Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 I 197



91 I 197

33. Auszug aus dem Urteil vom 7. Juli 1965 i.S. Hofmann gegen
Regierungsrat des Kantons Zug. Regeste

    Art. 2 Ueb. Best. BV; derogatorische Kraft des Bundesrechts.

    Das Bundesgesetz über den Abzahlungs- und den Vorauszahlungsvertrag
schliesst kantonale gewerbepolizeiliche Vorschriften über
Abzahlungsgeschäfte wie namentlich das Verbot des Abschlusses von
Abzahlungsverträgen im Hausierhandel, nicht aus.

Sachverhalt

    § 11 des Gesetzes über den Markt- und Hausierverkehr sowie über den
Gewerbebetrieb im Kanton Zug (MHG) vom 22. August 1901 macht die Ausübung
des Hausierverkehrs von einer Bewilligung der kantonalen Finanzdirektion
abhängig. § 10 Abs. 1 lit. e MHG in der Fassung vom 28. November
1935 schliesst den Verkauf von "Waren, Büchern und Zeitschriften auf
Abschlagszahlung" vom Hausierverkehr aus.

    Hofmann vertreibt durch Vertreter einen Lehrgang (Fernkurs) auf
Abzahlung. Er ersuchte die Finanzdirektion des Kantons Zug um die
Bewilligung, seinen Lehrgang durch Kundenbesuch im Kanton vertreiben
zu dürfen. Die Finanzdirektion und auf Beschwerde hin der Regierungsrat
lehnten das Gesuch ab. Hofmann erhob dagegen staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung von Art. 2 Ueb. Best. BV (und Art. 31 BV). Das
Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Das in § 10 Abs. 1 lit. e MHG ausgesprochene Verbot des
Abschlusses von Abzahlungsverkäufen im Hausierverkehr gehört klarerweise
dem öffentlichen Recht an. Es hat zur Folge, dass das bundesrechtliche
Institut des Abzahlungsvertrags im Kanton Zug einem Teil des Handels
verschlossen bleibt. Art. 6 ZGB lässt für derartige den Anwendungsbereich
des Bundeszivilrechts beschränkende öffentlich-rechtliche Bestimmungen der
Kantone Platz, sofern nicht das Bundeszivilrecht eine Regelung getroffen
hat, die aus grundsätzlichen Erwägungen, namentlich zum Schutz der
individuellen Freiheit, als abschliessend und nicht ergänzungsbedürftig
gedacht ist (GRISEL, Des rapports entre le droit civil fédéral et le
droit public cantonal, ZSR 70 S. 309; HUBER, N. 174 zu Art. 6 ZGB);
die kantonalen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen müssen ausserdem auf
haltbaren öffentlichen Interessen beruhen (HUBER, aaO, N. 209 ff); auch
dürfen sie Sinn und Geist des Bundeszivilrechts nicht widersprechen und
es nicht vereiteln (HUBER, aaO, N. 213 und 214).

    Als der Bundesgesetzgeber die Reform der Bestimmungen der Art. 226-228
OR über die Abzahlungsgeschäfte an Hand nahm, hatten zahlreiche Kantone
schon gewerbepolizeiliche Vorschriften über diese Vertragsart erlassen
(vgl. die Übersicht in der Botschaft des Bundesrates, BBl 1960 I 528/29,
sowie bei STOFER, Kommentar zum Bundesgesetz über den Abzahlungs- und
Vorauszahlungsvertrag, S. 37). Der Bundesgesetzgeber zog den Erlass
öffentlich-rechtlicher Normen in Betracht, verzichtete aber für sich auf
diese Lösungsmöglichkeit und entschloss sich für die privatrechtliche
Regelung des Abzahlungsvertrages (BBl 1960 I S. 539). Das heisst nicht,
dass er dieses Gebiet ganz dem öffentlichen Recht entziehen wollte. Die
Vorschriften, die das Bundesgesetz zum Schutze des Käufers als der
wirtschftlich schwächeren Vertragspartei aufstellt (BBl 1960 I S. 538),
bilden, wie schon die Begrenzung des Geltungsbereiches auf Verträge mit
einem Gesamtkaufpreis von über 200 Franken und einer Vertragsdauer von
mehr als sechs Monaten (Art. 226 m Abs. 4 OR) zeigt, kein geschlossenes
Ganzes, das im Lichte seiner Zwecksetzung keine Ergänzung von Seiten des
kantonalen öffentlichen Rechts ertrüge.

    Der Gedanke des Schutzes des Käufers vor Missbräuchen, der dem
Bundesgesetz zugrunde liegt, war auch bei Erlass des § 10 Abs. 1 lit. e
MHG wegleitend. Mit dem darin ausgesprochenen Verbot des Abschlusses
von Abzahlungsverkäufen im Hausierverkehr bediente sich der kantonale
Gesetzgeber eines öffentlich-rechtlichen Mittels, das die zivilrechtliche
Ordnung des Bundesgesetzes ergänzt, ohne dass die beiden Regelungen
in Widerstreit treten. Da das kantonale und das eidgenössische Recht
das nämliche Ziel verfolgen und die Mittel, die sie zur Erreichung des
gemeinsamen Zweckes einsetzen, miteinander im Einklang stehen, kann nicht
gesagt werden. die kantonale Bestimmung widerspreche Sinn und Geist des
Bundeszivilrechts. Von einer Vereitelung desselben kann vollends nicht die
Rede sein, weil das bundesrechtliche Institut des Abzahlungsvertrages auch
unter Berücksichtigung der in § 10 Abs. 1 lit. e MHG gezogenen Schranke
im Kanton Zug noch in weitem Masse Anwendung finden kann.

    Zu prüfen bleibt, ob § 10 Abs. 1 lit. e MHG ein haltbares öffentliches
Interesse zur Seite stehe. Wie das Bundesgericht in der Rechtsprechung
zu Art. 31 BV erkannt hat, setzt der Hausierhandel den Käufer in
erhöhtem Masse der Gefahr der Täuschung und der Übervorteilung aus,
weil der zuhause oder an seinem Arbeitsplatz aufgesuchte Kunde sich
erfahrungsgemäss leichter zum angestrebten Geschäftsabschluss bewegen
lässt (vgl. BGE 42 I 257, 57 I 104 Erw. 4, 58 I 158). Richtig ist, dass
das Bundesgesetz über den Abzahlungs- und den Vorauszahlungsvertrag die
erwähnte Gefahr in seinem Geltungsbereich vermindert, so namentlich,
indem es in Art. 226 c OR dem Käufer das Recht des nachträglichen
Verzichts auf den Vertragsabschluss einräumt. Die Wirksamkeit dieses
Verzichtsrechts wird jedoch durch gewisse Praktiken in Frage gestellt,
zu denen gerade der Hausierhandel Gelegenheit bietet; ist doch damit zu
rechnen, dass die Umstände, die dem Hausierer den Zugang zum Kunden ebnen,
es ihm auch erleichtern, den einmal gewonnenen Käufer zur Nichtausübung
des Verzichtsrechts zu bestimmen. Zu beachten ist ferner, dass Art. 226 c
OR nur auf Abzahlungsgeschäfte mit einem Gesamtkaufpreis von mehr als 200
Franken anwendbar ist (Art. 226 m Abs. 4 OR), während der Hausierhandel
sich überwiegend mit dem Vertrieb billigerer Güter befasst. Mit dem Erlass
des Bundesgesetzes ist daher das öffentliche Interesse an dem durch §
10 Abs. 1 lit. e MHG vermittelten Schutz nicht vollständig weggefallen.

    Zusammengefasst ergibt sich, dass § 10 Abs. 1 lit. e MHG sich innerhalb
des in Art. 6 ZGB umschriebenen Rahmens der kantonalen Befugnisse hält
und damit nicht gegen den vom Beschwerdeführer angerufenen Grundsatz der
derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Ueb. Best. BV) verstösst.

Erwägung 4

    4.- (Die Rüge der Verletzung des Art. 31 BV ist gleichfalls
unbegründet.)