Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 I 1



91 I 1

1. Urteil vom 31. März 1965 i.S. Hubgarage AG gegen
Obstverwertungs-Genossenschaft Horn und Rekurs-Kommission des Obergerichts
des Kantons Thurgau. Regeste

    Art. 4 BV, Art. 174 SchKG.

    Es ist nicht willkürlich, eine erst nach der erstinstanzlichen
Konkurseröffnung erfolgte Tilgung der Betreibungsforderung im
Rechtsmittelverfahren überhaupt nicht oder nur dann zu berücksichtigen,
wenn die verspätete Zahlung entschuldbar ist und ernsthaft damit zu
rechnen ist, dass der Schuldner seinen Verpflichtungen in der Folge
wieder aus eigenen Mitteln wird nachkommen können. Voraussetzungen einer
Praxisänderung.

Sachverhalt

    Das Gerichtspräsidium Arbon eröffnete am 12. Februar 1965 auf Begehren
der Obstverwertungs-Genossenschaft Horn über die Hubgarage AG in Romanshorn
den Konkurs. Am 18. Februar 1965 beschwerte sich die Schuldnerin hierüber
mit dem Antrag, die Konkurseröffnung sei aufzuheben. Sie machte geltend,
sie habe schon vor der Konkurseröffnung mit der Gläubigerin vereinbart,
sie werde die Forderung am 16. Februar 1965 befriedigen. Das sei denn
auch geschehen. Die Gläubigerin habe ihr am 18. Februar 1965 Quittung
erteilt und das Konkursbegehren zurückgezogen. Die Rekurs-Kommission
des Obergerichts des Kantons Thurgau hat die Beschwerde nach Einholung
eines Berichts des Betreibungsamtes des Kreises Romanshorn am 1. März
1965 abgewiesen. Die Hubgarage AG führt staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung des Art. 4 BV mit dem Antrag, es sei dieser Entscheid
aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Das Bundesgericht hat in BGE 46 I 366 bei freier Prüfung erkannt,
das Bundesrecht schliesse die Berücksichtigung erst nachträglich
eingetretener konkurshindernder Tatsachen im Berufungsverfahren gegen
das Konkursdekret aus. In BGE 57 I 364 hat es auf Beschwerde wegen
Verletzung des Art. 4 BV hin die Auffassung, das SchKG schliesse die
Berücksichtigung einer erst nach der erstinstanzlichen Konkurseröffnung
erfolgten Tilgung der Betreibungsforderung im Rechtsmittelverfahren gegen
das Konkurserkenntnis aus, als jedenfalls nicht willkürlich bezeichnet. Es
hat seither in zahlreichen nicht veröffentlichten Urteilen an dieser
Rechtsprechung festgehalten. Die Rekurs-Kommission geht nicht so weit, die
Berücksichtigung neuer konkurshindernder Tatsachen im Beschwerdeverfahren
gänzlich auszuschliessen. In ihrem Entscheid vom 28. Februar 1962
i.S. Thalmann stellte sie darauf ab, ob die verspätete Deckung der
Konkursgläubiger durch den Schuldner in dem Masse entschuldbar erscheine,
dass sie die Aufhebung des Konkursdekretes rechtfertige, was nur zutreffe,
wenn es sich um ein einmaliges Versehen des Schuldners handle. In dem
hier angefochtenen Entscheid legt sie dar, dass die nachträgliche Zahlung
zur Aufhebung der Konkurseröffnung führen könne, wenn der Schuldner nur
"momentan" illiquid sei, er nicht für grössere Summen betrieben werde
und die verspätete Zahlung auf ein Versehen zurückzuführen sei.

    Die Beschwerdeführerin erblickt hierin eine Praxisänderung. Sie
anerkennt zwar, dass eine solche nicht ohne weiteres willkürlich ist,
macht aber geltend, dass eine Praxis im Interesse der Rechtssicherheit
nicht ohne zwingenden Grund aufgegeben werden dürfe und dass die neue
Stellungnahme sachgemäss sein müsse, was hier nicht zutreffe. Diese
Einwendungen gehen fehl. Ob im vorliegenden Fall von einer Praxisänderung
gesprochen werden könne oder ob es sich nicht vielmehr um eine blosse
Verdeutlichung und Ergänzung der Rechtsprechung handle, kann offen
bleiben. Wie das Bundesgericht wiederholt entschieden hat, verwehrt es
Art. 4 BV einer Behörde nicht, ihre bisherige Praxis zu überprüfen und
sie gegebenenfalls, neuer und besserer Erkenntnis folgend, zu ändern
(BGE 86 I 326 mit Verweisungen; 89 I 90/91, 296 Erw. 6, 303 Erw. 6,
428/29, 458). Die Stellungnahme der Rekurs-Kommission ist, soweit
überhaupt verändert, durchaus sachgemäss geblieben. Es hat in der
Tat nur dann einen Sinn, eine Konkurseröffnung wegen neuer Tatsachen
aufzuheben, wenn ernsthaft damit zu rechnen ist, dass der Schuldner seinen
Verpflichtungen in der Folge wieder aus eigenen Mitteln wird nachkommen
können. Das ist lediglich dann der Fall, wenn die Illiquidität des
Schuldners, die zur Konkurseröffnung führte, bloss als vorübergehend
erscheint und die ausstehenden Schulden nicht zu bedeutend sind. Um
trölerischen Machenschaften vorzubeugen, rechtfertigt es sich ausserdem,
die Aufhebung der Konkurseröffnung zusätzlich davon abhängig zu machen,
dass die verspätete Zahlung entschuldbar ist.

    Die Rekurs-Kommission ist ohne Willkür und Verweigerung des rechtlichen
Gehörs zum Schlusse gelangt, die von ihr aufgestellten Voraussetzungen
für die Aufhebung des Konkursdekretes seien hier nicht erfüllt. Nach dem
von der Rekurs-Kommission beigezogenen Bericht des Betreibungsamtes des
Kreises Romanshorn, dessen inhaltliche Richtigkeit nicht bestritten ist,
wurden gegen die Beschwerdeführerin im Jahre 1964 Betreibungen über
einen Gesamtbetrag von rund 272'000 Franken angehoben; es wurden ihr
46 Konkursandrohungen über Forderungen von ungefähr 110'000 Franken
zugestellt; in Betreibungen für Sozialversicherungsbeiträge wurde ihr
mehrfach Aufschub mit Ratenzahlungen bewilligt, wobei es wiederum zu
Rückständen kam. Die Schulden, die der Bericht verzeichnet, erreichen
eine beträchtliche Höhe. Der Bericht lässt darüber hinaus die Folgerung
zu, dass die Illiquidität der Beschwerdeführerin nicht lediglich eine
vorübergehende sei. Im Rahmen des summarischen Verfahrens, das für die
Konkurseröffnung und dessen Überprüfung vorgeschrieben ist, bestand
zu weiteren Erhebungen oder zur Einholung einer Stellungnahme der
Beschwerdeführerin kein Anlass. Konnte die Rekurs-Kommission aber das
Vorliegen der von ihr aufgestellten objektiven Voraussetzungen für die
Aufhebung des Konkurserkenntnisses verneinen, so brauchte sie nicht darüber
zu befinden, ob allenfalls auch das zusätzliche subjektive Erfordernis
der Entschuldbarkeit der verspäteten Zahlung erfüllt sei. Die Beschwerde
erweist sich damit in vollem Umfang als offensichtlich unbegründet.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.