Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 I 405



91 I 405

65. Auszug aus dem Urteil vom 24. November 1965 i.S. Nordmann AG gegen
Regierungsrat des Kantons Solothurn. Regeste

    Gewaltentrennung (Art. 4 sol. KV). Zulässigkeit der Delegation der
Rechtsetzungsbefugnis. Gesetzmässigkeit des § 2 Abs. 1 der Verordnung
des solothurnischen Regierungsrates vom 31. Januar 1958 über den Schutz
des Strassenverkehrs (Verbot, an Durchgangsstrassen I. Klasse Ein- und
Ausfahrten zu errichten) (Erw. 1).

    Rechtsungleiche Behandlung. Die Zufahrt zu einer Durchgangsstrasse
ausserhalb der dafür allgemein vorgesehenen Stellen darf dem Anstösser
wie allen anderen Verkehrsteilnehmern untersagt werden (Erw. 2).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- § 30 des solothurnischen Gesetzes über Bau und Unterhalt der
Strassen vom 2. Dezember 1928/28. Mai 1933 (BUStG) bestimmt, dass der
Regierungsrat eine Verordnung "über den Schutz der Strassen und den Verkehr
auf denselben" zu erlassen hat. § 2 der hierauf gestützten Verordnung des
Regierungsrates vom 31. Januar 1958 über den Schutz des Strassenverkehrs
(StVVO) lautet:

    "Die Errichtung neuer und die wesentliche Erweiterung bestehender Ein-
und Ausfahrten an Durchgangsstrassen I. Klasse sind verboten.

    Der Regierungsrat kann Ausnahmen gestatten, wenn die Ein- und die
Ausfahrt einem Bedürfnis für die Verkehrsabwicklung entsprechen (z.B. für
die Erstellung von Garagen und Tankstellen), verkehrstechnisch richtig
gestaltet werden und die zweckmässige Erschliessung eines Grundstückes
anders nicht möglich ist."

    B.- Die Nordmann AG, Solothurn, ist Eigentümerin einer der
Industriezone zugeteilten, zwischen der Durchgangsstrasse I. Klasse
Solothurn-Grenchen und der Bahnlinie Solothurn- Biel liegenden Landparzelle
in Bellach. Sie beabsichtigt, dort ein Lagerhaus zu erstellen. Sie
ersuchte um die Bewilligung, das Grundstück durch eine Ein- und Ausfahrt
an der Durchgangsstrasse zu erschliessen, bis die geplante besondere
Erschliessungsstrasse benützbar sei.

    Der Regierungsrat lehnte das Gesuch mit Entscheid vom 6. Juli 1965
ab. Er nahm an, dass die Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung
nach § 2 Abs. 2 StVVO nicht erfüllt seien.

    C.- Diesen Entscheid ficht die Nordmann AG mit staatsrechtlicher
Beschwerde an. Sie macht u.a. geltend, der Regierungsrat habe mit dem in §
2 Abs. 1 StVVO aufgestellten Verbot die ihm durch § 30 BUStG eingeräumte
Kompetenz überschritten und daher gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung
verstossen. Der angefochtene Entscheid verletze zudem das Gebot der
rechtsgleichen Behandlung, weil er den Benützern des Lagerhauses der
Beschwerdeführerin den Verkehr auf der im Gemeingebrauch stehenden
Durchgangsstrasse verunmögliche.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- § 30 BUStG ermächtigt den Regierungsrat zum Erlass einer Verordnung
über den Schutz der Strassen und den Verkehr aufihnen. Eine solche
Delegation der Befugnis zur Rechtsetzung in einer bestimmten Materie ist
zulässig; die solothurnische Kantonsverfassung schliesst sie nicht aus
(BGE 74 I 114 Erw. 2; 88 I 33, 154). Die Beschwerdeführerin bestreitet
dies nicht. Dagegen macht sie geltend, der Regierungsrat habe dadurch,
dass er in § 2 Abs. 1 StVVO die Errichtung von Ein- und Ausfahrten an
Durchgangsstrassen I. Klasse grundsätzlich verboten hat, die ihm in
jener Gesetzesbestimmung eingeräumte Kompetenz überschritten und damit
den Grundsatz der Gewaltentrennung (Art.4 sol. KV) verletzt.

    Die genannte Verordnungsbestimmung ist jedoch durchaus geeignet,
im Sinne des § 30 BUStG den Verkehr auf den Strassen zu schützen. Ein
solcher Schutz ist praktisch nur möglich durch Aufstellung eines
Ordnungsprinzips, nach welchem sich der Verkehr abzuwickeln hat. Es ist
unter den verschiedenen Möglichkeiten des Gemeingebrauchs der Strasse
eine Auswahl zu treffen. Bestimmte Arten des Gebrauchs sind zum Nachteil
anderer zu begünstigen. Hiezu werden die Kantone auch in Art. 3 SVG
ermächtigt. Im gleichen Sinne stellt der Bundesgesetzgeber in Art. 43
SVG Bestimmungen auf. Die Regelung kann bestehen in einem Verbot des
Motorfahrzeugverkehrs wie auch in einem Ausschluss jeden anderen Verkehrs
(Art. 43 Abs. 1 und 3 SVG). Art. 43 Abs. 3 SVG gestattet die Zufahrt
zu Autostrassen und Autobahnen nur an den dafür vorgesehenen Stellen,
verbietet also die Errichtung besonderer Ein- und Ausfahrten an den
dazwischen liegenden Strecken.

    Durchgangsstrassen I. Klasse im Sinne der solothurnischen Gesetzgebung
haben im wesentlichen die gleiche Funktion wie Autostrassen und Autobahnen.
Ausserorts dienen sie heute vorwiegend dem motorisierten Durchgangsverkehr.
Auf ihnen wird der Querverkehr zugunsten des Längsverkehrs zurückgedrängt
oder ausgeschlossen. Der Einwand der Beschwerdeführerin, der Regierungsrat
sei nach § 30 BUStG nur befugt, den Strassenverkehr zu regeln, nicht
aber ihn zu unterbinden, ist unbegründet. In der Tat unterbindet die von
der Beschwerdeführerin beanstandete Verordnungsvorschrift den Verkehr
auf den Durchgangsstrassen I. Klasse nicht, sondern sie schränkt nur den
Querverkehr ein, wodurch sie den Längsverkehr erleichtert und sichert. Sie
entspricht daher durchaus der Aufgabe, welche § 30 BUStG dem Regierungsrat
stellt. Der Grundsatz der Gewaltentrennung ist somit nicht verletzt.

Erwägung 2

    2.- Die Rüge, § 2 StVVO bzw. seine Anwendung auf die Beschwerdeführerin
verletze den Grundsatz der Rechtsgleichheit, weil den Benützern
des Lagerhauses der Beschwerdeführerin das Befahren der doch im
Gemeingebrauch stehenden Durchgangsstrasse verunmöglicht werde, hält
nicht stand. Der Verkehr auf den Kantonsstrassen, insbesondere auch
auf der Durchgangsstrasse Solothurn-Grenchen, ist jedermann in gleicher
Weise gestattet. Wie allen anderen, so ist auch der Beschwerdeführerin
nicht verwehrt, ihre Motorfahrzeuge auf dieser Strasse verkehren zu
lassen. Verboten ist ihr nur, was anderen Verkehrsteilnehmern ebenfalls
verboten ist, nämlich die Zufahrt zur Strasse ausserhalb der dafür
vorgesehenen Stellen. Von einer rechtsungleichen Behandlung könnte nur
dann die Rede sein, wenn anderen unter gleichen Umständen, wie sie hier
vorliegen, erlaubt worden wäre, eine Ein- und Ausfahrt zu erstellen. Dass
es sich so verhalte, behauptet jedoch die Beschwerdeführerin nicht einmal.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat der Anstösser,
abweichende (hier nicht namhaft gemachte) kantonale Vorschriften
vorbehalten, kein besseres Recht auf Benützung einer im Gemeingebrauch
stehenden Strasse als jeder andere Volksgenosse (BGE 61 I 230 Erw. 5,
73 I 215 Erw. 2, 79 I 205; nicht veröffentlichtes Urteil vom 14. April
1958 i.S. Schultheiss gegen Basel-Stadt). Die Beschwerdeführerin macht
indessen geltend, der Anstösser dürfe hinsichtlich des Gemeingebrauchs
zum mindesten nicht schlechter als irgendein anderer Strassenbenützer
gestellt werden. Eine solche Benachteiligung erleidet sie aber durch das
angefochtene Verbot nach dem oben Gesagten nicht.