Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 I 46



91 I 46

9. Auszug aus dem Urteil vom 3. März 1965 i.S. Zedtwitz gegen
Regierungsrat des Kantons Zürich. Regeste

    Staatsrechtliche Beschwerde. Art. 84 Abs. 2 und Art. 88 OG.

    1.  Wenn eine bundesrechtliche Bestimmung (hier: Art. 18 Abs. 1 des
BG über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 =
ANAG) einen kantonalen Entscheid als "endgültig" bezeichnet, so schliesst
dies die staatsrechtliche Beschwerde nicht aus.

    2.  Auf die staatsrechtliche Beschwerde, mit welcher ein Ausländer die
Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung in einem Kanton wegen Verletzung
des Internationalen Abkommens von Genf über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 sowie wegen willkürlicher Anwendung des
ANAG anficht, kann nicht eingetreten werden, weil

    -  die Verletzung des Genfer Abkommens gemäss Art. 125 Abs. 1 lit. c
OG durch Beschwerde beim Bundesrat gerügt werden kann

    - der Ausländer zur Beschwerdewegen Willkür bei der Anwendung des
ANAG nicht legitimiert ist.

Sachverhalt

    A.- Der Beschwerdeführer Joachim Ulrich Zedtwitz ist ein
schriftenloser Ausländer, den die Polizeiabteilung des Eidg. Justiz-
und Polizeidepartementes am 14. Juli 1962 als Flüchtling im Sinne des
Internationalen Abkommens von Genf über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
vom 28. Juli 1951 (AS 1955 S. 443 ff., im folgenden kurz als Genfer
Abkommen bezeichnet) anerkannt hat. Am 23. November 1963 stellte er bei den
zürcherischen Behörden das Gesuch, ihm und seiner Ehferau für ein Jahr den
Aufenthalt in Meilen zu bewilligen. Die Fremdenpolizei des Kantons Zürich
wies das Gesuch am 18. Dezember 1963 und der Regierungsrat den dagegen
erhobenen Rekurs am 1. Mai 1964 gemäss Art. 4 des Bundesgesetzes über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (ANAG) ab,
da der Beschwerdeführer auf Grund des Inhalts eines Briefes, den er am 26.
Januar 1963 an eine Frau Harich geschrieben hatte, als ein in der Schweiz
unerwünschter Ausländer erscheine.

    B.- Gegen diesen Rekursentscheid des Regierungsrates hat Joachim Ulrich
Zedtwitz beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Er
macht geltend, dass der angefochtene Entscheid die Art. 17 und 26 des
Genfer Abkommens verletze und auf einer willkürlichen Auslegung und
Würdigung des vom Beschwerdeführer verfassten Briefes vom 26. Januar
1963 beruhe.

    C.- Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragt Abweisung der
Beschwerde.

    D.- Das Bundesgericht führte mit dem Bundesrat einen Meinungsaustausch
über die Zuständigkeitsfrage durch (Art. 96 Abs. 2 OG). Für dessen Ergebnis
wird auf die nachstehenden Erwägungen verwiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    ... Der Entscheid, durch den dem Beschwerdeführer die Bewilligung zum
Aufenthalt im Kanton Zürich verweigert wird, ist in Anwendung des Art. 4
ANAG ergangen. Ein solcher kantonaler Entscheid ist nach Art. 18 Abs. 1
ANAG endgültig. Das steht jedoch dem Eintreten auf die staatsrechtliche
Beschwerde nicht entgegen. Wenn ein eidgenössischer Erlass administrativen
Charakters bestimmt, dass ein kantonaler Entscheid endgültig ist,
so bedeutet dies nur, dass eine Weiterziehung an eine Bundesbehörde
und insbesondere die Beschwerde an den Bundesrat ausgeschlossen ist
(vgl. Art. 125 Abs. 1 lit. b und Art. 126 lit. b OG). Dagegen bezieht
sich eine solche Bestimmung nicht auf die staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte oder von Staatsverträgen mit
dem Ausland (BIRCHMEIER, Handbuch des OG S. 338; BGE 67 I 15, 68 I 132,
71 I 37, 73 I 362, 78 I 100/101 und zahlreiche nicht veröffentlichte
Urteile). Das hat das Bundesgericht wiederholt auch für Art. 18 Abs. 1
ANAG festgestellt (nicht veröffentlichte Urteile vom 18. Dezember 1947
i.S. Baillard, vom 28. September 1952 i.S. Feldmühle AG, vom 3. April 1958
i.S. Kleim und vom 3. Mai 1961 i.S. Stucki Erw. 1; am Urteil vom 23.
Dezember 1959 i.S. Reinstein, in welchem im Widerspruch zu dieser
langjährigen Rechtsprechung, aber ohne Auseinandersetzung mit ihr,
angenommen wurde, dass Art. 18 Abs. 1 ANAG auch die staatsrechtliche
Beschwerde ausschliesse, kann nicht festgehalten werden). Das Eintreten
auf die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde kann daher nicht schon
deswegen abgelehnt werden, weil der angefochtene Entscheid nach Art. 18
Abs. 1 ANAG endgültig ist. Doch erweist sich die Beschwerde aus anderen
Gründen als unzulässig.

    a) Der Beschwerdeführer macht in erster Linie eine Verletzung der
Genfer Abkommens geltend. Diese Verletzung kann jedoch gemäss Art. 125
Abs. 1 lit. c OG durch Beschwerde beim Bundesrate gerügt werden. Art. 18
Abs. 1 ANAG, wonach der angefochtene Entscheid endgültig ist, schliesst
nur die Beschwerde an den Bundesrat gemäss Art. 125 Abs. 1 lit. b OG,
d.h. wegen Verletzung des ANAG aus. Dagegen hindert die Endgültigkeit,
wie die Justizabteilung in einem Bericht vom 15. Oktober 1957
(Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden 1957 Nr. 24) ausgeführt hat,
den Bundesrat nicht, den kantonalen Entscheid auf seine Vereinbarkeit
mit den in Art. 125 Abs. 1 lit. c OG aufgezählten Staatsverträgen zu
überprüfen, und zu diesen Staatsverträgen gehört offensichtlich auch
das Genfer Abkommen (vgl. Verwaltungsentscheide 1956 Nr. 81, wo der
Bundesrat eine gegen eine Aufenthaltsverweigerung erhobene Beschwerde
wegen Verletzung des Genfer Abkommens beurteilt hat). Der Bundesrat hat
dies im Meinungsaustausch bestätigt und sich bereit erklärt, auf die
vorliegende Beschwerde insoweit einzutreten, als damit eine Verletzung
des Genfer Abkommens geltend gemacht wird. Kann diese Verletzung aber
durch Beschwerde beim Bundesrat gerügt werden, so kann insoweit auf die
staatsrechtliche Beschwerde, die ein rein subsidiärer Rechtsbehelf ist,
nicht eingetreten werden (Art. 84 Abs. 2 OG).

    b) In die Zuständigkeit des Bundesgerichts fällt dagegen die Rüge,
der angefochtene Entscheid beruhe aufeiner willkürlichen Auslegung und
Würdigung eines Briefes, womit dem Sinne nach eine Verletzung des Art. 4 BV
geltend gemacht wird. Auf diese Rüge kann indes aus einem andern Grunde
nicht eingetreten werden. Zur Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4
BV ist der Ausländer nur befugt wegen formeller Rechtsverweigerung und
Willkür in Zivil- und Strafsachen oder in Verwaltungsstreitigkeiten
vermögensrechtlicher Art wie überhaupt dort, wo die durch Art. 4
BV gewährleisteten Rechte dem Einzelnen ohne Rücksicht auf seine
Staatsangehörigkeit zustehen (vgl. BGE 38 I 3 Erw. 2, 40 I 15 Erw. 3,
41 I 148, 48 I 285 Erw. 1, 74 I 99 Erw. 1 und 361, 75 I 214 Erw. 2,
78 I 205 Erw. 1, 85 I 10 Erw. 2). Wo dagegen, wie bei Anwendung des
ANAG, die Staatsangehörigkeit eine wesentliche Rolle spielt und sich der
Ausländer nicht, wie der Schweizerbürger, auf ein verfassungsmässiges Recht
(Art. 44 und 45 BV) berufen kann, steht ihm ein Beschwerderecht gegen
einen kantonalen Entscheid auch wegen Verletzung von Art. 4 BV nicht zu
(nicht veröffentlichte Urteile vom 18. Dezember 1947 i.S. Baillard,
vom 31. August 1956 i.S. Carli und vom 3. April 1958 i.S. Kleim mit
Verweisungen aufweitere Urteile). Soweit mit der vorliegenden Beschwerde
Willkür bei der Anwendung des ANAG gerügt wird, kann daher auf sie mangels
Legitimation des Beschwerdeführers nicht eingetreten werden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

Erwägung 1

    1.- Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

Erwägung 2

    2.- Die Akten werden dem Bundesrat überwiesen.