Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 II 201



91 II 201

31. Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Mai 1965 i.S. Hotel Plaza
A.-G. gegen Roe. Regeste

    Werkhaftung, Berufung.

    Berufung gegen Vorentscheid, Zulässigkeit. Art. 50 OG (Erw. 1).

    Werkhaftung, Art. 58 OR.

    Anforderungen an eine Liftanlage. Ungenügender Abstand zwischen
Schachtwand und Kabinendecke als Werkmangel. Bedeutung der baupolizeilichen
Genehmigung der Anlage (Erw. 2, 3).

    Adäquater Kausalzusammenhang zwischen Mangel und Unfall (Erw. 4).

    Mitverschulden des Geschädigten (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Die Klägerin Bonita Roe aus Vancouver (Canada), geboren am
30. November 1944, erlitt am 8. August 1960 bei der Benützung des Liftes
in dem der Beklagten gehörenden Hotel Plaza in Zürich einen Unfall.

    Bonita Roe, die sich seit einigen Wochen in Begleitung einer Frau
Palmer und deren Tochter Margo, geb. 1946, im Hotel Plaza aufhielt, wollte
zusammen mit Margo Palmer mit dem Lift, der keine Kabinentüre aufweist,
aus dem 5. in den 2. Stock hinunterfahren. Dabei geriet sie mit der linken
Hand an der oberen Liftkante zwischen die Kabinendecke und die Schachtwand
und erlitt an der Hand und am Vorderarm schwere Verletzungen.

    Der von der Klägerin benutzte Lift war im Jahre 1953 erstellt
worden. Die Baupolizei der Stadt Zürich hatte auf Gesuch vom 20. Februar
hin am 27. Februar 1953 die Ausführungsbewilligung und am 4. September
1953 die Betriebsbewilligung erteilt.

    Die Erstellung und der Betrieb von Personen- und Warenaufzügen
ist durch die Verordnung des Regierungsrates des Kantons Zürich vom
22. Januar 1953 geregelt, welche die frühere Verordnung vom 30. Dezember
1943 ersetzte und mit der Veröffentlichung im kantonalen Amtsblatt vom
17. Februar 1953 in Kraft trat. Die neue Verordnung erklärt in § 5 "für die
technische Gestaltung der Aufzugsanlagen, der Fahrbahn und der Umwehrung"
die "Normen für die Einrichtung und den Betrieb von Aufzugsanlagen" des
Schweiz. Ingenieur- und Architektenvereins, Ausgabe 1952, als anwendbar. In
diesen SIA-Normen wird in Art. 19 Abs. 1 a.E. bestimmt, wenn die Höhe
bis zur Fahrstuhldecke beim Zugang weniger als 2,25 m betrage, so müsse
die Decke von der Schachtwand mindestens 5 cm zurückstehen, falls nicht
eine besondere Vorrichtung gegen Einklemmen vorgesehen sei. In einem
Nachtrag von 1957 zu Art. 19 Abs. 1 wird sodann vorgeschrieben, dass
bei Personenaufzügen ohne Fahrstuhltüre eine Sicherheitsvorrichtung
anzubringen sei, die den Fahrstuhl stillsetze, sobald ein Fremdkörper
zwischen Fahrbahnumwehrung und Fahrstuhlantritt gelange, oder die das
Eindringen eines Fremdkörpers verhindere. Nach § 7 der Verordnung darf die
Betriebsbewilligung nur erteilt werden, wenn die Anlage den Vorschriften
entspricht. Hinsichtlich bereits im Betrieb stehender Anlagen bestimmt §
13, sie seien, soweit es die Sicherheit erfordere, der neuen Verordnung
anzupassen; ereigne sich infolge mangelhafter Anlage ein Unfall, so müsse
diese unverzüglich den neuen Bestimmungen angepasst werden.

    Die wegen des Unfalles der Klägerin am 8. August 1960 herbeigerufene
Baupolizei stellte fest, dass beim Lift im Hotel Plaza, bei dem die
Höhe der Kabine 2,12 m und diejenige der Türöffnung 1,94 m misst, die
Kabinendecke am Zugang nur 1,2 cm von der Schachtwand zurückstand. Durch
Verfügung vom 22. August 1960 ordnete das Baupolizeiinspektorat an,
die Anlage sei bis zum 31. Dezember 1960 in dem Sinne zu ändern,
dass die Kabinendecke am Zugang mindestens 5 cm von der Schachtwand
zurückstehe und am Kabinenantritt eine Sicherheitsschwelle angebracht
werde, welche die Steuerung unterbreche, sobald ein Fremdkörper in den
Spalt zwischen Schachtwand und Kabinenantritt gelange. In einem Bericht
vom 24. August 1960 hielt das Inspektorat fest, dass die Anlage bei der
Abnahme am 18. August 1953 der Aufzugsverordnung vom 30. Dezember 1943
entsprochen habe, nun aber der abgeänderten Verordnung vom 22. Januar
1953 anzupassen sei.

    B.- Mit Klage vom 16. Juli 1962 belangte Bonita Roe, gesetzlich
vertreten durch ihren Vater Charles Roe, gestützt auf die Vorschriften über
die Haftung des Werkeigentümers (Art. 58 OR) die Hotel Plaza A.-G. als
Eigentümerin des Hotelgebäudes auf die Bezahlung von Fr. 150'000.--
nebst 5% Zins seit 8. August 1960 als Schadenersatz und Genugtuung.

    Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage.

    C.- Das Bezirksgericht Zürich wies mit Urteil vom 22.  November 1963
die Klage ab. Es verneinte das Vorliegen eines haftungsbegründenden
Werkmangels; eventuell führte es aus, die Klage müsste auch dann abgewiesen
werden, wenn man annehmen wollte, die Hand der Klägerin habe infolge
mangelhafter Beschaffenheit der Liftanlage eingeklemmt werden können;
denn die Klägerin habe den Unfall durch ihr unvorsichtiges Verhalten
selber verschuldet.

    D.- Das Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, hob mit
Entscheid vom 15. Oktober 1964 das Urteil des Bezirksgerichts auf und
wies die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück mit der
Weisung, die Höhe des Schadens der Klägerin festzustellen und ihr drei
Viertel davon zuzusprechen.

    Das Obergericht bejahte die Haftbarkeit der Beklagten aus Werkmangel,
nahm jedoch an, dass die Klägerin ein erhebliches Mitverschulden treffe.

    E.- Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das
Bundesgericht erklärt. Sie beantragt, die Klage sei gänzlich abzuweisen;
eventuell sei die Beklagte nur für einen Viertel des Schadens haftpflichtig
zu erklären.

    Die Klägerin beantragt auf dem Wege der Anschlussberufung, die Klage
sei im vollen Umfang gutzuheissen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid des Obergerichts ist kein Endentscheid
im Sinne von Art. 48 OG, sondern ein blosser Zwischenentscheid.

    Art. 50 OG lässt die Berufung gegen selbständige Vor- oder
Zwischenentscheide ausnahmsweise zu, wenn ihre Gutheissung sofort zu einem
Endentscheid führen und damit ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten
für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart würde.

    a) Als "selbständiger Vorentscheid" im Sinne dieser Bestimmung kann
der angefochtene Entscheid nur angesehen werden, wenn mit ihm die vorab
in Frage stehende materiellrechtliche Anspruchsvoraussetzung, nämlich die
grundsätzliche Haftbarkeit der Beklagten aus Art. 58 OR, urteilsmässig
erledigt worden ist (BGE 81 II 398 Erw. 2; GIOVANOLI, Probleme der Berufung
an das Bundesgericht, in ZbJV 90 S. 57 letzter Absatz, 59 Abs. 1 lit. d;
LEUCH, ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl., Art. 196 N. 2). Nach dem Wortlaut
des Dispositivs erscheint nun der angefochtene Entscheid zunächst als
blosser Rückweisungsentscheid ohne urteilsmässige Erledigung der Frage
der grundsätzlichen Haftbarkeit der Beklagten. Die Rückweisung erfolgt
jedoch "im Sinne der Erwägungen", und in diesen wird die Haftbarkeit
der Beklagten ausdrücklich festgestellt; endlich wird im Dispositiv
selber das Bezirksgericht angewiesen, der Klägerin den Schaden "zu drei
Vierteln zuzusprechen". Unter diesen Umständen darf das Dispositiv dahin
ausgelegt werden, dass damit die grundsätzliche Haftbarkeit der Beklagten
urteilsmässig festgestellt werden sollte (vgl. zur Frage der Auslegung
des Dispositivs an Hand der Erwägungen BGE 86 II 383). Das Bundesgericht
hat es schon in BGE 78 II 398 f. als fraglich bezeichnet, ob es für die
Zulässigkeit einer Berufung nach Art. 50 OG geradezu unerlässlich sei,
dass sich das Dispositiv des angefochtenen Entscheides ausdrücklich
über den vorweg erledigten Punkt ausspreche, und in BGE 81 II 399 hat es
lediglich für den Scheidungsprozess daran festgehalten, dass die in der
Gutheissung eines Scheidungsbegehrens liegende Rechtsgestaltung einzig
durch ein ausdrückliches Dispositiv vorgenommen werden könne.

    b) Für den Hauptantrag der Berufung ist auch die weitere Voraussetzung
der gesonderten Anrufung des Bundesgerichts erfüllt, dass nämlich im Falle
der Gutheissung der Berufung ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten
für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart würde: Falls die Haftbarkeit
der Beklagten gemäss ihrem Berufungsantrag schon aus grundsätzlichen
Erwägungen zu verneinen wäre, würde das zur sofortigen Abweisung der
Klage führen, womit ein kostspieliges und zeitraubendes Beweisverfahren
(Expertise über den Invaliditätsgrad der in Canada wohnhaften Klägerin,
Auswirkungen auf ihr wirtschaftliches Fortkommen) überflüssig würde. Auf
den Hauptantrag der Berufung ist daher einzutreten.

    c) Der Eventualantrag der Berufung, die Beklagte sei bloss für einen
Viertel des Schadens ersatzpflichtig zu erklären, würde dagegen für sich
allein die gesonderte Anrufung des Bundesgerichtes nicht gestatten, da
blosse Herabsetzung des Schadenersatzanspruches ein Beweisverfahren über
die Schadenshöhe nicht überflüssig machen würde. Es besteht jedoch kein
stichhaltiger Grund, im Verfahren nach Art. 50 OG einen Eventualantrag
nur dann zuzulassen, wenn er auch als Hauptantrag hätte gestellt werden
können. Ist einmal das Bundesgericht auf Grund eines Hauptantrages mit
der Sache befasst, so rechtfertigt es sich, gleichzeitig auch allfällige
Eventualbegehren zu beurteilen, sofern ihrer vorweggenommenen Entscheidung
nichts im Wege steht. Damit lässt sich unter Umständen eine spätere
nochmalige Anrufung des Bundesgerichts vermeiden.

    Im vorliegenden Falle stände bei Abweisung des Hauptantrages der
Berufung nichts im Wege, schon vor der Festsetzung der Schadenshöhe durch
die kantonalen Instanzen darüber zu entscheiden, für welchen Bruchteil
des Schadens die Beklagte aufzukommen habe. Die Beklagte hat nicht
etwa geltend gemacht, sie würde durch die Schadenersatzleistung in eine
Notlage versetzt (Art. 44 Abs. 2 OR), worüber erst nach Feststellung der
Schadenshöhe entschieden werden könnte. Es verhält sich hier nicht anders
als in dem gelegentlich vorkommenden Fall, dass das Bundesgericht ein auf
Klageabweisung lautendes kantonales Endurteil aufhebt, im Zusammenhang
mit der Entscheidung über die grundsätzliche Haftungsfrage zugleich auch
über die Verteilung der Schadenstragung urteilt und die Sache nur zur
Feststellung der Schadenshöhe zurückweist (so z.B. BGE 59 II 170 f.,
60 II 349).

    d) Aus den gleichen Erwägungen sind auch die Voraussetzungen für die
Zulässigkeit der Anschlussberufung als erfüllt zu betrachten.

Erwägung 2

    2.- Es ist nicht streitig, dass die Liftanlage im Gebäude der Beklagten
ein Werk im Sinne von Art. 58 OR darstellt und dass die Beklagte daher
für den Schaden aus dem der Klägerin zugestossenen Unfall haftet, wenn
und soweit dieser durch einen Mangel in der Anlage oder im Unterhalt des
Aufzuges verursacht worden ist.

Erwägung 3

    3.- Die Beklagte hält in ihrer Berufung vorab daran fest, dass eine
Werkhaftung schon deshalb entfalle, weil nicht von einer fehlerhaften
Anlage des Lifts gesprochen werden könne.

    a) Das Obergericht hat für die Beurteilung der Mangelhaftigkeit
der Liftanlage die Verordnung vom 22. Januar 1953 sowie die darin
erwähnten SIA-Normen als in erster Linie massgebend erachtet. Es hat
festgestellt, die Anlage habe nicht der Vorschrift von Art. 19 Abs. 1 a.E.
der SIA-Normen entsprochen, wonach die Fahrstuhldecke von der Schachtwand
mindestens 5 cm zurückstehen muss, wenn die Höhe bis zur Fahrstuhldecke
beim Zugang weniger als 2,25 m beträgt. Zudem habe die durch den
Nachtrag 1957 vorgeschriebene Sicherheitsvorrichtung am Fahrstuhlantritt
gefehlt. Die Baupolizei habe denn auch nach dem Unfall eine entsprechende
Änderung der Anlage angeordnet. Da die Liftanlage zur Zeit des Unfalls
nicht den bestehenden Vorschriften entsprochen habe, sei sie mangelhaft
gewesen, und dafür habe die Beklagte einzustehen. Die Berufung darauf,
dass seinerzeit die baupolizeiliche Bewilligung zur Inbetriebnahme des
Liftes erteilt worden sei, helfe der Beklagten nicht. Entscheidend sei,
dass nötige und vorgeschriebene Schutzvorrichtungen gefehlt und dass
diese Gefahrenquellen Anlass zum Unfall gegeben hätten.

    b) Die Berufung wendet ein, das Vorliegen eines Werkmangels könne
nicht schon daraus abgeleitet werden, dass die Baupolizei eine Änderung
der Anlage angeordnet habe; denn nach einem Unfall würden stets Änderungen
verlangt. Die Ausführungsbewilligung vom 27. Februar 1953 sei noch auf
Grund der Verordnung vom 30. Dezember 1943 erteilt worden, weil der
Lift bereits vor Inkrafttreten der neuen Verordnung fertig projektiert
gewesen sei. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, die Anlage
sofort an die neue Verordnung anzupassen; denn § 13 schreibe dies nur
vor, soweit es die Sicherheit erfordere. Die Baupolizei habe es denn
auch bei der Erteilung der Betriebsbewilligung nicht für nötig befunden,
dass der Abstand zwischen Kabinendecke und Schachtwand vergrössert und
am Kabinenboden eine Sicherheitsschwelle angebracht werde. Es gehe nicht
an, jeden Lift älterer Bauart, der die Möglichkeit des Eingeklemmtwerdens
nicht völlig ausschliesse, als mangelhaft anzusehen. Wenn sich die Klägerin
ordnungsgemäss verhalten hätte, wäre der Unfall nicht passiert. Der Abstand
zwischen Kabinendecke und Schachtwand von nur 1,2 cm könne daher nicht als
Werkmangel angesehen werden. Das Fehlen der Sicherheitsschwelle am Rande
des Kabinenbodens habe beim Unfall überhaupt keine Rolle gespielt, so dass
sich die Frage erübrige, ob auch hierin ein Werkmangel zu erblicken sei.

    c) Es kommt in der Tat ausschliesslich darauf an, ob der Unfall
dadurch herbeigeführt worden ist, dass der Abstand zwischen Kabinendecke
und Schachtwand nur 1,2 cm betragen hat. Wohl spricht das obergerichtliche
Urteil im Anschluss an die Ausführungen über diesen zu geringen Abstand
und über das Fehlen einer Sicherheitsschwelle davon, dass "diese
Gefahrenquellen" Anlass zum Unfall gegeben hätten. Der später folgenden
Darstellung des Unfallhergangs, auf die noch zurückzukommen sein wird, ist
nichts darüber zu entnehmen, wieso auch das Fehlen der Sicherheitsschwelle
eine Rolle gespielt haben sollte. Es ist daher lediglich zu untersuchen,
ob der zu geringe Abstand zwischen Kabinendecke und Schachtwand einen
Mangel im Sinne des Art. 58 OR dargestellt habe. Dabei handelt es sich
um eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage (BGE 88 II 419).

    d) Nach ständiger Lehre und Rechtsprechung kann sich der Werkeigentümer
von seiner Haftung nicht schon mit der Berufung darauf befreien, dass
die Anlage polizeilich geprüft und genehmigt worden sei (BGE 33 II
568, 55 II 84 f., 56 II 94, 57 II 109; OFTINGER, Haftpflichtrecht, 2.
Aufl. Bd. II/1 S. 46 f.). Immerhin ist der Umstand, dass eine Anlage den
polizeilichen Anforderungen genügt, wenigstens bis zu einem gewissen Grade
ein Anzeichen dafür, dass sie auch unter privatrechtlichen Gesichtspunkten
nicht mangelhaft sei. Vor allem aber liegt es umgekehrt nahe, bei
Nichtbeachtung einer die Gefahrenverhütung bezweckenden polizeilichen
Vorschrift auch einen privatrechtlichen Werkmangel anzunehmen.

    Im vorliegenden Falle steht fest, dass die Liftanlage der Beklagten den
Anforderungen der SIA-Normen Nr. 106, Ausgabe 1952, nicht entsprochen hat.
Diese Normen bezwecken, wie in ihrem Ingress gesagt wird, "durch eine dem
Stand der Technik angemessene Ausführung die Verhütung von Unfällen". So
wird in Art. 19 Abs. 1 a. E. vorgeschrieben, wo die Höhe der Kabine
weniger als 2,25 m betrage, müsse die Fahrstuhldecke mindestens 5 cm von
der Schachtwand abstehen, falls nicht eine besondere Schutzvorrichtung
ein Einklemmen verhüte. Diese Regel ist dadurch, dass § 5 der Verordnung
vom 22. Januar 1953 auf die SIA-Normen verweist, zur baupolizeilichen
Vorschrift geworden. Diese Verordnung stand bereits in Kraft, als
der Beklagten am 27. Februar 1953 die Ausführungsbewilligung und am
4. September 1953 die Betriebsbewilligung erteilt wurde. Mit der Erteilung
dieser Bewilligungen hat die Baupolizei demnach die für sie verbindlichen
Vorschriften missachtet: Sie hat eine Anlage genehmigt und zum Betrieb
zugelassen, die den Vorschriften nicht entsprach. Dieses Vorgehen ist um
so weniger verständlich, als nach § 13 selbst bereits bestehende Anlagen,
soweit die Sicherheit es erfordert, der neuen Verordnung angepasst werden
müssen. Unter diesen Umständen kann den seinerzeitigen Verfügungen der
Baupolizei bei der Entscheidung der Frage, ob ein privatrechtlicher Mangel
der Anlage vorliege, keine Bedeutung beigemessen werden.

    Dagegen fällt unter diesem Gesichtspunkt entscheidend ins Gewicht,
dass die Anlage schon bei ihrer Erstellung und Inbetriebnahme im Jahre
1953 dem damaligen Stand der Technik und den geltenden baupolizeilichen
Sicherheitsvorschriften nicht entsprach. Art. 19 Abs. 1 der SIA-Normen
will, wie sich aus seinem Wortlaut ergibt, einer ganz bestimmten Gefahr,
der des Eingeklemmtwerdens, wirksam begegnen. Die Vorschrift lautet
allgemein, ist aber natürlich vor allem von Bedeutung bei Kabinen ohne
Türen. Bei solchen Kabinen ist naturgemäss die Unfallgefahr erheblich
grösser, weshalb es um so mehr angezeigt ist, Gefahren soweit als nur
möglich auszuschalten.

    e) Der Mangel einer Anlage zieht nun allerdings nach der
Rechtsprechung keine Haftung des Werkeigentümers nach sich, wenn er
bei einem vernünftigen, dem Durchschnitt entsprechenden vorsichtigen
Verhalten der Benützer nicht Anlass zu Unfällen geben kann (BGE 66
II 111, 81 II 453). Mit einem untergeordneten Mangel im Sinne dieser
Rechtsprechung hat man es indessen im vorliegenden Fall nicht zu tun. Wie
bereits bemerkt wurde, bedeuten Liftkabinen ohne Türen stets eine gewisse
Gefahr für die Benützer. Diese geben sich erfahrungsgemäss nicht immer
volle Rechenschaft darüber, dass der Abschluss der Kabine auf einer oder
sogar zwei Seiten durch die Schachtwand gebildet wird. Es ist deshalb
durchaus denkbar, dass auch ein vorsichtiger Benützer des Lifts sich mit
einer Hand gegen die offene Seite der Kabine stützen will, wenn er aus
irgendeinem Grunde (z.B. infolge einer ruckartigen Bewegung des Lifts
oder weil er durch unachtsames Verhalten eines andern Benützers gestossen
wird) das Gleichgewicht verliert. Wer aber im abwärts fahrenden Lift die
Schachtwand mit der Hand berührt und diese nicht sofort wieder zurückzieht,
läuft grosse Gefahr, dass sie eingeklemmt wird, wenn die obere Kante der
Kabine die betreffende Stelle der Schachtwand erreicht.

    Die Vorinstanz hat daher im vorschriftswidrig geringen Abstand zwischen
Kabinendecke und Schachtwand zu Recht einen haftungsbegründenden Werkmangel
im Sinne des Art. 58 OR erblickt.

Erwägung 4

    4.- Die Beklagte macht weiter geltend, selbst wenn man einen Werkmangel
annehme, sei nicht nachgewiesen, dass dieser den Schaden verursacht habe;
denn bei ordnungsgemässer Benützung des Liftes durch die Klägerin wäre
es nicht zum Unfall gekommen.

    a) Die Frage, ob zwischen zwei Ereignissen überhaupt ein ursächlicher
Zusammenhang bestehe (sog. natürlicher Kausalzusammenhang), ist
tatsächlicher Natur; die Feststellungen der kantonalen Instanz hierüber
sind daher für das Bundesgericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG). Ob der
festgestellte natürliche Kausalzusammenhang auch im Rechtssinne erheblich
(adäquat) sei, ist dagegen eine der Überprüfung durch das Bundesgericht
unterliegende Rechtsfrage (BGE 89 II 249 f. und dort erwähnte Entscheide).

    b) Hinsichtlich des natürlichen Kausalzusammenhangs erklärt
die Vorinstanz im Anschluss an die Feststellung, dass nötige und
vorgeschriebene Schutzvorrichtungen gefehlt hätten: "Diese Gefahrenquellen
gaben Anlass zum Unfall". Damit steht fest, dass der zu geringe Abstand
zwischen Kabinendecke und Schachtwand zum Unfall geführt hat.

    c) Die Beklagte will denn auch wohl bloss die Adäquanz dieses
Kausalzusammenhangs bestreiten. Zu dieser Frage hat die Vorinstanz nicht
ausdrücklich Stellung genommen.

    Als adäquat hat nach der Rechtsprechung eine Ursache zu gelten, die
nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der Erfahrung des Lebens geeignet
ist, den eingetretenen Erfolg herbeizuführen, so dass der Eintritt dieses
Erfolges durch jene Ursache allgemein als begünstigt erscheint (BGE 89 II
250 und dort erwähnte Entscheide). Dass im vorliegenden Fall der Mangel der
Liftanlage nicht die einzige Schadensursache war, sondern ein bestimmtes
Verhalten der Klägerin erst den latent vorhandenen Mangel hat offenbar
werden lassen, schliesst adäquate Kausalität nicht aus. Inadäquanz, also
Fehlen eines rechtlich erheblichen Kausalzusammenhanges (sog. Unterbrechung
des Kausalzusammenhanges) und damit Entlastung der Beklagten könnte
nur angenommen werden, wenn ein schuldhaftes Verhalten der Klägerin von
einer gewissen Schwere vorläge (OFTINGER, Bd. I S. 94 f. 104 f., Bd. II/1
S. 64 f. und dort zitierte bundesgerichtliche Rechtsprechung, ferner
BGE 85 II 521). Im angefochtenen Entscheid wird nun in tatsächlicher
Hinsicht ausgeführt, die Klägerin habe zugeben müssen, dass sie es an der
nötigen Sorgfalt habe fehlen lassen. Der genaue Unfallhergang sei zwar
nicht abgeklärt, aber auf Grund der Akten sei auszuschliessen, dass die
Klägerin infolge eines Rucks beim Anfahren des Lifts das Gleichgewicht
verloren habe; sie mache auch nicht geltend, dass ihre Begleiterin
sie irgendwie gestossen hätte. Die Annahme eines Privatgutachters, die
Klägerin habe ihren linken Handrücken an die Umwehrung gehalten, könne
kaum stimmen, da bei einer solchen Haltung die Hand nicht gestreckt sei,
sondern die Finger etwas gegen die Handfläche gebogen seien; danach hätte
die Klägerin nur mit den Knöcheln die Schachtwand berühren und die Hand
hätte nicht emporgerissen werden können. Vielmehr sei nach dem Ablauf
des Geschehnisses anzunehmen, dass die Klägerin ihre innere Handfläche
an die Wand gehalten habe; das sei auch aus den Aussagen der Klägerin der
Polizei gegenüber zu schliessen, wo sie erklärt habe, sie habe an die Wand
"gegriffen".

    Danach steht für das Bundesgericht verbindlich fest, dass die Klägerin
mit der inneren Handfläche an die Schachtwand gegriffen hat, und zwar
ohne dass dafür irgend ein einigermassen hinreichender äusserer Anlass
bestanden hätte. Darin liegt zweifellos ein gewisses Verschulden. Dieses
ist jedoch nicht als besonders schwer zu bewerten. Für den Liftbenützer
ist nicht ohne weiteres ersichtlich, welche Gefahren mit dem Berühren der
vorbeigleitenden Schachtwand verbunden sind. Es ist zudem nicht üblich,
dass in Liftkabinen ohne Türen vor dem Berühren der Schachtwand gewarnt
wird; auch in der Kabine des Lifts der Beklagten fehlte eine solche
Warnung. Die Gefahr des Eingeklemmtwerdens lag darum durchaus nicht offen
zu Tage. Es ist daher bis zu einem gewissen Grade verständlich, dass die
jugendliche Klägerin glaubte, es wagen zu dürfen, an die Schachtwand zu
greifen. Auch wenn sie das dann nicht mit der gebotenen Vorsicht getan hat,
so erscheint bei Abwägung aller Umstände ihr Verschulden doch nicht als
derart schwerwiegend, dass sich rechtfertigen würde, den rechtserheblichen
Kausalzusammenhang zwischen dem Mangel der Liftanlage und dem Unfall als
unterbrochen zu betrachten.

    Die Haftbarkeit der Beklagten aus Art. 58 OR ist daher mit der
Vorinstanz grundsätzlich zu bejahen.

Erwägung 5

    5.- Für diesen Fall beantragt die Beklagte mit ihrem Eventualbegehren,
ihre Schadenersatzpflicht sei wegen grossen Selbstverschuldens der Klägerin
nicht bloss auf drei Viertel, sondern auf einen Viertel herabzusetzen.

    Die Klägerin ihrerseits begehrt mit ihrer Anschlussberufung
die Verurteilung der Beklagten zur vollen Schadensdeckung, weil ihr
Selbstverschulden so gering sei, dass es keine Minderung der kausalen
Haftung der Beklagten rechtfertige.

    a) Ein Selbstverschulden des Geschädigten, das nicht zur Befreiung
des Haftpflichtigen ausreicht, kann einen Grund zur Herabsetzung der
Ersatzpflicht bilden. Bei der Festsetzung des Masses der Reduktion
ist davon auszugehen, dass auf den Geschädigten diejenige Quote des
Schadens fallen soll, die seinem Anteil an der Gesamtverursachung des
Schadens entspricht. Trifft den Kausalhaftpflichtigen ein zusätzliches
Verschulden, so wirkt sich das dahin aus, dass das Selbstverschulden des
Geschädigten als Ursache desto leichter wiegt (OFTINGER, Bd. I S. 239 f.).

    b) Das Obergericht führt aus, das Verschulden der Klägerin wiege
schwerer als das der Beklagten. Darin, dass ein Hauseigentümer sich nicht
ständig darum kümmere, ob die seinerzeit behördlich abgenommene Liftanlage
den neuesten Vorschriften entspreche, liege keine ins Gewicht fallende
Unterlassung, weshalb das Verschulden der Beklagten eher als leicht zu
bezeichnen sei.

    Die Beklagte rügt indessen mit Recht, dass ihr überhaupt ein
Verschulden zur Last gelegt werde. Wenn auch die polizeiliche Genehmigung
der Anlage sie nicht von ihrer Haftung als Werkeigentümerin zu befreien
vermag, so durfte sie doch in guten Treuen annehmen, die Anlage sei in
Ordnung. Es liegt auch nichts dafür vor, dass sie seither anlässlich der
vorgeschriebenen Revisionen durch die Fachleute, welche diese vornahmen,
auf den hier in Frage stehenden Mangel aufmerksam gemacht worden wäre, aber
gleichwohl nichts zu seiner Behebung vorgekehrt habe. Die Schuldlosigkeit
der Beklagten bildet jedoch entgegen der Auffassung der Berufung keinen
Grund zur Herabsetzung der Ersatzpflicht. Das Gesetz lässt bei der
strengen Kausalhaftung des Werkeigentümers im Gegensatz zu derjenigen
des Geschäftsherrn (Art. 55 OR) oder des Tierhalters (Art. 56 OR) keinen
Entlastungsbeweis zu.

    c) Dass ein Verschulden der Beklagten zu verneinen ist,
rechtfertigt indessen nicht, von der durch die Vorinstanz vorgenommenen
Schadenverteilung abzuweichen. Denn wie bereits ausgeführt wurde, ist
das Selbstverschulden der noch jugendlichen Klägerin nicht als so schwer
zu bewerten, wie dies die Vorinstanz getan hat. Von einem überwiegenden
Verschulden der Klägerin, wie es die Beklagte behauptet, kann vollends
nicht die Rede sein.

    Wägt man den von der Beklagten kraft Kausalhaftung zu vertretenden
Werkmangel und das Selbstverschulden der Klägerin gegeneinander ab, so
ist die Herabsetzung der Ersatzpflicht der Beklagten um einen Viertel
nicht zu beanstanden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Berufung und Anschlussberufung werden abgewiesen und das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 15. Oktober 1964
wird bestätigt.