Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 IV 130



91 IV 130

35. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Juni 1965
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Riederer. Regeste

    Art. 140. Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Veruntreuung.

    1.  Die Bereicherung eines Dritten wird dadurch, dass der Täter diesem
gegenüber einen Rückerstattungsanspruch hat, nicht aufgehoben. Die Absicht
vorübergehender Bereicherung genügt.

    2.  Ob ein Verwalter die ihm anvertrauten Gelder jederzeit zur
Verfügung seines Arbeitgebers zu halten hat, hängt von seinen Pflichten ab
(Erw. 2 a).

    3.  Ersatzfähigkeit liegt nur vor, wenn das Geld für den Täter
griffbereit ist, nicht, wenn er es nach der Tat erst noch bei Dritten,
die ihm gegenüber zu keiner Leistung verpflichtet sind, beschaffen muss
(Erw. 2 aa).

    4.  Der Wille jederzeitigen Ersatzes fehlt, wenn der Täter ihm
anvertraute Gelder ungesichert als Darlehen hingibt (Erw. 2 bb).

    5.  Der Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter weiss, dass es sich um
fremde, ihm anvertraute Sachen handelt, und er sie sich bewusst und gewollt
aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern
(Erw. 2 b).

Sachverhalt

    A.- Riederer war vom 1. April 1954 bis zu seiner Verhaftung am 27. Mai
1963 Verwalter des Landwirtschaftlichen Vereins Egg (LVE). In dieser
Zeit amtete er auch als Leiter der Ortsgetreidestelle. Am 7. Mai 1958
übernahm er zudem die Geschäftsführung der Konserven AG, Wetzikon, an
deren Aktienkapital er mit Fr. 10'000.-- beteiligt war. Die Konserven
AG arbeitete mit Verlusten und hatte deshalb dauernd mit finanziellen
Schwierigkeiten zu kämpfen. Daran änderte sich auch nichts, als ihr
Betrieb im Jahre 1962 erweitert und unter der Firmenbezeichnung FROSA in
Stäfa weitergeführt wurde.

    Ende Mai 1958 begann Riederer, von Bankkonten und -Guthaben des
LVE heimlich grössere Beträge abzuheben und sie als zinslose Darlehen
der Konserven AG zu überlassen. Auf diese Weise verschaffte er der
Gesellschaft in der Zeit vom 31. Mai 1958 bis zum 2. November 1962
insgesamt Fr. 158'929.50.

    Die Darlehen bezahlte er teils nach Wochen, teils nach Monaten
zurück. Am 17. Januar 1963 liess Riederer einen an den LVE zahlbaren
Wechsel einlösen. Mit dem Erlös von Fr.47'522.40 tilgte er Schulden der
FROSA und hielt das Geld erst am 12. März und 29. Mai 1963 zur Verfügung
des LVE.

    Die Eidgenössische Getreideverwaltung liess Riederer am 5. Oktober
1962 Fr. 32'205.45 zukommen, die er als Leiter der Ortsgetreidestelle
Egg, wie er wusste, sogleich an die Getreidelieferanten hätte auszahlen
sollen. Riederer unterliess es, die Summe ins Getreidebuch einzutragen,
und verwendete Fr. 26'929.75 zunächst für Schulden der Konserven AG oder
der FROSA. Er brachte das Geld erst am 20. Dezember 1962 wieder bei.

    B.- Riederer wurde unter anderem der wiederholten und fortgesetzten
Veruntreuung von Fr. 206'451.90 im Sinne des Art. 140 Ziff. 1 und
der Veruntreuung von Fr. 26'929.75 im Sinne des Art. 140 Ziff. 2 StGB
angeklagt.

    Das Schwurgericht des Kantons Zürich sprach Riederer am 1. Februar
1965 in diesen Anklagepunkten frei. Es begründete den Freispruch im
wesentlichen damit, der Angeklagte habe sich die genannten Beträge, die
ihm anvertraut gewesen seien, zwar angeeignet; er habe dies aber nicht
in der Absicht getan, die Konserven AG oder die FROSA unrechtmässig zu
bereichern, da er ihnen das Geld lediglich als Darlehen zur Verfügung
gestellt und es jederzeit habe zurückverlangen können. Er sei zudem fähig
und gewillt gewesen, das Geld jederzeit sofort zurückzuerstatten. Auch
habe er nicht mit Wissen und Willen gehandelt.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Schwurgerichts
aufzuheben und die Sache zur Verurteilung Riederers an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    D.- Riederer beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, aus dem angefochtenen
Urteil und dem schwurgerichtlichen Protokoll gehe deutlich hervor,
dass die Vorinstanz nicht nur die Begriffe der Absicht unrechtmässiger
Bereicherung und der Ersatzbereitschaft, sondern auch den Begriff des
Vorsatzes verkannt habe.

    a) Dass das Schwurgericht den Begriff der Absicht unrechtmässiger
Bereicherung missverstanden hat, erhellt in der Tat bereits aus den Fragen
an die Geschworenen und deren Antworten. Danach hätte dem Angeklagten die
Bereicherungsabsicht schon deshalb gefehlt, weil er die genannten Beträge
der Konserven AG oder der FROSA lediglich als Darlehen überlassen und
ihm deshalb gegenüber den Gesellschaften ein Anspruch auf Rückerstattung
zugestanden habe. Damit lässt sich die Absicht unrechtmässiger Bereicherung
indes nicht verneinen. Aus der Hingabe des Geldes ergibt sich im Gegenteil,
dass der Beschwerdegegner die Konserven AG und die FROSA nicht nur
bereichern wollte, sondern auch tatsächlich bereichert hat. Die Darlehen
bedeuteten für die beiden Gesellschaften, die dauernd in finanziellen
Schwierigkeiten steckten, erhebliche wirtschaftliche Vorteile. Sowohl
die unrechtmässige Bereicherung wie die dahinzielende Absicht liegen
deshalb auf der Hand. Dass es der Beschwerdegegner nicht auf eine dauernde
Bereicherung der Gesellschaften abgesehen hatte, sondern das Geld nach
Wochen oder Monaten wieder zurückfordern wollte, hilft ihm nicht. Die
Konserven AG und die FROSA waren zumindest vorübergehend, nämlich bis
zur Rückzahlung der Darlehen, bereichert. Das genügt (BGE 77 IV 13).

    Der Beschwerdegegner wendet ein, der Verwalter des LVE habe erst zwei
Monate nach dem Abschluss des Rechnungsjahres über seine Geschäftsführung
Rechenschaft abzulegen; auf diesen Zeitpunkt aber hätten die von ihm
bezogenen Beträge dem Verein stets wieder zur Verfügung gestanden. Aus
dem Umstand, dass Riederer nur einmal im Jahr abzurechnen hatte, ergibt
sich indes keineswegs, dass er in der Zwischenzeit das anvertraute Geld
im Interesse der beiden Gesellschaften verwenden durfte, ohne jederzeit
willens und fähig zu sein, es zu ersetzen. Ob er das tun durfte, hing
von seinen Pflichten als Verwalter ab. Dass ihm seine Vorgesetzten je
gestattet hätten, die Mittel der LVE für Darlehen zu verwenden, behauptet
der Beschwerdegegner selber nicht. Nach seinen Angaben steht im Gegenteil
fest, dass er eigenmächtig vorging, die Darlehen in der Buchhaltung nicht
in Erscheinung treten liess und sie dem Vereinsvorstand verschwieg. Das
zeigt, dass der Beschwerdegegner sich seiner Pflicht, die ihm anvertrauten
Gelder jederzeit zur Verfügung seiner Arbeitgeberin zu halten, durchaus
bewusst war. Indem die Vorinstanz feststellt, der Angeklagte habe heimlich
gehandelt, spricht sie ihm denn auch den guten Glauben ab. Die Absicht
unrechtmässiger Bereicherung hätte dem Beschwerdegegner daher nur gefehlt,
wenn er jederzeit gewillt und auch fähig gewesen wäre, die verbrauchten
Beträge zu ersetzen (BGE 74 IV 31, 77 IV 12).

    aa) Das Schwurgericht glaubt, die Ersatzfähigkeit bejahen zu dürfen,
weil der Angeklagte den Rückerstattungsanspruch jederzeit habe geltend
machen können. Wieso das der Fall gewesen sein sollte, ist jedoch
umsoweniger zu ersehen, als der Beschwerdegegner das Geld im eigenen
Namen und ohne die Gesellschaftsorgane zu begrüssen hingab. Diese hätten
sich den Berechtigten gegenüber auf den Standpunkt stellen können, dass
die Darlehen mangels besonderer Vereinbarung nur unter Einhaltung einer
Kündigungsfrist von sechs Wochen zurückzuzahlen seien (Art. 318 OR). Dazu
kommt, dass die Gesellschaften selber dauernd in Finanznöten steckten;
wie sie unter diesen Umständen die Darlehen jederzeit hätten zurückzahlen
können, ist unerfindlich.

    Die Vorinstanz fügt freilich bei, dass der Angeklagte mit der
sofortigen Erfüllung des Rückerstattungsanspruches durch die hinter
den Gesellschaften stehenden Aktionäre habe rechnen dürfen. Der
Beschwerdegegner hat sich jedoch nach seinen eigenen Angaben nie
vergewissert, ob die Aktionäre die Darlehen sicherstellen und jederzeit
zurückzahlen würden. Er ging vielmehr heimlich und eigenmächtig, also
ohne Wissen und Zusicherungen Dritter vor. Fehlte aber eine rechtliche
Verpflichtung der Aktionäre zur Sicherstellung und zu jederzeitiger
Rückzahlung der Darlehen, so kann davon, dass Riederer schon im Augenblick,
als er über das Geld anderweitig verfügte, die Mittel beieinander
gehabt habe, um die Eigentümer schadlos zu halten, keine Rede sein.
Ersatzfähigkeit liegt nur vor, wenn das Geld für den Täter griffbereit
ist, nicht aber, wenn er es erst noch bei Dritten, die ihm gegenüber
zu keiner Leistung verpflichtet sind, beschaffen muss. Wer vollends auf
den guten Willen Dritter angewiesen ist, wie der Beschwerdegegner, kann
daher nicht als ersatzfähig gelten, mag er auch annehmen, dass ihn diese
gegebenenfalls nicht im Stiche lassen würden.

    bb) Das Schwurgericht fasst auch den Begriff des Ersatzwillens
nicht so auf, dass der Beschwerdegegner bereits zur Zeit der Tat bereit
gewesen. wäre, die veruntreuten Beträge den Berechtigten jederzeit zur
Verfügung zu halten, denn dass ihm dieser Wille im Augenblick der Wegnahme
fehlte, geht schon aus dem Zweck der Aneignung hervor. Riederer wollte das
Geld den Gesellschaften ungesichert als Darlehen, also auf längere Zeit zur
Verfügung stellen, was er denn auch getan hat. Gegen seinen sofortigen
Ersatzwillen spricht zudem, dass er die Darlehen heimlich gewährte,
sie insbesondere nicht als Ausgaben verbuchte. Wäre er wirklich willens
gewesen, die Beträge jederzeit zu ersetzen, so hätte er sich sofort an
die Aktionäre gewandt. Statt dessen begnügte er sich mit der Hoffnung,
dass nötigenfalls Dritte einspringen würden, und liess die veruntreuten
Beträge Wochen, ja viele Monate lang ungedeckt. Das genügt nicht zur
Bejahung des Ersatzwillens. Soll die Berufung auf Ersatzbereitschaft nicht
zur leeren Ausrede für Veruntreuungen werden, so muss es mit dem Nachweise
dieser Bereitschaft streng genommen werden, wie es der Kassationshof seit
dem Urteil BGE 74 IV 31 denn auch stets getan hat. Blosse Aussichten auf
die Zukunft, wie sie dem angefochtenen Urteil zugrunde liegen, reichen
dazu nicht aus (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofes
vom 9. November 1950 i.S. Bielinski).

    b) Das Schwurgericht geht offensichtlich auch von einem falschen
Begriff des Vorsatzes aus. Der Beschwerdegegner wusste, dass die
veruntreuten Beträge fremdes Gut und dass sie ihm anvertraut waren. Er hat
mit Recht auch nie bestritten, dass er das Geld den beiden Gesellschaften
bewusst und gewollt zukommen liess; anders kann sein Verhalten gar nicht
ausgelegt werden. Die Feststellung dieses Wissens und Willens liegt
übrigens in den Antworten der Geschworenen, wonach der Angeklagte über
das Geld wie ein Eigentümer verfügte und es heimlich hingab. Der Vorsatz
der Aneignung anvertrauter fremder Sachen ist somit gegeben.

    Die Absicht des Beschwerdegegners, die beiden Gesellschaften
unrechtmässig zu bereichern, liegt, wie bereits ausgeführt worden ist,
ebenfalls vor. Dass er die veruntreuten Beträge gelegentlich ersetzen
wollte und sie nachträglich mit Hilfe Dritter auch ersetzte, macht die
Veruntreuung, die mit der Aneignung anvertrauter fremder Sachen vollendet
war, nicht ungeschehen. Das war Schadensdeckung, die nichts daran ändert,
dass der Beschwerdegegner sich im Zeitpunkt der Tat das Geld bewusst
und gewollt angeeignet hat, um damit die Konserven AG oder die FROSA
jedenfalls vorübergehend unrechtmässig zu bereichern.

    .....

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Schwurgerichtes des Kantons Zürich vom 1. Februar 1965 aufgehoben und
die Sache zur Bestrafung des Beschwerdegegners wegen Veruntreuung an die
Vorinstanz zurückgewiesen.