Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 II 321



91 II 321

47. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. November 1965
i.S. R. gegen R.-Z. Regeste

    Gerichtsstand der Ehescheidungsklage. Art. 144 ZGB.

    Ein schweizerischer Ehegatte mit Wohnsitz in der Schweiz kann die
Ehescheidungsklage ausschliesslich an seinem Wohnsitz anbringen. Massgebend
ist der Wohnsitz bei Eintritt der Rechtshängigkeit des Streites.

    Das kantonale Recht bestimmt, welcher prozessuale Akt die Rechts
hängigkeit herbeiführt; dagegen steht es ihm nicht zu, dem klagen den
Ehegatten ausser dem in diesem Zeitpunkt bestehenden Wohn sitz noch einen
andern (frühern) Wohnsitz als Gerichtsstand zur Wahl zu stellen.

Sachverhalt

    A.- Der französische Staatsangehörige B. R. verehelichte sich am
23. November 1962 mit der Schweizerin C. Z., die das Schweizerbürgerrecht
nach der Heirat beibehielt. Die Ehefrau leitete am 22. Juli 1964 beim
Friedensrichteramt Bauma (Kanton Zürich) Scheidungsklage ein. Bauma war
damals ehelicher Wohnsitz. Nach dem ergebnislosen Sühneversuch vom
31. Juli 1964 zog Frau R. nach Degersheim (Kanton St. Gallen), wo sie
als Serviertochter Arbeit annahm. Der Ehemann kehrte im September 1964
zu seinen Eltern nach Frankreich zurück.

    B.- Am 3./4. November 1964 machte die Ehefrau die Scheidungsklage beim
Bezirksgericht Pfäffikon anhängig, in dessen Gerichtskreis Bauma liegt. Sie
reichte dem Gericht an diesem Tag die Weisung des Friedensrichters
ein. Der Ehemann erhob die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des
angerufenen Richters. Das Bezirksgericht verwarf die Einrede, ebenso das
Obergericht des Kantons Zürich, an das der Ehemann den Entscheid weiterzog,
mit Beschluss vom 24. Mai 1965.

    C.- Gegen diesen Beschluss hat der Ehemann Berufung an das
Bundesgericht eingelegt mit dem Antrag, es sei das Bezirksgericht
Pfäffikon zur Beurteilung der am 3. November 1964 rechtshängig gemachten
Scheidungsklage und des Begehrens der Klägerin und Berufungsbeklagten um
Erlass vorsorglicher Massnahmen während der Dauer des Scheidungsprozesses
als unzuständig zu erklären.

    Der Antrag der Ehefrau geht auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Zulässigkeit der Berufung).

Erwägung 2

    2.- (Anwendbarkeit des schweizerischen Rechts).

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 144 ZGB ist für die Scheidungsklage der Richter
am Wohnsitz des klagenden Ehegatten zuständig. Dabei ist nach der
bundesgerichtlichen Praxis der Wohnsitz massgebend, den der klagende
Ehegatte zu der Zeit hat, da die Klage rechtshängig gemacht wird (BGE 64
II 177, 74 II 68, 90 II 215 mit Hinweis auf frühere Entscheide). Wann
die Rechtshängigkeit eintritt, ist eine Frage des - kantonalen -
Prozessrechts (BGE 64 II 176/77, 72 II 323, 74 II 69, 90 II 216). Nach
zürcherischer Prozessordnung tritt sie mit dem Einreichen der Weisung des
Friedensrichters beim Gericht ein (§ 121 ZPO, Komm. STRÄULI/HAUSER dazu,
was auch festgehalten wird in BGE 64 II 185, 74 II 68 ff., 75 II 96). So
besehen ist deshalb das Bezirksgericht Pfäffikon dann für die vorliegende
Scheidungsklage zuständig, wenn die Klägerin in Bauma Wohnsitz hatte,
als sie dem Gericht am 3./4. November 1964 die Weisung einreichte.

    Das Obergericht hält indessen diese Zuständigkeitsregel auf Grund des
kantonalen Zivilprozessrechts nicht für zwingend: Bei einer am Wohnsitz
des Beklagten anzubringenden Klage kann, wenn er nach der Vorladung
zum Sühneversuch den Wohnsitz ändert, der Kläger ihn nach § 19 der
Zürcher Zivilprozessordnung vor demjenigen Gerichte belangen, das im
Zeitpunkt der Klageeinleitung beim Friedensrichter zuständig war, sofern
er die Weisung innerhalb dreier Monate vom Datum derselben gerechnet
dem Gericht einreicht. Die Zürcher Gerichte wenden diese Vorschrift
analog auf Scheidungsklagen an in dem Sinne, dass die klagende Partei,
die nach Einleitung der Klage beim Friedensrichter den Wohnsitz wechselt,
die Wahl zwischen den Bezirksgerichten des alten und des neuen Wohnsitzes
hat (BlZR 35 Nr. 175, 51 Nr. 147, 57 Nr. 74). Allein, diese Praxis, die
das Obergericht im angefochtenen Entscheid bestätigt und wonach in einem
solchen Fall alternativ zwei Richter für die Scheidungsklage zuständig
wären, lässt sich vor Art. 144 ZGB nicht halten. Sie widerspricht der
erwähnten Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach - ausschliesslich -
der Richter des Ortes zuständig ist, wo sich der Wohnsitz der klagenden
Partei beim Eintritt der Rechtshängigkeit befindet. Dieser Wohnsitz
kann nur ein einziger sein, denn nach Art. 24 Abs. 2 ZGB kann niemand an
mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben. Es liegt kein zureichender
Grund vor, von dieser Betrachtungsweise abzugehen:

    a) Schon der Wortlaut des Art. 144 ZGB weist auf einen einzigen
Gerichtsstand hin; er befindet sich an dem (im massgebenden Zeitpunkt
bestehenden) Wohnsitz des Klägers. Nur sagt das Gesetz nicht, welches
der massgebende Zeitpunkt sei. Aus guten Gründen wird hiebei auf den
Eintritt der Rechtshängigkeit abgestellt und somit aus Art. 144 ZGB die
Regel abgeleitet, dass der die Rechtshängigkeit der Scheidungsklage
begründende prozessuale Akt am Wohnsitz des Klägers stattzufinden
hat, und dass alsdann die gerichtliche Zuständigkeit ohne Rücksicht
auf spätere Wohnsitzverlegungen bestehen bleibt, während einem vor der
Begründung der Rechtshängigkeit bestehenden Wohnsitz diese Bedeutung nicht
zukommt. Diese Unterscheidung steht mit andern für die Scheidungsklage
wesentlichen Wirkungen der Rechtshängigkeit im Einklang. Vor allem
schafft die zuerst rechtshängig gewordene Scheidungsklage einen
einheitlichen Gerichtsstand auch für allfällige Gegenbegehren des
andern Ehegatten. Klagt dieser nachher selbständig bei einem andern
Richter auf Scheidung oder Trennung der Ehe, so steht diesem Vorgehen
eine Einrede des unlösbaren Sachzusammenhanges mit der zuerst hängig
gewordenen Klage entgegen. Diese Wirkung der zeitlichen Priorität
der einen Klage beruht auf dem materiellrechtlichen Zusammenhang der
beidseitigen die Scheidung oder Trennung der Ehe und die Nebenfolgen
einer solchen Rechtsgestaltung betreffenden Ansprüche. Es folgt daraus
eine bundesrechtliche Gerichtsstandseinrede, die von der eigentlichen
Einrede der Rechtshängigkeit (identischer Begehren) zu unterscheiden
ist und auch im internationalen Verhältnis gilt (BGE 64 II 183/184, 74
II 69, 80 II 100/101, 84 II 475 Erw. 2 und 3 sowie S. 483 oben; LEUCH,
N. 4 am Ende zu Art. 160 bern. ZPO; GULDENER, Das internationale und
interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 178 N. 18). Sodann
begründet der Eintritt der Rechtshängigkeit einer Scheidungsklage
die Zuständigkeit des damit befassten Richters zu vorsorglichen
Massnahmen für die Dauer des Rechtsstreites nach Art. 145 ZGB, während
bis zu diesem Zeitpunkt die richterliche Hilfe unter Ehegatten nur im
Eheschutzverfahren nach Art. 169 ff. ZGB Platz greifen kann (BGE 91 II
76 Mitte mit Hinweisen). Angesichts dieser erst mit der rechtshängigen
Klage verbundenen Wirkungen ist Art. 144 ZGB auf die eigentliche, den
Streit hängig machende Klage anzuwenden. Mag das kantonale Prozessrecht
auch bereits für ein vorbereitendes Sühneverfahren eine entsprechende
Zuständigkeitsnorm anerkennen, so muss dann doch der die Rechtshängigkeit
herbeiführende Akt von Bundesrechts wegen beim Richter des nunmehr
bestehenden Wohnsitzes des klagenden Ehegatten erfolgen.

    b) Das Obergericht des Kantons Zürich erwog in einem frühern
Entscheid, Art. 144 ZGB lasse die Frage offen, ob der Wohnsitz des
Klägers zur Zeit der Einleitung der Klage beim Friedensrichter oder zur
Zeit der Litiskontestation massgebend sei. Deshalb bleibe dem kantonalen
Recht anheimgestellt, auf den Wohnsitz im einen oder andern Zeitpunkt
abzustellen (BlZR 51 Nr. 147). Das ist freilich in dem Sinne richtig,
dass das kantonale Prozessrecht schon mit der Einleitung, Durchführung
oder Beendigung des Sühneverfahrens die Wirkung der Rechtshängigkeit
verbinden kann (was denn auch in mehreren Kantonen geltendes Recht ist;
vgl. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. A., S. 240/41). Doch
gerät die kantonale Ordnung dann mit jener des Bundes in Widerspruch,
wenn das kantonale Recht für die Scheidungsklage einen andern Richter
als ausschliesslich zuständig erklärt als denjenigen des Wohnsitzes des
Klägers zur Zeit des Eintrittes der Rechtshängigkeit, und ebenso, wenn
es dem Kläger ausser diesem Gerichtsstand noch einen zweiten an einem
frühern Wohnsitz zur Verfügung stellt.

    c) Gründe der Zweckmässigkeit vermögen ein Abgehen von der gesetzlichen
Zuständigkeitsordnung nicht zu rechtfertigen. Man könnte vermuten, die
zürcherische Rechtsprechung wende den § 19 der Zivilprozessordnung vor
allem deshalb analog auf die Scheidungsklage an, weil es unpraktisch
wäre, wenn der Kläger bei Wohnsitzwechsel nach Klageeinleitung nun ein
zweites Sühneverfahren an seinem neuen Wohnsitz einleiten müsste. Eine
solche (nicht schwerwiegende) Unzukömmlichkeit wäre nicht als Grund zur
Zubilligung eines wahlweisen zweiten Gerichtsstandes anzuerkennen. Offenbar
stellt sich übrigens die Schwierigkeit im zürcherischen Gerichtswesen
gar nicht ein, denn nach der Praxis der Zürcher Gerichte besteht keine
Vorschrift, wonach ein Friedensrichter die Weisung nur an das Gericht
seines Bezirks ausstellen dürfte (BlZR 57 Nr. 74, Komm. STRÄULI/HAUSER,
2. A., 1939, N. 2 zu § 19, N. 4 Abs. 2 zu § 114 ZPO und dort erwähnter
Entscheid). Es kann daher wohl auch im Fall einer Wohnsitzverlegung
bei einmaliger Klageeinleitung sein Bewenden haben. Ob freilich
bei Wohnsitznahme in einem andern Kanton, der in gleichem Sinn einen
Sühneversuch als Klagevoraussetzung vorschreibt, neuerdings ein solches
Vorverfahren einzuleiten sei, hängt vom Prozessrecht dieses Kantons ab.

    d) Es mag noch bemerkt werden, dass die Zubilligung zweier
Wahlgerichtsstände von vornherein auf das Bedenken stösst, es läge darin
eine übermässige Begünstigung des klagenden Ehegatten. Dieser geniesst
im Scheidungsprozess bereits dadurch einen Vorzug, dass er entgegen
allgemeiner Regel die beklagte Partei nicht an deren Wohnsitz ansuchen
muss, sondern an seinem eigenen Wohnsitze klagen kann. Es erschiene als
unangebracht, ihm ohne klare gesetzliche Grundlage nun noch einen weitern
Vorteil des Inhalts einzuräumen, dass er im Fall eines Wohnsitzwechsels
unter zwei Gerichten auswählen könnte und der Beklagte sich einer solchen
Wahl fügen müsste. Auch aus diesem Gesichtspunkt erscheint di e Auslegung
des Art. 144 ZGB, woran nach dem Gesagten festzuhalten ist, als sinnvoll.

Erwägung 4

    4.- Während die Eheleute R. jedenfalls bis zum Abschluss des
Sühneverfahrens vor dem Friedensrichter ihren gemeinsamen Wohnsitz in
Bauma hatten, sind ihre Wohnsitzverhältnisse zur Zeit der Einreichung
der Klage, am 3./4. November 1964, nicht abgeklärt. Grundsätzlich gilt
nach Art. 25 Abs. 1 ZGB der Wohnsitz des Ehemannes als Wohnsitz der
Ehefrau. Doch kann die Ehefrau nach Absatz 2 daselbst unter anderem dann
einen selbständigen Wohnsitz haben, wenn sie (gemäss Art. 170 Abs. 1 ZGB;
vgl. dazu BGE 83 II 491) aus einem bestimmten Grunde berechtigt ist,
getrennt zu leben. Sie kann in diesem Fall einen selbständigen Wohnsitz
nehmen, braucht es aber nicht zu tun. Trennt sie sich von ihrem Ehemanne,
so begründet sie am Ort ihres Aufenthaltes nur dann einen selbständigen
Wohnsitz, wenn sie sich dort mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält
(BGE 85 II 300).

    Frau R. lebte seit anfangs August 1964 in Degersheim, wo sie eine
Stelle versah, ohne eine eigene Wohnung zu beziehen. Das Obergericht stellt
fest, sie habe nicht beabsichtigt, dauernd in Degersheim zu bleiben. Das
ist eine den innern Willen betreffende tatsächliche Feststellung, welche
für das Bundesgericht verbindlich ist (Art. 63 Abs. 2 OG; BGE 90 II 217 mit
Hinweis auf frühere Entscheide). Wenn das Obergericht daraus den Schluss
zieht, die Klägerin habe bis zur Einreichung der Klage beim Gericht den
frühern Wohnsitz Bauma beibehalten, so ist ihm jedoch nicht ohne weiteres
beizustimmen. Hatte die Klägerin nicht die Absicht, einen selbständigen
Wohnsitz zu nehmen - gesetzt auch, sie sei zum Getrenntleben berechtigt
gewesen (was sie selber offen gelassen hat) -, so blieb es bei der Regel,
wonach die Ehefrau den Wohnsitz des Ehemannes teilt. Entscheidend ist
daher, wo sich zur Zeit der Einreichung der Klage der Wohnsitz des
Ehemannes befand.

    In dieser Beziehung hat das Obergericht den Sachverhalt
verständlicherweise nicht näher geprüft, weil ihm dies bei der von ihm
getroffenen, nun als unrichtig erkannten Auslegung des Art. 144 ZGB (in
Verbindung mit § 19 ZPO) nicht nötig schien. Das Bezirksgericht Pfäffikon
führte in seinem Entscheid aus, der Wohnsitz des Beklagten habe sich im
November 1964 noch in Bauma befunden, obschon er angeblich bereits im
September seine dortige Wohnung aufgegeben habe. Eine solche Annahme
mag nahe liegen, da mangels eines gegenteiligen Nachweises das letzte
gemeinsame eheliche Domizil als fortbestehendes Domizil des Klägers
im Zeitpunkt der Klageeinreichung zu gelten hat (BGE 77 II 17/18). Da
es jedoch in der Begründung des angefochtenen Entscheides an jeglicher
Feststellung über den Wohnsitz des Beklagten im November 1964 fehlt und
durchaus ungewiss ist, ob das Obergericht in dieser Hinsicht die Auffassung
der ersten Instanz teile, muss der Beschluss aufgehoben und der Fall an
die Vorinstanz gewiesen werden, damit sie nach dieser Richtung hin die
Feststellung des Sachverhalts ergänze und nachher neu entscheide.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass der Beschluss des
Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 24. Mai 1965
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
an das Obergericht zurückgewiesen wird.