Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 IV 24



91 IV 24

9. Urteil des Kassationshofes vom 26. Januar 1965 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich gegen Vollenweider. Regeste

    Art. 68 Abs. 3 SVG und Art. 8 Abs. 1 VVV; Aussetzen der Versicherung.

    1.  Diese Bestimmungen sind nur mit Bezug auf die Kontrollschilder
Gültigkeitsvorschriften, hinsichtlich des Fahrzeugausweises dagegen
blosse Ordnungsvorschriften.

    2.  Wer in der Absicht, die Versicherung auszusetzen, die
Kontrollschilder bei der zuständigen Behörde hinterlegt hat, mit dem
Fahrzeug aber gleichwohl noch verkehrt, ist daher nach Art. 96 Ziff. 2
SVG strafbar, gleichviel, ob er den Fahrzeugausweis ebenfalls abgegeben
hat oder nicht.

Sachverhalt

    A.- Vollenweider, der im Kanton Zürich wohnt, wollte Ende September
1962 seinen Personenwagen für einige Monate stillegen. Er entfernte
die Kontrollschilder vom Fahrzeug und sandte sie dem kantonalen
Strassenverkehrsamt. Dieses gab der "Waadtländischen Unfallversicherung
auf Gegenseitigkeit", bei der Vollenweider die obligatorische
Haftpflichtversicherung abgeschlossen hatte, von der Hinterlegung der
Schilder Kenntnis.

    Am 10. November 1962 führte Vollenweider seinen Wagen in Rümlang
von einer Garage an der Glattalstrasse zum Hause seines Vaters an der
Oberdorfstrasse. Da er ohne Kontrollschilder fuhr, wurde er von der
Polizei verzeigt.

    B.- Das Bezirksgericht Dielsdorf und auf Berufung hin am 6. April
1964 auch das Obergericht des Kantons Zürich erklärten Vollenweider des
Fahrens ohne Kontrollschilder (Art. 96 Ziff. 1 Abs. 1 SVG) schuldig
und verurteilten ihn zu einer Busse von Fr. 80.-. Von der Anklage,
ein Motorfahrzeug geführt zu haben, von dem er wusste oder hätte wissen
können, dass die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung nicht bestand
(Art. 96 Ziff. 2 SVG), sprachen sie ihn frei.

    Das Obergericht begründete den Freispruch im wesentlichen damit, nach
den klaren und unmissverständlichen Vorschriften der Art. 68 Abs. 3 SVG
und 8 Abs. 1 VVV ruhe die Versicherung dem Geschädigten gegenüber nur,
wenn der Halter sowohl den Fahrzeugausweis wie die Kontrollschilder
abgebe. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da
Vollenweider sich mit der Hinterlegung der Schilder begnügt habe. Dass
die Mehrheit der Kantone auf die Rückgabe des Fahrzeugausweises verzichte,
ändere nichts; die kantonalen Strassenverkehrsämter hätten das Gesetz auch
dann zu vollziehen, wenn der Vollzug mit zusätzlicher Arbeit verbunden
sei. Der Angeklagte müsste selbst dann freigesprochen werden, wenn der
Versicherungsschutz zur Zeit der Tat nicht mehr bestanden haben sollte.
Vollenweider habe sich über die Folgen seines Verhaltens keine Rechenschaft
gegeben; er sei sich nicht bewusst gewesen, dass er rechtswidrig handelte.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den Freispruch des Obergerichts
aufzuheben und die Sache zur Verurteilung gemäss Art. 96 Ziff. 2 SVG an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Vollenweider beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 68 Abs. 3 Satz 1 SVG, der inhaltlich mit Art. 8
Abs. 1 VVV übereinstimmt, ruht die Haftpflichtversicherung des
Motorfahrzeughalters, wenn Fahrzeugausweis und Kontrollschilder bei der
zuständigen Behörde abgegeben werden. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen
ruht die Versicherung erst, wenn der Halter sowohl die Schilder wie den
Ausweis abgibt. Es frägt sich aber, ob dies dem wahren Sinn der Normen,
d.h. den Wertungen entspricht, die ihnen innewohnen und auf denen ihre
Geltung beruht.

    a) Fahrzeugausweis und Kontrollschilder werden im Gesetz durchwegs
zusammen erwähnt (vgl. Art. 10 Abs. 1, 16 Abs. 4, 25 Abs. 2 lit. d,
68 Abs. 2 und 3, 77 Abs. 1, 96 und 97). Das gleiche ist der Fall in der
Verordnung über Haftpflicht und Versicherungen im Strassenverkehr (s. z.B.
Art. 3 Abs. 2 lit. c, 7 Abs. 2 und 4, 8 Abs. 1 und 2, 16 Abs. 3, 18 Abs. 1,
19 Abs. 4, 20 Abs. 5). Der Grund liegt offenbar darin, dass zwischen dem
Fahrzeugausweis und den Kontrollschildern ein enger Zusammenhang besteht;
diese sind bloss das äussere Zeichen dafür, dass ein bestimmtes Fahrzeug
zum Verkehr zugelassen, der Fahrzeugausweis also erteilt worden ist. Die
Kontrollschilder verlieren ihre Gültigkeit denn auch zusammen mit dem
Fahrzeugausweis (Art. 18 Abs. 1 VVV). Ob Ausweis und Schilder deshalb
in allen Bestimmungen, in denen sie zusammen genannt werden, gleich zu
behandeln seien, kann dahingestellt bleiben. Mit Bezug auf das Ruhen der
Versicherung kommt ihnen, wie die Beschwerdeführerin mit Recht bemerkt,
jedenfalls eine sehr unterschiedliche Bedeutung zu.

    Die Art. 68 Abs. 3 SVG und 8 Abs. 1 VVV beruhen auf der Überlegung,
dass der Halter, der die Versicherung aussetzen will, wirksam von der
weitern Benützung des Fahrzeuges abgehalten werden soll. Würden ihm die
Schilder belassen und nur der Fahrzeugausweis abverlangt, so bestände
keinerlei Gewähr dafür, dass er das Fahrzeug wirklich stillegt. Viele
Halter könnten diesfalls der Versuchung, unentdeckt herumzufahren, nicht
widerstehen. Auch könnten nur die wenigsten von ihnen strafrechtlich zur
Verantwortung gezogen werden. Solange ein Auto mit den Kontrollschildern
versehen ist, erweckt es den Eindruck, dass Versicherung und Bewilligung
zum Inverkehrsetzen des Fahrzeugs in Ordnung gehen, gleichviel, ob
der Fahrzeugausweis abgegeben worden sei oder nicht. Verkehrt ein Auto
dagegen ohne Schilder, so fällt es sofort auf. Der Fahrer muss jeden
Augenblick damit rechnen, verzeigt oder angehalten zu werden. Es ist
deshalb richtig, dass der Halter, der die Versicherung ruhen lassen will,
nach wie vor verpflichtet wird, die Schilder zu hinterlegen. Die Gefahr
von Missbräuchen ist freilich auch dann nicht völlig beseitigt. Sie bleibt
sich indes praktisch gleich, ob die Schilder allein oder zusammen mit dem
Fahrzeugausweis abverlangt werden. Wer sich ohne Schilder auf die Strasse
wagt, lässt sich von rechtswidrigen Fahrten auch nicht abhalten, wenn
er den Fahrzeugausweis ebenfalls hinterlegen muss. Daraus geht deutlich
hervor, dass es keinen Sinn hat, das Ruhen der Versicherung von der Abgabe
des Ausweises abhängig machen zu wollen.

    b) Das Obergericht führt aus, die neue Regelung sei nicht nur klar,
sondern auch sinnvoll. Unter der Herrschaft des MFG habe man sich zwar
mit der Hinterlegung der Kontrollschilder begnügt. Damals hätten die
Fahrzeugausweise aber jährlich zur Erneuerung eingesandt werden müssen
(Art. 6 Abs. 2 MFG). Nach dem neuen Recht seien die Fahrzeugausweise
hingegen unbefristet (Art. 10 Abs. 3 SVG). Um Missbräuche mit alten
Fahrzeugausweisen weiterhin zu erschweren, habe deshalb guter Grund
bestanden, im Gesetz ausdrücklich zu bestimmen, dass bei der Stillegung
eines Fahrzeuges sowohl die Kontrollschilder wie der Fahrzeugausweis
abgegeben werden müssen.

    Diese Ausführungen gehen jedoch an der Sache vorbei. Es geht nicht
darum, ob die Abgabe des Fahrzeugausweises überhaupt einen Sinn habe,
sondern bloss darum, ob sie im Hinblick auf das Ruhen der Versicherung
sinnvoll sei. Das aber ist aus den bereits angeführten Gründen zu
verneinen. Bei dieser Sachlage darf sich der Richter nicht auf den Wortlaut
des Gesetzes versteifen. Der Umstand, dass eine Bestimmung ihrem Wortlaut
nach klar ist, enthebt ihn nicht der Pflicht, nach dem vernünftigen
Sinn des Gesetzes zu forschen und notfalls einer zu allgemein gehaltenen
Norm eine Einschränkung beizufügen, wenn der Grundgedanke der Regelung
und der von ihr verfolgte Zweck es verlangen. Wo zwei Erfordernissen in
tatsächlicher Hinsicht eine so unterschiedliche Bedeutung zukommt, wie
hier, ist auch rechtlich eine unterschiedliche Wertung am Platz. Die
Hinterlegung der Schilder ist für das Aussetzen der Versicherung
unumgänglich; sie allein bietet die entscheidende Gewähr dafür, dass
sich der Halter während des Ruhens der Versicherung pflichtgemäss
verhält. Die Abgabe des Fahrzeugausweises taugt demgegenüber nicht zur
Erreichung des angestrebten Zweckes. Den Gesetzesmaterialien zum SVG
ist denn auch nirgends zu entnehmen, dass der Gesetzgeber dem Einzug des
Ausweises in diesem Zusammenhang irgendwelche Bedeutung beigemessen hätte.
Der Unterschied zwischen den beiden Erfordernissen ist so offensichtlich
und gross, dass es sich rechtfertigt, die Art. 68 Abs. 3 SVG und 8
Abs. 1 VVV nur mit Bezug auf die Hinterlegung der Kontrollschilder als
Gültigkeitsvorschriften, hinsichtlich der Abgabe des Fahrzeugausweises
dagegen bloss als Ordnungsvorschriften zu behandeln.

    c) Diese Lösung drängt sich auch mit Rücksicht auf den Grundsatz von
Treu und Glauben auf. Eine Anfrage des Bundesgerichts bei der Konferenz der
kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren hat ergeben, dass die Mehrheit
der Kantone den Fahrzeugausweis nicht abverlangt, sondern das Ruhen der
Versicherung lediglich von der Hinterlegung der Kontrollschilder abhängig
macht. Das geschieht offensichtlich deshalb, weil ein sachliches Bedürfnis
zum Einzug des Ausweises nicht besteht, jedenfalls nicht ein hinreichendes,
das die Mehrarbeit der Verwaltungsbehörde zu rechtfertigen vermöchte. Über
diese Praxis darf der Richter nicht gänzlich hinwegsehen. Wenn der Halter
in der Absicht, die Versicherung auszusetzen, bloss die Kontrollschilder
abgibt, die Verwaltung sich damit begnügt und dem Versicherer mitteilt,
dass die Haftpflichtversicherung ruhe, so soll sich dieser auf die
Mitteilung verlassen können.

    Das Obergericht verkennt, dass das Verfahren über das Aussetzen der
Versicherung in die Hände der kantonalen Strassenverkehrsämter gelegt
ist. Diese haben über die hinterlegten Ausweise und Kontrollschilder
ein Verzeichnis zu führen, aus dem hervorgeht, von welchem Tage an die
Versicherung ruht (Art. 8 Abs. 2 Satz 3 VVV). Sie geben dem Versicherer
hievon Kenntnis (Art. 68 Abs. 3 Satz 2 SVG). Für die Meldung ist das
im Anhang 1 zur VVV abgedruckte Formular zu verwenden, das einen Teil
des Versicherungsnachweises darstellt, eine Mitteilung jedoch einzig
für die Hinterlegung der Kontrollschilder vorsieht; von der Abgabe des
Fahrzeugausweises ist darin nicht die Rede (vgl. AS 1959 1308). Der
Versicherer erhält somit in jedem Fall, gleichviel, ob die Behörde den
Ausweis ebenfalls einverlangt habe, bloss von der Hinterlegung der
Schilder Kenntnis. Er muss sich gleichwohl darauf verlassen können,
dass die Versicherung ruhe. Wer sich aber nach Gesetz auf eine Meldung
der Verwaltungsbehörde zu verlassen hat, soll sich nach Treu und Glauben
auch vor dem Richter darauf berufen können.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall ist somit davon auszugehen, dass
am 10. November 1962, als Vollenweider die Fahrt unternahm,
die Leistungspflicht des Versicherers ruhte, die vorgeschriebene
Haftpflichtversicherung für das Fahrzeug also nicht bestand. Der objektive
Tatbestand des Art. 96 Ziff. 2 SVG ist daher erfüllt.

    Dass sich Vollenweider über die Folgen seines Verhaltens keine
Rechenschaft gegeben haben will, befreit ihn nicht. Das Bewusstsein
der Rechtswidrigkeit gehört nicht zum Vorsatz (BGE 75 IV 43, 82 und
ständige Rechtsprechung). Fehlt es, so gilt Art. 20 StGB. Rechtsirrtum
aber kommt nicht schon dem zugute, der seine Tat nicht für strafbar
hält, sondern nur dem, der aus zureichenden Gründen auch nicht bloss
das Gefühl hat, irgendwie unrecht zu handeln (BGE 78 IV 181 und dort
angeführte Urteile). Dieses Gefühl kann dem Beschwerdegegner nach den
Zwecken, die er mit der Hinterlegung der Kontrollschilder verfolgte,
nicht gefehlt haben. Es ist offensichtlich, dass es Vollenweider vor
allem darum ging, die Versicherungsprämie während der Stillegung des
Fahrzeuges einzusparen. Anders kann sein Verhalten gar nicht erklärt
werden. Bei gehöriger Überlegung hätte er sich deshalb sagen müssen,
dass die Leistungspflicht des Versicherers von der Hinterlegung bis zur
Wiedereinlösung der Schilder ruhe.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 6. April 1964 mit Bezug auf den
Freispruch aufgehoben und die Sache zur Bestrafung des Beschwerdegegners
nach Art. 96 Ziff. 2 SVG an das Obergericht zurückgewiesen.