Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 IV 205



91 IV 205

54. Urteil des Kassationshofes vom 26. November 1965 i.S. Steimen gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 34 Abs. 3 SVG. Beim Linksabbiegen ist nicht nur auf das
unmittelbar nachfolgende Fahrzeug, sondern auch auf solche, die von weiter
hinten kommend andere zu überholen im Begriffe stehen, Rücksicht zu nehmen.

Sachverhalt

    A.- Steimen führte am 18. April 1964 gegen 07.45 Uhr einen
Taunus-Kleinbus auf der Hauptstrasse Zürich-Bremgarten Richtung
Mutschellen. Ihm folgten in grössern Abständen mehrere andere
Fahrzeuge. Da er beabsichtigte, unmittelbar nach der Kantonsgrenze im
Gemeindegebiet von Bergdietikon nach links in einen ins Reppischtal
führenden Feldweg abzubiegen, fuhr er etwa 100 m vor dem Abbiegen mit
mässiger Geschwindigkeit der Mittellinie der rund 7 m breiten Strasse
entlang und gab das linke Blinkzeichen. Während des Abbiegens stiess
er mit einem Personenwagen (Volvo) zusammen, der ihn links überholen
wollte. Der Führer des überholenden Wagens, Wachter, hatte vorher mit
grosser Geschwindigketi zwei hinter dem Taunus folgende Fahrzeuge in
einem Zug überholt und übersehen, dass der Taunus gegen die Strassenmitte
eingespurt war und den linken Blinker betätigte.

    B.- Das Obergericht des Kantons Aargau verfällte am 4.  Oktober 1965
Steimen wegen Übertretung von Art. 34 Abs. 3 und 39 Abs. 2 SVG sowie
Wachter wegen Widerhandlung gegen Art. 35 Abs. 3 und 5 SVG in eine Busse
von je Fr. 50.-.

    C.- Steimen führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag auf Freisprechung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, die Pflicht des nach links
abbiegenden Fahrzeugführers, unter den in BGE 91 IV 13 genannten Umständen,
insbesondere ausserhalb von Strassenverzweigungen sich sorgfältig darüber
zu vergewissern, ob er nicht ein nachfolgendes Fahrzeug gefährde, gelte
nur gegenüber einem unmittelbar nachfolgenden, nicht aber gegenüber einem
solchen, das von weiter hinten kommend mehrere Fahrzeuge nacheinander
überhole.

    Diese Auffassung hält schon vor dem Wortlaut des Art. 34 Abs. 3 SVG
nicht stand, der nicht bloss vom nachfolgenden Fahrzeug spricht, sondern
Rücksichtnahme gegenüber allen nachfolgenden Fahrzeugen verlangt. Wie
diese Bestimmung ihren Zweck erfüllen könnte, wenn der Linksabbiegende
lediglich auf das nächstfolgende Fahrzeug zu achten hätte, wäre auch
nicht zu ersehen. Es ist nicht verboten, auf freien und übersichtlichen
Strecken zwei oder mehrere Fahrzeuge in einem Zug zu überholen, wenn
die nötige Vorsicht angewendet wird und der Überholende die Gewissheit
hat, dass er rechtzeitig und ohne Behinderung anderer Fahrzeuge wieder
einbiegen kann (Art. 35 Abs. 2 SVG). Unter solchen Umständen kann sich
daher der ausserhalb einer Verzweigung nach links Abbiegende auch dann,
wenn er sicher ist, dass der ihm unmittelbar nachfolgende Fahrzeugführer
seine Absicht erkannte, nicht darauf verlassen, dass kein anderer sich
von weiter hinten nähern werde und ihn links zu überholen versuchen
könnte. Gerade weil mit dieser Möglichkeit gerechnet werden muss und
die Gefahr, dass der Überholende das beabsichtigte Abbiegemanöver nicht
rechtzeitig erkennt, in solchen Fällen besonders gross ist, hat der
Linksabbiegende umsomehr Rücksicht zu nehmen und sich zu vergewissern,
ob er kein nachfolgendes Fahrzeug gefährde.

Erwägung 2

    2.- Es kann auch keine Rede davon sein, dass der Beschwerdeführer alles
getan habe, was ihm zugemutet werden konnte, und dass er keine Möglichkeit
gehabt habe, den Wagen Wachters vor der Kollision wahrzunehmen. Hätte
er sich nicht damit begnügt, vor dem Abbiegen bloss das unmittelbar
nachfolgende Fahrzeug im Rückspiegel zu beobachten, sondern sich
pflichtgemäss durch geeignete Vorkehren, z.B. einen kurzen Sicherheitshalt,
Gewissheit verschafft, ob sich nicht ein Fahrzeug von weiter hinten nähere,
so hätte er den herannahenden Wagen, ungeachtet seiner Geschwindigkeit von
100 oder 110 km/Std, auf alle Fälle rechtzeitig sehen können und demzufolge
mit dem Abbiegen zuwarten müssen, legte doch der Volvo bei den Abständen
von nahezu 100 m, die zwischen den zu überholenden Fahrzeugen eingehalten
wurden, eine längere Strecke auf der linken Hälfte der gerade verlaufenden
Strasse zurück. Dem Beschwerdeführer wird daher die ungenü gende Sorgfalt,
mit der er nach links abbog, zu Recht als Übertretung von Art. 34 Abs. 3
SVG zur Last gelegt.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.