Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 II 74



91 II 74

10. Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. April 1965 i.S. R. gegen R.
Regeste

    1.  Eine Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 68 ff. OG kann sich nicht
auf Gründe stützen, die der Beschwerdeführer in kantonaler Instanz,
obwohl er dazu Gelegenheit gehabt hätte, nicht geltend gemacht hat.

    2.  Während der Hängigkeit der Scheidungsklage können nach Art. 145
ZGB umfassendere Massregeln getroffen werden als zuvor nach Art. 169
ff. ZGB im Sinne von Eheschutzmassnahmen.

Sachverhalt

    A.- Das Gerichtspräsidium Höfe hielt am 25. September 1964 auf Begehren
des Beschwerdeführers einen Sühnevorstand betreffend Ehescheidung ab,
wobei sich keine Aussicht auf Einigung der Parteien ergab. Drei Tage
später traf derselbe Gerichtspräsident nach Anhörung der Parteien
vorsorgliche Massnahmen "im Sinne von Art. 145 ZGB": Er gestattete ihnen
getrennt zu leben, wies die Kinder der Beklagten zu, verpflichtete den
Kläger zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 120.-- für jedes der
drei Kinder und Fr. 300.-- für die Ehefrau und regelte das dem Kläger
zustehende Besuchsrecht. Der Kläger rekurrierte gegen diesen Beschluss,
um die Zuweisung der Kinder an die Beklagte an einen Vorbehalt knüpfen zu
lassen und eine Herabsetzung der Kinderalimente und die Verneinung eines
Unterhaltsanspruchs der Beklagten zu erwirken, jedenfalls die Ermässigung
seiner gesamten Alimentationspflicht auf Fr. 400.-- im Monat. Mit Beschluss
vom 31. Dezember 1964 hat die Justizkommission diesen Rekurs abgewiesen.

    B.- Gegen den Beschluss der Justizkommission richtet sich die
vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde des Klägers an das Bundesgericht. Er
beruft sich auf den Beschwerdegrund des Art. 68 Abs. 1 lit. a OG (Anwendung
kantonalen statt des massgebenden eidgenössischen Rechtes) mit folgender
Begründung: Der Scheidungsprozess sei erst mit der Einreichung der Klage
vom 27. Januar 1965 rechtshängig geworden. Nach ständiger Rechtsprechung
seien vor diesem Zeitpunkt vorsorgliche Massnahmen im Sinne des Art. 145
ZGB nicht zulässig gewesen, sondern nur Eheschutzmassnahmen nach Art. 169
ff. ZGB. Das Gerichtspräsidium Höfe habe diese Ordnung missachtet und
schon vor Eintritt der Rechtshängigkeit, im Anschluss an den Sühnevorstand,
Massnahmen nach Art. 145 ZGB getroffen. Dies sei geschehen gemäss § 398
der kantonalen ZPO, wonach der Bezirksgerichtspräsident "nach Einleitung
des Sühneversuches" über versorgliche Massnahmen "in den Fällen von
ZGB Art. 145 und 170" zu verfügen habe. Jene Bestimmung des kantonalen
Prozessrechts sei aber nach dem Ausgeführten bundesrechtswidrig. - Dass
er dies nicht schon im Rekurs an die Justizkommission gerügt habe, sei
belanglos, denn diese Behörde hätte das geltende Bundesrecht von Amtes
wegen anwenden sollen. - Der Antrag der Beschwerde geht auf Aufhebung
der kantonalen Entscheide, und zwar nach der Beschwerdebegründung
insoweit, als dem Kläger höhere als die von ihm freiwillig zugestandenen
Unterhaltsbeiträge von Fr. 400.-- im Monat auferlegt wurden.

    C.- Die Beklagte beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten;
soweit auf die Beschwerde eingetreten werden könne, sei sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Die Beschwerde stützt sich auf eine in kantonaler Instanz noch nicht
erhobene Einrede, was im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde ebenso
wie im Berufungsverfahren unzulässig ist (Art. 74 in Verbindung mit
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). In BGE 61 II 363 wurde entschieden, dass die
(der Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 68 Abs. 1 lit. b des geltenden OG
entsprechende) zivilrechtliche Beschwerde nach Art. 87 Ziff. 3 des damals
in Kraft stehenden OG unzulässig sei, "wenn die Gerichtsstandsfrage
vor der letzten kantonalen Instanz nicht Gegenstand der Entscheidung
und deren eigene Zuständigkeit gegeben war". Im vorliegenden Falle
war nach Auffassung beider Parteien die Justizkommission des Kantons
Schwyz zur rekursweisen Sachentscheidung über die in erster Instanz
vom Gerichtspräsidium Höfe getroffenen Massnahmen zuständig. Somit kann
nach dem angeführten, auf die Beschwerde nach Art. 68 Abs. 1 lit. b des
geltenden OG ebenfalls zutreffenden Präjudiz auf die vorliegende Beschwerde
jedenfalls insofern nicht eingetreten werden, als sie die aus Art. 145 ZGB
einerseits und aus Art. 169 ff. ZGB anderseits sich ergebende Abgrenzung
der gerichtlichen Zuständigkeiten geltend machen will, was anscheinend
Absicht des Klägers ist, obwohl er sich nur auf den Beschwerdegrund des
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG beruft. Da der Kläger das kantonale Rechtsmittel
lediglich ergriff, um eine abweichende, insbesondere ihn finanziell
weniger belastende Sachentscheidung über die vorsorglichen Massnahmen
herbeizuführen, und da er überdies in jener Rekursschrift ausdrücklich
anerkannte, dass vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 145 ZGB
"gegeben" seien, kann er nach dem Gesagten eine dahingehende Einrede
nun vor Bundesgericht nicht als neue erheben. Es ist daher nicht zu
prüfen, ob das zur Anordnung von Massnahmen im Sinne von Art. 145 ZGB
zuständige Bezirksgerichtspräsidium auch zu Verfügungen zum Schutz der
ehelichen Gemeinschaft gemäss Art. 169 ff. ZGB zuständig war (nach §
1 des schwyzerischen EG zum ZGB scheint dies übrigens der Fall zu sein).

    Daraus, dass - wie der Beschwerdeführer an sich zutreffend
geltend macht (BGE 64 II 176, 74 II 72 Erw. 3) - Art. 145 ZGB erst
bei Rechtshängigkeit der Ehescheidungs- oder -trennungsklage anwendbar
ist, vorher aber ausschliesslich der Eheschutz nach Art. 169 ff. Platz
greift, ergeben sich nun allerdings auch materiellrechtliche Folgen. Als
Eheschutzmassnahmen sind nur die in Art. 169 ff. vorgesehenen zulässig,
als vorsorgliche Massnahmen bei rechtshängigem Prozess dagegen die
umfassenderen des Art. 145 ZGB (vgl. HINDERLING, Ehescheidungsrecht,
2. Aufl., S. 149). Das Gerichtspräsidium Höfe soll nach den Ausführungen
der Beschwerde kantonales Recht insofern "angewendet" haben, als es das
Anwendungsgebiet von Art. 145 ZGB einerseits und der Art. 169 ff. ZGB
anderseits unrichtig gemäss der "bundesrechtswidrigen" Norm des § 398
der kantonalen ZPO abgegrenzt habe. Diese Rüge muss jedoch nach dem
eingangs Gesagten ausser Betracht fallen, weil dem Gerichtspräsidenten
im kantonalen Rekursverfahren noch nicht vorgehalten wurde, er hätte nach
Art. 169 ff. statt nach Art. 145 ZGB entscheiden sollen. Übrigens ist nicht
ersichtlich, wieso ein auf die Art. 169 ff. ZGB gestützter Entscheid anders
hätte ausfallen müssen. Es wurden im vorliegenden Falle keine Massregeln
getroffen, die nicht auch nach diesen Normen zulässig gewesen wären. Somit
ermangelt die Beschwerde letzten Endes eines schutzwürdigen Interesses
(vgl. BGE 85 II 289).

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.