Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 92 III 1



92 III 1

1. Entscheid vom 24. August 1966 i.S. Barberis. Regeste

    Das Verbot der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten (Art.  173 Abs. 1
ZGB) gilt auch bei gerichtlich getrennter Ehe, und zwar auch dann, wenn
die Trennung mehr als drei Jahre gedauert hat und sich mit Rücksicht auf
die Gesetzgebung des Heimatstaates der Ehegatten nicht gemäss Art. 148 ZGB
(oder entsprechenden Normen des ausländischen Rechtes) in eine Scheidung
umwandeln lässt.

Sachverhalt

    A.- Die Ehe der Parteien, beide italienischer Nationalität, wurde durch
Urteil des Bezirksgerichtes Arlesheim vom 5. Mai 1949 nach Art. 146/47
ZGB auf unbestimmte Zeit getrennt. Der Ehemann wohnt nun in Basel,
die Ehefrau in Wyhlen/Baden, Deutschland. Die von ihr für Alimente
von monatlich Fr. 50.- seit Oktober 1959 gegen den Ehemann angehobene
Betreibung Basel-Stadt Nr. 22 508 führte am 4. Februar 1966 zur Pfändung
eines dem Ehemann bei der Basler Kantonalbank zustehenden Sparguthabens.

    B.- Anderseits nahm der Ehemann am 4. Februar 1966 auf die gegen ihn in
Betreibung stehende Forderung Arrest für drei gegen die Ehefrau bestehende
Verlustscheinsforderungen, die er durch Abtretung erworben hatte. Dieser
von der Arrestbehörde Basel-Stadt bewilligte und vom Betreibungsamt
dieses Ortes vollzogene Arrest wurde durch Betreibung sowie, infolge
Rechtsvorschlages, durch Klage prosequiert.

    Ferner reichte der Ehemann, welcher nun das Schweizerbürgerrecht
besitzt, im April 1966 beim Zivilgericht von Basel-Stadt eine
Scheidungsklage ein.

    C.- Mit Beschwerde vom 22./23. Juni 1966 gegen das Betreibungsamt
Basel-Stadt stellte die Ehefrau die Begehren 1./um Aufhebung des in
Frage stehenden Arrestes und 2./um Feststellung, dass wegen Nichtigkeit
des Arrestes die darauf beruhenden Betreibungshandlungen (die Betreibung
Nr. 35 208 gemäss dem Zahlungsbefehl vom 3. März 1966 und die am 26. März
angehobene Arrestprosekutionsklage) dahingefallen seien. Sie berief sich
auf das Verbot der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten nach Art. 173
ZGB. Der Ehemann als Arrestgläubiger nahm demgegenüber den Standpunkt ein,
das von ihr angerufene Verbot gelte nicht bei der vorliegenden Ehetrennung
von langer Dauer, die mit Rücksicht auf das ausländische Heimatrecht der
Eheleute statt einer Ehescheidung ausgesprochen worden sei.

    D.- Die kantonale Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde mit Entscheid
vom 18. Juli 1966 abgewiesen, aus folgenden Gründen: An sich sind gegen
Art. 173 ZGB verstossende Vollstreckungshandlungen allerdings nichtig,
und dieses Verbot gilt nach der Rechtsprechung auch dann, wenn die Eheleute
berechtigterweise nicht mehr zusammenleben, insbesondere bei gerichtlicher
Trennung der Ehe, also selbst, wenn "nur noch rechtsförmliche Bande der
Ehe bestehen" (Hinweis auf BGE 42 III 351, 71 III 4, 77 III 55).

    "Indessen verliert dieser Grundsatz seine innere Berechtigung gegenüber
Ehegatten, die nur deshalb durch gerichtliches Urteil getrennt wurden,
weil für sie nach ihrem ausländischen Heimatrecht eine Scheidung nicht in
Betracht kam. Unter solchen Umständen übernimmt das Institut der Trennung
auf unbestimmte Zeit weitgehend die Funktion einer Scheidung (vgl. BGE
44 II 2). Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu. Im Jahre 1949 war
der Beschwerdebeklagte italienischer Staatsangehöriger. Er hätte schon
damals Scheidung der Ehe beantragt, wären nicht die italienischen Gesetze
entgegengestanden. Daher konnte im Jahre 1949 das Gericht lediglich
auf Trennung der Ehe erkennen, obschon es, wie auch die Parteien, die
Auflösung der ehelichen Gemeinschaft als endgültig erachtete. In einem
derartigen Falle kann aber die ratio legis des Art. 173 ZGB, die gemäss
Marginale zu Art. 169-176 ZGB im Schutz der ehelichen Gemeinschaft zu
erblicken ist, überhaupt nicht spielen. Es liegt ein vom Gesetzgeber nicht
beachteter Ausnahmefall vor, in welchem die Anwendung des Art. 173 ZGB
zu einem unbilligen und stossenden Ergebnis führt. Dieses Ergebnis ist
durch die Zulassung der Betreibung unter Ehegatten in derartigen Fällen
zu korrigieren".

    E.- Gegen diesen Entscheid richtet sich der vorliegende Rekurs der
Ehefrau, die an der Beschwerde festhält.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    Die Vorinstanz geht zutreffend von Art. 173 ZGB aus, wonach unter
Ehegatten - abgesehen von den in den Artikeln 174 bis 176 vorgesehenen
Ausnahmen, deren keine hier vorliegt - eine Zwangsvollstreckung nicht
zulässig ist. Dieses Verbot, das sich auch gegen eine Arrestnahme und
gegen die auf ihr beruhenden Betreibungshandlungen richtet (BGE 42 III
348, 79 III 139), ist von Amtes wegen zu beachten, also gleichgültig,
ob binnen der Frist des Art. 17 SchKG Beschwerde geführt wurde. Es gilt
"während der Ehe", also von der Trauung bis zur Auflösung der Ehe durch
Tod oder Scheidung. Weder die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes
noch die gerichtliche Trennung der Ehe noch die Hängigkeit einer
Scheidungsklage lassen dieses Verbot hinfällig werden (vgl. ausser den
von der Vorinstanz angeführten Urteilen namentlich noch BGE 80 III 147
und 84 III 4 Erw. 2; LEMP, N 9 und 10 zu Art. 173 ZGB; E. ISLER, Das
Verbot der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten nach dem schweizerischen
ZGB, Diss. Zürich 1950 S. 20 und 31/32; J. M. GROSSEN, L'interdiction de
l'exécution forcée entre époux, BlSchK 23/1959 S. 97 ff. und 161 ff.).

    Wenn die Vorinstanz trotz der dem Bande nach fortbestehenden Ehe der
Parteien das Verbot des Art. 173 ZGB nicht anwenden zu sollen glaubt,
so beruft sie sich hiebei auf die besondere Rechtsgrundlage dieser die
Parteien betreffenden Ehetrennung. Sie nimmt an, bei unbeschränkter Geltung
des schweizerischen Rechtes wäre die Ehe der Parteien nicht nur getrennt,
sondern geschieden worden. Nur mit Rücksicht auf ihr italienisches
Heimatrecht, das die Ehescheidung nicht zulasse, sei bloss eine Trennung
auf unbestimmte Zeit ausgesprochen worden.

    Es mag dahingestellt bleiben, ob sich aus den Akten des Scheidungs-
bzw. Trennungsprozesses (die nicht beiliegen, aber der Vorinstanz
allenfalls zur Verfügung standen) und insbesondere aus dem Urteil selbst
mit Sicherheit schliessen lässt, dass auf Ehescheidung erkannt worden
wäre, wenn man nicht auf das italienische Heimatrecht der Parteien hätte
Rücksicht nehmen müssen. Selbst angenommen, es verhalte sich so (was die
Aufsichtsbehörden über Schuldbetreibung und Konkurs nicht selbständig
zu beurteilen haben), kann der Vorinstanz in betreibungsrechtlicher
Hinsicht nicht beigestimmt werden. Allerdings mag es sich rechtfertigen,
an eine solche Ehetrennung gewisse materiellrechtliche Nebenfolgen
zu knüpfen, wie sie an und für sich nur bei Ehescheidung gelten. So
wurde im Falle gerichtlicher Trennung der Ehe von Italienern dem
unschuldigen Ehegatten eine Entschädigung nach Art. 151 ZGB zuerkannt
(BGE 40 II 310 Erw. 5). Ebenso wurde bei der gerichtlichen Trennung
spanischer bzw. italienischer Ehegatten eine fortdauernde eheliche
Unterhaltspflicht nicht mehr nach allgemeinem Eherecht, sondern nur noch
unter den Voraussetzungen des Art. 152 ZGB bejaht (BGE 50 II 312/13
und 52 II 2/3: "... Wenn auch gemäss Art. 7 h und i NAG die Trennung
ausländischer Ehegatten 'im übrigen', d.h. bezüglich der Nebenfolgen,
sich ausschliesslich nach schweizerischem Rechte regelt, so müssen
doch diese Folgen demjenigen der beiden schweizerischen Rechtsinstitute
(Trennung oder Scheidung) angepasst werden, dem die ausgesprochene Trennung
sachlich am meisten entspricht. Nun ist aber die dauernde, nicht in eine
Scheidung umwandelbare Trennung, wie sie bei italienischen Ehegatten allein
ausgesprochen werden kann, derart verschieden von der wandelbaren Trennung,
wie sie bei ausschliesslicher Anwendung des ZGB gegenüber schweizerischen
Ehegatten zulässig ist, dass es sich eher rechtfertigt, diese hinsichtlich
der Unterhaltspflicht analog der Scheidung zu behandeln...". Es geht
jedoch nicht an, eine solche Ehetrennung nun überhaupt einer Scheidung
gleichzusetzen. Die Trennung löst die Ehe eben nicht auf, und es ist
gerade der Wille der die Scheidung verpönenden Gesetzgebungen, die Ehe
als unauflöslich fortbestehen zu lassen. Dann muss es aber auch bei dem
in Art. 173 ZGB für die ganze Dauer der Ehe aufgestellten Verbot der
Zwangsvollstreckung bleiben, das sich als Grundsatz der öffentlichen
Ordnung schlechthin an den rechtlichen Bestand der Ehe knüpft. Die
abweichende Entscheidung der Vorinstanz erscheint sowohl nach dem
schweizerischen wie auch nach dem bei der Trennung der Ehe ausländischer
Ehegatten ebenfalls zu beachtenden ausländischen Recht als unzulässig:
Sie verstösst gegen eine zwingende Regel des schweizerischen Eherechtes und
läuft zugleich darauf hinaus, die nach dem massgebenden ausländischen Recht
als fortbestehend anzuerkennende Ehe dann gleichwohl in einer wesentlichen
Hinsicht nicht gelten zu lassen. Eine derartige Korrektur des ausländischen
Rechtes ist abzulehnen und mit dessen Respektierung nicht vereinbar,
gleichgültig ob die Ehetrennung im Heimatstaat oder sonstwo im Auslande
oder aber nach Art. 7 h und 7 i NAG in der Schweiz ausgesprochen wurde.

    Somit muss das Verbot des Art. 173 ZGB als eine unerlässliche
Auswirkung des Ehestandes der Parteien auch hier zur Geltung kommen. Diese
Lösung verstösst nicht gegen das Rechtsgefühl, vollends nicht unter den
vorliegenden Umständen, da der Ehemann Verlustscheine gegen die Ehefrau
aufgekauft hat, um sich seiner Unterhaltspflichten zu entschlagen.

    Nur ausnahmsweise kann es einem Ehegatten zustehen, sich bei
ausländischem Wohnsitz des andern nicht an das Verbot des Art. 173 ZGB
zu halten und auf schweizerisches Vermögen dieses Ehegatten Arrest zu
nehmen. Das ist der Fall, wenn er in seinen Gläubigerrechten von ähnlichem
Zugriff Dritter auf solches Vermögen des andern Ehegatten bedroht ist
und ihm wegen Fehlens eines ordentlichen schweizerischen Betreibungsortes
desselben ein Pfändungsanschluss nach Art. 174 ZGB/111 SchKG (BGE 61 III
87) verwehrt ist (vgl. BGE 36 I 150 = Sep.Ausg. 13 S. 68; BGE 51 III
122/23, 79 III 138 ff.; FRITZSCHE, SchK II S. 200). Von einer solchen
Sachlage ist aber hier nicht die Rede.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid aufgehoben.

    Der Arrest Nr. 11/1966 und die nachfolgende Betreibung werden als
nichtig erklärt.