Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 III 57



91 III 57

12. Entscheid vom 28. Mai 1965 i.S. Zollinger. Regeste

    Art. 92 Ziffer 5 SchKG.

    Hat der Schuldner bei einem Arrestvollzug die Unpfändbarkeit einer
Forderung geltend gemacht, so hat das Betreibungsamt die Feststellungen,
die eine Beurteilung der Unpfändbarkeit ermöglichen, von Amtes wegen zu
treffen; und zwar auch dann, wenn der Schuldner ungenügende Angaben macht
oder Erklärungen abgibt, die nur indirekt auf einen Unpfändbarkeitsanspruch
schliessen lassen.

Sachverhalt

    A.- Der Gläubiger Dr. Ernst Strehle erwirkte am 18.  November 1964 beim
Einzelrichter des Bezirksgerichtes Zürich einen Arrestbefehl gegen die
Schuldnerin Heidi Zollinger-von Gunten für eine Forderung von Fr. 494.90
nebst Zins. Auf Gesuch des Gläubigers arrestierte das Betreibungsamt
Dietikon am 24. November 1964 ein Guthaben der Arrestschuldnerin aus
Sparheft Nr. A 818520 bei der Zürcher Kantonalbank über Fr. 653.55 bis
zur Deckung der Forderung nebst Kosten.

    Zwischen der Schuldnerin und ihrem Ehemann ist ein Scheidungsprozess
hängig. Sie leben jedoch noch in gemeinsamem Haushalt. Die Schuldnerin
betreut neben zwei eigenen Kindern zwei Pflegekinder und geht einem
Nebenverdienst als Serviertochter nach.

    B.- Mit Beschwerde vom 30. November 1964 beantragte Frau Zollinger
die Freigabe des Sparheftes wegen Unpfändbarkeit nach Art. 92
Ziffer 5 SchKG. Sie machte geltend, Winterkleider für sich und die
Kinder zu benötigen. Das Bezirksgericht Zürich als untere kantonale
Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerde gut und wies mit Entscheid vom
22. Januar 1965 das Betreibungsamt Dietikon an, das arrestierte Sparheft
aus dem Arrestbeschlag zu entlassen. Der Gläubiger zog die Streitsache
mit Erfolg an das Obergericht des Kantons Zürich als obere kantonale
Aufsichtsbehörde weiter; mit Entscheid vom 30. April 1965 wurde die
Beschwerde der Schuldnerin gegen den Arrestvollzug abgewiesen.

    Zur Begründung ihres Urteils führte die obere kantonale
Aufsichtsbehörde aus: Die Schuldnerin wolle gar keinen Anspruch auf
Unpfändbarkeit ihres mit Arrest belegten Sparguthabens im Sinne von
Art. 92 Ziffer 5 SchKG erheben. Nach ihren Darlegungen benötige sie
das Sparguthaben, um auf den Winter hin Kleider für sich und die Kinder
anzuschaffen. Sie behaupte somit nicht, den mit Beschlag belegten Betrag
für den Kauf von Nahrungsmitteln und Heizmaterial zu gebrauchen. Da aus
Art. 92 Ziffer 5 SchKG kein allgemeiner Unpfändbarkeitsanspruch auf eine
begrenzte Barmittelreserve abgeleitet werden könne, sei die Beschwerde
abzuweisen.

    C.- Die Schuldnerin hat Rekurs an das Bundesgericht erhoben und
begehrt nach wie vor, der Arrestvollzug sei aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    Art. 92 Ziffer 5 SchKG erklärt als unpfändbar "die dem Schuldner und
seiner Familie für die zwei auf die Pfändung folgenden Monate notwendigen
Nahrungs- und Feuerungsmittel oder die zu ihrer Anschaffung erforderlichen
Barmittel oder Forderungen". Diese Vorschrift ist bei einem Arrestvollzug
vom Betreibungsbeamten nicht von Amtes wegen anzuwenden (s. BGE 77 III
153 Erw. 4 lit. a). Hat aber der Schuldner - wie im vorliegenden Fall
die Rekurrentin - die Unpfändbarkeit einer Forderung im Sinne von Art. 92
Ziffer 5 SchKG geltend gemacht, so hat das Betreibungsamt, beziehungsweise
die kantonale Aufsichtsbehörde die Feststellungen, die eine Beurteilung
der Unpfändbarkeit ermöglichen, von Amtes wegen zu treffen (s. BGE 77 III
153 Erw. 4 lit. a, 77 III 108, 82 III 106 Erw. 2, 86 III 50 und 89 III 34).

    Das für die Anwendung von Art. 92 SchKG geltende Untersuchungsprinzip
erfordert - wie bei der Pfändung - eine Abklärung auch dann, wenn
der Schuldner ungenügende Angaben macht (vgl. BGE 86 III 50) oder
Erklärungen abgibt, die nur indirekt auf einen Unpfändbarkeitsanspruch
schliessen lassen. So kann es der Rekurrentin nicht schaden, wenn
sie sich mit Schreiben ihres Anwaltes vom 25. November 1964 an das
Betreibungsamt Dietikon darauf beruft, das verarrestierte Sparguthaben
sei unpfändbar, "insbesondere da sie für sich und die Kinder dringend
Anschaffungen für den Winter machen muss". Auslagen für Kleider und
Schuhe bilden in gewissem Umfang Bestandteil des betreibungsrechtlichen
Existenzminimums. Eine Prüfung der Verhältnisse der Rekurrentin
kann nun ergeben, dass sie aus ihren Einkünften wegen besonderer
Kleideranschaffungen nicht auch noch Nahrungs- und Feuerungsmittel für
zwei Monate zu kaufen vermag. Auf diese Möglichkeit hat sie im übrigen
in der Beschwerdeschrift an das Bezirksgericht Zürich vom 30. November
1964 ausdrücklich hingewiesen. Treffen ihre Behauptungen zu, so könnte
sich der Unpfändbarkeitsanspruch nach Art. 92 Ziffer 5 SchKG ganz oder
teilweise als begründet erweisen. Es handelt sich also nicht darum,
der Rekurrentin eine allgemeine Barmittelreserve zu überlassen, sondern,
nachdem der Unpfändbarkeitsanspruch erhoben worden ist, von Amtes wegen die
zur Beurteilung notwendigen tatsächlichen Abklärungen zu treffen. Dabei
sind durch die kantonale Aufsichtsbehörde oder das Betreibungsamt die
in Erwägung 4 des angefochtenen Entscheides erwähnten - und allfällige
weitere - Feststellungen zu treffen. Liegen sie vor, so ist nach den
von der Rechtsprechung aufgestellten Richtlinien (vgl. 77 III 153 f,
insbes. 156/157) die umstrittene Frage zu entscheiden, ob und allenfalls
in welchem Umfang das Sparguthaben von Fr. 653.55 nach Art. 92 Ziffer 5
SchKG unpfändbar ist.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid
aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an
die obere kantonale Aufsichtsbehörde zurückgewiesen wird.