Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 II 457



91 II 457

63. Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Dezember 1965 i.S. Venerabile
Arciconfraternità della Misericordia di Firenze gegen Ugo Persichelli
und Konsorten. Regeste

    Beerbung eines Schweizerbürgers mit letztem Wohnsitz im Ausland.

    1.  Bei letztem Wohnsitz in Italien gilt für die Beerbung eines
Schweizerbürgers der Gerichtsstand des Heimatortes und daher auch das
schweizerische Recht. Niederlassungs- und Konsularvertrag der Schweiz
mit Italien vom 22. Juli 1868; Art. IV des Protokolls betreffend die
Vollziehung dieses Staatsvertrages. Gleiche Lösung nach Art. 28 NAG
in Verbindung mit der italienischen Gesetzgebung. Welcher von mehreren
schweizerischen Heimatorten ist massgebend? Art. 22 Abs. 3 ZGB. (Erw. 1).

    2.  Unter dem Recht des Heimatkantons nach Art. 28 Ziff. 2 NAG ist das
im Heimatkanton geltende Recht zu verstehen. An die Stelle des beim Erlass
des NAG geltenden kantonalen ist nun das zur Hauptsache vereinheitlichte
Recht des ZGB getreten. (Erw. 2 und 3).

    3.  Entstehungsgeschichte des Art. 59 Abs. 2 ZGB'SchlT. Diese
Bestimmung wurde als Bestandteil des Gesetzes in gültiger Form
veröffentlicht und ist rechtsverbindlich (Erw. 4). Sie bezieht sich
nur auf Erblasser mit letztem Wohnsitz in der Schweiz und räumt einem
Schweizerbürger, der in einem andern Kanton als seinem Heimatkanton
wohnhaft ist, das Recht ein, die Erbfolge in seinen Nachlass durch
Verfügung von Todes wegen der allfällig von seinem Heimatkanton im Rahmen
des Art. 472 ZBG aufgestellten Sonderregelung zu unterstellen. (Erw. 5).

    4.  Die Beerbung eines Auslandschweizers untersteht, sofern sie nicht
dem ausländischen Recht unterworfen ist, dem eidgenössischen Recht und
speziell in bezug auf den Pflichtteilsanspruch der Geschwister dem Art. 471
Ziff. 3 ZGB, nicht der allfällig von seinem Heimatkanton aufgestellten
Sonderregelung. Ist dem Auslandschweizer gleichfalls eine auf Anwendung
dieses Sonderrechts abzielende "professio juris" vorbehalten? Frage offen
gelassen. (Erw. 6).

Sachverhalt

    A.- Fräulein Hedwig Häusser-Stromboli, geboren am 2.  Oktober 1875
in Basel, starb am 22. Januar 1962 in Florenz. Sie war Bürgerin von
Zollikon (Kanton Zürich) und Basel. Nach ihrer Übersiedlung von Basel,
dem bisherigen Wohnsitz, nach Florenz wurde sie am 16. Mai 1916 von einem
in Florenz wohnhaften Ehepaar italienischer Nationalität, Professor Pietro
Agostino Stromboli und Frau Bertha Stromboli geborenen Rohr, adoptiert,
behielt jedoch ihr schweizerisches Bürgerrecht als ausschliessliches
bei. Den Wohnsitz hatte sie hinfort bis zu ihrem Tode in Florenz.

    B.- Am 26. und 28. August 1949 errichtete Hedwig Häusser-Stromboli in
Basel ein öffentliches Testament, wodurch sie ihr in Basel befindliches
Vermögen der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen
und der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft vermachte.

    Mit einem eigenhändigen, am 25. August 1957 in Florenz errichteten
Testament verfügte sie sodann über ihr in Italien gelegenes Vermögen,
das sie von ihren Adoptiveltern erworben hatte. Als Erbin setzte sie
die Venerabile Arciconfraternità della Misericordia di Firenze ein, eine
Vereinigung mit juristischer Persönlichkeit zum Wohl der Armen und Kranken;
das Testament enthält ferner Vermächtnisse, so deren drei zu Gunsten der
Neffen Ugo Persichelli und Giovanni Persichelli sowie der Nichte Santina
Saporiti-Persichelli. Es sind dies die Kinder der am 12. Dezember 1962
in Rom verstorbenen Frau Witwe Anna Helena Persichelli-Häusser, einer
Schwester der Erblasserin.

    C.- Bereits diese die Erblasserin überlebende Schwester hatte
sich gegenüber dem in Basel errichteten Testament auf ihre Eigenschaft
als einzige Erbin berufen - was zutraf, da sowohl die Eltern wie auch
zwei ledige Schwestern der Erblasserin vorverstorben waren - und ihren
Pflichtteil von einem Viertel verlangt. Die betreffenden Vermächtnisnehmer
anerkannten diesen Anspruch und schlossen am 10. Oktober 1962 mit der
Ansprecherin einen Teilungsvertrag, wonach diese den verlangten Viertel
der vermachten Vermögenswerte erhielt.

    D.- Am 18. Januar 1963 erhoben Ugo Persichelli, Giovanni Persichelli
und Santina Saporiti-Persichelli beim Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt
Klage gegen die Venerabile Arciconfraternità della Misericordia di Firenze,
mit dem Begehren:

    "Es sei die letztwillige Verfügung des am 22. Januar 1962 verstorbenen
Fräulein Hedwig Stromboli vom 25. Januar 1957 um den Pflichtteil der
am 12. Dezember 1962 verstorbenen Mutter der Kläger um einen Viertel des
Nachlasses herabzusetzen und demgemäss die Beklagte zur Auslieferung von
..., abzüglich ein Viertel der italienischen Erbschaftssteuer auf dem
Gesamtnachlass, genaue Abrechnung vorbehalten, zu verurteilen unter o/e
Kostenfolge für die Beklagte."

    Die beklagte testamentarische Erbin beantragte die Abweisung der
Klage unter Kostenfolge.

    E.- Sowohl das Zivilgericht, mit Urteil vom 27. Mai 1964, wie auch
das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, mit Urteil vom 15. Januar
1965, haben die Klage dahin gutgeheissen, dass die letztwillige Verfügung
der Hedwig Häusser-Stromboli vom 25. August 1957 um den Pflichtteil der am
12. Dezember 1962 verstorbenen Mutter der Kläger von einem Viertel auf drei
Viertel des Nachlasses herabgesetzt werde. Die mit der Herabsetzungsklage
verbundene Leistungsklage wurde in erster Instanz abgewiesen und in
zweiter Instanz nicht aufrecht erhalten.

    F.- Mit vorliegender Berufung an das Bundesgericht hält die
Testamentserbin am Antrag auf Abweisung der Herabsetzungsklage fest. Der
Antrag der Kläger geht auf Bestätigung des die Klage gutheissenden Urteils.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 17 Abs. 4 des Niederlassungs- und Konsularvertrages
zwischen der Schweiz und Italien vom 22. Juli 1868 in Verbindung mit
Abs. 3 daselbst und nach der hiezu in Art. 1V des Protokolls betreffend
die Vollziehung dieses Staatsvertrages angebrachten Ergänzung sind
Streitigkeiten, welche zwischen den Erben eines in Italien verstorbenen
Schweizers hinsichtlich seines Nachlasses entstehen könnten, vor dem
Richter des Heimatortes des Erblassers auszutragen. Über das hiebei
anwendbare materielle Recht sprechen sich die erwähnten internationalen
Vereinbarungen nicht aus. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass die
Zuständigkeit des Richters des schweizerischen Heimatortes die Anwendung
des schweizerischen Rechts nach sich zieht (vgl. Verwaltungsentscheide
der Bundesbehörden 6/1932 Nr. 98 S. 121, 7/1933 Nr. 81 S. 101/2, 8/1934
Nr. 70 S. 100; A. SCHNITZER, Handbuch des internationalen Privatrechts,
4. A., Bd. II S. 552; R. ANLIKER, Die erbrechtlichen Verhältnisse der
Schweizer im Ausland und der Ausländer in der Schweiz, S. 69; F. MASPOLI,
Le successioni e il trattato italo-svizzero S. 62). Das gilt ohne Rücksicht
auf die Staatsangehörigkeit und den Wohnsitz der Streitparteien (BGE
42 I 108 ff.; SCHNITZER, aaO). Die vorliegende Streitigkeit untersteht
daher dem schweizerischen Recht. Es ist hiefür ohne Belang, dass sich die
Klage gegen eine juristische Person des italienischen Rechtes mit Sitz
in Florenz richtet und die Kläger italienische Staatsbürger mit Wohnsitz
in Italien sind.

    Die gleiche Lösung würde sich übrigens beim Fehlen einer
staatsvertraglichen Regelung zwischen der Schweiz und Italien bereits
aus der in Art. 28 NAG getroffenen Regelung ergeben. Nach dessen Ziff. 2
unterstehen die Schweizer mit (letztem) Wohnsitz im Ausland (in bezug
auf die Erbfolge in ihren Nachlass) dem Recht und der Gerichtsbarkeit
des Heimatkantons, wenn sie nach der ausländischen Gesetzgebung nicht dem
ausländischen Recht unterworfen sind. Hier fallen die dem italienischen
Codice civile von 1942 vorausgehenden "Disposizioni sulla legge in
generale" in Betracht. Nach ihrem Art. 23 untersteht die Erbfolge
unabhängig vom Orte, wo sich die Vermögenswerte befinden, dem Gesetz des
Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte.

    ("23. Legge regolatrice delle successioni per causa di morte. -
Le successioni per causa di morte (456 s.) sono regolate, ovunque siano
i beni, dalla legge dello Stato al quale apparteneva, al momento della
morte, la persona della cui eredità si tratta").

    Die Parteien sind denn auch darüber einig, dass der vorliegende
erbrechtliche Streit von den schweizerischen Gerichten und zwar
nach schweizerischem Rechte zu entscheiden ist, und dass, soweit
dabei kantonales Recht zur Anwendung kommt, es dasjenige des Kantons
Basel-Stadt ist. In der Tat ist nach Art. 22 Abs. 3 ZGB bei einer
Mehrzahl schweizerischer Heimatorte derjenige für die Heimatangehörigkeit
entscheidend, wo die betreffende Person ihren Wohnsitz hat oder zuletzt
hatte, und beim Fehlen eines solchen Wohnsitzes der Ort, dessen Bürgerrecht
sie oder ihre Vorfahren zuletzt erwarben. Wie erwähnt, hatte die
Erblasserin ihren Wohnsitz vor ihrer Übersiedlung nach Florenz in Basel.

Erwägung 2

    2.- Der Streit geht einzig darum, ob der Schwester der Erblasserin als
der einzigen sie überlebenden gesetzlichen Erbin ein Pflichtteilsanspruch
nach Art. 471 Ziff. 3 ZGB zustand. Trifft dies zu, so ist dieser Anspruch
auf die Kläger, die Kinder und einzigen gesetzlichen Erben jener
inzwischen verstorbenen Erbin, übergegangen. Auf diesen Sachverhalt
stützt sich die vorliegende von den kantonalen Gerichten geschützte
Herabsetzungsklage. Demgegenüber beruft sich die beklagte Testamentserbin
auf die Sonderregelung, die der Kanton Basel-Stadt gestützt auf Art. 472
ZGB in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 ZGB'SchlT und Art. 22 NAG in §
125 des EG zum ZGB getroffen hat. Diese Bestimmung lautet:

    "Geschwister eines Erblassers, der im Kanton Basel-Stadt
heimatberechtigt war und entweder in dessen Gebiet seinen letzten
Wohnsitz hatte oder, bei anderweitigem Wohnsitz, die Erbfolge in seinen
Nachlass dem Rechte von Basel-Stadt unterstellt hatte, haben keinen
Pflichtteilsanspruch."

    Die Beklagte übersieht nicht, dass weder die eine noch die andere
der in diesem § 125 alternativ vorgesehenen Voraussetzungen zur
Anwendung des heimatlichen kantonalen Sonderrechts erfüllt ist. Nach
ständiger Rechtsprechung zu Art. 22 Abs. 2 NAG, auf welchen jener §
125 stillschweigend anspielt, kann der Erblasser die Erbfolge nur
durch ausdrückliche dahingehende Verfügung, sog. professio juris, dem
Recht des Heimatkantons unterstellen (BGE 40 II 18). Indessen hält die
Beklagte dafür, für die Beerbung eines Auslandschweizers gelte, sofern sie
nicht dem ausländischen Recht unterworfen ist, nach Art. 28 Ziff. 2 NAG
(allenfalls in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 ZGB'SchlT) das Sonderrecht
des Heimatkantons von Gesetzes wegen.

Erwägung 3

    3.- Die Beklagte beruft sich in erster Linie auf den Wortlaut des beim
Erlass des schweizerischen ZGB unverändert gebliebenen Art. 28 Ziff. 2 NAG:

    "Sind diese Schweizer" ("Schweizer, welche im Ausland ihren
Wohnsitz haben") "nach Massgabe der ausländischen Gesetzgebung dem
ausländischen Rechte nicht unterworfen, so unterstehen sie dem Recht und
dem Gerichtsstand des Heimatkantons".

    Danach gilt, sofern die Gesetzgebung des Wohnsitzstaates nicht
entgegensteht, der Heimatgerichtsstand und das Heimatrecht vorerst
in internationaler Beziehung. Ausserdem ist festgelegt, dass sich der
Gerichtsstand im Heimatkanton (und nicht etwa in einem andern Kanton)
befindet und das im Heimatkanton geltende Recht (und nicht das Recht
eines andern Kantons) anwendbar sei. Dagegen will die in Frage stehende
Gesetzesnorm keineswegs kantonales gegenüber eidgenössischem Recht zur
Geltung bringen. Unter dem "Recht des Heimatkantons" ist einfach das
in diesem Kanton geltende Recht zu verstehen, das beim Erlass des NAG
vorherrschend kantonales Recht war, seit Inkrafttreten des schweizerischen
ZGB aber nun zur Hauptsache vereinheitlichtes Bundesprivatrecht
ist. Daneben gilt kantonales Privatrecht nur noch, soweit das Bundesrecht
ihm Raum lässt (Art. 5 Abs. 1 ZGB). Diese Abgrenzung der Geltungsbereiche
von eidgenössischem und kantonalem Privatrecht ist auch für die Anwendung
des Art. 28 Ziff. 2 NAG massgebend, wie bereits in BGE 46 II 218/19
Erw. 2 ausgesprochen wurde und allgemein anerkannt ist (vgl. STAUFFER,
N. 1 zu Art. 28 NAG; D. AEBLI, Der Pflichtteil der Geschwister und ihrer
Nachkommen im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1939/40 S. 95).

    Daraus folgt zunächst, dass die erbrechtliche Verfügungsfreiheit eines
(nicht dem ausländischen Recht unterworfenen) Auslandschweizers sich
jedenfalls insoweit nach Bundesprivatrecht, nämlich nach Art. 470/71
ZGB richtet, als das Bundesrecht nicht die Aufstellung kantonalen
Sonderrechts vorbehält. Das frühere kantonale Erbrecht ist durch das
eidgenössische Erbrecht ersetzt worden; dieses beherrscht, soweit kein
Vorbehalt kantonalen Erbrechtes Platz greift, auch die Beerbung von
Auslandschweizern, welche nach Art. 28 Ziff. 2 NAG dem Heimatrecht
unterstehen.

    Hinsichtlich des Pflichtteilsanspruchs der Geschwister, wie ihn
Art. 471 Ziff. 3 ZGB auf einen Viertel des gesetzlichen Erbanspruches
bemisst, behält nun freilich Art. 472 ZGB kantonale Sonderregelungen
vor. Diese können in verschiedener Weise von jener bundesrechtlichen
Norm abweichen, nämlich entweder (wie § 125 des EG von Basel-Stadt)
den Pflichtteilsanspruch der Geschwister aufheben oder ihn auf die
Nachkommen der Geschwister ausdehnen. Eine solche Sonderregelung gilt
aber nach Art. 472 ZGB nur für die Beerbung von Bürgern des betreffenden
Kantons, die zudem ihren letzten Wohnsitz im Kantonsgebiete hatten. Diese
zweite Voraussetzung trifft bei Kantonsbürgern, die als Auslandschweizer
(d.h. eben mit letztem Wohnsitz im Auslande) gestorben sind, offensichtlich
nicht zu.

    Zu prüfen bleibt, ob, was die Beklagte ferner geltend macht,
der Anwendungsbereich der auf Art. 472 ZGB beruhenden kantonalen
Sonderregelungen durch Art. 59 (ursprünglich 61) des Schlusstitels
des ZGB auf eine auch für den vorliegenden Erbfall massgebliche Weise
erweitert wurde.

Erwägung 4

    4.- Die ersten zwei Absätze des Art. 59 ZGB'SchlT lauten:

    "Das Bundesgesetz betreffend die zivilrechtlichen Verhältnisse
der Niedergelassenen und Aufenthalter vom 25. Juni 1891 bleibt für die
Rechtsverhältnisse der Schweizer im Auslande und der Ausländer in der
Schweiz, und soweit kantonal verschiedenes Recht zur Anwendung kommt,
in Kraft.

    Insbesondere wird das kantonale Pflichtteilsrecht betreffend
die Geschwister und ihre Nachkommen als heimatliches Recht der
Kantonsangehörigen anerkannt (Art. 22 des genannten Gesetzes)."

    Aus dem ersten Absatz lässt sich für die Ansicht der Beklagten
nichts herleiten. Es ergibt sich daraus für den vorliegenden Fall nur
die Weitergeltung des Art. 28 NAG, der, wie soeben dargetan (Erw. 3),
in Ziff. 2 nun das vereinheitlichte schweizerische Privatrecht zur
Anwendung kommen lässt, kantonales Privatrecht aber nur insoweit, als
das ZGB es vorbehält.

    Der zweite Absatz, dessen Sinn und Tragweite sich aus dem Wortlaut
nicht eindeutig ergibt, stand noch nicht in der Gesetzesvorlage, wie sie
in der Sommersession 1907 der Bundesversammlung vorlag und im Sinn einer
Bereinigung der Differenzen, jedoch mit Vorbehalt der redaktionellen
Bereinigung, von beiden Räten genehmigt wurde (Sten. Bull. 1907 StR
S. 322, NR S. 411; vgl. den entsprechenden Art. 1826 bis des damals zur
Beratung stehenden Entwurfes). Dieser Absatz wurde (zunächst ohne den
eingeklammerten Hinweis auf Art. 22 NAG) durch die Redaktionskommission
eingefügt (als zweiter Absatz des Art. 61 des Schlusstitels). Über den
Grund dieser Textergänzung sprach sich der Bericht der Redaktionskommission
vom 20. November 1907 an die Bundesversammlung nicht aus (BBl 1907 VI
S. 367 ff. deutsch, 404/5 französisch). In den Schlussabstimmungen vom
10. Dezember 1907 genehmigten die beiden Räte den ganzen Gesetzestext
in der bereinigten Fassung mit Einschluss des den erwähnten Abs. 2
enthaltenden Art. 61 (später 59) des Schlusstitels ohne Diskussion (Sten.
Bull. 1907 NR 755/56, StR 542/43). Im Hinblick auf die Veröffentlichung
ergänzte dann die Redaktionskommission den Art. 61 Abs. 2 SchlT
noch durch den eingeklammerten Hinweis auf Art. 22 NAG (der sich im
deutschen und im französischen Texte vorfindet, jedoch im italienischen
Texte fehlt). Urheber dieses Klammerzusatzes war (wie neulich erfolgte
Archivstudien ergaben) der Präsident der Redaktionskommission, Nationalrat
F.E. Bühlmann; Prof. EUGEN HUBER, welcher der Redaktionskommission
ebenfalls angehörte, achtete den Zusatz einer Druckfehlerberichtigung
gleich (vgl. die Mitteilungen des Bundesarchivars OSCAR GAUYE, La genèse
de l'art. 59 tit. fin. CC, ZSR NF 84/I 1965 S. 127 ff.). Mit dem so
gefassten Art. 61 (59) SchlT wurde das Gesetz veröffentlicht: zuerst im
Bundesblatt (1907 VI S. 884 deutsch, S. 716 französisch) und nach Ablauf
der Referendumsfrist in der amtlichen Sammlung der eidg. Gesetze (Bd. 1908
S. 528 deutsch, S. 540 französich, S. 528 italienisch). Der gleiche Text
ging in die Bereinigte Sammlung 1848-1947 über (Bd. 2 S. 195 deutsch,
S. 187 französisch, S. 191 italienisch).

    Es unterliegt keinem Zweifel, dass Art. 61 (59) des Schlusstitels trotz
seiner ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte volle Gesetzeskraft erlangt
hat. Denn ein in gültiger Form verkündetes Gesetz ist für jedermann und
insbesondere auch für den Richter verbindlich (vgl. BURCKHARDT, Komm. zur
BV, 3. A. S. 788; FLEINER/GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht,
S. 931; MEIER-HAYOZ, Komm., N. 84 zu Art. 1 ZGB). Gesetzesbestandteil
ist auch der dem Art. 59 Abs. 2 SchlT in Klammer beigefügte Hinweis auf
Art. 22 NAG, der bloss aus Versehen nicht auch im italienischen Text
angebracht wurde.

Erwägung 5

    5.- In welchem Sinne das kantonale Pflichtteilsrecht der Geschwister
und ihrer Nachkommen (also das in Art. 472 ZGB vorbehaltene, an bestimmte
Schranken gebundene Pflichtteilsrecht) durch Art. 59 Abs. 2 ZGB'SchlT
"anerkannt" wird, ergibt sich aus der Stellung dieser Bestimmung im
Gesetz und aus dem Hinweis auf Art. 22 NAG. Diese letztere Bestimmung
galt von jeher nur für die Beerbung von Einwohnern der Schweiz,
seien es Schweizerbürger (welche nach Art. 22 Abs. 1 NAG erbrechtlich
dem Gesetz ihres Wohnsitzkantons unterstanden, jedoch nach Abs. 2
daselbst befugt waren, die Erbfolge in ihren Nachlass dem Recht ihres
Heimatkantons zu unterstellen), seien es Ausländer, denen in analoger
Weise die Unterstellung der Erbfolge unter ihr ausländisches Heimatrecht
zustand (und weiterhin zusteht, gemäss Art. 32 NAG, mit Vorbehalt von
Staatsverträgen; vgl. TUOR, Komm., 2. A., Einleitung N. 35/36 und N. 18
zu Art. 472 ZGB; ESCHER, 3. A., N. 8 zum gleichen Artikel). Die Beerbung
eines Auslandschweizers fiel dagegen unter die spezielle Norm des Art. 28
NAG. Geht man bei der Auslegung des Art. 59 Abs. 2 SchlT hievon aus,
so hat diese Bestimmung - da für Ausländer ein heimatliches kantonales
Recht nicht in Frage kommt - nur Schweizerbürger mit letztem Wohnsitz
in der Schweiz, aber ausserhalb ihres Heimatkantons, im Auge. Art. 59
Abs. 2 SchlT will somit die in einem Kanton getroffene Sonderregelung
- wobei nur die dem Erblasser grössere Freiheit gewährende, den
Pflichtteilsanspruch der Geschwister aufhebende in Betracht fällt -
den Kantonsbürgern mit Wohnsitz in einem andern Kanton durch Einräumung
des Rechtes einer professio juris zugänglich machen. Das ist denn auch
herrschende Ansicht, wie sie die Kommentare Escher und Tuor schon in
der ersten Auflage bei Art. 472 ZGB vertraten (ESCHER, Bem. Abs. 1 und
2; TUOR, N. 10 bis 17). Bei dieser Auslegung lässt sich Art. 59 Abs. 2
SchlT dem Art. 472 ZGB ohne Widerspruch angliedern; sie steht auch im
Einklang mit dem von der Redaktionskommission der Bundesversammlung durch
Einfügung des zweiten Absatzes in den Art. 61 (59) SchlT (und hernach
durch den eingeklammerten Zusatz zu diesem Absatze) verfolgten Zweck
(vgl. im Anhang der Abhandlung von F. GUISAN, La réserve des héritiers
collatéraux de la deuxième parentèle, ZSR NF 49/1930 S. 307 ff., den
Brief des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 18. Juli 1911 an die
Conférence des Notaires de Genève und den Brief der Justizabteilung dieses
Departements vom 26. März 1929 an Prof. F. Guisan; ferner die von O. GAUYE,
aaO, mitgeteilten Schriftstücke, namentlich eine Notiz von Prof. EUGEN
HUBER vom August 1907: "Hilft Art. 1826 bis? Ja, Art. 22, 2", aaO S. 134,
und ein Manuskript desselben Autors, aaO S. 135). Es war weder Aufgabe
noch Absicht der Redaktionskommission, den Beschlüssen der beiden Räte
widersprechende materielle Änderungen an der Gesetzesvorlage vorzunehmen,
was ihr Bericht vom 20. November 1907 noch ausdrücklich hervorhebt. Art. 61
(59) Abs. 2 SchlT wurde eingefügt, weil man sich davon Rechenschaft gab,
dass Art. 477 bis (nun Art. 472 ZGB) dem über das Pflichtteilsrecht der
Geschwister und ihrer Nachkommen zustande gekommenen Kompromiss nicht
völlig Rechnung trage und durch Zulassung einer professio juris bei
Wohnsitz des Erblassers in einem andern Kanton zu ergänzen sei.

    Abweichende Auffassungen, wonach die dem kantonalen Sonderrecht in Art.
472 ZGB aufgestellten Schranken überhaupt nicht mehr gelten würden -
so dass ein in einem andern Kanton wohnhafter Erblasser von Gesetzes
wegen nach dem Sonderrecht des Heimatkantons zu beerben wäre - sind
abzulehnen. Denn eine solche Auslegung des Art. 59 Abs. 2 SchlT liefe
auf eine Abänderung des eindeutigen Art. 472 ZGB hinaus. E. WOLF (Der
Pflichtteil der Geschwister im interkantonalen Recht nach Art. 472 ZGB, SJZ
19/1922/23 S. 82/83) betrachtet den Art. 472 ZGB als blosse Kollisionsnorm;
danach hätte bei übereinstimmender Sonderregelung des Wohnsitz- und des
Heimatkantons immer dieses kantonale Recht zu gelten, ohne dass es einer
professio juris bedürfte. Noch weiter entfernt sich von Art. 472 ZGB die
Ansicht von R. RICKENBACHER (Zum Pflichtteilsrecht der Geschwister nach
interkantonalem Recht, ZbJV 65/1929 S. 159 ff.), es gelte nach dem Domizil-
oder Territorialprinzip des Art. 22 NAG "im Zweifel" das kantonale Recht
des letzten Wohnsitzes des Erblassers. Danach käme der grundlegenden Norm
des eidgenössischen Rechtes (Art. 471 Ziff. 3 ZGB) nur subsidiäre Bedeutung
zu, und es würde dem kantonalen Sonderrecht ein die Grenzen des Art. 472
ZGB überschreitender Anwendungsbereich zugewiesen. Mit eingehender
Begründung vertritt sodann F. GUISAN (in der bereits angeführten
Abhandlung, ZSR NF 49/1930 S. 307 ff.) die Ansicht, die beiden Normen
Art. 472 ZGB und Art 59 Abs. 2 SchlT liessen sich gar nicht miteinander
in Einklang bringen. Die letztere Bestimmung setze die grundsätzliche
Weitergeltung kantonalen Rechtes voraus, dessen Inhalt freilich nun durch
Art. 472 ZGB bindend umschrieben sei. Von den beiden Bestimmungen verdiene
diejenige des Schlusstitels als die (nach der Entstehungsgeschichte)
neuere und zugleich als die sachlich bessere den Vorzug. Der zwischen
den beiden Normen bestehende Widerspruch sei in dem Sinne zu beheben,
dass grundsätzlich das kantonale Recht nach dem Domizilprinzip gelte
und demgegenüber bloss eine auf Anwendung des Heimatrechtes gerichtete
professio juris des Erblassers vorbehalten bleibe. In Art. 472 ZGB seien
somit die Worte "für die Beerbung ihrer Angehörigen, die in ihrem Gebiete
den letzten Wohnsitz gehabt haben" (und ebenso die in entsprechendem Sinn
einschränkenden Bestimmungen der kantonalen Gesetze) als nicht geschrieben
zu betrachten (aaO S. 344). Demgegenüber ist in erster Linie zu bemerken,
dass Art. 472 ZGB und Art. 59 Abs. 2 SchlT Gesetzesbestimmungen gleichen
Datums sind. Dem Gesetzgeber kann nicht der Wille zugeschrieben werden,
er habe den in seinem wesentlichen Text unverändert gelassenen Art. 477
bis, wie er in der Sommersession 1907 vorlag (im entsprechenden Art. 472
sind nur die Worte "in ihren Einführungsgesetzen" weggelassen und ist das
Wort "Pflichtteilsschutz" ersetzt durch "Pflichtteilsanspruch"), durch
Annahme des Art. 61 (59) Abs. 2 SchlT in wesentlichen Teilen aufheben
wollen. Zuzugeben ist, dass die durch diese letztere Norm dem Erblasser
zugestandene professio juris anderer Art ist als die in Art. 22 Abs. 2
NAG vorgesehene. Während diese Vorschrift von einer Konkurrenz kantonaler
Rechte ausging - desjenigen des Wohnsitz- und desjenigen des Heimatkantons
-, soll nun eine professio juris zu Gunsten des heimatlichen kantonalen
Sonderrechtes gegenüber dem an und für sich bei Wohnsitz des Erblassers in
einem andern Kanton geltenden eidgenössischen Recht möglich sein. Gewiss
hätte es sich gerechtfertigt, die neuartige professio juris selbständig zu
formulieren statt sich des Hinweises auf Art. 22 NAG zu bedienen. Indessen
ist trotz der (wie allgemein anerkannt ist) ungeschickten Fassung des
Art. 59 Abs. 2 SchlT dem offensichtlichen Willen des Gesetzes Geltung
zu verschaffen.

    In diesem Sinne haben denn auch mehrere Autoren gegenüber F. Guisan
Stellung bezogen: so die Kommentare TUOR (2. A., N. 17 c zu Art. 472 ZGB)
und ESCHER (3. A., N. 6 a zum gleichen Artikel); D. AEBLI (aaO S. 62/63 und
66); P. PIOTET (Droit fédéral et droit cantonal sur la réserve héréditaire
des frères et soeurs et de leurs descendants. JdT 110/1962, dr. féd.,
S. 66 ff., namentlich 80 - 82). Nichts Entgegenstehendes ist aus dem
(von F. GUISAN aaO S. 334 ff. besprochenen) Urteil i.S. Erben Beltrami
gegen Beltrami (BGE 48 II 434 ff.) zu folgern. Es befasst sich gar nicht
mit Art. 472 ZGB und sagt nichts über dessen Verhältnis zu Art. 59 Abs. 2
SchlT aus. In jenem Fall handelte es sich um den Nachlass eines Tessiners
mit letztem Wohnsitz im Kanton Graubünden. Der Erblasser hatte die
Erbfolge nicht dem (den Pflichtteilsanspruch der Geschwister aufhebenden)
Tessiner Recht unterstellt. Somit blieb es beim bundesrechtlichen
Pflichtteilsanspruch des Bruders nach Art. 471 Ziff. 3 ZGB. Das Urteil
kommt zum gleichen Ergebnis, indem es auf das (den Pflichtteilanspruch
der Geschwister unberührt lassende, ja auf deren Nachkommen ausdehnende)
Recht des Kantons Graubünden verweist. Diese kantonale Regelung war
in Wahrheit nicht massgeblich, was mehrere Autoren mit Recht bemerken,
ohne die Richtigkeit der Entscheidung als solcher in Zweifel zu ziehen
(vgl. insbebesondere PIOTET, aaO S. 71).

Erwägung 6

    6.- Was nun insbesondere die Beerbung eines Auslandschweizers betrifft
- Geltung des Heimatrechts gemäss Art. 28 Ziff. 2 NAG vorausgesetzt -,
so ergibt sich aus Erw. 3 und 5, dass die soeben erwähnte Bestimmung sich
nicht in dem von der Beklagten vertretenen Sinne mit Art. 472 ZGB verbinden
lässt, und dass Art. 59 Abs. 2 SchlT mit seinem Hinweis auf Art. 22 NAG
sich nicht auf die Beerbung eines Auslandschweizers bezieht. In einem
Teil der Literatur (namentlich in ältern Schriften) wird allerdings
dieser Bestimmung des Schlusstitels der weitergehende Sinn beigelegt,
dass ganz allgemein bei Anwendung des NAG, also auch des Art. 28 dieses
Gesetzes, das auf Art. 472 ZGB beruhende Sonderrecht eines Kantons als
heimatliches Recht eines Bürgers dieses Kantons zu gelten habe. So bemerkt
A. REICHEL (Kommentar, 1916, Bem. 2 zu Art. 59 SchlT, S. 147/48), ein
Auslandschweizer, dessen Heimatkanton den Pflichtteilsanspruch auf die
Nachkommen der Geschwister ausgedehnt hat, sei in entsprechender Weise
in seiner Verfügungsfreiheit eingeschränkt: "Nach Absatz 2 des Art. 59
SchlT haben die Geschwisterkinder einen Anspruch, da das kantonale
Pflichtteilsrecht betr. die Geschwister und Geschwisterkinder als
Heimatrecht gilt, was auch für Art. 28 gelten muss". Ebenso J. PILLER
(La condition des Suisses à l'étranger d'après le droit civil suisse,
thèse Fribourg 1918, S. 136/37) und die erste Auflage (1929) des
Kommentars TUOR (N. 20 zu Art. 472 ZGB): "Wenn in solchen Fällen das
schweizerische Heimatrecht zur Anwendung kommt, denken wir, dass damit
auch die im Heimatkanton des Erblassers etwa bestehende Sonderregelung des
Pflichtteilsrechtes miteinzubegreifen ist, und zwar ungeachtet des etwa zu
eng gefassten Wortlautes des kantonalen Gesetzes... Dies scheint uns aus
Art. 59 II ZGB (gemeint ist: SchlT) unzweifelhaft hervorzugehen." Dieselbe
Ansicht vertritt ESCHER (der sich in der ersten Auflage des Kommentars
noch nicht zur Frage geäussert hatte), Komm., 2. A., 1937, N. 9 zu Art. 472
ZGB. Indessen hatte bereits E. BECK, Komm. zum Schlusstitel, 1932 (N. 20
zu Art. 59) die gegenteilige Auffassung dargelegt: Schon der Wortlaut
des Art. 472 ZGB lasse es nicht zu, die kantonale Sonderregelung auch bei
Beerbung eines Auslandschweizers anzuwenden; die "neutrale" Fassung des
Art. 59 SchlT besage nichts Gegenteiliges. Zum gleichen Schluss führe
die Auslegung des Art. 472 ZGB nach seinem Zweck. Es handle sich dabei
um eine einschränkend auszulegende Ausnahmebestimmung gegenüber der
Regel des Art. 471 Ziff. 3 ZGB. "Und endlich ist zu berücksichtigen,
dass die gegenteilige Lösung dazu führen würde, dass die im Ausland
wohnhaften Schweizer, wenn schweizerisches Recht gilt, dem weitergehenden
Pflichtteilsrecht ihres Heimatkantons in zwingender Weise unterstellt
wären, während die in einem andern Kanton wohnhaften Landsleute nicht
dem Recht des Heimatkantons unterstehen. Es liegt näher, sie den in
einem andern Kanton wohnhaften Kantonsbürgern als den im Heimatkanton
wohnhaften gleichzustellen". In gleichem Sinne äussern sich P. ANLIKER
(Die erbrechtlichen Verhältnisse der Schweizer im Ausland und der Ausländer
in der Schweiz, 1933, S. 2 - 4), D. AEBLI (aaO S. 95 - 97) und nun auch
die Kommentare TUOR (2. A., 1952, N. 20 zu Art. 472 ZGB) und ESCHER
(3. A., 1959, N. 9 zum gleichen Artikel, mit Hinweis auf ein Urteil des
Kassationshofes des Kantons Neuenburg: SJZ 25 S. 139). Anderseits spricht
sich in der neueren Literatur A. SCHNITZER (Handbuch des internationalen
Privatrechts, 4. A., 1958, Bd. 2 S. 515/16) wiederum für die Anwendung des
kantonalen Sonderrechts aus, wenn der Erblasser als Auslandschweizer dem
Heimatrecht untersteht: "... Nur wenn die Rechtsordnung des Wohnsitzes
ihr Wohnsitzrecht nicht auf die Erbfolge anwendet, ist gemäss Art. 28
Ziff. 2 die Erbfolge dem Recht der Heimat unterworfen. Infolge der
Vereinheitlichung des Erbrechts bedeutet das sonst die Anwendung des
Bundesrechts. Da hier jedoch ein kantonaler Vorbehalt ist, so wird
durch Art. 59 klargestellt, dass das kantonale Heimatrecht anerkannt
wird. Das hat zur Folge, dass in diesem Falle ohne professio juris das
Geschwisterpflichtteilsrecht so zu behandeln ist, wie der Heimatkanton
es regelt. ... Der Auslandschweizer untersteht also ohne professio juris
dem Recht des Heimatkantons bei Verweisung der ausländischen Rechtsordnung
auf das Recht der Heimat, während der Schweizerbürger, der in einem andern
Kanton als im Heimatkanton stirbt, zur Herbeiführung dieses Ergebnisses die
professio juris ausnützen müsste. Dieses Ergebnis ist aber verständlich,
da im letzteren Fall eine Konkurrenz zwischen Wohnsitz- und Heimatkanton
besteht, die ja gerade dazu geführt hat, die unglücklich redigierten
Bestimmungen zugunsten des Heimatkantons zu treffen. Diese Konkurrenz
besteht bei Wohnsitz im Ausland nicht". Demgegenüber bekennen sich andere
Autoren zur vorherrschend gewordenen Ansicht, wonach für die Beerbung eines
Auslandschweizers (Geltung des Heimatrechts vorausgesetzt) das Sonderrecht
des Heimatkantons nicht von Gesetzes wegen gilt, einem solchen Erblasser
aber immerhin (wie allgemein angenommen wird) gleich wie bei Wohnsitz in
einem andern Kanton als dem Heimatkanton die Unterstellung der Erbfolge
unter das heimatliche kantonale Sonderrecht offensteht. So RATHGEB
(Professio juris et convention internationale, Université de Lausanne,
Recueil des Travaux 1958, S. 79, Fussnote 1), welcher die Begrenzung
des kantonalen Rechtsbereiches durch Art. 472 ZGB in Verbindung mit
Art. 22 Abs. 2 NAG hervorhebt, und PIOTET (aaO S. 85), welcher namentlich
der von A. SCHNITZER getroffenen Unterscheidung zwischen der Rechtslage
des in einem andern Kanton wohnhaften Kantonsbürgers und derjenigen des
Auslandschweizers entgegentritt.

    Der vorherrschenden Ansicht ist darin beizustimmen, dass es entgegen
den Ausführungen von A. SCHNITZER seit Inkrafttreten des ZGB auf dem
Gebiete des Pflichtteilsrechtes der Geschwister und ihrer Nachkommen keine
Konkurrenz zwischen kantonalem Wohnsitzrecht und kantonalem Heimatrecht
mehr gibt, sondern nur noch die Wahl zwischen kantonalem Heimatrecht
und dem eidgenössischen Recht in Frage kommt. Von interkantonalen
Gesetzeskonflikten kann auf diesem Rechtsgebiete nicht mehr gesprochen
werden, weshalb eben die in Art. 59 Abs. 2 SchlT vorbehaltene professio
juris einen neuartigen Charakter hat (Erw. 5). Im übrigen darf die
unbestimmte Fassung dieser Bestimmung ("Insbesondere wird ... anerkannt")
nicht dazu verleiten, ihr ausser dem Vorbehalt einer dem Art. 22 Abs. 2 NAG
nachgebildeten, in entsprechender Form abzugebenden professio juris auch
noch eine für die Anwendung des Art. 28 NAG massgebliche Auslegungsregel zu
entnehmen. Einmal lag es nicht in der Absicht der Redaktionskommission der
Bundesversammlung, durch Einfügung des Art. 61 (59) Abs. 2 SchlT den gemäss
Art. 472 ZGB begrenzten gesetzlichen Anwendungsbereich des kantonalen
Sonderrechtes zu erweitern (Erw. 5). Sodann hätte eine Ausdehnung des
Sonderrechts auf die dem Heimatrecht unterstehenden Auslandschweizer
ihren Platz richtigerweise in Art. 472 ZGB selbst oder aber in Art. 28
NAG finden müssen. Jedenfalls darf eine das gesetzliche Geltungsgebiet
kantonalen Sonderrechts nicht eindeutig in solchem Sinn erweiternde
Regel nicht in eine Bestimmung des Schlusstitels hineingelegt werden,
welche ihre einleuchtende und erschöpfende Erklärung in jener an Art.
22 Abs. 2 NAG anknüpfenden Einräumung eines Verfügungsrechts besonderer
Art an den in einem andern Kanton wohnenden und darum nicht von Gesetzes
wegen dem heimatlichen Sonderrecht unterstehenden Erblasser findet. Dem
Aufbau der erbrechtlichen Normen des ZGB mit Einschluss des Art. 59 Abs. 2
SchlT entspricht es somit, es für die Beerbung von Auslandschweizern bei
der eidgenössischen Regel des Art. 471 Ziff. 3 ZGB bewenden zu lassen. Es
kann sich hiebei nur fragen, ob auch einem Auslandschweizer in analoger
Anwendung jener Bestimmung des Schlusstitels eine auf Unterstellung der
Erbfolge unter das allfällige Sonderrecht seines Heimatkantons gerichtete
Verfügung zuzugestehen sei. Für die Bejahung dieser Frage (wofür sich
die Vertreter der vorherrschenden Ansicht durchwegs aussprechen) lassen
sich gewichtige Gründe anführen. Vor allem stehen in beiden Fällen die
gleichen Interessen auf dem Spiel, und die von Art. 59 Abs. 2 SchlT
zugelassene professio juris neuer Prägung beruht, wie gesagt, trotz
dem (eben nicht ganz zutreffenden) Hinweis auf Art. 22 NAG nicht auf
einem Konflikt kantonaler Gesetze. Über diese Frage braucht indessen
hier nicht entschieden zu werden, da ja keine Unterstellungsverfügung
vorliegt. Es genügt festzustellen, dass der von der Beklagten verfochtene
Rechtssatz weder dem Art. 28 NAG in Verbindung mit dem nun zur Hauptsache
vereinheitlichten Erbrecht des ZGB mit der Abgrenzungsregel des Art. 472
ZGB, noch dem an und für sich gar nicht die Beerbung von Auslandschweizern
betreffenden, auf solche Erbfälle höchstens analog (im gleichen Sinne wie
für Kantonsbürger mit Wohnsitz in einem andern Kanton) anwendbaren Art. 59
Abs. 2 SchlT zu entnehmen ist. Nichts Abweichendes wurde im Falle Gilly
und Konsorten gegen Bosio entschieden (BGE 46 II 213 ff.). Damals war der
auf kantonales Recht gestützte Pflichtteilsanspruch der Kläger (Nachkommen
einer Schwester und eines Bruders des mit Wohnsitz in Italien verstorbenen
Erblassers, eines Bürgers des Kantons Graubünden) vor Bundesgericht nicht
mehr streitig (S. 223/24 daselbst).

    Diese Erwägungen führen zur Anwendung des Art. 471 Ziff. 3 ZGB,
also zur Bejahung des auf die Kläger übergegangenen Pflichtteilsanspruchs
ihrer Mutter und somit zur Gutheissung der Herabsetzungsklage. Von einer
Gesetzeslücke, wie sie PIOTET (aaO S. 84 Mitte) in bezug auf die Beerbung
von Auslandschweizern (mit gleichem Endergebnis) annimmt, kann nicht
mit gutem Grunde gesprochen werden. Es gilt eben das vereinheitlichte
Erbrecht des ZGB, soweit keine vom Bundesrecht vorbehaltene Regel des
kantonalen Rechtes innert der diesem gezogenen Schranken Platz greift
(Art. 5 Abs. 2 ZGB). Nur dann könnte angesichts des grundsätzlich
geltenden Bundesprivatrechts eine durch kantonales Recht auszufüllende
Gesetzeslücke für den in Frage stehenden Erbfall angenommen werden,
wenn unabweisliche Gründe die von der Beklagten verfochtene Lösung so
gebieterisch erheischten, dass das Fehlen einer dahingehenden gesetzlichen
Regel sich nur durch ein Versehen des Gesetzgebers erklären liesse. Das
ist nun aber nicht der Fall. Gewiss ist mancher Auslandschweizer mit
seinem Heimatkanton ebenso stark gefühlsmässig verbunden wie ein auf
Schweizergebiet, in einem andern Kanton, wohnender Bürger desselben
Kantons. Und im allgemeinen dürfte es jenem schwerer fallen als diesem,
sich nach dem schweizerischen internationalen Erbrecht und nach dem
Inhalt des allenfalls massgeblichen internen schweizerischen Rechtes zu
erkundigen. Wenn man es deshalb als gerechtfertigt erachten möchte, den
Auslandschweizer nicht auf eine (hier als ihm zustehend vorausgesetzte)
professio juris zu verweisen, um sich die dem heimatlichen kantonalen
Sonderrecht entsprechende Verfügungsfreiheit zu verschaffen, so erhebt
sich jedoch die Frage, ob die nämliche Rechtsstellung nicht auch einem
auf Schweizergebiet, in einem andern Kanton, wohnenden Bürger desselben
Kantons eingeräumt werden sollte, was aber nur durch Änderung des
Art. 472 ZGB geschehen könnte. Anderseits wäre es nicht unbedenklich -
und rechtfertigt sich daher nicht die Annahme einer in solchem Sinne
auszufüllenden Gesetzeslücke -, den Angehörigen eines Kantons, welcher
die entgegengesetzte Regelung getroffen, also den Pflichtteilsanspruch
der Geschwister auf ihre Nachkommen ausgedehnt hat, bei letztem Wohnsitz
im Ausland zwingend über Art. 472 ZGB hinaus dieser sonderrechtlichen
Beschränkung der Verfügungsfreiheit zu unterwerfen, obwohl eine solche
Beschränkung nach der soeben erwähnten Abgrenzungsnorm nicht gilt für seine
Mitbürger mit letztem Wohnsitz auf Schweizergebiet in einem andern Kanton,
und zwar selbst dann nicht, wenn dieser Kanton dieselbe Sonderregelung
getroffen hat wie der Heimatkanton. Wie auch immer man diese Fragen vom
gesetzgebungspolitischen Standpunkt aus betrachten mag, verbietet es nach
geltendem Gesetz die beherrschende Stellung des Bundesprivatrechts, bei der
Beerbung von Auslandschweizern kantonales Sonderrecht als gesetzliche Regel
anzuwenden, da es an einem für solche Erbfälle aufgestellten Vorbehalt
des kantonalen Rechtes fehlt.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationsgerichts
des Kantons Basel-Stadt vom 15. Januar 1965 bestätigt.