Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 III 27



92 III 27

5. Entscheid vom 16. Juli 1966 i.S. Schweizerische Kreditanstalt. Regeste

    Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung. Liquidationsverfahren.
Kollokationsplan.

    1.  Der Kollokationsplan ist tunlich rasch aufzustellen. Art. 316g in
Verbindung mit Art. 247 SchKG. - Verschiebung einer Kollokationsverfügung
nach Art. 59 Abs. 2 Satz 2 KV: Wieweit Ermessensfrage? Unzulässig, wenn
keine ernstlichen Hindernisse oder Schwierigkeiten bestehen. (Erw. 1).

    2.  Der Umstand, dass eine Konkurseingabe heikle Rechtsfragen
aufwirft, bildet im allgemeinen keinen Grund, die Verfügung über sie im
Kollokationsplan aufzuschieben. (Erw. 2).

    3.  Ist die Verschiebung zulässig mit Rücksicht auf eine der
Konkursmasse allenfalls je nach dem Ausgang eines Prozesses mit einem
Dritten erwachsende Rückgriffsforderung? Sie ist es nicht, wenn die
selbständige Geltendmachung des Rückgriffsrechtes keine erheblichen
Nachteile für die Masse mit sich bringen wird und ausserdem zur Zeit
keine konkreten Anhaltspunkte für einen den Rückgriff rechtfertigenden
Sachverhalt bestehen. (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Der in Arlesheim wohnhafte Gustav Baader war Inhaber eines
Geschäftsbetriebes in Basel (Einzelfirma) und ausserdem zusammen
mit Louis Lachat und Marcel Corbat an zwei Gesellschaften mit Sitz
in Delsberg beteiligt: der Immeubles Modernes SA ("IMMOSA"), deren
Verwaltungsrat er gleichfalls angehörte, und der Eléments Préfabriqués
SA ("EPSA"). Für diese beiden (miteinander nicht nur personell, sondern
auch geschäftlich verbundenen) Gesellschaften wie auch für Lachat und
Corbat ging Baader Bürgschaftsverpflichtungen von insgesamt etwa Fr. 17
000 000.-- ein. Als die beiden Gesellschaften in Zahlungsschwierigkeiten
gerieten und einige Gläubiger sich anschickten, Baader als Bürgen zu
belangen, suchte dieser um eine Nachlasstundung nach. Am 15. Dezember 1964
wurde der von ihm vorgeschlagene Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung
(Liquidationsvergleich) behördlich bestätigt. Ueber die beiden erwähnten
Gesellschaften war schon im Oktober 1964 der Konkurs eröffnet worden. Im
folgenden Monat kam auch Lachat in Konkurs, während Corbat wie Baader
die Bestätigung eines Liquidationsvergleiches erlangte. Im Konkurs der
IMMOSA ergab sich ein Passivenüberschuss von mehr als Fr. 17 000 000.--,
im Konkurs der EPSA ein solcher von über Fr. 3 000 000.--.

    B.- Am 15. Januar 1966 legte die Liquidationskommission im
Nachlassvertragsverfahren des G. Baader den Kollokationsplan auf. Darin
stellte sie ihre Verfügung über Zulassung oder Abweisung der Forderungen
der Rekurrentin von insgesamt Fr. 2 700 000.-- aus, weil eine nähere
Prüfung nötig sei. Hierüber beschwerte sich die Rekurrentin bei der
kantonalen Aufsichtsbehörde mit dem Begehren, die Liquidationskommission
sei anzuweisen, die Entscheidung über die Forderung der Rekurrentin
unverzüglich nachzuholen und den Kollokationsplan in entsprechendem
Sinne zu ergänzen. Die Liquidationskommission berief sich in der
Beschwerdebeantwortung auf Art. 59 Abs. 2 KV. Sie machte geltend,
beim Forderungsposten von Fr. 800 000.-- (Darlehen betreffend die
Ganatrade Establishment) stehe man vor heiklen Rechtsfragen. Im übrigen
müsse sich die Liquidationskommission die Verrechnung allfälliger
Rückgriffsansprüche vorbehalten. In diesem Liquidationsverfahren habe
nämlich die Konkursmasse der IMMOSA eine Forderung von mehr als Fr. 18
000 000.-- aus Verantwortlichkeit des G. Baader in seiner Tätigkeit als
Verwaltungsrat jener Gesellschaft eingegeben. Im Kollokationsplan sei diese
Forderung zwar abgewiesen worden, doch habe jene Gläubigerin gegen die
Liquidationsmasse Kollokationsklage angehoben. Sollte diese Klage auch nur
zum Teil gutgeheissen werden, so könnte ein Rückgriff der Liquidationsmasse
Baader gegen mehrere Banken, welche mit den beiden nun konkursiten
Gesellschaften in Geschäftsverbindung standen, in Frage kommen. Auch die
Rekurrentin falle hiebei nicht von vornherein ausser Betracht, denn sie
habe der EPSA ein Darlehen von Franken 1500 000.-- gewährt. Ueber die
Geltendmachung einer solchen Verrechnung könne die Liquidationskommission
erst nach Beendigung des erwähnten Kollokationsstreites beschliessen.

    C.- Mit Entscheid vom 10. Juni 1966 hat die Aufsichtsbehörde des
Kantons Basel-Landschaft die Beschwerde abgewiesen. Gestützt auf die
Ausführungen des Gutachtens des Dr. Ch. Liatowitsch vom 13. August 1965
gelangt sie zu folgender Würdigung der Sach- und Rechtslage:

    "In welchem Masse die Beschwerdeführerin an den Manipulationen der
beiden konkursiten Firmen, namentlich der EPSA, beteiligt war, vermag die
Aufsichtsbehörde auf Grund der ihr vorliegenden Akten nicht zu beurteilen.
Immerhin weist die Tatsache eines Darlehens von 1,5 Millionen Franken an
die EPSA auf das Bestehen von Geschäftsbeziehungen nicht unerheblichen
Ausmasses hin. Die Möglichkeit, dass die Kreditanstalt vorsätzlich
oder fahrlässig unlautere Machenschaften unterstützt und damit die
Entstehung des Debakels gefördert hat, lässt sich daher, wenn auch
konkrete Anhaltspunkte für einen Verdacht fehlen, nicht von vorneherein
mit Sicherheit ausschliessen...

    Dazu kommt die eher aufrechtlichem Gebiet liegende Schwierigkeit, über
die Ganatrade-Forderung der Beschwerdeführerin zu befinden. Der Entscheid
lässt sich in der Tat nicht ohne gründliche Überlegung fällen. Dass die
Liquidationskommission hiezu etwas Zeit benötigt, liegt auf der Hand."

    D.- Mit vorliegendem Rekurs hält die Rekurrentin an ihrem
Beschwerdebegehren fest, "unter o/e Kostenfolge für die Rekursbeklagte".

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach den konkursrechtlichen Grundsätzen, welche im
Liquidationsverfahren infolge Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung
entsprechend anzuwenden sind, soll der Kollokationsplan tunlich
rasch aufgestellt werden (Art. 247 SchKG). Nur dann, wenn sich die
Konkursverwaltung bzw. Liquidationskommission über die Zulassung
oder Abweisung einer Ansprache noch nicht aussprechen kann, soll
sie nach Art. 59 Abs. 2 KV entweder mit der Aufstellung des (ganzen)
Kollokationsplanes zuwarten oder bloss die Kollokationsverfügung über die
betreffende Ansprache aussetzen und den Kollokationsplan später ergänzen
und unter öffentlicher Bekanntmachung wieder auflegen. Im vorliegenden
Fall ist die Liquidationskommission im zweiten Sinne vorgegangen. Ob
genügend Gründe vorlagen, dergestalt die Verfügung über die Eingabe der
Rekurrentin (und anderer Banken) zu verschieben, war in weitem Umfang eine
Frage des Ermessens, dessen Ausübung nicht Gegenstand eines Rekurses an das
Bundesgericht bilden kann (Art. 19 im Unterschied zu Art. 17 und 18 SchKG).
Indessen handelt es sich dabei nicht um ein freies Ermessen. Grundsätzlich
kann jeder Gläubiger verlangen, dass der Kollokationsplan innerhalb
der üblichen Fristen aufgestellt und dabei auch über seine Ansprache
verfügt werde. Ein Aufschieben der Auflegung des Kollokationsplanes
und ebenso ein Aussetzen einzelner Kollokationsverfügungen ist nur beim
Vorliegen ernsthafter Hindernisse oder Schwierigkeiten zulässig. Fehlt
es an sachlichen Gründen, so ist die Verschiebung willkürlich, liegt
ausserhalb des dem Ermessen gezogenen Rahmens und verletzt damit das
Gesetz (vgl. P. SCHWARTZ, Das Ermessen der Betreibungsbehörden, BlSchK
1965 S. 161 ff.). Die Vorinstanz erklärt denn auch zutreffend, eine
Kollokationsverfügung dürfe nur so lange aufgeschoben werden, als dies
zur Prüfung der Forderung nötig sei.

Erwägung 2

    2.- Dass die Forderung als solche, wie sie die Rekurrentin
eingegeben hat, einer erst später zu treffenden Kollokationsverfügung
vorbehalten werden müsse, wird nur in bezug auf einen (mit den übrigen
Teilbeträgen anscheinend nicht zusammenhängenden) Teilposten, die
sog. Ganatrade-Forderung, behauptet. Die in dieser Hinsicht bestehenden
Schwierigkeiten der Stellungnahme rechtfertigen es also höchstens, die
Kollokationsverfügung über diese einzelne Forderung zurückzustellen. Aber
auch insoweit fehlt es an einem zureichenden Verschiebungsgrund. Worin
"die eher auf rechtlichem Gebiet liegende Schwierigkeit" bestehe,
sagt der angefochtene Entscheid nicht. Eine Konkursverwaltung oder
Liquidationskommission muss sich bei Aufstellung des Kollokationsplanes
häufig mit heiklen Rechtsfragen befassen. Es ist nicht einzusehen, wieso
die seit Eröffnung des vorliegenden Liquidationsverfahrens verflossene
Zeit nicht sollte hingereicht haben.

Erwägung 3

    3.- Als Hauptgrund der Verschiebung wird ein Umstand bezeichnet,
der nicht die Forderungseingabe selbst betrifft: die allfällig je nach
dem Ausgang des von der IMMOSA angehobenen Kollokationsprozesses sich
ergebende Möglichkeit, wegen Mitverantwortlichkeit der Rekurrentin und
anderer Banken auf diese Konkursgläubiger zurückzugreifen; daher will
sich die Liquidationskommission die Verrechnung der Konkursforderungen
dieser Gläubiger mit den allfälligen Rückgriffsansprüchen vorbehalten.

    Dazu ist in erster Linie zu bemerken, dass solche Ansprüche auch
selbständig geltend gemacht werden können, die Liquidationsmasse Baader
also nicht auf den Weg der Verrechnung angewiesen ist. Die Artikel 213
und 214 SchKG ziehen denn auch nur das Verrechnungsrecht des (Konkurs-
oder Nachlass-) Gläubigers in Betracht, nicht auch das freilich ebenfalls
bestehende entsprechende Recht der Konkurs- oder Liquidationsmasse. Diese
ist gewöhnlich im Gegenteil daran interessiert, allfällige die Verrechnung
ausschliessende Gründe geltend zu machen, wenn ein Gläubiger seinerseits
verrechnen will (BGE 71 III 185/86). Dass im vorliegenden Fall ein
besonderes Interesse der Liquidationsmasse bestehe, gegenüber der
Rekurrentin einen allfälligen Rückgriffsanspruch verrechnungsweise
statt selbständig geltend zu machen, ist weder im angefochtenen
Entscheid noch in der Rekursschrift dargetan. Insbesondere ist nicht
davon die Rede, dass bei selbständiger Klage der Liquidationsmasse die
Rechtsverfolgung in erheblichem Masse erschwert oder das ihr allenfalls
zustehende Guthaben gegen die Rekurrentin nicht leicht einbringlich wäre.
Übrigens kann man unter Umständen auch noch in einem späteren Stadium
des Liquidationsverfahrens verrechnen (vgl. BGE 83 III 67 ff.).

    Aber auch angenommen, es wäre für die Liquidationsmasse Baader von
beträchtlichem Vorteil, eine ihr allenfalls zustehende Gegenforderung
gegen die Rekurrentin verrechnungsweise im Kollokationsverfahren geltend
zu machen, ist der Rekurrentin die Verschiebung der sie betreffenden
Kollokationsverfügung dennoch nicht zuzumuten. Zur Rechtfertigung dieser
den ordentlichen Verfahrensgang störenden Massnahme genügt nicht schon die
entfernte Möglichkeit eines Rückgriffsanspruchs, wie ihn die Vorinstanz
"nicht von vornherein mit Sicherheit ausschliessen" zu sollen glaubt. Das
im Auftrage des Präsidenten der Liquidationskommission erstattete
Gutachten des Dr. Ch. Liatowitsch vom 13. August 1965 befasst sich mit den
Bankgeschäften der Rekurrentin überhaupt nicht (S. 7 unten). Im Protokoll
über die dieser Begutachtung nachfolgende zweite gemeinsame Sitzung des
Gläubigerausschusses mit der Liquidationskommission vom 9. Oktober 1965
ist niedergelegt was folgt:

    "Herr Dr. Liatowitsch erklärt sodann, dass die Bankenforderungen
im Hinblick auf einen möglichen Kollokationsprozess IMMOSA/Baader
ausgestellt würden. Hiegegen erhebt Herr Dr. Stockmann Einspruch mit der
Begründung, dass ein solches Vorgehen nur gegenüber denjenigen Banken
gerechtfertigt erscheine, welche mit den Jurafirmen geschäftet hätten. Er
empfiehlt, diesen Unterschied bei den Kollokationen zu machen. ... Herr
Dr. Liatowitsch ... betont, dass ohne die von der IMMOSA angemeldeten
Verantwortlichkeitsansprüche eine Ausstellung der Bankenforderungen nicht
in Frage gekommen wäre... Es könnte so herauskommen, dass die V-bank, die
K-bank und die S-bank die Verantwortung durch unechte Solidarität teilen
müssten. Selbstverständlich stünde der Kollokation der Bankenforderungen
dann nichts mehr im Wege, wenn die Verantwortlichkeitsansprüche IMMOSA
zurückgezogen oder rechtskräftig abgewiesen seien."

    Von der Rekurrentin ist in diesem Zusammenhang nirgends die
Rede. Wieso man zur Annahme gelangte, die gegenüber den im erwähnten
Protokoll aufgeführten andern Banken angenommenen Gründe zur Ausstellung
der Kollokationsverfügung seien auch gegenüber der Rekurrentin gegeben,
geht aus den Akten nicht hervor. Weder die Liquidationskommission noch
die kantonale Aufsichtsbehörde legen dar, dass und weshalb ähnliche Gründe
gegenüber der Rekurrentin bestünden. Die Feststellungen des angefochtenen
Entscheides sprechen für das Gegenteil. Es fehlt an Anhaltspunken für
Geschäftsbeziehungen der Rekurrentin mit der I MMOSA. Die EPSA aber,
der sie im Jahre 1963 ein Darlehen gewährte, hat (durch die Organe ihres
Konkurses) keine Verantwortlichkeitsansprüche gegen Baader eingegeben
(der denn auch ihrem Verwaltungsrat nicht angehörte). Unter diesen
Umständen sind sachliche Gründe für die Verschiebung der in Frage stehenden
Kollokationsverfügung nicht vorhanden. Mit Recht will die Rekurrentin sich
nicht aus (wie sie vermutet) bloss "taktischen" Gründen auf eine spätere
Ergänzung des Kollokationsplanes in bezug auf ihre Forderung verweisen
lassen. Es ist ihr darin beizustimmen, dass die Kollokationsverfügung
ausschliesslich auf Grund der erwiesenen Rechtsbeziehungen zwischen
Gläubiger und Schuldner ergehen soll. Die Erwägung der Vorinstanz,
es sei nicht von vornherein die Möglichkeit auszuschliessen, dass
die Kreditanstalt vorsätzlich oder fahrlässig unlautere Machenschaften
unterstützt und damit die Entstehung des Debakels gefördert habe, obschon
auch für einen blossen Verdacht keine konkreten Anhaltspunkte bestehen,
läuft auf eine der Grundlage entbehrende Diskriminierung hinaus, die sich
ein Konkursgläubiger nicht gefallen zu lassen braucht.

    Es mag sein, dass der Rekurrentin aus der Verzögerung der Kollokation
einstweilen keine Nachteile erwachsen würden, da keine Verringerung des
zu liquidierenden Vermögens zu befürchten ist und vorläufig auch keine
Abschlagszahlungen ausgerichtet werden. Indessen soll das Verfahren,
wenn keine besondern Umstände vorliegen, seinen Verlauf nehmen und
ohne Verzögerung zum Abschluss kommen. Die Gläubiger haben Anspruch
darauf, zur rechten Zeit über das Schicksal ihrer Eingaben durch eine
Kollokationsverfügung orientiert zu werden.

Erwägung 4

    4.- Kosten sind nicht zuzusprechen (BGE 91 III 97 Erw. 5).

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen und die Liquidationskommission angewiesen,
über die Forderungseingabe der Rekurrentin unverzüglich den Entscheid
zu fällen.