Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 III 81



91 III 81

16. Entscheid vom 3. Dezember 1965 i.S. Heiss. Regeste

    Lohnpfändung. Art. 93 SchKG.

    1.  Wohnt der Schuldner nicht im Kreis des die Betreibung
durchführenden Amtes, so steht es diesem Amte frei, eine Lohnpfändung
selber (nach Abklärung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Weg der
Rechtshilfe) zu vollziehen oder durch das Amt des Wohnortes des Schuldners
vollziehen zu lassen. Im letztern Falle sind Beschwerden wegen Verletzung
des Art. 93 SchKG bei den dem ersuchten Amte vorgesetzten Aufsichtsbehörden
anzubringen.

    2.  Gleichgültig ob die Lohnpfändung am einen oder andern Orte
vollzogen wird, sind für die Bemessung des Notbedarfs des Schuldners
und seiner Familie die an seinem Wohnorte geltenden Ansätze und
Berechnungsregeln anzuwenden.

Sachverhalt

    A.- In der Betreibung Nr. 33035 gegen Gustav Heiss für Fr. 3093.70
vollzog das Betreibungsamt Bern 1 am 5. Juli 1965 in der Wohnung des
Schuldners in Utzigen eine Pfändung von Mobiliar, die sich als ungenügend
erwies. Der Schuldner verlegte seinen Wohnsitz am 17. Juli nach Kölliken,
Kanton Aargau. Daher erteilte das Betreibungsamt Bern 1 dem Betreibungsamt
Kölliken im Hinblick auf eine Lohnpfändung einen "Pfändungsauftrag". Das
beauftragte Amt nahm am 23.August 1965 nach Einvernahme des Schuldners
eine Pfändungsurkunde auf. Darin stellte es auf Seite 2 ("Vollzug der
Pfändung") dem Bruttolohn des Schuldners von monatlich Fr. 1100.-- das
in mehrere Posten aufgeteilte Existenzminimum gegenüber, wie folgt:

    Existenzminimum für Ehepaar und 1 Kind        Fr. 470.--

    Alimente      "  80.-

    Mietzins inkl. Heizung        " 300.--

    Sozialbeiträge (..........)   " 124.50

    Elektrisch, Wasser    "  30.-

    Zuschlag zum Existenzminimum  "  47.-
          Fr. 1051.50

    Steuern ca.   "  50.-

    Monatlich     Fr. 1101.50

    so dass kein pfändbarer Lohn übrig blieb. Es sandte am 25. August
1965 ein Exemplar dieser Pfändungsurkunde an den Schuldner.

    B.- Das Betreibungsamt Bern 1 nahm die in Kölliken aufgenommene
Pfändungsurkunde entgegen. In einer Aktennotiz bezeichnete es sie als
"Bericht des Betreibungsamtes Kölliken", und im Anschluss daran verfügte
es am 27. August 1965 eine Lohnpfändung von monatlich Fr. 80.-, beginnend
sofort und dauernd längstens bis zum 26. August 1966.

    C.- Auf Beschwerde des Schuldners, der sich in erster Linie
auf das negative Ergebnis der in Kölliken versuchten Lohnpfändung
berief, hob die untere Aufsichtsbehörde von Bern die Lohnpfändung des
Betreibungsamtes Bern 1 auf. Der Rekurs des Gläubigers führte dagegen
zur Wiederherstellung dieser Lohnpfändung durch Entscheid der obern
kantonalen Aufsichtsbehörde vom 12. November 1965. Gründe: Das nach
Verlegung des Wohnsitzes des Schuldners zur weitern Durchführung der
Betreibung zuständig gebliebene Betreibungsamt Bern 1 blieb auch zuständig
zur Vornahme einer Lohnpfändung. Hiebei waren die am Betreibungsorte Bern
geltenden Richtlinien zur Bemessung des Existenzminimums massgebend. In
der Aufstellung des Betreibungsamtes Kölliken, dem nur die Feststellung
der Tatsachen oblag, ist der Betrag von Fr. 50.- für Steuern zu streichen,
denn diese gehören nicht zum Notbedarf des Schuldners. Auch der Betrag
von Fr. 30.- für elektrischen Strom und Wasser fällt weg; denn dieser
Aufwand ist bereits im normalen Notbedarf enthalten. Dieser wird im
Kanton Bern nicht durch einen Zuschlag von 10% erhöht; er beträgt für
ein Ehepaar Fr. 385.--; dazu kommen Fr. 82.50 für ein sechsjähriges
Kind. Wird die Aufstellung so berichtigt, so beträgt das monatliche
Existenzminimum Fr. 1002.--. Selbst wenn man für die Sozialbeiträge,
die der Schuldner aufzuwenden hat, gemäss seinen Angaben Fr. 135.15
(statt bloss Fr. 124.50) einsetzt, sind monatlich Fr. 80.- pfändbar.

    D.- Mit vorliegendem Rekurs an das Bundesgericht hält der Schuldner
an der Beschwerde fest. Eventuell beantragt er die Rückweisung der Sache
an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Zutreffend geht die Vorinstanz davon aus, dass das Betreibungsamt
Bern 1, in dessen Kreis der Schuldner zur Zeit der Pfändungsankündigung
noch gewohnt hatte, zur weitern Durchführung der Betreibung auch dann
zuständig blieb, als er seinen Wohnsitz nach Kölliken verlegt hatte
(Art. 53 SchKG). Grundsätzlich war das Betreibungsamt Bern 1 daher auch
zur Vornahme einer Lohnpfändung zuständig. Das Gebot, in einem andern
Kreise liegende Vermögensstücke durch das Betreibungsamt des Ortes,
wo sie sich befinden, pfänden zu lassen (Art. 89 SchKG), gilt nicht
für Forderungen und andere Rechte, deren Bestand nicht an eine Urkunde
geknüpft ist. Solche Forderungen können (namentlich auch unabhängig vom
Wohnorte des Drittschuldners) nach ständiger Rechtsprechung immer vom
Amte des Betreibungsortes selbst gepfändet werden (BGE 73 III 84 ff. und
118 ff., 86 III 8 ff.; JAEGER, N. 5 zu Art. 89 SchKG). Statt dessen kann
aber eine solche Forderungspfändung beim Vorliegen besonderer Gründe auch
an dem allenfalls vom Betreibungsort verschiedenen Wohnort des Schuldners
erfolgen, da Forderungen, die nicht in einem Wertpapier verkörpert sind,
als am Ort ihres Gläubigers, also eben des betriebenen Schuldners,
gelegen gelten (vgl. JAEGER, N. 5 zu Art. 51 SchKG; FRITZSCHE, SchK
I 151). Ein Grund zu solchem Vorgehen kann namentlich darin gefunden
werden, dass vorerst tatsächliche Verhältnisse abzuklären und darauf
abzielende Massnahmen am Wohnorte des Schuldners zu treffen sind. So
verhält es sich insbesondere bei der Lohnpfändung, die sich einerseits
auf die Feststellung des Lohneinkommens des Schuldners (und allfälliger
anderer Einkommenselemente, wie etwa Beiträge der Ehefrau an die ehelichen
Lasten, Arbeitsverdienst unmündiger, bei den Eltern lebender Kinder)
und anderseits auf die Feststellung des die Pfändbarkeit begrenzenden
Notbedarfs des Schuldners und seiner Familie stützen muss. Wohnt der
Schuldner ausserhalb des Betreibungskreises, so lässt sich diese
Abklärung in der Regel auf zuverlässige Art nur requisitionsweise
durch das Amt seines Wohnortes vornehmen. Statt nun dieses Amt bloss
mit den erforderlichen Untersuchungen und Feststellungen und mit einem
Bericht über das Ergebnis zu beauftragen, von ihm also "Erhebungen und
Aufschlüsse" zu verlangen (vgl. BGE 73 III 121 Mitte), kann der Auftrag
füglich auf Vollzug der Lohnpfändung überhaupt, nach Grundsatz und Mass,
gehen. Dazu ist das Betreibungsamt des Wohnortes des Schuldners in der Tat
oft am besten geeignet. Wenn es schon die Elemente des Einkommens und des
Notbedarfs im einzelnen zu erforschen und zu beziffern hat, fällt es ihm
gewöhnlich nicht schwer, dann gleich auch die Gesamtbeträge auszurechnen
und einander gegenüberzustellen. Der Auftrag zum Vollzug einer Pfändung
schliesst ohne weiteres die Befugnis zur Anwendung des Art. 93 (gleich
wie des Art. 92) SchKG in sich (BGE 84 III 35).

Erwägung 2

    2.- Ob der "Pfändungsauftrag" des Betreibungsamtes Bern 1 an das
Betreibungsamt Kölliken so umfassend gelautet habe, ist freilich den
Akten des Beschwerdeverfahrens nicht zu entnehmen. Die Vorinstanz hat
das Betreibungsamt Kölliken nicht zur Sache angehört und nicht zur
Vorlegung des Ersuchungsschreibens angehalten, und das zur Beschwerde
einvernommene Betreibungsamt Bern 1 hat kein Doppel dieses Schreibens
vorgelegt. Nach seinen Ausführungen ging der Auftrag an das aargauische
Betreibungsamt dahin, es seien "die neuen Verhältnisse (Mietzins, Lohn
etc.) am neuen Wohnort festzustellen". Dabei war wohl ausdrücklich
von einer Lohnpfändung die Rede. Das konnte in engerem Sinne - als
Ersuchen um blosse Abklärung der Verhältnisse und um Bericht - oder
auch in weiterem Sinne - als Ersuchen um Vornahme oder, je nach dem
Ergebnis der tatsächlichen Feststellungen, Ablehnung einer Lohnpfändung -
verstanden werden. Jedenfalls durfte sich das Betreibungsamt Kölliken für
befugt halten, auf Grund dieses Auftrages selbständig und abschliessend
über die Lohnpfändung zu befinden. Die förmliche Aufnahme einer
Pfändungsurkunde mit der vollständigen Aufstellung des Existenzminimums
und der Gegenüberstellung des Gesamtbetrages dieses Notbedarfes und des
Lohneinkommens unter der Rubrik "Vollzug der Pfändung" konnte nur Ablehnung
einer Lohnpfändung bedeuten, und das Betreibungsamt Kölliken eröffnete
dies dem Schuldner eindeutig durch Zustellung der Pfändungsurkunde.

    Bei dieser Sachlage war es nicht zulässig, abweichend von dem in
Kölliken erfolgten negativen Vollzugsakte dann gleichwohl in Bern eine
Lohnpfändung zu verfügen. Das Betreibungsamt Bern 1 sah dies denn auch
ein, als ihm die Beschwerde des Schuldners zur Vernehmlassung unterbreitet
wurde. Mit Recht hielt es nun an der von ihm selbst verfügten Lohnpfändung
nicht mehr fest, sondern beantragte deren Aufhebung und bemerkte,
eine Überprüfung des in Kölliken festgestellten Existenzminimums "wäre
gegebenenfalls Sache der neu zuständigen Aufsichtsbehörde im Kanton
Aargau". Demgegenüber verkennt die Vorinstanz die vom Betreibungsamt
Kölliken zulässigerweise ausgeübte selbständige Befugnis zur Anwendung
von Art. 93 SchKG. Die im Widerspruch zu dieser am Wohnort des Schuldners
getroffenen Verfügung nachher am Betreibungsort verfügte Lohnpfändung
war ohne weiteres wegen fehlender Zuständigkeit aufzuheben, wie es in der
ersten Beschwerdeinstanz geschah, und es ist dem vorliegenden Rekurs aus
diesem Grunde gleichfalls zu entsprechen.

Erwägung 3

    3.- Bei diesem Ausgang der Angelegenheit hat das Bundesgericht nicht
über die Richtigkeit der Notbedarfsberechnung des Betreibungsamtes
Kölliken zu befinden. Denn es liegt keine Beschwerde gegen dieses
Amt und kein Entscheid der ihm vorgesetzten Aufsichtsbehörde vor. Die
negative Lohnpfändungsverfügung ist dem Gläubiger gegenüber rechtskräftig
geworden, wenn jenes Betreibungsamt seinerzeit auch ihm ein Exemplar der
Pfändungsurkunde zustellte oder er sie dann jedenfalls als Bestandteil
der vom Betreibungsamte Bern 1 ergänzten Pfändungsurkunde zugestellt
erhielt. (Jenes ist nicht festgestellt, dürfte aber wohl zutreffen;
die vom Gläubiger vorgelegte Pfändungsurkunde des Betreibungsamtes Bern
1 dagegen enthält nur einen das Endergebnis nicht erwähnenden Auszug aus
dem "Bericht" des Betreibungsamtes Kölliken). Zu bemerken ist immerhin,
dass die Vorinstanz die Berücksichtigung von Steuerverpflichtungen des
Schuldners als Element des Notbedarfs mit Recht kritisiert (BGE 69 III
41 und Entscheid vom 20. Februar 1964 i.S. Podgornik, S. 5 unten; anders
verhält es sich bei einer vom Arbeitgeber ohne Zutun des Schuldners
jeweilen vom Lohn abgezogenen Pauschalsteuer, vgl. BGE 90 III 33 ff.,
wovon hier jedoch nicht die Rede ist). Darin kann der Vorinstanz dann
aber nicht beigestimmt werden, dass die Lohnpfändung in einer bei
einem bernischen Betreibungsamte hängigen Betreibung auch dann, wenn
der Schuldner in einem andern Kantone wohnt, nach den im Kanton Bern
angewandten Richtlinien zu bemessen sei. Massgebend sind, auch für den
Entscheid über die Unpfändbarkeit, die Verhältnisse zur Zeit der Pfändung
(BGE 82 II 107 Erw. 2 am Ende, mit Hinweisen). Dabei ist es ein Gebot
der Vernunft und der Billigkeit, voll und ganz den am gegenwärtigen
Wohnorte dem Schuldner und seiner Familie erwachsenden notwendigen
Lebensaufwand in Rechnung zu stellen und die dort geltenden Grundsätze
der Notbedarfsbemessung anzuwenden. Über die Lohnpfändung ist daher in
jedem Falle so zu entscheiden, wie wenn die Betreibung selbst am Wohnorte
des Schuldners durchgeführt würde. Nicht nur das Betreibungsamt Kölliken
als ersuchtes Amt ist also zutreffenderweise so vorgegangen, sondern in
gleicher Weise hätte das Betreibungsamt Bern 1 verfahren müssen, wenn
es sich die eigentliche Entscheidung über die Lohnpfändung vorbehalten
hätte. Wenn insbesondere nach aargauischem Brauch "Elektrisch und Wasser"
im Grundbetrag des nach den dort geltenden Ansätzen bemessenen normalen
"Existenzminimums" nicht inbegriffen sind, so war es somit gerechtfertigt,
hiefür einen besonderen Posten einzusetzen.

    Mit dem Gesagten stimmt es überein, dass das Bundesgericht in dem
bereits angeführten Entscheid vom 20. Februar 1964 i.S. Podgornik unter
Hinweis auf eine ältere Praxis erklärt hat, für die Feststellung des
Existenzminimums eines im Ausland wohnenden Schuldners sei auf die
Lebenskosten am ausländischen Wohnorte abzustellen. Ferner wird dort
ausgeführt: "Indem das Gesetz die Festsetzung des Notbedarfs ins Ermessen
jedes Betreibungsamtes stellt, will es - innerhalb der Schweiz - den
lokalen Unterschieden in den Lebenskosten Rechnung tragen, und zwar eben
den Lebenskosten an dem Orte, wo der Schuldner und seine Familie leben
und diese Kosten bestreiten müssen."

    Im vorliegenden Falle waren somit die aargauischen Ansätze anzuwenden,
gleichgültig ob das Betreibungsamt Bern 1 selber über die Lohnpfändung
entschied oder diese Entscheidung dem Amte des Wohnortes überliess, auf
dessen Rechtshilfe es ohnehin zur Abklärung des Sachverhaltes angewiesen
war. Dem Willen des Gesetzes, die derzeit wirklich, also eben an seinem
Wohnorte, bestehenden Bedürfnisse des Schuldners und seiner Familie zu
berücksichtigen, entspricht es in der Regel, wenn dem Amte dieses Ortes und
den ihm vorgesetzten Aufsichtsbehörden der Entscheid über die Lohnpfändung
schlechtweg, und damit insbesondere über die Bemessung des Notbedarfes,
überlassen wird.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen und die vom Betreibungsamt Bern 1 am 27.
August 1965 verfügte Lohnpfändung aufgehoben.