Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 II 281



91 II 281

43. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Juni 1965 in Sachen Kremer
gegen Matti. Regeste

    Werkhaftung, Berufung.

    1.  Anforderungen an den Berufungsantrag; Art. 55 Abs. 1 lit. b OG.

    2.  Werkeigentümer eines gestützt auf eine Wegdienstbarkeit erstellten
öffentlichen Fussweges ist nicht der Eigentümer des belasteten Grundstücks,
sondern das dienstbarkeitsberechtigte Gemeinwesen. Art. 58 OR, 679 und
741 ZGB.

Sachverhalt

    A.- Frau Elfriede Kremer, die in Gstaad einen Ferienaufenthalt machte,
begab sich am 6. März 1962 gegen Mittag vom Ortsteil Oberbort nach dem
Dorfzentrum. Dabei benützte sie einen öffentlichen Fussweg, der eine
Schleife der Palacestrasse abschneidet. Da der Weg vereist war, stürzte sie
und brach ein Bein. Der Unfallerreignete sich auf dem Grundstück Grundbuch
Saanen Nr. 2260. Dieses steht im Miteigentum von Jakob Matti in Saanen
und Pierre Notz in Genf. Gemäss Grundbucheintrag vom 1. Januar 1912 ist
es mit der Dienstbarkeit "öffentlicher Fussweg Gstaad-Oberbort" belastet.
Diese Dienstbarkeit war bei der Grundbuchbereinigung im Jahre 1910 auf
Anmeldung des Gemeinderates von Saanen ohne irgendwelche Entschädigung des
damaligen Grundeigentümers eingetragen worden. Der Weg, der ursprünglich
bloss ein ausgetretener Fusspfad war, wurde vom Verkehrsverein Gstaad
angelegt. Dieser unterhält ihn auch seit Jahrzehnten mit finanzieller
Hilfe der Gemeinde Saanen. Die Grundeigentümer tragen an den Wegunterhalt
nichts bei.

    B.- Frau Kremer belangte gestützt auf die Bestimmungen über die
Haftung des Werkeigentümers (Art. 58 OR) den Grundeigentümer Jakob Matti
auf Schadenersatz.

    Der Beklagte bestritt jede Haftbarkeit und beantragte Abweisung
der Klage.

    C.- Der Appellationshof des Kantons Bern, I.  Zivilkammer, wies
mit Urteil vom 9. Dezember 1964 die Klage ab. Dieser Entscheid beruht
im wesentlichen auf der Erwägung, der Beklagte könne nicht aus Art. 58
OR haftbar gemacht werden für den Unterhaltsmangel eines Werkes, das
von einem Dritten gestützt auf die privatrechtliche Dienstbarkeit des
öffentlichen Wegrechts erstellt worden und zu unterhalten sei.

    D.- Gegen diesen Entscheid hat die Klägerin die Berufung erklärt. Sie
beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und der Beklagte sei
zu verurteilen, ihr eine gerichtlich zu bestimmende Schadenersatzsumme zu
bezahlen; eventuell sei die Sache zur Aktenergänzung und neuen Entscheidung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Der Beklagte beantragt, die Berufung sei abzuweisen und das
angefochtene Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Hauptantrag der Berufung, der Beklagte sei zur Bezahlung
einer gerichtlich zu bestimmenden Summe zu verurteilen, entspricht den
Anforderungen von Art. 55 Abs. 1 lit. b OG nicht. Nach dieser Bestimmung
hat die Berufungsschrift genau anzugeben, welche Abänderungen des
angefochtenen Entscheides beantragt werden. Danach ist für die Berufung
eine ziffernmässige Angabe des Betrages erforderlich, dessen Zusprechung
verlangt wird. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes
selbst dann, wenn das kantonale Prozessrecht das Begehren auf Zusprechung
einer gerichtlich zu bestimmenden Summe genügen lässt (BGE 89 II 414
Erw. 6, 88 II 206, 86 II 193 und dort erwähnte Entscheide).

    Über den Mangel eines genügenden materiellen Berufungsantrages kann
jedoch im vorliegenden Fall hinweggesehen werden. Denn selbst wenn das
Bundesgericht die Haftbarkeit des Beklagten grundsätzlich bejahen würde,
könnte es kein abschliessendes Urteil fällen, sondern es müsste die Sache
zur Ermittlung der Höhe der Ansprüche der Klägerin an die Vorinstanz
zurückweisen. Unter diesen Umständen genügt aber nach der Rechtsprechung
der Antrag auf Rückweisung, wie ihn die Klägerin hier als Eventualbegehren
gestellt hat (BGE 88 II 207 Erw. 3 und dort erwähnte Entscheide).

    Auf die Berufung ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Dass der Fussweg, auf dem die Klägerin verunfallte, ein Werk im
Sinne von Art. 58 OR ist, wird vom Beklagten mit Recht nicht bestritten;
denn es handelt sich dabei nicht nur um einen ausgetretenen Fusspfad,
sondern um einen angelegten Weg, d.h. um eine stabile, durch Umgestaltung
des natürlichen Erdbodens künstlich hergestellte und mit diesem verbundene
Anlage, was nach Lehre und Rechtsprechung das kennzeichnende Merkmal
eines Werkes ist (OFTINGER, Haftpflichtrecht, 2. Aufl., II/1 S. 31, S. 69).

Erwägung 3

    3.- a) Art. 58 OR auferlegt die Haftung für Anlage- und
Unterhaltsmängel eines Werkes dem Eigentümer. Diese Regelung beruht auf
der Überlegung, dass es Sache des Eigentümers sei, die erforderlichen
Massnahmen zu treffen, um die Gefahren abzuwenden, welche ein ihm
gehörendes Werk für Dritte in sich birgt, und dass in erster Linie er in
der Lage sei, für den Unterhalt des Werks zu sorgen und allfällige Mängel
desselben zu beheben.

    b) Da das Werk begriffsmässig mit dem Boden, auf dem es steht, fest
verbunden sein muss (OFTINGER, op.cit. II/1 S. 31 f.), trifft nach dem
Wortlaut des Gesetzes die Haftpflicht regelmässig den Eigentümer des
Grundstückes, auf dem es sich befindet. Der Gesetzeswortlaut hat jedoch
nur den Normalfall im Auge. Für die Bestimmung des im Sinne von Art. 58
OR haftpflichtigen Werkeigentümers sind gemäss ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichts nicht die Begriffe des Sachenrechtes massgebend,
sondern es kommt auf den Zweck an, dem die Werkanlage als Ganzes zu
dienen hat. Darauf hat die Rechtsprechung insbesondere abgestellt bei der
Entscheidung darüber, was ein Werk in räumlicher Beziehung umfasse (BGE 59
II 176, 63 II 98, 74 II 156, 79 II 78). Danach ist selbst dann, wenn ein
Teil einer Baute (wie z.B. ein Balkon, das Gitter eines Lichtschachtes
eines Kellers) ohne Begründung eines dinglichen Rechtes auf ein anderes
Grundstück übergreift und nach dem Akzessionsprinzip (Art. 671 Abs. 1, 674
ZGB) zum Bestandteil desselben wird, Werkeigentümer im Sinne von Art. 58 OR
nicht der Eigentümer dieses letzteren Grundstückes, sondern der Eigentümer
der Baute, von welcher der übergreifende Teil ausgeht. Haftpflichtig ist
also nach dieser Rechtsprechung, wer die Werkanlage als Ganzes erstellt
hat, wer sie benützt und tatsächlich über sie verfügt und darum für ihren
Unterhalt zu sorgen hat.

    c) In Weiterentwicklung dieses Grundsatzes hat das Bundesgericht
sodann entschieden, die Haftbarkeit des Werkeigentümers habe naturgemäss
zur Voraussetzung, dass er (oder sein Rechtsvorgänger) das Werk nach
seinem Ermessen erstellt habe und in der Lage sei, die für dessen
Unterhalt erforderlichen Massnahmen zu treffen (BGE 51 II 209). Diese
Voraussetzung wurde verneint für einen von der Gemeindeverwaltung kraft
öffentlich-rechtlicher Servitut teils auf privatem, teils auf öffentlichem
Grund erstellten Gehsteig, bei dem der private Grundeigentümer in der
Verfügungsgewalt auch hinsichtlich des Unterhaltes des ihm gehörenden
Teils durch die Weisungen der zuständigen Behörde eingeschränkt war und
der vom damaligen Kläger gerügte Mangel nur durch eine einheitliche, vom
Gemeinwesen im Einvernehmen mit allen Anstössern angeordnete Massnahme
hätte behoben werden können. Das Bundesgericht wies daher die gegen den
privaten Grundeigentümer gerichtete Werkhaftungsklage ab.

    Die Frage, wer bei Gehsteigen, die teils im Privateigentum, teils
im Eigentum eines Gemeinwesens stehen, Werkeigentümer sei, wurde auch in
BGE 89 II 332 ff. gestreift, aber nicht entschieden.

    d) Die in BGE 51 II 209 getroffene Lösung ist in der Rechtslehre
nicht einheitlich aufgenommen worden. OSER/SCHÖNENBERGER (OR Art.
58 N. 16) billigt sie. OFTINGER (op. cit. II/1 S. 71 f.) anerkennt
zwar, dass sie den Vorzug der Angemessenheit zu besitzen scheine; er
hegt gegen sie aber Bedenken, weil sie den sonst geltenden, klaren und
einfach zu handhabenden Grundsatz durchbreche, dass allein das Eigentum
den Haftpflichtigen bestimme, und zur Folge habe, dass der Geschädigte
oft im Ungewissen darüber sei, wen er einklagen müsse.

Erwägung 4

    4.- Das Urteil BGE 51 II 209 betraf insofern einen besonderen
Sachverhalt, als der private Grundeigentümer praktisch keine Möglichkeit
hatte, an der von der Gemeinde erstellten, als mangelhaft beanstandeten
Gehsteiganlage aus eigener Machtvollkommenheit etwas zu ändern. Im
vorliegenden Fall verhält es sich anders: Zwar fehlte dem Beklagten
wohl ebenfalls die Befugnis, an der Anlage des vom Verkehrsverein
erstellten Fussweges bauliche Änderungen vorzunehmen; auch war er kraft
jahrzehntelanger Übung von jeder Unterhaltspflicht, insbesondere auch
von der Pflicht, den Weg im Winter zu sanden, befreit. Dagegen wäre es
ihm nicht unmöglich gewesen, von sich aus eine solche Unterhaltsmassnahme
zu treffen.

    Beiden Fällen gemeinsam ist jedoch, dass der Unfall sich auf einem mit
einer Wegdienstbarkeit zugunsten der Öffentlichkeit belasteten Grundstück
zugetragen hat.

    Es fragt sich, ob unter solchen Umständen die Werkhaftungsklage
aus Art. 58 OR gegen den Grundeigentümer oder gegen das Gemeinwesen als
Dienstbarkeitsberechtigten zu richten ist. Nicht entschieden zu werden
braucht dagegen, ob das Gemeinwesen auch dann haftbar gemacht werden
könnte, wenn ein Teil eines vom Publikum tatsächlich benützten und vom
Gemeinwesen tatsächlich unterhaltenen Weges im Privateigentum verblieben
ist, ohne dass ein Dienstbarkeitsrecht zugunsten der Öffentlichkeit
begründet worden wäre. Oftinger setzt, wie in BGE 89 II 333 zutreffend
bemerkt wurde, diese beiden Fälle einander gleich, indem er glaubt, aus
BGE 51 II 209 den allgemeinen Grundsatz entnehmen zu können, massgebend
sei die tatsächliche Herrschaft über die Strasse, weshalb das Gemeinwesen,
das über ihren Bau und/oder Unterhalt verfüge, aus Art. 58 OR hafte. Soweit
ist jedoch die Rechtsprechung nicht gegangen, wie sich aus dem in BGE 89
II 333 erwähnten Entscheid vom 25. November 1930 i.S. Società di Basilea
per le assicurazioni sulla vita c. Stato del Cantone dei Grigioni ergibt,
wonach die Haftung aus Art. 58 OR den Eigentümer im Rechtssinne trifft,
nicht aber denjenigen, der aus irgendeinem Grunde tatsächlich über das
Werk verfügt.

Erwägung 5

    5.- a) Lässt man sich in der heute zu entscheidenden Frage
ausschliesslich vom Streben nach einer Lösung leiten, die sowohl der
Billigkeit als auch dem Haftungsgrundsatz des Art. 58 OR genügt, so
kann nicht zweifelhaft sein, dass für Anlage- und Unterhaltsmängel des
Weges nicht der Eigentümer des belasteten Grundstückes, sondern der aus
der Wegdienstbarkeit Berechtigte einzustehen hat. Nach Art. 741 ZGB ist
denn auch eine Vorrichtung, die zur Ausübung der Dienstbarkeit gehört,
vom Berechtigten zu unterhalten, was auch die Pflicht zur Behebung
von Mängeln umfasst, die Dritte gefährden können. Für die Richtigkeit
dieser Lösung spricht gerade der vorliegende Fall: Laut dem Urteil
der Vorinstanz ist der Beklagte (bezw. sein Rechtsvorgänger) für die
Einräumung des Wegrechts in keiner Weise entschädigt worden. Wo zuvor ein
ausgetretener Fusspfad ohne Werkcharakter durch die Wiese führte, liess
der Dienstbarkeitsberechtigte einen Weg anlegen, den heute täglich viele
Leute benützen. Um den Unterhaltspflichten aus Art. 58 OR zu genügen,
müsste der Beklagte im Winter täglich sich mehrmals über den Zustand des
Weges vergewissern, den Schnee wegräumen, sanden, und wäre schliesslich
der Gefahr ausgesetzt, für die Folgen eines Unfalles belangt zu werden,
den er gleichwohl nicht hätte verhüten können.

    b) Es ist aber auch der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit im Auge
zu behalten. Nach der Ansicht Oftingers wäre diese durch das Abstellen
auf das Eigentum am besten gewahrt, weil dieses Kriterium klar und
einfach zu handhaben sei, während das Abgehen davon oft zum Nachteil
des Geschädigten ausschlagen müsste, da er im Ungewissen darüber wäre,
wen er einzuklagen habe.

    Aber auch wenn man das Eigentum allein massgebend sein liesse, müsste
der Geschädigte vor der Klageerhebung den Eigentümer ermitteln und zu
diesem Zwecke in der Regel das Grundbuch zu Rate ziehen. Aus diesem
ersieht er aber auch das Bestehen einer Wegdienstbarkeit. Die Regelung
gemäss BGE 51 II 209 ist freilich insofern weniger einfach, als die dort
getroffene Unterscheidung nicht aus dem Gesetzeswortlaut selbst hervorgeht,
sondern auf der Rechtsprechung beruht. Aber das bedeutet keine so grosse
Schwierigkeit, dass man ihretwegen auf die Anwendung einer im übrigen
als richtig befundenen Regel verzichten müsste.

    Mit Recht hat sodann die Vorinstanz auf die Ähnlichkeit
des vorliegenden Sachverhalts mit demjenigen von Art. 679
ZGB (Verantwortlichkeit des Grundeigentümers im nachbarrechtlichen
Verhältnis) hingewiesen. Nach Lehre und Rechtsprechung sind auch die
Inhaber beschränkter dinglicher Rechte für eine Eigentumsüberschreitung
passiv legitimiert, die auf ihr selbständiges Verhalten zurückzuführen ist
(BGE 68 II 373 Erw. 2; MEIER-HAYOZ ZGB Art. 679 N. 58 und dortige Hinweise;
LIVER, ZGB Art. 737 N. 107). Während die frühere Lehre (insbesondere HAAB,
ZGB Art. 679 N. 12) dem Nachbarn wahlweise sowohl einen Anspruch gegen den
Grundeigentümer als auch gegen den Dienstbarkeitsberechtigten gewährte,
lehnen die Rechtsprechung und die neuere Lehre (nicht veröff. Urteil des
Bundesgerichts vom 30. Januar 1931, BlZR 30 Nr. 146; MEIER-HAYOZ, ZGB
Art. 679 N. 65; LIVER aaO) eine Belangbarkeit des Eigentümers ab; dies,
obwohl der Wortlaut von Art. 679 ZGB gleich wie derjenige von Art. 58 OR
nur eine Haftung des "Eigentümers" vorsieht.

    Im weiteren ist zu beachten, dass die Rechtssicherheit nicht
allein von der Klarheit und Einfachheit der Rechtsvorschriften
abhängt, sondern dass für sie auch die Beweisfrage eine Rolle spielen
kann. Namentlich in städtischen Verhältnissen liegen die Gehsteige häufig
zum Teil auf privatem, zum Teil auf öffentlichem Grund. Je nach den
Umständen kann aber der Nachweis der genauen Unfallstelle viel grössere
Schwierigkeiten bereiten als die Feststellung, wer für den ganzen Gehsteig
unterhaltspflichtig ist. Eine solche Beweisschwierigkeit hätte sich
z.B. gerade im Falle BGE 89 II 332 ergeben, wenn der Frage des Eigentums
am Gehsteig entscheidende Bedeutung beigemessen worden wäre. Auch bei
scheinbar klaren und einfachen Rechtsvorschriften kann somit die Anwendung
Schwierigkeiten bereiten, die eine grössere Rechtsunsicherheit bewirken,
als sie sich bei der Anwendung einer weniger starren Regelung ergibt,
die sich auf ein allgemeines Prinzip zu stützen vermag.

Erwägung 6

    6.- Es liesse sich allerdings die Auffassung vertreten, dass
nach dem Wortlaut des Gesetzes der Eigentümer - allein oder neben dem
Dienstbarkeitsberechtigten - unter allen Umständen hafte, dass ihm aber
ein Rückgriffsrecht auf den für den Unterhalt Verantwortlichen zustehe,
wie dies auch der Fall ist, wenn der Werkeigentümer den Unterhalt des
Werkes durch Vertrag (Mietvertrag, Dienstvertrag, Werkvertrag) einem
Dritten übertragen hat.

    Eine solche Lösung würde jedoch dem Grundgedanken der Werkhaftung nicht
gerecht; sie würde sich an den Gesetzeswortlaut in seinem engsten Sinne
klammern und wäre kaum vereinbar mit der eingangs erwähnten Rechtsprechung,
wonach es für die Abgrenzung des Werkbegriffes in räumlicher Beziehung
nicht allein auf die Bestimmungen des Sachenrechts, wie z.B. auf diejenigen
über die Zugehör, ankommt. Auch wäre nicht einzusehen, warum für die
Haftung des Werkeigentümers eine Ordnung gelten sollte, die von der nach
Lehre und Rechtsprechung für die Grundeigentümerhaftung gemäss Art. 679
ZGB geltenden abweicht, während doch die beiden Haftungsfälle grosse
Ähnlichkeit aufweisen.

    Abgesehen hievon wäre es übrigens fraglich, ob hier dem
Grundeigentümer, also dem Beklagten, im Falle seiner Verurteilung überhaupt
der Rückgriff auf den Dienstbarkeitsberechtigten zustünde. Ein solches
Rückgriffsrecht besteht zweifellos, wenn der Benützer des Werkes für
dessen Unterhalt kraft vertraglicher oder gesetzlicher Verpflichtung
gegenüber dem Eigentümer aufzukommen hat, wie z.B. im Falle der Miete
oder der Nutzniessung. Dass das aber auch bei einer Wegdienstbarkeit sich
so verhalte, versteht sich durchaus nicht von selbst. Nach einhelliger
Lehre (MEIER-HAYOZ, ZGB Art. 679 N. 66; LIVER, ZGB Art. 737 N. 107)
stehen Grundeigentümer und Dienstbarkeitsberechtigter nicht in einem
Unterordnungsverhältnis, sondern sie sind einander gleichgestellte,
selbständige Träger gleichartiger Rechte. Der Grundeigentümer, der wegen
einer vom Dienstbarkeitsberechtigten ausgehenden Einwirkung belangt
würde, könnte daher mangels vertraglicher Beziehungen auf den Inhaber
des beschränkten dinglichen Rechts nicht Rückgriff nehmen.

    Bei einer Wegdienstbarkeit könnte der Eigentümer des belasteten
Grundstücks zwar geltend machen, nach Art. 741 ZGB habe der Eigentümer des
herrschenden Grundstückes, bezw. bei einer persönlichen Dienstbarkeit
deren Inhaber, die Vorrichtungen zu unterhalten, die zur Ausübung
der Dienstbarkeit gehören. In der Literatur wird in der Tat die
Ansicht vertreten, diese Bestimmung begründe eine Verpflichtung des
Dienstbarkeitsberechtigten gegenüber dem Eigentümer des belasteten
Grundstücks, der Anspruch auf deren Erfüllung und bei Nichterfüllung
gemäss den Regeln von Art. 97 ff. OR Anspruch auf Ersatzvornahme habe
(LIVER, ZGB Art. 741 N. 23, 40).

    Ob das auch auf eine öffentliche Wegdienstbarkeit zutreffe,
ist indessen fraglich. Art. 741 ZGB lässt sich in diesem Falle
als eine Vorschrift objektiven Rechtes verstehen, welche den
Unterhaltspflichtigen bezeichnet. Ihr Inhalt ist negativ in dem Sinn,
dass der Dienstbarkeitsberechtigte gegenüber dem Eigentümer des belasteten
Grundstücks keinen Anspruch auf den Unterhalt des Weges erheben kann. Ob
die Vorschrift darüber hinaus dem Eigentümer des belasteten Grundstücks
ein subjektives Recht auf die Erstellung des Weges und dessen Unterhalt
durch den Dienstbarkeitsberechtigten verschaffe, ist dagegen zweifelhaft.

    Angesichts dieser Ungewissheit geht es im vorliegenden Falle nicht
an, den Beklagten ersatzpflichtig zu erklären und ihn auf den Rückgriff
auf die Gemeinde Saanen zu verweisen. Auch OFTINGER scheint übrigens
kein gesetzliches Rückgriffsrecht des Eigentümers anzunehmen, da er
(op. cit. S. 72) ausführt, man sollte es der internen Vereinbarung der
Parteien überlassen, den materiell nötigen Ausgleich zu finden. Eine
solche Vereinbarung besteht aber im vorliegenden Fall nicht, und wie die
Vorinstanz mit Recht bemerkt, ist kaum damit zu rechnen, dass die Gemeinde
Saanen sich bereit fände, den Beklagten im Falle seiner Verurteilung
schadlos zu halten, ohne dazu vom Richter verurteilt zu werden.

    Selbst wenn aber ein Rückgriffsrecht bestünde, soll doch die
Rechtsordnung dafür sorgen, dass ein Anspruch unmittelbar gegen
den Haftpflichtigen gerichtet wird. Ein Prozess bringt, zumal für
einen Privatmann, immer Kosten und Sorgen mit sich, und die Aussicht,
möglicherweise auf einen Dritten Rückgriff nehmen zu können, wiegt diese
nicht auf. Eine Klage gegen einen nicht unmittelbar Haftpflichtigen
ist daher nur dort zuzulassen, wo zwingende Gründe der Rechtssicherheit
dies gebieten. Solche sind angesichts der dank dem Grundbuch bestehenden
Offenkundigkeit der Rechtslage im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

Erwägung 7

    7.- Aus den vorstehenden Erwägungen ist an der durch BGE 51 II 209
begründeten Rechtsprechung festzuhalten. Danach ist also Werkeigentümer im
Sinne von Art. 58 OR nicht der Eigentümer des Grundstückes, auf welchem der
Weg angelegt ist, sondern das Gemeinwesen, das kraft einer Dienstbarkeit
über diesen die Herrschaft ausübt. Diese Regelung beruht auf den gleichen
Überlegungen, die das Bundesgericht dazu geführt haben, als Werkeigentümer
eines auf öffentlichen Grund oder auf das Nachbargrundstück übergreifenden
Gebäudeteils (Balkon und dergl.) nicht den Eigentümer im sachenrechtlichen
Sinne, sondern den Eigentümer des übergreifenden Gebäudes zu betrachten.
Damit steht die Lösung gemäss BGE 51 II 209 im Einklang mit den von der
Rechtsprechung aufgestellten allgemeinen Grundsätzen über die Werkhaftung.

    Der vorliegende Entscheid betrifft indessen nur den Fall der
öffentlichen Wegdienstbarkeit zugunsten des Gemeinwesens. Wie es sich im
Falle des Wegrechts zugunsten eines Privaten verhält, insbesondere wenn
der Weg auch vom Eigentümer des belasteten Grundstücks benützt wird,
ist heute nicht zu entscheiden.

Erwägung 8

    8.- Die Klägerin beruft sich noch auf das kantonale öffentliche Recht.
Dessen Überprüfung ist jedoch dem Bundesgericht verwehrt, und dieses
ist daher an den Entscheid der Vorinstanz gebunden, die eine Haftung des
Beklagten aus öffentlichem Recht verneint hat.

    Da der Beklagte zum Wegunterhalt nicht verpflichtet ist und ihm
infolgedessen auch kein Verschulden zur Last gelegt werden kann, ist einer
Haftung aus unerlaubter Handlung (Art. 41 OR), wie sie die Klägerin auch
vor Bundesgericht noch behauptet hat, der Boden entzogen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes
des Kantons Bern, I. Zivilkammer, vom 9. Dezember 1964 bestätigt.