Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 II 339



91 II 339

49. Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. Oktober 1965 i.S. Ernst Göhner
AG gegen Sparkasse des Wahlkreises Thalwil. Regeste

    1.  Passivlegitimation bei der Dienstbarkeitsklage des
Dienstbarkeitsberechtigten (Erw. 2).

    2.  Tragweite des Verbotes, ein Haus mit lärmendem "Getriebe" zu
erstellen (Erw. 3).

    3.  Änderung in der Zweckbestimmung des belasteten Grundstücks
(Erw. 4 b).

Sachverhalt

    A.- Die Sparkasse des Wahlkreises Thalwil ist seit 1931 Eigentümerin
des Grundstückes Kat. Nr. 6336, Gotthardstrasse 10 in Thalwil. Zugunsten
und zulasten des Nachbar grundstückes Kat. Nr. 6335, Gotthardstrasse 12,
Thalwil, das sich seit 1936 im Eigentum von Dr. Jucker befindet, ist im
Grundbuch folgende, auf das Jahr 1910 zurückgehende Servitut eingetragen:

    "Der jeweilige Eigentümer des Grundsstückes Kat. Nr. 6336 hat für
sich und seine Rechtsnachfolger gegenüber dem jeweiligen Eigentümer der
Liegenschaft Kat. Nr. 6335 verpflichtet, auf seinem Grundstück niemals
eine Fabrik, ein Haus mit lärmendem Getriebe oder eine Mietskaserne zu
erstellen oder in einer der auf seinem Lande erstellten Gebäulichkeiten
nie eine Wirtschaft zu betreiben oder betreiben zu lassen. Die gleiche
Verpflichtung geht der jeweilige Eigentümer von Kat. Nr. 6335 gegenüber
dem Eigentümer von Kat. Nr. 6336 ein."

    Das Grundstück von Dr. Jucker ist mit einer herrschaftlichen Villa
überbaut. Die Ernst Göhner AG beabsichtigt, die Villa abzureissen und
ein Wohnhaus mit Laden zu erstellen. Geplant ist ein Gebäude mit einer
gegen die Gotthardstrasse gerichteten Breite von 34 m und einer Tiefe
von 20 m in den beiden Obergeschossen und von 23-31 m im Erdgeschoss,
Untergeschoss und Keller. Vorgesehen sind im ersten Keller ein
Einstellraum für 30 Personenwagen, Lager und Ateliers im Untergeschoss,
Ladenlokalitäten im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss, sechs 1- bis
3-Zimmer-Wohnungen im zweiten Obergeschoss sowie in einem Attika genannten,
allseitig zurückgesetzten dritten Obergeschoss eine 6-Zimmer-Wohnung mit
Dachterrasse. Der Einstellraum im ersten Keller wird über eine Rampe mit
15% Gefälle erreicht, während die Warenlieferungen für den Laden auf der
entgegengesetzten Seite des Hauses erfolgen sollen.

    Am 2. April 1964 erteilte der Gemeinderat von Thalwil der Ernst
Göhner AG die Baubewilligung. Die Sparkasse des Wahlkreises Thalwil erhob
beim Einzelrichter im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Horgen
Baueinsprache. Diese wurde mit Verfügung vom 23. April 1964 geschützt
und der Sparkasse Frist zur Einreichung der Klage beim ordentlichen
Richter angesetzt.

    B.- Am 10. Juni 1964 reichte die Sparkasse des Wahlkreises Thalwil
gegen die Ernst Göhner AG beim Obergericht des Kantons Zürich eine Klage
ein mit dem Rechtsbegehren, es sei der Beklagten die Ausführung des
auf dem Grundstück Kat. Nr. 6335 an der Gotthardstrasse 12 in Thalwil
projektierten Bauvorhabens gemäss Ausschreibung im Amtsblatt Nr. 18 vom
3. März 1964, nämlich eines Wohnhauses mit Laden, definitiv zu verbieten.

    Zur Begründung berief sich die Klägerin auf den Wortlaut der zugunsten
ihres und zulasten des Grundstückes Dr. Juckers eingetragenen Dienstbarkeit
und machte geltend, der geplante Bau verletze diese Dienstbarkeit, weil
er eine "Mietskaserne" und ein "Haus mit lärmendem Getriebe" sein werde.
Ausserdem widerspreche das Bauvorhaben den baupolizeilichen Vorschriften,
da die gesetzlichen Grenzabstände nicht eingehalten seien.

    C.- Am 19. November 1964 hiess das Obergericht des Kantons Zürich die
Klage gut und verbot der Beklagten die Ausführung des geplanten Baues. Zwar
erfülle er nicht den Begriff der "Mietskaserne", wohl aber den eines
"Hauses mit lärmendem Getriebe" (Einstellraum für 23 Kundenautos und
Zufahrtsrampe von 15% Gefälle). Bei dieser Sachlage könne dahingestellt
bleiben, ob die Grenzabstände eingehalten seien und ob darüber der
Zivilrichter zu entscheiden hätte.

    D.- Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung der
Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und -
sinngemäss - die Klage abzuweisen; allenfalls sei die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    E.- Die Berufungsbeklagte beantragt, auf die Berufung sei nicht
einzutreten, eventuell, sie sei abzuweisen und subeventuell, die Sache sei
zur Entscheidung über die Verletzung der Grenzabstände an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- .....

Erwägung 2

    2.- Die Ernst Göhner AG hat ihre Passivlegitimation im kantonalen
Verfahren nicht bestritten, obschon sie weder das Eigentum noch
sonstige dingliche Rechte am dienenden Grundstück besitzt. Auch die
Vorinstanz hat sie stillschweigend angenommen. Das ist richtig; denn die
Dienstbarkeitsklage des Dienstbarkeitsberechtigten (acto confessoria)
richtet sich gegen den Störer, der weder ein dingliches Verhältnis zum
belasteten Grundstück noch ein obligatorisches zum Eigentümer dieses
Grundstückes zu haben braucht, also auch irgend ein Dritter sein kann
(LIVER, N. 193 zu Art. 737 ZGB).

Erwägung 3

    3.- Das Verbot, eine "Mietskaserne" auf dem belasteten Grundstück zu
erstellen, stellt eine Baubeschränkung dar. Fraglich könnte sein, ob dem
weiteren Verbot, ein "Haus mit lärmendem Getriebe" zu erstellen, ebenfalls
diese Bedeutung zukomme oder ob es sich um eine Gewerbebeschränkung
handle. Im letztern Falle könnte sich der Unterlassungsanspruch der
Klägerin nicht gegen die geplante Baute als solche, sondern nur gegen
den Gewerbebetrieb richten; denn so wenig als das blosse Vorhandensein
einer Baute Einwirkungen im Sinne von Art. 684 ZGB zu erzeugen vermag
(BGE 88 II 264), kann es eine Gewerbebeschränkung verletzen (nicht
veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtes vom 24. März 1965 i.S. Weber
c. AG für Immobilien und Handelswerte). Der Ausdruck "Haus mit lärmendem
Getriebe" wird indessen im Zusammenhang mit dem Verbot, eine Fabrik oder
eine "Mietskaserne" zu erstellen, verwendet. Es muss daraus geschlossen
werden, dass sich das Verbot unmittelbar gegen den Bau von Gebäuden
richtet, die nach ihrer Bestimmung geeignet sind, lärmerzeugenden
Verrichtungen zu dienen oder die schon infolge ihrer äussern Gestaltung
nicht zum Gepräge eines Villenquartiers gehören. Ist dem so, dann ist der
Vorinstanz beizupflichten, dass ein grosses Ladengeschäft von der Art des
geplanten mit 23 Abstellplätzen für Kundenautos ein "lärmendes Getriebe"
mit sich bringen würde, namentlich wenn noch berücksichtigt wird, dass
die Rampe zum Einstellraum ein Gefälle von 15% aufweist. Ob - wie die
Vorinstanz schätzt - davon auszugehen ist, dass an einem Vormittag zwischen
acht und zwölf Uhr bis zu 368 Kunden ihre Wagen einstellen werden, was zu
736 Zu- und Wegfahrten führte, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls wäre
mit einem regen Wagenverkehr zu rechnen, der den mit einem gewöhnlichen
Miethaus zusammenhängenden Verkehr an Dichte weit übertreffen müsste. Die
Vorinstanz hat deshalb zu Recht angenommen, dass die Dienstbarkeit,
soweit sie verbietet, ein Haus mit "lärmendem Getriebe" zu erstellen,
durch den geplanten Bau verletzt werden könnte.

Erwägung 4

    4.- Was die Berufungsklägerin dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig:

    a) Die Ernst Göhner AG führt aus, die Anzahl der Abstellplätze für
Motorfahrzeuge sei von der Baupolizeibehörde gestützt auf § 60 lit. a
des kantonalen Baugesetzes vorgeschrieben worden, sie sei also nur einer
gesetzlichen Pflicht nachgekommen, als sie die verlangten 30 Abstellplätze
vorgesehen habe. Der Hinweis ist unbehelflich, da öffentlich-rechtliche
Bauvorschriften privatrechtliche Baubeschränkungen nicht ausser Kraft
setzen können.

    b) Im vorliegenden Fall kann auch die Überlegung nicht angestellt
werden, ähnlich wie der aus einer affirmativen, ungemessenen Dienstbarkeit
Belastete, habe auch der aus einer negativen Dienstbarkeit Berechtigte
sich mit der Entwicklung der Technik abzufinden und z.B. die Verwendung
von Motorfahrzeugen statt Pferdefuhrwerken hinzunehmen. Bei einer
affirmativen, ungemessenen Dienstbarkeit wird dem Dienstbarkeitsbelasteten
die Mehrbelastung nur zugemutet, wenn sie nicht auf einer willkürlichen
Änderung der Zweckbestimmung des berechtigten Grundstücks beruht und wenn
sie die zweckentsprechende Benützung des belasteten Grundstücks nicht
verhindert oder - mehr als bisher - in wesentlichem Masse einschränkt
(nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 18. Mai 1961
i.S. SBB c. Zürrer; BGE 88 II 273 Erw. 6 d und e). Vorliegend handelt es
sich um eine Änderung in der Zweckbestimmung des belasteten Grundstücks: es
soll in Zukunft dem Betrieb eines Geschäfts- und Miethauses dienen. Daraus
folgt, dass die analoge Anwendung obiger Grundsätze auf die Ansprüche des
aus einer negativen Dienstbarkeit Berechtigten schon dann ausgeschlossen
ist, wenn die Benützungsart des belasteten Grundstücks grundlegend
geändert wird. Darüber hinaus dürfte einer solchen Analogie bei negativen
Dienstbarkeiten, insbesondere solchen, die sich gegen Immissionen richten,
enge Schranken gesetzt sein; denn es kommt nicht darauf an, ob z.B. eine
Lärmquelle in altmodischen oder neuzeitlichen Anlagen besteht.

    c) Die Beklagte hält die Berufung auf die Dienstbarkeit für
rechtsmissbräuchlich, weil die Klägerin selber auf der berechtigten
Liegenschaft ein Bankgeschäft betreibe und auch Abstellplätze für die
Motorfahrzeuge ihrer Kunden erstellt habe. Allein, es handelt sich bei
der von der Klägerin betriebenen Sparkasse um einen ruhigen Betrieb
sowie um drei bis vier Abstellplätze auf dem Vorplatz zum Bankgebäude,
die nicht mit einem nur durch eine Rampe von 15% Gefälle zu erreichenden
Abstellraum für 30 Motorfahrzeuge verglichen werden können.

Erwägung 5

    5.- Eine andere Frage ist es, ob die Nachbarschaft der Klägerin
durch die Neubauten der letzten Jahre (Apotheke Dr. Zeller und Konditorei
Ochsner) den Charakter eines Villenquartiers ohnehin verwirkt habe, sodass
die Dienstbarkeit für die Sparkasse Thalwil entweder alles Interesse
verloren habe oder nur noch von so geringer Bedeutung sei, dass ihr die
Ablösung zugemutet werden könne. Diese nach Art. 736 ZGB zu lösende Frage
ist hier nicht zu entscheiden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes - III.
Zivilkammer - des Kantons Zürich vom 19. November 1964 bestätigt.