Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 I 200



91 I 200

34. Urteil vom 7. Juli 1965 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft und
Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden. Regeste

    Art. 2 Ueb. Best. BV; Art. 321 StGB; Art. 4 BV.

    1.  Die Verletzung der derogatorischen Kraft eidgenössischer
strafrechtlicher Bestimmungen ist in der Regel mit der
Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichtes geltend zu
machen; die staatsrechtliche Beschwerde ist dafür nur in Ausnahmefällen
gegeben. Kantonale Bestimmungen über die Zeugnispflicht der Anwälte
verstossen nicht gegen Art. 321 StGB.

    2.  Bevor die Aufsichtsbehörde einen Anwalt vom Berufsgeheimnis
entbindet, hat sie ihn anzuhören.

    3.  Darf der Anwalt verpflichtet werden, als Zeuge über
die Mitteilungen auszusagen, welche ein Klient ihm im Rahmen des
Anwaltsverhältnisses machte, sofern der Klient selber das Zeugnis über
die betreffenden Tatsachen verweigern kann?

Sachverhalt

    A.- Die damals noch nicht 15 Jahre alte Maria B. gebar am 28. Juli
1963 ein Kind, als dessen Vater sie Rudolf K. bezeichnete. Die
Vormundschaftsbehörde beauftragte Rechtsanwalt Dr. X. in Chur, gegen K.
Vaterschaftsklage zu erheben. Die Blutgruppenuntersuchung ergab,
dass K. als Vater des Kindes auszuschliessen ist. Auf Vorhalt dieser
Feststellung erklärte Maria B., sie habe noch mit zwei andern Männern
geschlechtlich verkehrt, wolle aber deren Namen nicht bekanntgeben. In der
Folge wurde ein Brief der Maria B. an ihre Mutter beschlagnahmt, worin sie
angibt, auch mit ihren beiden Brüdern geschlechtlich verkehrt zu haben,
und weiter ausführt: "Herr Dr. X. sagte, das von den Brüdern dürfen wir
nicht ausplaudern, sondern als Geheimnis behalten, auch dem Staatsanwalt
sagen wir nichts, das behalten wir als Geheimnis". Die Brüder Erwin und
Paul B. bestritten in der gegen sie eingeleiteten Strafuntersuchung,
sich an ihrer Schwester geschlechtlich vergangen zu haben. Maria B. und
ihr Anwalt Dr. X. verweigerten in der Untersuchung auf Grund von Art. 90
der Bündner StPO die Ablegung des Zeugnisses darüber, ob sie mit ihren
Brüdern geschlechtlich verkehrt habe, bzw. ob sie ihrem Anwalt Angaben
darüber gemacht habe.

    B.- Die Abs. 1-3 des Art. 90 StPO lauten:

    Die Bluts-, Adoptiv- und Stiefverwandten des Angeschuldigten in
auf- und absteigender Linie, sein Ehegatte oder sein Verlobter, seine
Seitenverwandten im elterlichen und grosselterlichen Stamm mit Einschluss
ihrer Ehegatten können das Zeugnis verweigern.

    Der Zeuge kann die Beantwortung von Fragen verweigern, die ihn selbst
oder einen Verwandten im Sinne des vorstehenden Absatzes der Gefahr
strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde.

    Geistliche, Ärzte, Anwälte und Notare können die Mitteilung von
Tatsachen verweigern, die ihnen in ihrer Amts- oder Berufsstellung
anvertraut worden sind. Steht ein Verbrechen in Frage, so entscheidet
auf Ansuchen des Staatsanwalts der Kantonsgerichtsausschuss in Würdigung
aller Verhältnisse, ob Ärzte, Anwälte und Notare Zeugnis abzulegen haben.

    Gestützt auf Art. 90 Abs. 3 Satz 2 StPO ersuchte die Staatsanwaltschaft
am 12. März 1965 den Kantonsgerichtsausschuss, Dr. X. vom Anwaltsgeheimnis
zu entbinden und ihn zu verpflichten, Zeugnis abzulegen. Der
Kantonsgerichtsausschuss hat diesem Gesuch am 16. März 1965 entsprochen,
Rechtsanwalt Dr. X. von der Schweigepflicht entbunden und ihn verhalten,
über alles auszusagen, was ihm in der Sache anvertraut worden sei. In der
Begründung wird ausgeführt, es stehe die Abklärung eines Verbrechens im
Sinne von Art. 191 oder 213 StGB in Frage und es liege im öffentlichen
Interesse, dass solch schwere Delikte nicht ungesühnt blieben.

    C.- Rechtsanwalt Dr. X. führt staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung von Art. 4 BV und Art. 2 Ueb. Best. BV mit dem Antrag, der
Entscheid des Kantonsgerichtsausschusses sei aufzuheben.

    D.- Der Kantonsgerichtsausschuss und die Staatsanwaltschaft schliessen
auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- In den Erwägungen des angefochtenen Entscheids wird einleitend
ausgeführt, laut Art. 90 Abs. 3 (Satz 1) StPO "könne" ein Anwalt die
Mitteilung von Tatsachen verweigern, die ihm in seiner Berufsstellung
anvertraut worden sind. Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, "die
Anwälte können nicht die Mitteilung verweigern, sie müssen es kraft
Bundesgesetz (vgl. Art. 321 StGB)". Damit wird eine Missachtung der
derogatorischen Kraft des Bundesrechts und mithin des Art. 2 Ueb. Best. BV
geltend gemacht. Soweit die Bundesrechtswidrigkeit eines Entscheids in
der Verletzung eidgenössischer strafrechtlicher Bestimmungen (wie hier
des Art. 321 StGB) liegen soll, kann dieser Mangel im allgemeinen mit der
Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts im Sinne
von Art. 268 ff. BStP gerügt werden; die staatsrechtliche Beschwerde,
die nur beim Fehlen eines andern Rechtsmittels an das Bundesgericht
oder an eine andere Bundesbehörde zulässig ist (Art. 84 Abs. 2 OG),
steht hierfür insoweit nicht offen. Im vorliegenden Fall trifft das indes
nicht zu, da die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde nur gegen Urteile,
Straferkenntnisse und Einstellungsbeschlüsse gegeben ist (Art. 268 BStP),
nicht aber gegen einen Akt der richterlichen Prozessleitung von der Art des
hier angefochtenen Zwischenentscheids, und da die Nichtigkeitsbeschwerde
wohl vom Angeklagten und vom öffentlichen Ankläger, unter bestimmten
Voraussetzungen zudem vom Privatstrafkläger und vom Antragsteller
geführt werden kann (Art. 270 BStP), nicht dagegen vom Zeugen. Auf den
in der staatsrechtlichen Beschwerde erhobenen Vorwurf der Missachtung der
derogatorischen Kraft des Bundesrechts durch Verletzung des Art. 321 StGB
ist daher einzutreten.

    Der Beschwerdeführer hält dafür, der Kantonsgerichtsausschuss
habe aus Art. 90 Abs. 3 Satz 1 StPO gefolgert, es sei ins Ermessen des
Anwalts gestellt, ob er die Mitteilung von Tatsachen verweigern wolle,
die ihm in seiner Berufsstellung anvertraut worden sind; nach Art. 321
StGB aber müsse der Anwalt über solche Punkte sich ausschweigen. Dieser
Vorwurf stösst ins Leere. Der Kantonsgerichtsausschuss hat wohl in seinen
Erwägungen den Wortlaut von Art. 90 Abs. 3 Satz 1 StPO aufgenommen; er hat
jedoch seinen Entscheid auf Art. 90 Abs. 1 Satz 2 StPO gestützt. Danach
entscheidet der Kantonsgerichtsausschuss, wenn ein Verbrechen in Frage
steht, auf Antrag des Staatsanwalts in Würdigung aller Verhältnisse,
ob Ärzte, Anwälte und Notare Zeugnis abzulegen haben. Diese Vorschrift
widerspricht als solche Art. 321 StGB nicht, da dessen Ziff. 3 ausdrücklich
"die eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen über die Zeugnispflicht
und über die Auskunftspflicht gegenüber einer Behörde" vorbehält. Ob dieser
Vorbehalt zugunsten des kantonalen Rechts durch andere bundesrechtliche
Vorschriften, so namentlich durch Art. 27 ZGB und durch Art. 4 BV,
eingeschränkt werde, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht zu prüfen,
da der Beschwerdeführer die Bundesrechtswidrigkeit des in Anwendung von
Art. 90 Abs. 3 Satz 2 StPO ergangenen Entscheids einzig im Verstoss gegen
Art. 321 StGB erblickt. Dieser Einwand aber geht nach dem Gesagten fehl.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer rügt als Verweigerung des rechtlichen Gehörs
und damit als Verletzung des Art. 4 BV, dass der Kantonsgerichtsausschuss
das Gesuch des Staatsanwalts gutgeheissen hat, ohne ihm vorher Gelegenheit
zu geben, dazu Stellung zu nehmen.

    Gemäss Art. 90 Abs. 3 Satz 2 StPO entscheidet der
Kantonsgerichtsausschuss, wenn ein Verbrechen in Frage steht, "in
Würdigung aller Verhältnisse" darüber, ob der Arzt, Anwalt oder Notar
über Tatsachen, die ihm in seiner Amts- oder Berufsstellung anvertraut
worden sind, Zeugnis abzulegen habe. Um "alle Verhältnisse" zu würdigen,
muss der Kantonsgerichtsausschuss den Gründen, die für, und jenen, die
gegen die Zeugnisablegung sprechen, in gleicher Weise Beachtung schenken:
er muss die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung
aller erheblichen Umstände gegeneinander abwägen und darüber befinden,
ob im betreffenden Falle das Interesse an der Erforschung der Wahrheit im
Strafprozess oder das Interesse an der Aufrechterhaltung des Amts- oder
Berufsgeheimnisses des Arztes, Anwalts oder Notars den Vorrang verdiene. Um
sich zu versichern, dass ihm alle für diese Abwägung wesentlichen Umstände
zur Kenntnis kommen, muss der Kantonsgerichtsausschuss beide Seiten
anhören: den antragstellenden Staatsanwalt, der über die Erforschung der
Wahrheit im Strafprozess wacht, wie den betroffenen Geheimnisträger,
der in der Lage ist, die Gründe vorzubringen, die gegen die Aufhebung
der Geheimhaltungspflicht sprechen. Es liesse sich daher folgern, der
Kantonsgerichtsausschuss sei schon auf Grund des Art. 90 Abs. 3 Satz 2
StPO zur Anhörung des Geheimnisträgers verpflichtet.

    Die Frage kann jedoch offen bleiben, da diese Pflicht sich jedenfalls
aus den unmittelbar aus Art. 4 BV fliessenden Verfahrensregeln zur
Sicherung des rechtlichen Gehörs (vgl. BGE 87 I 339 mit Verweisungen, 89
I 356 Erw. 2) ergibt. Die Aufhebung der Geheimhaltungspflicht des Arztes,
Anwalts oder Notars bedeutet einen Eingriff in die Geheimsphäre, also
in höchstpersönliche Rechte (BLASS, Die Berufsgeheimhaltungspflicht der
Ärzte, Apotheker und Rechtsanwälte, S. 71 ff.; SCHAFFNER, L'autorisation de
révéler un secret professionnel S. 20, 21, 64; SIEBEN, Das Berufsgeheimnis
auf Grund des eidgenössischen Strafgesetzbuches, S. 45). Wenn ein solcher
Eingriff in Frage steht, muss der Betroffene oder sein Vertreter in allen
Verfahrensarten - in einem Inzidenzverfahren im Strafprozess so gut wie
im Verwaltungsverfahren (BGE 87 I 339 mit Verweisungen) - angehört werden.

    Die Einwendungen, die der Kantonsgerichtsausschuss in der
Vernehmlassung dagegen erhebt, sind unbehelflich. Die kantonale
Instanz übersieht, dass der Anwalt seinen Standpunkt gegenüber dem
Offenbarungsgesuch der Staatsanwaltschaft vertreten kann, ohne die
Mitteilungen preisgeben zu müssen, die ihm sein Klient anvertraut
hat. Die Anhörung des Anwalts steht damit nicht im Widerspruch zu seiner
Geheimhaltungspflicht; sie setzt denn auch nicht voraus, dass der Klient
den Anwalt zuvor vom Berufsgeheimnis entbunden habe. Unverständlich ist
auch, inwiefern die Anhörung des Beschwerdeführers die Gefahr schaffe, dass
die angeschuldigten Brüder B. die Spuren der Tat verwischen könnten. Bevor
die Staatsanwaltschaft am 12. März 1965 ihr Offenbarungsgesuch stellte,
waren sowohl die beiden Brüder als auch deren Schwester Katharina und deren
Mutter zur Sache verhört worden. Die Beteiligten waren somit im Bilde,
was die Untersuchungsbehörde feststellen wolle. Es ist nicht einzusehen,
inwiefern die Einholung einer Stellungnahme des Beschwerdeführers eine
Kollusionsgefahr geschaffen oder erhöht hätte.

    Hat der Kantonsgerichtsausschuss dem Beschwerdeführer entgegen Art. 4
BV keine Gelegenheit zur Beantwortung des Gesuches der Staatsanwaltschaft
eingeräumt, so hat er ihm das rechtliche Gehör verweigert. Der angefochtene
Entscheid ist schon wegen dieses formellen Mangels aufzuheben.

Erwägung 3

    3.- Der Entscheid hält aber auch in materieller Hinsicht nicht vor
Art. 4 BV stand. Der Kantonsgerichtsausschuss hat die Zeugnispflicht
des Beschwerdeführers kurzerhand damit begründet, es gehe um die
Abklärung eines Verbrechens im Sinne von Art. 191 oder 213 StGB und
es liege im öffentlichen Interesse, dass solch schwere Delikte nicht
ungesühnt blieben. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, der Verdacht,
dass ein schweres Verbrechen begangen worden sei, genüge, um den Anwalt
von der Schweigepflicht zu entbinden und ihn zur Zeugnisablegung zu
verhalten. Diese einseitige Betrachtungsweise ist mit dem Wortlaut und
dem Sinn von Art. 90 Abs. 3 Satz 2 StPO schlechthin unvereinbar. Wenn
der Kantonsgerichtsausschuss seinen Entscheid gemäss dieser Vorschrift
"in Würdigung aller Verhältnisse" zu treffen hat, so heisst das nach
dem in Erw. 2 Gesagten, dass er die Gründe, die für die Wahrung des
Anwaltsgeheimnisses eintreten, mit eben solcher Sorgfalt zu prüfen hat wie
jene, die für dessen Aufhebung sprechen. Bei der Abwägung der einen und
der anderen Interessen hat er sich an die im Gesetze selbst aufgestellten
Masstäbe zu halten.

    Um den Anforderungen des Art. 90 Abs. 3 Satz 2 StPO zu entsprechen,
hätte der Kantonsgerichtsausschuss sich deshalb nicht damit begnügen
dürfen, auf die Bedürfnisse der Wahrheitserforschung im Strafprozess
abzustellen; er hätte sich auch mit den Interessen befassen müssen, die auf
Seiten des Beschwerdeführers und seiner Klientin auf dem Spiele stehen. In
dieser Hinsicht fällt in Betracht, dass der Anwalt zur richtigen Ausübung
seines Berufs und zur Erfüllung der Aufgaben, die ihm das Prozessrecht im
Rechtsstaate zuerkennt, auf das unbedingte Vertrauen seines Klienten zählen
können muss. Das aber setzt voraus, dass der Klient seinerseits voll auf
die Verschwiegenheit des Anwalts vertrauen darf. Wenn der Klient sich ihm
nicht rückhaltlos anvertraut und ihm nicht Einblick in alle erheblichen
Verhältnisse gewährt, so ist es für den Anwalt schwer, ja oft unmöglich,
den Klienten richtig zu beraten und ihn im Prozess wirksam zu vertreten
(VON RECHENBERG, Die Aufgabe des Strafverteidigers, ZStR 81 S. 230;
vgl. ferner BGE 75 IV 74 mit Bezug auf die verwandte Frage des ärztlichen
Geheimnisses). Die zwischen dem Anwalt und seinem Klienten bestehende
Geheimnissphäre geniesst den Schutz der Persönlichkeitsrechte im Sinne
von Art. 27 ZGB (oben Erw. 2 mit Zitaten). Sie darf nur ganz ausnahmsweise
durchbrochen werden, wenn es zur Wahrung höherer Interessen unumgänglich
ist (vgl. BGE 44 II 326, 45 II 545; GULDENER, Schw. Zivilprozessrecht,
2. Aufl., S. 617 A. 35 c).

    Unter den obwaltenden Umständen fällt zudem in Betracht, dass Art. 90
Abs. 1 und 2 StPO der Klientin des Beschwerdeführers das Recht einräumt,
das Zeugnis darüber zu verweigern, ob ihre Brüder sich geschlechtlich
an ihr vergangen haben. Sie hat von diesem Recht Gebrauch gemacht. Würde
der Beschwerdeführer gezwungen, als Zeuge darüber auszusagen, was seine
Klientin ihm über diesen Sachverhalt anvertraut hat, dann liefe das auf
eine Umgehung ihres Zeugnisverweigerungsrechts hinaus, indem das, was sie
ihrem Anwalt im Vaterschaftsprozess im Vertrauen auf dessen Verschiegenheit
offenbart hat und was sie als Zeugin im Strafverfahren nicht preisgeben
wollte, nun durch den Mund des Anwalts den Untersuchungsbehörden zur
Kenntnis gebracht werden müsste. Darüber hinaus sähe sich die Klientin
in ihrem Vertrauen auf die Schweigepflicht des Anwalts zutiefst
getäuscht. Nicht minder schwer wären die allgemeinen Auswirkungen
eines solchen Entscheids: Würde der Anwalt gezwungen, selbst jene ihm
anvertrauten Tatsachen preiszugeben, mit Bezug auf welche dem Klienten
ein uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, dann könnte
der Anwalt nicht mehr auf das für ihn notwendige Vertrauen der Klienten
zählen. Die Erfüllung der Aufgaben des Anwaltes im Dienste der Rechtspflege
wäre damit in Frage gestellt. Die Erschwerung der Wahrheitserforschung im
Strafprozess, welche die Aufrechterhaltung des Anwaltsgeheimnisses mit sich
bringt, muss demgegenüber unter den obwaltenden Umständen als das kleinere
Übel in Kauf genommen werden. Von einem eigentlichen Beweisnotstand kann
angesichts der Aktenlage ohnehin nicht gesprochen werden.

    Indem der Kantonsgerichtsausschuss diese Verhältnisse überging und
sich bei der ihm nach Art. 90 Abs. 3 Satz 2 obliegenden Interessenabwägung
über einen in Abs. 1 und 2 der nämlichen Bestimmung enthaltenen Grundsatz
hinwegsetzte, hat er einen Widerspruch in das Gesetz hineingetragen und
schwer gegen dessen Sinn und Geist verstossen. Sein Entscheid ist deshalb
nicht nur unrichtig, sondern darüber hinaus willkürlich. Der Vorwurf der
Verletzung des Art. 4 BV ist damit auch in materieller Hinsicht begründet.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, und der Beschluss des
Kantonsgerichtsausschusses von Graubünden vom 16. März 1965 wird
aufgehoben.