenn sie den Inhalt des an sich
anwendbaren ausländischen Rechts nicht nachweisen. Ihre Untätigkeit darf
deshalb dahin ausgelegt werden, dass sie die Beurteilung der Streitsache
auf Grund des schweizerischen Rechtes in Kauf nehmen (BGE 80 II 180,
81 II 177). Eine Verpflichtung des Richters, ausländisches Recht von
Amtes wegen anzuwenden, wäre übrigens praktisch kaum auf der ganzen Linie
durchführbar, da namentlich die kantonalen Gerichte unterer Instanz nicht
über die dafür erforderliche Dokumentation verfügen würden.

Erwägung 3

    I.3.- Im weiteren ist zu untersuchen, aus welchen Gründen das
Bundesgericht bisher eine Überprüfung des materiellen schweizerischen
Rechtes abgelehnt hat, wenn dieses als blosses Ersatzrecht an Stelle
des nicht nachgewiesenen und dem kantonalen Richter nicht bekannten
ausländischen Rechts angewendet wurde.

    Der erste Entscheid, in dem dieser Grundsatz aufgestellt wurde, stammt
aus dem Jahre 1894. In jenem Fall (BGE 20 S. 410 Erw. 3) begründete das
Bundesgericht die Ablehnung, die Anwendung des vom Obergericht Zürich als
blosses Ersatzrecht herangezogenen schweizerischen Rechts zu überprüfen,
mit folgenden Erwägungen:

    "Es kann jedoch nicht zweifelhaft sein, dass sie (die zweite Instanz)
von der Anschauung ausging, das Streitverhältnis werde an sich vom
ausländischen Recht beherrscht, und dass dessen Anwendung nur aus dem
Grunde unterblieben ist, weil die Parteien es unterlassen haben, den Inhalt
desselben nachzuweisen; in diesem Falle war der Vorderrichter nach § 289
des zürcherischen Rechtspflegegesetzes nicht verpflichtet, das fremde Recht
anzuwenden, sofern er nicht ohnehin sichere Kenntnis von dessen Inhalt
besass; er durfte vielmehr einfach von der Annahme ausgehen, der Inhalt des
fremden Rechtes sei von demjenigen des einheimischen nicht verschieden."

    Daraus wurde gefolgert, die kantonale Instanz habe das schweizerische
Recht nicht als solches, sondern vielmehr auf Grund der erwähnten
Vorschrift der zürcherischen ZPO "als vorausgesetzten Inhalt des
massgebenden ausländischen Rechts" angewendet.

    Auf diesen Grundsatz stellte das Bundesgericht in der Folge in
ständiger Rechtsprechung ab, ohne dass er je zum Gegenstand einer näheren
Überprüfung gemacht wurde; die späteren Entscheide beschränkten sich
entweder darauf, die in diesem ersten Entscheid aufgestellte Regel zu
übernehmen oder kurzerhand auf die frühere Rechtsprechung zu verweisen
(BGE 20 S. 874 Erw. 3, 41 II 742, 58 II 436, 60 II 324, 67 II 181, 218,
77 II 191, 274, 78 II 392, 84 III 150, 87 II 202, 88 II 202 Erw. 4).

    Die in BGE 20 S. 410 angerufene Bestimmung der Zürcher ZPO stellte
nun aber, entgegen dem durch die Erwägungen des genannten Entscheides
erweckten Anschein, keineswegs die Fiktion auf, dass beim Fehlen des
Nachweises des Inhaltes des fremden Rechts anzunehmen sei, dieses stimme
mit dem einheimischen Recht überein. § 289 der damals geltenden Zürcher
ZPO vom 2. Dezember 1874, auf den der erwähnte Entscheid ausdrücklich
Bezug nimmt, hatte folgenden Wortlaut:

    "Kommen fremde Gesetze zur Anwendung, so hat der Richter dieselben
von Amtes wegen zu beachten, sofern er sichere Kenntnis von deren Inhalt
besitzt.

    Indessen ist es Sache der Partei, welche sich auf ein fremdes Recht
beruft, dessen Inhalt nötigenfalls dem Richter nachzuweisen.

    Niemals kann ein rechtskräftiges Urteil wegen Nichtbeachtung oder
unrichtiger Auslegung fremder Gesetze angegriffen werden, wenn die Parteien
versäumt haben, während des Prozesses sich auf dieselben zu berufen und
dem Richter ihren Inhalt nachzuweisen."

    Diese Vorschrift bestimmte also nur, dass der Richter ausländisches
Recht nur dann von Amtes wegen anwenden müsse, wenn er von seinem Inhalt
sichere Kenntnis habe, wobei den Parteien obliege, den Inhalt des von
ihnen angerufenen ausländischen Rechtes nachzuweisen. Der Wortlaut der
erwähnten Vorschrift besagte somit richtig besehen nichts weiter, als
dass das schweizerische Recht als subsidiäres Recht angewendet werden
könne; die Fiktion der inhaltlichen Übereinstimmung des ausländischen
mit dem schweizerischen Recht stellte die Vorschrift dagegen nicht auf;
diese wurde vielmehr durch den erwähnten Bundesgerichtsentscheid in sie
hineininterpretiert.

Erwägung 4

    I.4.- Diese Fiktion ist, entgegen der Behauptung von GULDENER,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1958, S. 134, keineswegs
eine allen kantonalen Prozessordnungen gemeinsame Regel. Sie findet sich
ausdrücklich nur in den Prozessordnungen der Kantone Zürich, vom 13. April
1913, § 100, Appenzell A.Rh. Art. 92, Appenzell I.Rh. Art. 116 und
St. Gallen Art. 177. In allen diesen Prozessordnungen hat die einschlägige
Vorschrift ungefähr den gleichen Wortlaut. Die zürcherische Vorschrift,
welche die älteste ist, wurde wahrscheinlich von den übrigen Kantonen
einfach übernommen. Eine Gruppe von weiteren Prozessordnungen geht zwar
ebenfalls von der Regel der subsidiären Anwendbarkeit des schweizerischen
Rechtes aus, ohne jedoch zu erklären, der Richter dürfe dessen
Übereinstimmung mit dem ausländischen Recht unterstellen. Diese Regelung
treffen die Prozessordnungen der Kantone Zug, § 55, Freiburg, Art. 6,
Thurgau, § 120, Waadt, Art. 127, Neuenburg, Art. 70. Die ZPO des Kantons
Schaffhausen lehnt eine derartige Vermutung eindeutig ab; ihr Art. 146
gibt dem Richter die Befugnis, mangels sicherer Kenntnis des ausländischen
Rechtes und beim Fehlen des Nachweises seines Inhalts durch die Parteien
die Sache "nach ihm bekannten Rechtsgrundsätzen" zu entscheiden. Wieder
andere Prozessordnungen, wie diejenigen der Kantone Bern, Luzern und Genf,
enthalten überhaupt keine diesbezügliche Vorschrift. Die Behauptung von
LEUCH, ZPO S. 226, wonach durch die bernische Gerichtspraxis die Vermutung
der Identität des Inhalts eingeführt worden sei, findet in dem dafür
angerufenen Zitat in ZBJV 49 (1913) S. 492 keine Stütze. Wie aus ZBJV 86
(1950) S. 415 ersichtlich ist, geht die neuere bernische Rechtsprechung
dahin, dass bei Unsicherheit über den Inhalt des ausländischen Rechts das
schweizerische Recht substitutionsweise heranzuziehen sei, ohne jedoch
die Vermutung der Identität zu übernehmen. Im gleichen Sinne lautet die
luzernische Rechtsprechung (ZBJV 80 [1944] S. 240, 96 [1960] S. 71).

    Es lässt sich somit nicht behaupten, dass die Fiktion der Identität
des ausländischen Rechtes mit dem einheimischen eine allen kantonalen
Prozessordnungen gemeinsame Regel darstelle. Träfe dies zu, so könnte man
sich allenfalls fragen, ob eine solche durch das kantonale Prozessrecht
gedeckte Fiktion für das Bundesgericht verbindlich sei (so SCHNITZER,
op.cit. 3. Aufl. Bd. I S. 194, Bd. II S. 744; 4. Aufl. Bd. I S. 195). Mit
Recht hat jedoch dieser Autor selber (4. Aufl. Bd. II S. 874) seinen
früheren Standpunkt preisgegeben. Die erwähnte Fiktion beruht nicht auf
einer die Form des gerichtlichen Verfahrens betreffenden Vorschrift
des Prozessrechts. Es handelt sich vielmehr um eine Vorschrift des
materiellen internationalen Privatrechts, die bestimmt, inwieweit und
unter welchen Voraussetzungen der schweizerische Richter verpflichtet
ist, die Kollisionsnormen seines einheimischen Rechtes tatsächlich
anzuwenden. Dass das schweizerische internationale Privatrecht zur
Hauptsache auf dem Wege der Gerichtspraxis geschaffen worden ist, vermag
an seiner Rechtsnatur nichts zu ändern. Im weiteren ist zu beachten,
dass die Fiktion der Identität, wie dargelegt wurde, nur von einzelnen
Prozessordnungen aufgestellt wird. Es kann aber selbstverständlich
keine Rede davon sein, die Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichtes von
der rechtlichen Konstruktion abhängen zu lassen, die für ein kantonales
Prozessrecht gewählt worden ist, um die Anwendung des einheimischen Rechtes
an Stelle des nach der materiellrechtlichen Kollisionsnorm massgebenden
ausländischen Rechts zu rechtfertigen. Es ergäbe sich sonst das völlig
unhaltbare Resultat, dass dem Bundesgericht in einem von den zürcherischen
Gerichten beurteilten Fall die Überprüfungsbefugnis fehlen würde, während
sie ihm in Fällen aus den Kantonen Schaffhausen oder Waadt zustünde.

    Diese Überlegungen führen zum Schlusse, dass das Bundesgericht, wenn
es sich darum handelt, die Grenzen des tatsächlichen Anwendungsbereiches
einer bundesrechtlichen Kollisionsnorm abzustecken, an eine vom kantonalen
Prozessrecht aufgestellte Identitätsfiktion nicht gebunden sein kann.

Erwägung 5

    I.5.- Die Fiktion, wonach das ausländische Recht, dessen Inhalt
die Parteien nicht haben nachweisen können oder nachweisen wollen,
in einem bestimmten Punkte mit dem schweizerischen Recht übereinstimme,
erscheint als gekünstelt und ist im Schrifttum (NIEDERER, Internationales
Privatrecht, S. 354) mit Recht als "logische Spitzfindigkeit" bezeichnet
worden. Sie stellt ein Überbleibsel der sog. Begriffsjurisprudenz dar,
d.h. jener allzustreng logischen und formalistischen Auffassung vom System
des Privatrechts, von der das Bundesgericht, hauptsächlich unter dem
Einfluss der deutschen Doktrin, sich in seiner Rechtsprechung anfänglich
leiten liess. Diese Auslegungsmethode ist in andern Rechtsgebieten
längst aufgegeben worden. Sie lässt sich auch in der hier in Frage
stehenden Beziehung nicht aufrechterhalten für einen Richter, welcher der
Aufgabe gerecht werden will, seine Entscheidungen unter Berücksichtigung
der Rechtswirklichkeit zu treffen. Denn es liegt auf der Hand, dass
eine solche inhaltliche Übereinstimmung eines ausländischen mit dem
einheimischen Recht in Wirklichkeit nur äusserst selten anzutreffen
ist. Der Richter, der auf schweizerisches Recht abstellt statt auf
das massgebende ausländische Recht, wie z.B. auf ein angelsächsisches
Recht, das Recht einer sog. Volksdemokratie oder dasjenige eines der
neugeschaffenen afrikanischen Staaten, ist sich natürlich im klaren
darüber, dass er ein anderes Recht mit andern Rechtsbegriffen anwendet
und dass die Lösung, die ihm das schweizerische Recht vorschreibt, von
derjenigen abweichen kann, die sich auf Grund des nach der Kollisionsnorm
an sich massgebenden ausländischen Rechts ergäbe. Die Heranziehung des
schweizerischen Rechts ist ausschliesslich die Folge der Unmöglichkeit für
den mit der Sache befassten Richter, ein ihm unbekanntes Recht anzuwenden.
Das Zurückgreifen auf das einheimische Recht erfolgt aber um so häufiger,
je weiter entfernt das Land ist, dessen Recht an sich massgebend wäre
und je mehr dieses Recht vom schweizerischen abweicht. Verweist die
Kollisionsnorm auf französisches, belgisches, deutsches, österreichisches
oder italienisches Recht, so sind die Parteien eher in der Lage, dessen
Inhalt nachzuweisen, und selbst beim Fehlen dieses Nachweises kann sich
der Richter verhältnismässig leicht und mit genügender Sicherheit über
die betreffende Gesetzgebung, Rechtslehre und Rechtsprechung Aufschluss
verschaffen. Anders verhält es sich dagegen, wenn z.B. ein afrikanisches
oder fernöstliches Recht in Frage steht. Aber gerade in solchen Fällen
wird der Richter mangels Aufklärung durch die Parteien auf die oben
erwähnte Unmöglichkeit stossen.

    Aus dieser Lage muss er einen Ausweg finden; der Knoten
muss durchgehauen werden (RAAPE, op.cit. S. 123; BATIFFOL,
op.cit. S. 405). Hiefür sind in der Rechtslehre die verschiedenartigsten
Systeme vorgeschlagen worden, die von der Abweisung der Klage über die
Anwendung verwandter Rechtsordnungen bis zur Heranziehung allgemeiner,
überstaatlicher Rechtsprinzipien reichen (vgl. RAAPE, op.cit. S. 122
f.). Die einfachste, vernünftigste Lösung, die in der Rechtsprechung der
meisten Länder befolgt wird, besteht jedoch in der Anwendung der lex fori,
d.h. des Rechtes, das der urteilende Richter in jeder Hinsicht kennt und
dessen Handhabung ihm vertraut ist.

    Diese Heranziehung der lex fori ist aber nicht ein Gebot der
Logik, sondern sie erfolgt nur unter dem Druck der materiellen
Notwendigkeit, mit Rücksicht auf die Grenzen, die den Kenntnissen
und der Dokumentationsmöglichkeit des Richters gesetzt sind. Dieses
Zurückgreifen auf das einheimische Recht bedeutet eine Beschränkung des
Anwendungsbereiches der internationalprivatrechtlichen Kollisionsnorm,
die nicht beachtet wird, weil der Richter das ausländische Recht, auf
das sie verweist, mangels Kenntnis nicht anwenden kann. Das, nicht die
angeblich zu vermutende inhaltliche Übereinstimmung des ausländischen
mit dem einheimischen Recht, ist der wirkliche Grund für das Abstellen
auf das letztere.

    In diesem Zusammenhang ist sodann hervorzuheben, dass den
Kollisionsnormen, wenigstens soweit sie die Anwendung eines ausländischen
Rechts vorschreiben, nicht der Charakter von Vorschriften zukommt,
die um der öffentlichen Ordnung willen aufgestellt sind. Die Anwendung
des fremden Rechtes stellt vielmehr nur eine Ausnahme dar, welche
die einheimische Rechtsordnung für Ansprüche zulässt, die unter der
Herrschaft des betreffenden ausländischen Rechtes begründet worden sind
(sog. wohlerworbene Rechte), wie auch in gewissen Fällen, insbesondere in
Statusfragen (Eheschliessung, Ehescheidung, Abstammung), um die Anerkennung
der einheimischen Urteile durch den ausländischen Staat zu bewirken.
Grundsätzlich aber hat der Richter das einheimische Recht anzuwenden,
dessen Vorschriften den hier herrschenden sozialen und ethischen
Anschauungen entsprechen. Kann das ausländische Recht nicht angewendet
werden, sei es wegen Fehlens der erforderlichen Anknüpfungsbegriffe
(z.B. weil die fremde Staatsangehörigkeit oder der ausländische Wohnsitz
nicht haben nachgewiesen werden können), sei es, weil sich der Inhalt
des nach der Kollisionsnorm massgebenden ausländischen Rechts nicht
ermitteln lässt, so ergibt sich ganz natürlicherweise gemäss dem Prinzip,
das die französische Rechtslehre als "plénitude de compétence de la lex
fori" bezeichnet (BATIFFOL, op.cit. S. 403 ff.), die Anwendbarkeit des
einheimischen Rechts.

    Verzichtet der schweizerische Richter auf die Anwendung eines
ausländischen Rechts, dessen Inhalt ihm nicht bekannt ist, so gelangt also
das schweizerische Recht zwar als subsidiäres Recht zur Anwendung, aber es
ist und bleibt trotzdem schweizerisches Recht (BOSSHARD, S. 109; NIEDERER,
S. 354), nicht bloss ein "Ersatzrecht" für ausländisches Recht, gleichsam
ein "schweizerisches Recht zweiter Qualität". Das schweizerische Recht,
dessen Anwendbarkeit durch die Kollisionsnorm primär ausgeschlossen wird,
gelangt wieder zur Herrschaft, sobald und weil die Kollisionsnorm sich
praktisch nicht durchführen lässt. Auf Grund dieser Betrachtungsweise
unterliegt aber auch das bloss subsidiär angewendet schweizerische Recht
der Überprüfung durch das Bundesgericht als Berufungsinstanz, die über
die richtige und einheitliche Anwendung des Bundeszivilrechts zu wachen
hat. Damit wird der Gefahr vorgebeugt, dass neben dem direkt angewendeten
schweizerischen Zivilrecht durch die Rechtsprechung der kantonalen
Gerichte ein in gewissen Punkten davon abweichendes schweizerisches Recht
herausgebildet wird, das der Nachprüfung des Bundesgerichtes entzogen ist.

    Auf dem Boden der oben dargelegten Lösung steht auch die deutsche
Rechtspechung (NIEDERER, S. 353). In der Literatur zum deutschen Recht
wird nirgends die Auffassung vertreten, die Revisionsinstanz sei nicht
befugt zur Überprüfung des deutschen Rechtes, das an Stelle des nicht
nachweisbaren ausländischen Rechts angewendet wurde. Die gegenteilige
Lösung wird offenbar als selbstverständlich angenommen, wie daraus zu
schliessen ist, dass die Heranziehung der lex fori als "ultima ratio", als
"Verlegenheitslösung", zur Vermeidung einer Justizverweigerung bezeichnet
wird, und zwar unter ausdrücklicher Ablehnung der Fiktion, dass das fremde
Recht mit der lex fori übereinstimme (RAAPE op.cit. S. 123; RIEZLER,
Internationales Zivilprozessrecht, 1949, S. 497 f.).

    Dass auch der französische Kassationshof das subsidiär angewendete
französische Recht überprüft, versteht sich angesichts des Grundsatzes der
"plénitude de compétence de la lex fori" von selbst.

    In Staaten, in denen die oberste Revisionsinstanz die Anwendung des
ausländischen Rechts überprüft (so z.B. in Italien und Österreich; vgl.
NIEDERER IPR S. 352 Anm. 13; RAAPE, op.cit., S. 126 N. 134), stellt sich
das Problem der Überprüfbarkeit des subsidiär angewendeten einheimischen
Rechtes überhaupt nicht; denn da sogar das ausländische Recht überprüft
wird, liegt es auf der Hand, dass auch das subsidiär angewendete
einheimische Recht überprüfbar sein muss.

Erwägung 6

    I.6.- Zu Gunsten der dargelegten Lösung spricht auch noch eine
weitere Überlegung, auf welche insbesondere NIEDERER, Die Rechtsordnung
im technischen Zeitalter, S. 73, und FRITZSCHE, Schweiz. Jahrbuch für
internationales Recht, 1958, S. 27 l'mit Recht hingewiesen haben: Fehlt
eine Rechtswahl der Parteien und wendet der kantonale Richter an Stelle des
nach der Kollisionsnorm massgebenden, ihm aber unbekannten ausländischen
Rechts das schweizerische als sog. Ersatzrecht an, so ist dem Bundesgericht
nach der bisherigen Rechtsprechung die Überprüfung verwehrt. Haben dagegen
die Parteien, oder wenigstens ihre Prozessvertreter, eine Rechtswahl
zugunsten des schweizerischen Rechtes getroffen, so ist das Bundesgericht
zur materiellen Entscheidung der Streitsache befugt. Es ist jedoch im
höchsten Grade unbefriedigend, die Zulässigkeit der Berufung davon abhängen
zu lassen, ob in den Prozesschriften und sonstigen Akten des kantonalen
Verfahrens Erklärungen zu finden sind, die sich als eine Rechtswahl
auffassen lassen. Zudem ist es erfahrungsgemäss äusserst schwierig,
eine zwar stillschweigende, aber von einem ersichtlichen bewussten
Rechtswahlwillen getragene Vereinbarung der Parteien abzugrenzen von
einer wohl ausdrücklichen und gemeinsamen, aber keinen Rechtswahlwillen
zum Ausdruck bringenden Anrufung schweizerischer Gesetzesbestimmungen,
der die gegenwärtige Rechtsprechung die Eigenschaft einer Rechtswahl
abspricht (BGE 87 II 200 f., 88 II 327, 89 II 216, 267, 91 II 46 und
445). In zahlreichen Grenzfällen dieser Art kann die Heranziehung des
schweizerischen Rechtes durch den kantonalen Richter ebensogut mit einer
stillschweigenden Rechtswahl wie mit seiner bloss subsidiären Anwendbarkeit
begründet werden. Es ist deshalb auch aus diesem Grunde stossend, die
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts von der öfters recht fragwürdigen
Auslegung abhängig zu machen, die der kantonale Richter der Anrufung
schweizerischer Gesetzesbestimmungen durch die Parteien gegeben hat.

    Dazu kommt ein weiteres: Der Entscheid über das Vorliegen oder
Nichtvorliegen einer Rechtswahl ist um so schwieriger und führt zu um so
unsicherern Ergebnissen, als der kantonale Richter sich mit dieser Frage
häufig überhaupt nicht befasst. Berufen sich die Parteien in einem Prozess
mit Auslandsberührung nicht auf ausländisches Recht und weisen sie dessen
Inhalt nicht nach, so wendet der Richter schweizerisches Recht an, ohne
sich darüber auszulassen, ob dies kraft stillschweigender Rechtswahl durch
die Parteien geschehe oder ob er das schweizerische Recht nur subsidiär an
Stelle eines primär anwendbaren ausländischen Rechts heranziehe. Nach der
gegenwärtigen Rechtsprechung ist aber diese Frage für die Zulässigkeit
der Berufung von entscheidender Bedeutung. Das Bundesgericht ist daher
genötigt, im angefochtenen Entscheid, und falls diesem nichts zu entnehmen
ist, in den kantonalen Akten nach diesbezüglichen Erklärungen der Parteien
zu forschen.

    Ein solcher Rechtszustand ist aber mit der Ordnungsfunktion, welche
die wesentliche Aufgabe der Rechtsprechung darstellt, schlechterdings
nicht vereinbar.

Erwägung 7

    I.7.- An der bisherigen Rechtsprechung kann somit aus den dargelegten
Erwägungen nicht festgehalten werden. Sie führen zum Schluss, dass gleich
wie die unmittelbare auch die bloss subsidiäre Anwendung schweizerischen
Rechts durch den kantonalen Richter vom Bundesgericht überprüft werden
kann, und zwar ohne Rücksicht darauf, wie das kantonale Prozessrecht
oder die kantonale Rechtsprechung die subsidiäre Heranziehung des
schweizerischen Rechts begründen. Auf die Berufung ist daher einzutreten.

    Diese Änderung der Rechtsprechung hat jedoch nicht zur Folge,
dass inskünftig auch eidgenössisches Recht, das durch die Kantone als
subsidiäres kantonales Recht angewendet wird (indem sie z.B. für die
Haftung ihrer Beamten die Vorschriften nach Art. 41 ff. OR als anwendbar
erklären), vom Bundesgericht als Berufungsinstanz überprüft werden
könnte. Dieser Fall ist entgegen der in BGE 58 II 436 geäusserten
Auffassung der subsidiären Anwendung des schweizerischen Rechts an
Stelle des ausländischen keineswegs gleichzusetzen. Denn das von
einem Kanton als subsidiär anwendbar erklärte eidgenössische Recht
führt seine Geltung auf einen Staatsakt des Kantons zurück, durch
den die eidgenössischen Rechtssätze dem kantonalen Recht einverleibt
werden. Die bundesrechtlichen Vorschriften sind bestimmt, eine fehlende
kantonale Regelung zu ersetzen. Das ausländische Recht dagegen hat
vor dem Bundesrecht als Ersatzrecht nicht zurückzutreten, weil es keine
einschlägigen Bestimmungen enthält, sondern weil sein Inhalt unbekannt ist.
Das eidgenössische Recht, das der Kanton als subsidiär anwendbar erklärt,
wird kraft dieser Verweisung zum kantonalen Recht, dessen Überprüfung dem
Bundesgericht verwehrt ist (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Es liegt somit
in diesem Falle tatsächlich eine sog. Inkorporation vor, die für das
Gebiet des internationalen Privatrechts von der Lehre (mit Ausnahme der
italienischen) allgemein abgelehnt wird (NIEDERER IPR S. 125 f; RAAPE,
op.cit. S. 120 f; BATIFFOL, op.cit. S. 379 f.).

Erwägung 1

    II.1.- Der Beklagte leitet die Befugnis zum Vertrieb der an sich
patentverletzenden Ware aus einem Vergleich ab, den die Klägerin am 2.
Oktober 1963 mit verschiedenen japanischen Firmen in Tokio abgeschlossen
hat. Er behauptet, in diesem Vergleich habe die Klägerin den daran auf der
Gegenseite beteiligten Firmen erlaubt, die in Verletzung der klägerischen
Patentrechte hergestellten Waren noch bis Ende 1963 zu exportieren. Da
die in Basel beschlagnahmten Armbänder von der Firma Ueno Boeki in Tokio
stammten, die am Vergleich vom 2. Oktober 1963 ebenfalls beteiligt gewesen
sei, müsse die Klägerin den Vertrieb dieser Ware durch ihn dulden.

    Die Klägerin hat bestritten, dass es sich bei den beschlagnahmten
Armbändern um Erzeugnisse der Firma Ueno Boeki handle; diese stammen
vielmehr nach ihrer Darstellung von der am Vergleich nicht beteiligten
Firma Maruman.

    Die Vorinstanz hat hiezu festgestellt, der Beklagte habe nicht
nachzuweisen vermocht, dass die beschlagnahmten Bänder von der Firma Ueno
Boeki stammen. Diese Feststellung ist tatsächlicher Natur und bindet daher
das Bundesgericht. Was der Beklagte demgegenüber in der Berufungsschrift
vorbringt, ist als unzulässige Kritik an der vorinstanzlichen
Beweiswürdigung nicht zu hören. Fehlt aber der Nachweis dafür, dass die
streitigen Armbänder von einem am Vergleich vom 2. Oktober 1963 beteiligten
Hersteller stammen, so kann sich der Beklagte von vorneherein nicht auf
die in diesem Vergleich getroffenen Vereinbarungen berufen.

Erwägung 2

    II.2.- Abgesehen hievon wäre dem Beklagten die Berufung auf den
Vergleich vom 2. Oktober 1963 auch aus dem weiteren Grunde versagt,
dass er an ihm nicht als Partei beteiligt war. Der genannte Vergleich
vermochte Rechtswirkungen nur zugunsten und zulasten der Vertragsparteien
zu entfalten. Irgendwelche Rechte des Beklagten wurden durch ihn
nicht begründet. Da der Beklagte, wie er ausdrücklich anerkennt, nicht
Rechtsnachfolger der Firma Ueno Boeki ist, kann er auch nicht etwa
Rechte der letzteren der Klägerin gegenüber aus dem Vergleich geltend
machen. Das gälte auch für die vom Beklagten behauptete Verpflichtung
der Klägerin, gegen die Firma Ueno Boeki keine prozessualen Massnahmen
wegen Patentverletzung zu ergreifen. Schliesslich geht auch der Einwand
des Beklagten fehl, er habe durch den Kauf der Uhrenarmbänder "eine
Rechtsgewähr erhalten, deren Bestand er mit einem Vertrag zwischen der
Klägerin und dem Hersteller der betreffenden Ware unter Beweis stellen
kann". Eine solche Rechtsgewähr würde einzig den Verkäufer der Ware
verpflichten. Da nicht die Klägerin dem Beklagten die streitige Ware
verkauft hat, kann ihr diese angebliche Rechtsgewähr auf keinen Fall
entgegengehalten werden.

Erwägung 3

    II.3.- Kann der Beklagte aus dem Vertrag vom 2. Oktober 1963 überhaupt
keine Rechte ableiten, so braucht nicht geprüft zu werden, ob die Klägerin
darin tatsächlich den daran beteiligten japanischen Firmen erlaubt hat,
während einer bestimmten Übergangsperiode noch patentverletzende Armbänder

    abzusetzen.

    Da die beschlagnahmten Armbänder unbestrittenermassen die Patentrechte
der Klägerin verletzen, ist die diesbezüglich im angefochtenen Entscheid
getroffene Feststellung zu bestätigen. Die von der Vorinstanz weiter
getroffene Anordnung, die beschlagnahmten Armbänder seien auf Grund
von Art. 69 PatG zu vernichten, hat der Beklagte im Berufungsverfahren
nicht mehr beanstandet.

Entscheid:

                  Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Zivilgerichts des
Kantons Basel-Stadt vom 17. März 1965 wird bestätigt.