Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 III 87



91 III 87

17. Entscheid vom 29. November 1965 i.S. Bank in Langenthal. Regeste

    Abschlagsverteilungen im Konkurs (Art. 237 Abs. 3 Ziff. 5, Art.
251 Abs. 3 und Art. 266 SchKG). - Beschwerdeverfahren (Art. 17/18 SchKG).

    Einem formell rechtskräftig kollozierten Gläubiger darf die Auszahlung
seines Betreffnisses einer Abschlagsverteilung nicht wegenbloss
unbestimmten Verdachtes betrügerischer Machenschaften einstweilen
verweigert werden.

    Fehlt es an gewichtigen Indizien für solche Machenschaften des
Gläubigers oder des Dritten, der ihm die Forderung zediert hat, so steht
es der Konkursverwaltung frei, ihrerseits gerichtliche Klage zu erheben.

    Im Beschwerdeverfahren nach Art. 17/18 SchKG hat die Aufsichtsbehörde
sich Einblick in die für die Entscheidung wesentlichen Aktenstücke zu
verschaffen und sie selbständig zu würdigen; sie darf das Ergebnis der
Würdigung durch die Konkursverwaltung nicht unbesehen hinnehmen.

Sachverhalt

    A.- In dem am 11. Juni 1963 über die Allemann fils SA, Welschenrohr,
Kanton Solothurn, eröffneten Konkurse wurde der Kollokationsplan am
2. Oktober 1963 aufgelegt. Darin waren eine Reihe von Forderungseingaben,
weil nicht genügend abgeklärt, im Sinne von Art. 59 KV "ausgestellt". So
wurde einstweilen keine Verfügung getroffen über eine der Bank in
Langenthal von der Roseba AG, Welschenrohr, "zur Kreditsicherung zedierte"
Forderung von Fr. 1'263,458.15.

    B.- In einem am 12. August 1964 aufgelegten Nachtrag zum
Kollokationsplan wurde von der erwähnten Forderung ein Teilbetrag von Fr.
372'922.15 als der Bank in Langenthal als Zessionarin zustehend anerkannt.
Diese Kollokation blieb unangefochten, erwuchs also formell in Rechtskraft.

    C.- Im weitern Verlauf des Konkurses beschloss die ausserordentliche
Konkursverwaltung, den Gläubigern der fünften Klasse eine Abschlagszahlung
von 5% auszurichten. In der provisorischen Verteilungsliste vom
19. August 1965 setzte sie das auf jene anerkannte Teilforderung der
Bank in Langenthal entfallende Betreffnis ein, lehnte die Auszahlung aber
einstweilen ab mit folgender Bemerkung: "Betrag kann erst nach endgültiger
Anerkennung ausbezahlt werden und wird deshalb vorläufig reserviert".

    D.- Hierüber beschwerte sich die Bank in Langenthalbei der kantonalen
Aufsichtsbehörde mit dem Begehren, ihre im Kollokationsplan anerkannte
Teilforderung von Fr. 372'922.15 sei vorbehaltlos in die provisorische
Verteilungsliste aufzunehmen, und die Abschlagszahlung von 5% sei
nach Eintritt der Rechtskraft dieser Verteilungsliste vorzunehmen. Die
Beschwerdeführerin rügte in erster Linie das Fehlen einer der angefochtenen
Verfügung beigegebenen Grundangabe und ersuchte die Aufsichtsbehörde um
Gewährung eines Replikrechtes gegenüber der zu erwartenden Vernehmlassung
der Konkursverwaltung. Im übrigen machte sie geltend, die angefochtene
Verfügung stehe im Widerspruch zur rechtskräftigen Kollokation; die
"Reservierung" der Abschlagsdividende beruhe auf Willkür.

    Die Konkursverwaltung nahm zur Beschwerde folgende Stellung ein: Es
bestehe ein Verdacht, dass die Geschäftsbeziehungen zwischen der früheren
Firma Ad. Allemann fils SA und der Roseba AG auf "Machenschaften" der
ehemaligen Geschäftsleitung beruhen, so dass auch die daraus entstandenen
Forderungen in ihrem rechtlichen Bestand in Frage gestellt würden. Über
den wahren Sachverhalt werde erst die hängige Strafuntersuchung Aufschluss
geben können. Auf Ersuchen des Präsidenten der kantonalen Aufsichtsbehörde
um nähere Angaben wies die Konkursverwaltung auf eine Buchexpertise der
Schweizerischen Treuhandgesellschaft, Basel, hin. Dieser Bericht werde
am 30. September 1965 dem Gerichtspräsidenten von Balsthal zur Verwendung
in den Strafverfahren gegen Allemann und Fluri zugehen. "Unser Verdacht,
dass selbst die anerkannten Forderungen nicht zu Recht bestehen, stützt
sich ausser auf die allgemeinen Bemerkungen zur Geschäfts- und Buchführung
der Ad. Allemann fils SA vor allem auf folgende Stellen des Berichtes
...." (Zitierung von Abschnitts- und Seitenzahlen).

    E.- Ohne sich Einblick in den erwähnten Expertenbericht zu
verschaffen, und ohne weitere Massnahmen zu treffen, hat die kantonale
Aufsichtsbehörde die Beschwerde am 22. Oktober 1965 abgewiesen, im
wesentlichen aus folgenden Gründen: Das Prinzip, wonach von einer
einmal rechtskräftig gewordenen Kollokation nicht abzugehen ist,
gilt nach der Rechtsprechung nicht unbedingt. Wurde eine Kollokation
durch betrügerische Angaben erreicht, so erwachsen der Konkursmasse
Schadenersatzansprüche, die sie selbständig einklagen oder mit der auf
die Forderung entfallenden Konkursdividende, gegebenenfalls also auch mit
einer Abschlagszahlung, verrechnen kann. Der Beschwerdeführerin steht die
Anrufung des Richters offen, wenn sie die Annahme der Konkursverwaltung,
die angemeldeten Forderungen gingen nicht in Ordnung, entkräften zu
können glaubt. Die Aufsichtsbehörde hätte gegen die auf Verdachtsgründe
gestützte Zurückhaltung der Abschlagszahlung nur einzuschreiten, wenn das
Vorgehen der Konkursverwaltung völlig grundlos wäre und als willkürlich
erschiene. Aus der Vernehmlassung der Konkursverwaltung ergibt sich aber,
dass sie die rechtmässige Entstehung der Forderungen der Beschwerdeführerin
aus ernsthaften Gründen in Zweifel zieht. Sie beruft sich auch auf einen
Bericht der Schweizerischen Treuhandgesellschaft, der allerdings der
Aufsichtsbehörde noch nicht zugänglich war.

    F.- Gegen diesen Entscheid richtet sich der vorliegende Rekurs,
womit die Bank in Langenthal an ihrem Beschwerdebegehren festhält.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die mit der Beschwerde angefochtene "Reservierung" der auf die
formell rechtskräftig kollozierte Teilforderung von Fr. 372'922.15
fallenden Abschlagszahlung von 5% bis zu näherer Abklärung gewisser
nachträglich aufgetauchter Zweifel an der rechtmässigen Entstehung
dieser Forderung bedeutet weder einen Widerruf der Kollokation selbst,
dies auch nicht im Sinn einer Verrechnung von Schadenersatzforderungen,
noch ist die Rekurrentin endgültig in die Klägerrolle, etwa gar mit
Fristansetzung, verwiesen worden. Vielmehr ist die Auszahlung einstweilen
nur aufgeschoben. Dennoch hat die Rekurrentin ein schutzwürdiges Interesse,
die nach ihrer Ansicht ungerechtfertigte Verfügung durch Beschwerde
anzufechten. Wird sie doch dadurch im Verhältnis zu andern Gläubigern
benachteiligt, was um so mehr ins Gewicht fällt, als der Konkurs nun
schon seit zwei Jahren dauert und den ungeduldig gewordenen Gläubigern
eben deshalb eine Abschlagszahlung, also eine provisorische Verteilung
von Konkurserlös, zugestanden wurde.

Erwägung 2

    2.- Die angefochtene Verfügung enthält keine eigentliche
Begründung. Da normalerweise die formell rechtskräftige Anerkennung
einer Forderung im Kollokationsplan die unverrückbare Grundlage der
Verteilung bildet, bedarf es aber einer klaren Rechtfertigung, wenn die
Konkursverwaltung ausnahmsweise, aus besondern Gründen, einem Gläubiger
das auf ihn entfallende Betreffnis - sei es auch nur vorläufig, mit
Vorbehalt späterer bestimmter Stellungnahme - vorenthalten zu sollen
glaubt. Da in der Verfügung keine solchen Gründe angegeben waren,
musste der Rekurrentin Gelegenheit geboten werden, auf die erst in der
Vernehmlassung zur Beschwerde und in einem ergänzenden Bericht enthaltenen
Vorbringen tatsächlicher Art zu replizieren; dies um so mehr, als die
Rekurrentin in der Beschwerdeschrift ein dahingehendes Gesuch gestellt
hatte. Die in der Ablehnung eines Replikrechtes unter diesen Umständen
liegende Verweigerung des rechtlichen Gehörs (vgl. BGE 74 I 10) hat zur
Folge, dass die betreffenden neuen Vorbringen der Rekursschrift noch zu
berücksichtigen sind (Art, 79 Abs. 1 Satz 2 OG).

Erwägung 3

    3.- Die kantonale Aufsichtsbehörde ist freilich über das Recht der
Rekurrentin, sich gegenüber den Vorwürfen der Konkursverwaltung Gehör zu
verschaffen, nicht kurzerhand hinweggegangen. Sie ist der Auffassung, die -
übrigens ganz unbestimmten - Vorbringen der Konkursverwaltung genügen auf
jeden Fall zur Rechtfertigung der angefochtenen Verfügung; es lasse sich
also demgegenüber gar nichts Triftiges einwenden. Denn der Umstand, dass
die Konkursverwaltung aus dem in einem hängigen Strafverfahren ergangenen
Expertenbericht gewisse Verdachtsgründe geschöpft habe, schliesse eine
Willkür aus und rechtfertige die "Reservierung" des auf die Rekurrentin
entfallenden Dividendenbetreffnisses hinlänglich. Bei dieser Sachlage sei
eine nähere Abklärung der Tatsachen derzeit unnötig. Der Rekurrentin stehe
die Anrufung des Richters frei, wenn sie die endgültige Stellungnahme
der Konkursverwaltung nicht abwarten wolle. Und die Konkursverwaltung
werde es sich überlegen müssen, ob sie gegenüber einer solchen Klage das
Prozessrisiko auf sich nehmen dürfe.

    Diese Betrachtungsweise trägt indessen der Bedeutung der formell
rechtskräftigen Kollokation nicht in zutreffender Weise Rechnung.
Grundsätzlich darf die Konkursverwaltung auf eine solche Kollokation nicht
zurückkommen. Nur wenn die Anerkennung im Kollokationsplan durch eine
betrügerische Eingabe erschlichen wurde, nimmt sie an der Rechtskraft des
Planes nicht teil und ist als nichtig zu betrachten. Ist die Forderung als
solche nichtig, so kann dies allerdings auch gegenüber einem Zessionar
geltend gemacht werden; denn dieser hat die Forderung (ganz abgesehen
von der umfassenden, jedermann gegenüber zu beachtenden Wirkung einer
Nichtigkeit in eigentlichem Sinne, Art. 20 OR) mit allen ihr anhaftenden
Mängeln erworben und ist daher ebenso wie der Zedent den gegen den Bestand
der Forderung gerichteten Einreden ausgesetzt. Auf guten Glauben wird sich
die Rekurrentin in dieser Hinsicht somit nicht berufen können. Eine Frage
für sich ist es, ob die Zedentin ihrerseits bei Vornahme der Zession sich
der Tatsache bewusst war, dass die Forderung nicht rechtmässig entstanden
war, und ob sie auf solche Weise eine ungerechtfertigte Konkurseingabe und
Kollokation veranlasste. Jedenfalls aber dürfen einem formell rechtskräftig
kollozierten Gläubiger betrügerische Machenschaften nur entgegengehalten
werden, wenn sie sich auf gewichtige Indizien stützen. Blosse Erklärungen
und Mutmassungen der Konkursverwaltung genügen dazu nicht; die Indizien
müssten nachgewiesen sein (BGE 88 III 132 und dort angeführte frühere
Entscheidungen). Zu Unrecht lässt die kantonale Aufsichtsbehörde
unbestimmte Verdachtsgründe genügen, was dazu führen müsste, dass
die Rechtskraft einer Kollokation nachträglich bei jedem nicht ganz
aus der Luft gegriffenen Zweifel vereitelt werden könnte. Nun steht
allerdings dahin, was die Konkursverwaltung dem erwähnten Expertenbefund
entnehmen konnte. In ihrem ergänzenden Bericht an die Aufsichtsbehörde
beruft sie sich auf eine Reihe von Stellen dieses Berichtes durch
Angabe von Seitenzahlen, jedoch ohne deren Inhalt wiederzugeben,
und die Aufsichtsbehörde hat sich ihrerseits keinen Einblick in den
anscheinend Ende September 1965 dem Richteramt Balsthal zugegangegen
Befund verschafft. Sie hätte es angesichts der unüberprüfbaren Hinweise
der Konkursverwaltung tun sollen, um sich instand zu setzen, sich
entsprechend der ihr als Beschwerdeinstanz - auch in Ermessensfragen -
zustehenden Überprüfungsbefugnis (BGE 85 III 120/21, 86 III 123 Erw. 2) ein
selbständiges Urteil zu bilden. Unter Umständen liegt in der willkürlichen
Beschränkung der eigenen Überprüfungsbefugnis eine Verweigerung des
rechtlichen Gehörs (BGE 84 I 227 ff.). Hier sind jedenfalls die zur
Beschwerdeentscheidung unerlässlichen Untersuchungsmassnahmen unterblieben.

Erwägung 4

    4.- Die infolgedessen nicht spruchreife Angelegenheit ist zur Ergänzung
des Verfahrens und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Nur wenn dem vorläufigen Ergebnis der Strafuntersuchung, insbesondere dem
erwähnten Expertenbefund, und allfälligen zusätzlichen Feststellungen
gewichtige Indizien für betrügerische Machenschaften zu entnehmen sein
sollten, lässt sich die "Reservierung" der Abschlagszahlung gegenüber der
Rekurrentin aufrecht erhalten. Sonst läge es der Konkursmasse ob, selbst
die Klägerrolle zu übernehmen und den Richter anzugehen, wenn sie glaubt,
die Abschlagszahlung zurückbehalten zu dürfen (BGE 88 III 133 am Ende).

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
an die kantonale Aufsichtsbehörde zurückgewiesen wird.