Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 II 248



91 II 248

36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Mai 1965
i.S. Pawlata gegen Steidle. Regeste

    Internationales Privatrecht

    Verweisungsvertrag, Rechtsnatur und zeitlicher Geltungsbereich.

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Zwischen den Parteien des vorliegenden Verfahrens hat
bereits ein Prozess stattgefunden, der die Aufhebung des gleichen
Generallizenzvertrages vom 18. März 1954 zum Gegenstand hatte, auf den der
Kläger auch seine heute streitigen Erfüllungs- und Schadenersatzansprüche
stützt. In dem in diesem früheren Verfahren ergangenen Urteil vom
16. Mai 1958 hat das Kantonsgericht St. Gallen auf Grund einer von den
Parteien getroffenen Rechtswahl schweizerisches Recht angewendet, und
das Bundesgericht ist in seinem Berufungsurteil vom 14. September 1959
ebenfalls vom Vorliegen einer solchen Rechtswahl ausgegangen.

    Unter Hinweis hierauf macht der Kläger geltend, dass auch für das
vorliegende Verfahren schweizerisches Recht massgebend sein müsse; denn es
sei "doch wohl ganz ausgeschlossen, dass nunmehr im zweiten Prozess unter
den gleichen Parteien um das gleiche Vertragsverhältnis das schweizerische
Recht als nicht anwendbar erklärt würde".

    Der Beklagte nimmt demgegenüber den Standpunkt ein, die Anwendung des
schweizerischen Rechtes im ersten Prozess präjudiziere die Rechtsanwendung
im zweiten Prozess in keiner Weise.

    b) Die Vereinbarung, mit der die Parteien eine Rechtswahl treffen,
ist kein prozessrechtlicher Vertrag, und zwar auch dann nicht, wenn sie im
Laufe eines Prozesses erfolgt und auf übereinstimmenden Erklärungen beruht,
welche die Parteien in den Prozessschriften oder anlässlich mündlicher
Gerichtsverhandlungen abgegeben haben. Denn es handelt sich dabei nicht
um eine Vereinbarung, welche die Regelung des Verfahrens im Rahmen der
Parteiautonomie zum Gegenstand hat, wie sie das kantonale Prozessrecht
allenfalls vorbehalten kann.

    Nach der herrschenden Meinung hat allerdings die Rechtswahl auch
nicht den Charakter eines materiellrechtlichen Vertrages in dem Sinne,
dass durch ihn der Inhalt des Vertrages, d.h. die von den Parteien
gegenseitig eingegangenen Verpflichtungen, bestimmt würde. Eine solche
Vereinbarung stellt vielmehr einen sog. Verweisungsvertrag dar, der
zum materiellen Hauptvertrag hinzutritt, wobei er mit diesem zu einem
einheitlichen Ganzen verbunden oder von ihm getrennt abgeschlossen
werden kann (BGE 79 II 300). Gegenstand dieses Verweisungsvertrages
ist die Bestimmung des Vertragsstatuts, d.h. der für das materielle
Rechtsverhältnis massgeblichen Rechtsordnung. Der Abschluss einer solchen
Vereinbarung kann ihren Grund darin haben, dass die Parteien kraft
übereinstimmenden Willens den Vertrag der Rechtsordnung zu entziehen
beabsichtigen, von welcher er nach den objektiven Anknüpfungsregeln
beherrscht wäre, oder weil sie jeder Unsicherheit hinsichtlich der
Frage des anwendbaren Rechtes vorbeugen wollen (SCHÖNENBERGER/JÄGGI,
Kommentar zum OR, Allgemeine Einleitung N. 198, 202 und dort angeführte
Literatur; ferner RAAPE, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. S. 457;
VISCHER, Internationales Vertragsrecht, S. 23, 66 f., 80). Wie man den
Verweisungsvertrag auch rechtlich qualifizieren mag, stellt er auf
jeden Fall eine Ergänzung des materiellen Hauptvertrages dar. Indem
die Parteien eine bestimmte Rechtsordnung auf ihn anwendbar erklären,
umschreiben sie durch stillschweigende Bezugnahme auf deren subsidiär
geltenden Vorschriften diejenigen ihrer Verpflichtungen, die im Vertrag
nicht ausdrücklich geregelt worden sind; überdies verweisen sie damit
auf die von dieser Rechtsordnung vorgesehenen Folgen einer allfälligen
Nichterfüllung des Vertrages und legen also indirekt gewisse Wirkungen
des Vertrages fest.

    Die Rechtswahl bezweckt somit die Regelung der vertragsrechtlichen
Beziehungen der Parteien durch Bezeichnung der Rechtsordnung, welcher
das durch einen bestimmten Vertrag geschaffene Rechtsverhältnis zweier
Parteien in seiner Gesamtheit unterworfen sein soll; sie bedeutet eine
Ergänzung des materiellen Hauptvertrages. Solange sie nicht aufgehoben
oder abgeändert wird, bestimmt sie das für den Vertrag massgebende Recht
bis zum Erlöschen sämtlicher auf ihm beruhender Verpflichtungen.

    Dass nach der Rechtsprechung die Rechtswahl auch nachträglich getroffen
und sogar noch während des Prozesses vereinbart werden kann, ist weder auf
die Rechtsnatur dieser Vereinbarung, noch auf ihre Tragweite von Einfluss.
Selbst wenn die Rechtswahl erst im Laufe des Prozesses erfolgt, besteht
ihr Zweck immer darin, das für das ganze Vertragsverhältnis massgebende
Recht zu bestimmen. Sie fällt mit der Beendigung des Prozesses nicht
dahin, sondern beherrscht den Vertrag auch weiterhin, solange dieser
Wirkungen entfaltet.

    Nur eine vertragliche Aufhebung oder Abänderung der im früheren Prozess
von den Parteien getroffenen und nicht auf diesen beschränkten Rechtswahl
vermöchte deshalb an dem durch diese geschaffenen Rechtszustand etwas zu
ändern. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht
erfüllt und wird auch vom Beklagten nicht behauptet. Auf Grund der im
früheren Prozess erfolgten, immer noch wirksamen Rechtswahl unterstehen
somit auch die heute streitigen Vertragsbeziehungen der Parteien dem
schweizerischen Recht. Das Bundesgericht ist daher zur Beurteilung der
Streitsache zuständig.