Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 I 51



90 I 51

8. Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Januar 1964 i.S. Buban und
N. V. Motorenfabriek Thomassen gegen Eidgen. Amt für geistiges Eigentum.
Regeste

    Wiedereinsetzung in den früheren Stand, Art. 47 PatG.

    Ein Verschulden des vom Patentbewerber beigezogenen Patentanwalts
und seiner Hilfspersonen ist in analoger Anwendung von Art. 101 Abs. 1
OR dem Patentbewerber anzurechnen (Erw. 1, 2 a).

    Art. 101 Abs. 2 OR ist auf das Verhältnis des Patentbewerbers zum
Amt nicht analog anwendbar (Erw. 2 b).

    Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Patentanwalts bei der
Überwachung seines Personals (Erw. 4).

    Verstoss gegen die Rechtsgleichheit? (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Am 29. Mai 1963 reichte Patentanwalt X als Vertreter von E. Buban
in München und der holländischen Firma N.V.Motorenfabriek Thomassen dem
Eidgen. Amt für geistiges Eigentum ein Patentgesuch ein, für das die
Priorität einer holländischen Erstanmeldung vom 25. Mai 1962 beansprucht
wurde. Da die Prioritätsfrist gemäss Art. 17 PatG und Art. 3 Abs. 3 PatV I
bereits am 27. Mai 1963 abgelaufen war, stellte Patentanwalt X gleichzeitig
das Gesuch um Wiedereinsetzung in den früheren Stand gemäss Art. 47 PatG.

    Zur Begründung brachte er vor, er habe den am 9. Mai 1963 erhaltenen
Auftrag zur Einreichung des Patentgesuches noch am gleichen Tage bearbeitet
und seiner Sekretärin übergeben mit der Weisung, das Gesuch nach sofortiger
Ergänzung der Unterlagen dem Amt einzureichen. Infolge eines durch schwere
Schicksalsschläge verursachten Zustandes psychischer und physischer
Erschöpfung habe diese sonst zuverlässige Angestellte vergessen, den ihr
übergebenen Auftrag auszuführen, was er erst am 29. Mai 1963 entdeckt habe.

    B.- Das Amt hat mit Verfügung vom 29. Oktober 1963 das
Wiedereinsetzungsgesuch abgelehnt.

    C.- Gegen diese Verfügung hat Patentanwalt X namens der Patentbewerber
beim Bundesgericht die vorliegende verwaltungsgerichtliche Beschwerde
erhoben mit dem Begehren auf Gutheissung des Wiedereinsetzungsgesuches.

    D.- Das Amt beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

               Das Bundesgericht zieht in Erwägung

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 47 Abs. 1 PatG kann einem Patentbewerber Wiedereinsetzung
in den früheren Stand gewährt werden, wenn er glaubhaft zu machen vermag,
dass er ohne sein Verschulden an der Einhaltung einer durch das Gesetz oder
die Vollziehungsverordnung vorgeschriebenen oder durch das Amt angesetzten
Frist verhindert wurde. Bei der Prüfung der Frage, ob Schuldlosigkeit
im Sinne dieser Bestimmung vorliege, ist nach der Rechtsprechung (BGE
87 I 219 ff.) dem Gesuchsteller in analoger Anwendung von Art. 101 OR
ein Verschulden seiner Hilfspersonen, wie z.B. des von ihm beigezogenen
Patentanwalts, wie auch ein Verschulden von Angestellten und anderen
Hilfspersonen desselben, ebenfalls anzurechnen.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführer erblicken in der Heranziehung von Art. 101 OR
zur Ergänzung bezw. Auslegung des Art. 47 PatG eine unrichtige Anwendung
von Bundesrecht.

    a) Sie weisen einmal darauf hin, dass Art. 101 OR nicht bestimme,
der Beauftragte müsse sich die von seinem Angestellten begangenen Fehler
in jeder Hinsicht anrechnen lassen; Art. 101 OR regle vielmehr nur die
vermögensrechtliche Seite der Haftung für solche Fehler.

    Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Der Ordnung von Art. 101 OR
liegt, wie in BGE 87 I 220 dargelegt wurde, der Gedanke zu Grunde, wer
zur Erfüllung von Pflichten oder zur Ausübung von Rechten Hilfspersonen
beiziehe, statt selber zu handeln, habe auch die Folgen fehlerhaften
Verhaltens solcher Hilfspersonen auf sich zu nehmen. Dieser Grundgedanke
trifft auch dort zu, wo die Folgen nicht in einer Schadenersatzpflicht
des Dienstherrn (hier also des Patentbewerbers) bestehen, sondern in
einem Rechtsnachteil anderer Art, den er infolge der Beiziehung von
Hilfspersonen erleidet, wie z.B. im Verluste eines Rechtes wegen nicht
fristgerechter Ausübung.

    b) Die Beschwerdeführer haben gegen die Heranziehung von Art. 101 OR
ferner Bedenken wegen der Auswirkungen, die eine Wegbedingung der Haftung
für Versehen von Angestellten, wozu ein Patentanwalt nach Art. 101 Abs. 2
OR berechtigt wäre, auf Art. 47 PatG hätte; es wäre ihres Erachtens nicht
gerecht, das gleiche Versehen verschieden zu beurteilen, je nachdem ob
die Haftung nach Art. 101 OR wegbedungen wurde oder nicht.

    Wie aus dieser Begründung ersichtlich ist, hat die Beschwerde
dabei das Auftragsverhältnis zwischen dem Patentbewerber und dem von
ihm beigezogenen Patentanwalt im Auge. Denn nur bei dessen Gestaltung
besteht für den Patentanwalt die Möglichkeit, seine Haftung für Fehler
seiner Angestellten gemäss Art. 101 Abs. 2 OR dem Auftraggeber gegenüber
wegzubedingen. Art. 47 PatG jedoch betrifft ausschliesslich die Beziehungen
zwischen dem Patentbewerber und dem Amt. Für dieses Rechtsverhältnis ist
eine analoge Heranziehung von Abs. 2 des Art. 101 OR, im Gegensatz zu
dessen Abs. 1, von vorneherein nicht denkbar. Denn es handelt sich dabei
nicht um ein Vertragsverhältnis, bei dem der Patentbewerber das Einstehen
für die von ihm beigezogenen Hilfspersonen (d.h. für den Patentanwalt
und dessen Personal) dem Amt gegenüber wegbedingen könnte.

    Ein im Sinne der Ausführungen der Beschwerde zwischen
dem Patentbewerber und dem Patentanwalt vereinbarter Ausschluss der
Haftung des letztern für sein Personal wäre auf die Rechtsstellung des
Patentbewerbers dem Amt gegenüber ohne jeden Einfluss und würde somit
nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung ein und desselben Versehens
eines Angestellten des Patentanwalts durch das Amt führen, wie die
Beschwerdeführer irrtümlich annehmen.

    Es besteht daher kein Anlass, von der durch BGE 87 I 219
ff. begründeten Rechtsprechung abzuweichen.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführer werfen dem Amt vor, die Begründung des
angefochtenen Entscheides sei "eigenartig widersprüchlich", weil es
einerseits das Vorliegen von Exkulpationsgründen verneine, aber anderseits
annehme, es lasse sich zur Not entschuldigen, dass die Sekretärin in
ihrem Krankheitszustand den ihr erteilten Auftrag vergessen habe.

    Diese Rüge geht an der Sache vorbei. Wie aus der Begründung
des angefochtenen Entscheides klar ersichtlich ist, hat das Amt die
Wiedereinsetzung nicht wegen Unentschuldbarkeit des der Sekretärin
unterlaufenen Fehlers verweigert, sondern weil Patentanwalt X die
Erledigung des seiner Angestellten erteilten Auftrages nicht mit der
gebotenen Sorgfalt überwacht habe.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, das Amt stelle zu strenge
Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Patentanwalts. Dieser sei nicht
verpflichtet gewesen, die Erledigung des seiner Sekretärin erteilten
Auftrags persönlich zu überwachen. Er habe sich darauf verlassen dürfen,
dass diese sonst zuverlässige Angestellte den ihr erteilten, ausdrücklich
als dringlich bezeichneten Auftrag auch ausführen werde. Die Überwachung
von Fristen sei eine administrative Arbeit, von der ein Patentanwalt sich
zugunsten der eigentlich technischen und patentrechtlichen Arbeiten müsse
entlasten können.

    Dieser Betrachtungsweise kann nicht beigepflichtet werden. Patentanwalt
X musste die Möglichkeit erwägen und berücksichtigen, dass seine
Sekretärin trotz ihrer Zuverlässigkeit aus irgendwelchen Gründen -
Krankheit oder menschliches Versagen - verhindert sein könnte, das ihr
übergebene Gesuch innert der zum grössten Teil bereits abgelaufenen Frist
an das Amt weiterzuleiten. Dieser Gefahr hatte Patentanwalt X, der sich
berufsmässig mit der Ausführung solcher fristgebundener Aufträge befasst,
durch eine geeignete Fristenkontrolle zu begegnen. Er wäre daher nach
den zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Entscheides mindestens
verpflichtet gewesen, die Prioritätsfrist zu notieren und sich spätestens
am letzten Tage derselben durch eine Befragung der Sekretärin über die
Einreichung des Patentgesuches zu vergewissern. Die Unterlassung jeglicher
rechtzeitiger Kontrollmassnahme gereicht ihm zum Verschulden.

Erwägung 5

    5.- Die Beschwerde wirft schliesslich dem Amt Willkür im Sinne von
Art. 4 BV vor, weil es das in Frage stehende "Büro-Versehen" wesentlich
strenger beurteilt habe als ähnliche Versehen in früheren, in den Jahren
1957/58 entschiedenen Fällen.

    Diese Rüge ist offensichtlich haltlos. Die Entscheidung des Amtes
steht, wie oben dargelegt wurde, mit den massgebenden Gesetzesvorschriften
in Einklang. Sie kann deshalb nicht willkürlich sein. Ob das Amt in
früheren Fällen Art. 47 PatG für den Gesuchsteller günstiger ausgelegt
und angewendet hat, ist unerheblich. Es kann einer Behörde nicht verwehrt
sein, eine Praxis aufzugeben, die sie in der Folge aus stichhaltigen
Gründen als unzutreffend erkennt.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.