Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 91 III 47



91 III 47

10. Auszug aus dem Entscheid vom 20. April 1965 i.S. Boog. Regeste

    Ordentliche Betreibung gegen eine unter Güterverbindung
stehende Ehefrau mit Zugriffauf das Sondergut und das eingebrachte
Frauengut. Art. 68 bis Abs. 1 SchKG.

    1.  Zuständig ist das Betreibungsamt am Wohnsitz der Schuldnerin,
und zwar auch für die dazutretende Betreibung gegen den Ehemann;

    - dies auch dann, wenn er einen ausserhalb dieses Betreibungskreises
wohnhaften gesetzlichen Vertreter hat. Art. 46 und 47 SchKG. (Erw. 3).

    2.  Nichtige Betreibungshandlungen: Wann ist eine nicht vom zuständigen
Betreibungsamt angeordnete Pfändung nichtig? Art. 13, 46/47 und 53 SchKG.
(Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Eheleute Alois und Marie Boog stehen unter Güterverbindung. Die
Ehefrau ist Vormünderin des wegen Geistesschwäche entmündigten
Ehemannes. Die Vormundschaft wird vom Gemeinderat Ebikon geführt. In der
vom Betreibungsamt Ebikon-Dierikon geführten Betreibung Nr. 13329/63,
welche die Anstalt Solana, Vaduz, gegen Frau Marie Boog für eine Vollschuld
angehoben hat, kann der Ehemann als Mitbetriebener nicht durch die Ehefrau
vertreten sein. Die Vormundschaftsbehörde von Ebikon hat ihm daher in
dieser Angelegenheit einen ausserordentlichen Beistand in der Person des -
in Kriens wohnenden - Hans Boog gegeben.

    B.- Auf Ersuchen des Betreibungsamtes Ebikon-Dierikon pfändete das
Betreibungsamt Luzern-Stadt am 2. Dezember 1964 auf dem Grundbuchamt
Luzern eine dort befindliche Inhaberobligation von Fr. 10'000.-- mit
grundpfändlicher Sicherheit. Die Abschrift der Pfändungsurkunde erhielt
Hans Boog am 14. Januar, und am 25. Januar erhielt er die Mitteilung
des Verwertungsbegehrens.

    C.- Mit einer Beschwerde vom 25. Januar 1965 (Montag) verlangte
Hans Boog im Namen des Alois Boog die Aufhebung der Pfändung und der
Mitteilung des Verwertungsbegehrens, namentlich weil ihm die Pfändung
nicht angekündigt worden sei. Er richtete diese Beschwerde gegen das
Betreibungsamt Ebikon-Dierikon und reichte sie dementsprechend beim
Amtsgerichtspräsidenten von Luzern-Land in Kriens ein.

    In gleicher Weise beschwerte er sich am 4. Februar 1965 nochmals
über die Mitteilung des Verwertungsbegehrens und verlangte zugleich die
Einstellung des Verwertungsverfahrens.

    D.- Mit Entscheiden vom 8. und 10. Februar 1965 wies die untere
Aufsichtsbehörde die beiden Beschwerden ab. Sie bezeichnete die gegen
den Pfändungsvollzug, insbesondere wegen unterbliebener Ankündigung,
erhobene Beschwerde als unwirksam, weil sie nicht gegen das mit dieser
Requisitorialpfändung befasste Amt gerichtet worden sei.

    E.- Hans Boog rekurrierte an die obere kantonale Aufsichtsbehörde. Er
machte geltend, die Betreibung hätte nur durch das Betreibungsamt Kriens,
seines Wohnortes, in gültiger Weise fortgesetzt werden können.

    F.- Die obere Aufsichtsbehörde des Kantons Luzern hat mit Entscheid
vom 11. März 1965 den Rekurs abgewiesen.

    G.- Gegen diesen Entscheid hat Hans Boog im Namen des Alois
Boog an das Bundesgericht rekurriert, namentlich mit dem Antrag,
sämtliche Betreibungshandlungen des Betreibungsamtes Ebikon-Dierikon in
Betr.Nr. 13329/63 seit 16. Jan. 1964 seien als nichtig festzustellen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Mit dem Einwand, das Betreibungsamt Ebikon-Dierikon sei zur
Fortsetzung der Betreibung nicht zuständig gewesen, und es seien daher
alle seit dem 16. Januar 1964 (d.h. seit Ernennung des in Kriens wohnenden
Beistandes des Ehemannes der Schuldnerin) erfolgten Betreibungshandlungen
"als nichtig festzustellen", macht der Rekurrent einen nach seiner Ansicht
von Amtes wegen auch nach Ablauf der Beschwerdefrist zu beachtenden
Ungültigkeitsgrund geltend. In der Tat gilt nach der Rechtsprechung eine
nicht vom zuständigen Betreibungsamt des schweizerischen Wohnsitzes
des Schuldners angeordnete Pfändung als nichtig. Das hat seinen Grund
darin, dass - im Unterschied zur Zustellung des Zahlungsbefehls, welche
nur die an der Betreibung unmittelbar beteiligten Personen berührt und
daher, auch wenn sie von einem unzuständigen Betreibungsamt ausgeht,
nach unbenutztem Ablauf der Beschwerdefrist rechtskräftig wird - die
Fortsetzung der Betreibung auf Pfändung auch Interessen Dritter betrifft,
nämlich allfälliger weiterer Gläubiger, die sich der Pfändung gemäss
Art. 110 oder 111 SchKG anschliessen können (vgl. BGE 88 III 10/11
Erw. 3). Solche Dritte haben Anspruch darauf, sich beim zuständigen
Betreibungsamt nach dem Bestehen einer Pfändung erkundigen zu können,
und anderseits ist in der Regel auch nur das zuständige Betreibungsamt in
der Lage, die sich aus Art. 110 und 111 SchKG ergebenden Teilnahmerechte
in gehöriger Weise zu berücksichtigen. Die gleiche Bedeutung, wie sie dem
schweizerischen Wohnsitz eines handlungsfähigen Schuldners zukommt, ist
bei gesetzlicher Vertretung des Schuldners dem Wohnsitz des gesetzlichen
Vertreters beizumessen; denn dieser Wohnsitz bestimmt nach Art. 47 Abs. 1
SchKG den Betreibungsort (was mit Art. 25 Abs. 1 ZGB nicht im Einklange
steht, aber als Spezialregel zu betrachten ist; vgl. FAVRE, For de la
poursuite, Fiches jur. suisses no 492, II F 2 A).

    Das Gesagte gibt jedoch für den vorliegenden Fall keine Lösung. Alois
Boog hat seinen Wohnsitz, gleichgültig wo er sich meistens aufhält,
am Sitz der die Vormundschaft über ihn nach wie vor führenden
Vormundschaftsbehörde, also in Ebikon (Art. 25 Abs. 1 ZGB; BGE 34 I
297, 39 I 608, 59 I 211, 86 II 289). Dort hat auch sein ordentlicher
gesetzlicher Vertreter, die als Vormund ernannte Ehefrau, nach der
nämlichen Gesetzesbestimmung ihren Wohnsitz, und es befindet sich daher
der ordentliche Betreibungsort des Alois Boog ebenfalls in Ebikon. Der
im Rekurs an das Bundesgericht erhobene - weil neu, von vornherein nach
Art. 79 OG nicht zu berücksichtigende - Einwand, Frau Boog habe bereits
im November 1964 in Küssnacht eine Niederlassungsbewilligung gehabt,
geht fehl. Denn abgesehen davon, dass der Ort, wo die Ausweisschriften
hinterlegt sind, für die Bestimmung des Wohnsitzes nicht entscheidend ist
(BGE 88 III 139), hat Frau Boog nach Art. 25 Abs. 1 ZGB eben einen von
demjenigen des Ehemannes abgeleiteten Wohnsitz, der sich, wie soeben
dargetan, in Ebikon befindet.

    Für die vorliegende Betreibung ist nun freilich dem Ehemann der
Schuldnerin wegen der bestehenden Interessenkollision - ungeschickterweise
- ein nicht in Ebikon wohnender ausserordentlicher Beistand ernannt
worden. Die Betreibung Nr. 13329/63 von Ebikon-Dierikon wäre daher in
der Tat nach Kriens zu übertragen, wenn der Wohnsitz des gegenwärtigen
gesetzlichen Vertreters des Ehemannes den Betreibungsort zu bestimmen
hätte. Das läge im Sinn der früheren Rechtsprechung, wonach bei der
Vollgutbetreibung der Ehemann als gesetzlicher Vertreter der Ehefrau
galt: eine solche Betreibung war daher am Wohnsitz des Ehemannes (somit
allenfalls seines gesetzlichen Vertreters) zu führen, und es waren die
Betreibungsurkunden ihm (bezw. seinem gesetzlichen Vertreter) allein
zuzustellen (BGE 41 III 274 ff.). Nun hat aber Art. 68 bis Abs. 1
SchKG eine grundlegende Änderung gebracht. Danach ist der Ehefrau
in der Vollgutbetreibung ebenfalls ein Zahlungsbefehl zuzustellen
(und gleich verhält es sich mit den im Lauf einer solchen Betreibung
ergehenden weiteren Betreibungsurkunden und sonstigen Massnahmen des
Betreibungsamtes). Damit hat die Ehefrau als Schuldnerin eine selbständige
Stellung in der Betreibung erhalten. Sie kann die Rechte des betriebenen
Schuldners (Rechtsvorschlag, Beschwerde, Bestreitung von Drittansprüchen
usw.) aus eigenem Entschluss, ohne Mitwirkung oder Zustimmung des
Ehemannes, ausüben. Und zwar ist sie als Schuldnerin die Hauptbetriebene,
während der Ehemann lediglich mitzubetreiben ist, um zum Schutze seiner
Nutzungsrechte am eingebrachten Frauengut die dazu geeigneten Vorkehren
treffen und sich ebenfalls gegen die Betreibungsakte wehren zu können
(vgl. BGE 64 III 98 ff.). In der neueren Literatur wird daher mit Recht
angenommen, die Vollgutbetreibung sei am Betreibungsorte der Ehefrau zu
führen; die akzessorische Betreibung gegen den Ehemann gehöre ebenfalls
an diesen Ort, selbst dann, wenn die Ehefrau einen selbständigen Wohnsitz
hat und daher dort zu betreiben ist (so STAUFFER, N. 49-51 zu Art. 15
der Schluss- und Übergangsbestimmungen des OR; PANCHAUD, im Journal des
Tribunaux 1937 II Poursuite p. 104; LEMP, N. 58 zu Art. 207 ZGB). Das
muss um so mehr gelten, wenn die Ehegatten, wie hier, den gleichen
Wohnsitz und ordentlichen Betreibungsort haben und der Ehemann nur für
die Vollgutbetreibung einen ausserordentlichen gesetzlichen Vertreter
bekommen hat, der zufällig nicht am selben Orte wohnt.

Erwägung 4

    4.- Wäre übrigens Kriens als Betreibungsort des Ehemannes für die
vorliegende Betreibung zu betrachten, so könnte diesem Orte nicht die ihm
vom Rekurrenten beigemessene wichtige Bedeutung zukommen. Einmal hätte
dieser Betreibungsort nicht etwa auch für die Ehefrau zu gelten. Deren an
ihrem Wohnsitz Ebikon befindlicher Betreibungsort bliebe dadurch unberührt,
und es hätten daher in jedem Stadium der Betreibung zwei Betreibungsämter
nebeneinander zu handeln: dasjenige von Ebikon-Dierikon würde die
Hauptbetreibung gegen die Ehefrau weiterführen, während die Nebenbetreibung
gegen den Ehemann auf das Betreibungsamt Kriens überginge. Dabei wäre die
Nichtbeachtung des letzteren Betreibungsortes nicht als Nichtigkeitsgrund
zu betrachten. Denn der Grund, aus welchem die Rechtsprechung eine
nicht vom zuständigen Betreibungsamt des schweizerischen Wohnsitzes des
Schuldners angeordnete Pfändung als nichtig erachtet (Erw. 3 am Anfang),
trifft hier nicht zu. Andere Gläubiger der Frau Boog, die sich nach
allfälligen gegen diese laufenden Betreibungen erkundigen wollten, hatten
alle Veranlassung, sich an das Betreibungsamt des ehelichen Wohnsitzes
Ebikon zu wenden. Dieses Amt ist dasjenige, bei dem sich Dritte müssen
Auskunft verschaffen können (vgl. SCHWANDER, Nichtige Betreibungshandlungen
in BlSchK 1954 S. 9). Die zentrale Bedeutung dieses Wohnsitzes ergibt
sich auch daraus, dass, wie bemerkt, auch der Ehemann - als Schuldner -
dort zu betreiben wäre.

    Dritte lassen es sich kaum einfallen, sich bei einem
andern Betreibungsamte zu erkundigen (vgl. IMBODEN, Nichtige
Betreibungshandlungen, in BlSchK 1944 S. 135). Sollte aber jemand beim
Betreibungsamt Kriens anfragen, so wäre ihm zuzumuten, auch noch beim
Betreibungsamt Ebikon-Dierikon nachzufragen.

    ...

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Soweit auf den Rekurs einzutreten ist, wird er abgewiesen.