Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 IV 225



91 IV 225

60. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. Dezember 1965
i.S. X. gegen Gemeinderat von H. und Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
Regeste

    Art. 217 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Vernachlässigung der
Unterstützungspflicht durch den Vater des ausserehelichen Kindes.

    1.  Wer keinen Grund hat, an seiner Vaterschaft zu zweifeln und nichts
leistet, obschon er dazu aufgefordert wird und leisten könnte, macht sich
nach dieser Bestimmung auch strafbar, wenn die Leistungspflicht nicht
durch Vereinbarung oder durch den Zivilrichter festgestellt worden ist.

    2.  Das gleiche gilt für den, der das Urteil des Zivilrichters gegen
besseres Wissen weiterzieht, nur um der Leistungspflicht zu entgehen.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    X. wurde am 17. Juli 1962 vom Amtsgericht Entlebuch als Vater des von
Agatha Y. am 27. März 1960 ausserehelich geborenen Kindes Z. zur Leistung
eines monatlichen Unterhaltsbeitrages von Fr. 80.- verpflichtet.

    Das Obergericht des Kantons Luzern wies am 27. November 1962 seine
Appellation und das Bundesgericht am 25. Februar 1963 seine Berufung ab.

    Da X. nicht die geringste Unterhaltsleistung erbrachte, erhob
der Gemeinderat von H. als Vormundschaftsbehörde anfangs November 1964
gegen ihn Strafklage. Bis zu diesem Zeitpunkte standen 56 Monatsraten im
Gesamtbetrage von Fr. 4480.-- aus.

    Das Obergericht des Kantons Luzern verurteilte X. am 13. Juli 1965
wegen böswilliger Vernachlässigung von Unterstützungspflichten (Art. 217
Ziff. 1 Abs. 1 StGB) zu sechs Monaten Gefängnis.

    Die Nichtigkeitsbeschwerde, die X. gegen dieses Urteil einreichte,
wurde vom Bundesgericht abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht hat X. wegen Nichtbezahlung der von der Geburt
des Kindes bis zur Einreichung der Strafklage verfallenen Monatsraten
bestraft. Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, dass er erst durch das
bundesgerichtliche Urteil vom 25. Februar 1963 als Vater des Kindes zu den
Unterhaltsbeiträgen verurteilt worden sei und dass auf die vorausgehende
Zeit Art. 217 StGB nicht Anwendung finden könne; er habe bis dahin nicht
gewusst, wer rechtlich Vater sei und könne infolgedessen nicht wegen
böswilliger Nichterfüllung der Unterhaltspflicht bestraft werden.

    a) Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes kann der in Scheidung
begriffene Ehegatte nach Art. 217 StGB nur bestraft werden, wenn die
Leistungspflicht von den Eheleuten vereinbart oder durch den Zivilrichter
festgestellt worden ist (BGE 74 IV 52 und dort angeführte Urteile). Die
Erwägung, dass vorher die Leistungspflicht noch unbestimmt sei, trifft auch
für den Vater des ausserehelichen Kindes zu, dies jedenfalls bezüglich
der Höhe der Forderungen und, wenn die Vaterschaft ungewiss ist, auch
hinsichtlich ihres Bestandes.

    Dabei ist aber nicht zu übersehen, dass die Unterhaltspflicht nicht
erst mit der Vereinbarung oder dem gerichtlichen Urteil entsteht. Sie
besteht von Gesetzes wegen (Art. 307 ff. ZGB), kraft der natürlichen
Verwandtschaft, und wird durch die Vereinbarung oder das Urteil des
Zivilrichters nur festgestellt und der Höhe nach bestimmt (vgl. BGE 89 IV
22). Wer keinen Grund hat, an seiner Vaterschaft zu zweifeln und nichts
leistet, obschon er dazu aufgefordert wird und leisten könnte, macht sich
daher auch ohne Vereinbarung oder Urteil der böswilligen Vernachlässigung
der Unterhaltspflicht im Sinne von Art. 217 StGB schuldig. Das gilt erst
recht vom erstinstanzlichen Urteil an, durch das dem Beklagten seine
Unterhaltspflicht vollends zum Bewusstsein gebracht und auch der Höhe
nach bestimmt wird. Zieht er das Urteil des Zivilrichters gegen besseres
Wissen weiter, nur um der Leistungspflicht zu entgehen, so handelt er mit
der Nichterfüllung böswillig. Diesem Vorwurf entgeht er nur in dem Masse,
als er nicht den vollen Betrag leistet, weil er ihn in guten Treuen für
übersetzt hält.

    b) Der Beschwerdeführer, der verheiratet ist und Kinder hat, lernte
Agatha Y. bei einem Tanzanlasse kennen. Er veranlasste sie schon bald zum
Geschlechtsverkehr und verstand es, die leicht beeinflussbare und nicht
sehr gescheite Tochter so für sich einzunehmen, dass sie als Dienstmagd
bei ihm eintrat und ihm völlig hörig wurde. Im Vaterschaftsprozess
versuchte er in mutwilliger Weise, den Geschlechtsverkehr in der
kritischen Zeit zu bestreiten und die Kindsmutter des Mehrverkehrs und
des unzüchtigen Lebenswandels zu bezichtigen. Agatha Y. wagte es nicht,
in seiner Gegenwart als Zeugin die Wahrheit zu sagen, und brachte es
auch nicht fertig, die schlecht bezahlte Stelle beim Beschwerdeführer
aufzugeben und eine ihr angebotene besser entlöhnte Arbeit aufzunehmen,
als sie wegen Nichterfüllung ihrer Unterhaltspflicht gegenüber dem Kinde
verurteilt wurde.

    Bei dieser Sachlage war es trölerisch, das erstinstanzliche
Vaterschaftsurteil ans Obergericht und dessen Entscheid an das
Bundesgericht weiterzuziehen. Der Beschwerdeführer durfte schlechterdings
nicht damit rechnen, dass das angefochtene Urteil zu seinen Gunsten
abgeändert würde. Appellation und Berufung des X. wurden denn auch beide
als völlig unbegründet abgewiesen. Handelte der Beschwerdeführer mit
diesen Rechtsmitteln aber bösgläubig, so kann er sich im Strafverfahren
nicht darauf berufen, dass seine Verurteilung zu den Unterhaltsbeiträgen
erst mit dem bundesgerichtlichen Urteil vom 25. Februar 1963 rechtskräftig
und vollstreckbar geworden sei. Art. 217 StGB kann nicht den Sinn haben,
dass der Pflichtige sich durch trölerische Rechtsmittelerklärungen der
Strafe ganz oder teilweise soll entziehen können.