Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 I 41



90 I 41

6. Urteil vom 25. März 1964 i.S. Jakob Wildi-Stiftung und Mitbeteiligte
gegen Stadtrat von Luzern und Regierungsrat des Kantons Luzern. Regeste

    Stiftungen. Wann ist die Aufsichtsbehörde zur Prozessführung namens
der Stiftung befugt? (Erw. 1).

    Steuerbefreiung wegen Gemeinnützigkeit. Willkür. Verletzung eines
interkantonalen Konkordates.

    Anwendung der kantonalen Bestimmungen über Steuerbefreiung nur auf
Institutionen, die sich im Kanton gemeinnützig betätigen, oder auch auf
ausserkantonale Institutionen? (Erw. 2).

    Auslegung einer interkantonalen Gegenrechtsvereinbarung über die
Steuerfreiheit von Vermögenszuwendungen an Gemeinwesen und private
Institutionen des andern Kantons (Erw. 3).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Nach dem luzernischen Gesetz betreffend die Erbschaftssteuern
vom 27. Mai 1908 (EStG) wird von den "im Kanton Luzern fallenden
Erbschaften" eine Erbschaftssteuer erhoben (§ 1). Der Steuersatz ist
nach dem Verwandtschaftsgrad zwischen dem Erblasser und den Erben oder
Bedachten abgestuft und beträgt für Nichtverwandte 20% (§ 3). Wenn einzelne
Erben mehr als Fr. 10'000.-- erhalten, wird ein Zuschlag bis zu 100%
des Steuerbetrages gemacht (§ 5). Ferner bestimmt § 11:

    "Von der Entrichtung der Erbschaftssteuer sind befreit:

    a) Vermächtnisse und Schenkungen zu öffentlichen, gemeinnützigen,
kirchlichen und Armenzwecken;

    Am 13. April/1. Mai 1931 tauschten die Kantone Luzern und Aargau
folgende Gegenrechtserklärung aus:

    "Die Regierungsräte der Kantone Aargau und Luzern erklären sich
gegenseitig damit einverstanden, dass Vermögenszuwendungen durch
letztwillige Verfügungen und Schenkungen von Einwohnern des einen
Kantons zugunsten nachgenannter öffentlicher Gemeinwesen und privater
Institutionen des andern Kantons und im nachbezeichneten Umfange am
Wohnorte des Erblassers oder Schenkgebers von der Erbschaftssteuer oder
entsprechenden Abgaben befreit sein sollen:

    I. Gänzliche Steuerfreiheit:

    1. an den Kanton;

    2. an die Einwohner-, Ortsbürger- und Kirchgemeinden, soweit es sich
um allgemeine Wohlfahrts-, Bildungs- und Kultuszwecke handelt;

    3. an die staatlich unterstützten wohltätigen Anstalten mit Sitz im
andern Kanton;

    II. Steuerfreiheit für einen Betrag von Fr. 10'000.--:

    1. an die Einwohner-, Ortsbürger- und Kirchgemeinden, soweit nicht
gänzliche Steuerfreiheit besteht;

    2. an die staatlich anerkannten Landeskirchen;

    3. an gemeinnützige und wohltätige Institutionen mit Sitz im andern
Kanton."

    B.- Der am 24. Februar 1963 an seinem Wohnort Luzern verstorbene
Jakob Wildi hat durch letztwillige Verfügung vom 1. August 1948 eine
Jakob-Wildi-Stiftung errichtet und ihr ein Kapital von Fr. 300'000. -
gewidmet. Vom jährlichen Ertrag dieses Kapitals sollen Fr. 500, - zur
Äufnung desselben verwendet und Fr. 8100. - verteilt werden, und zwar für
(im einzeln genannte) gemeinnützige und wohltätige Zwecke in der Gemeinde
Suhr (Kt. Aargau) insgesamt Fr. 7200.-- und ausserhalb von Suhr Fr. 900, -.

    Das Teilungsamt der Stadt Luzern veranlagte die Jakob-Wildi-Stiftung
am 11. September 1963 zu einer Erbschaftssteuer von Fr. 98'600.--,
indem es vom Stiftungsvermögen von Fr. 300'000. - gemäss Ziff. II/3 der
Gegenrechtsvereinbarung den Betrag von Fr. 10'000.-- als steuerfrei abzog,
die Grundsteuer auf den verbleibendenFr. 290'000. - gemäss § 3 EStG auf 20%
= Fr. 58'000.-- festsetzte und gemäss § 5 EStG einen Progressionszuschlag
von 70% = Fr. 40'600. - machte.

    Gegen diese vom Stadtrat von Luzern am 10. Oktober 1963 bestätigte
Veranlagung rekurrierte der Gemeinderat Suhr als Aufsichtsbehörde
über die Stiftung sowie als Vertreter der Einwohnergemeinde Suhr an
den Regierungsrat des Kantons Luzern. Zur Begründung machte er geltend,
dass die Steuerbefreiung des § 11 lit. a EStG auch für Zuwendungen gelte,
die an Institutionen ausserhalb des Kantons Luzern fallen; eventuell sei
die vorliegende Zuwendung gemäss Ziff. I/2 der Gegenrechtsvereinbarung
steuerfrei, da der Ertrag der Stiftung "zugunsten" der Gemeinde Suhr zu
verwenden sei.

    Der Regierungsrat wies den Rekurs mit Entscheid vom 18. November
1963 ab.

    C.- Gegen diesen Entscheid haben der Gemeinderat Suhr, die
Einwohnergemeinde Suhr und die Jakob-Wildi-Stiftung staatsrechtliche
Beschwerde erhoben mit dem Antrag, ihn wegen Verletzung des Art. 4 BV
aufzuheben.

    D.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern und der Stadtrat von Luzern
beantragen Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach § 10 Abs. 1 EStG ist die Erbschaftssteuer vom Nachlass
zu beziehen und den Erben oder Bedachten bei der Teilung in Anrechnung
zu bringen. Die Erbschaftssteuer von Fr. 98'600. -, welche der Kanton
Luzern auf den der Jakob-Wildi-Stiftung testamentarisch zugewendeten
Fr. 300'000.-- erheben will, belastet demnach die Stiftung. Diese war daher
befugt, gegen die vom Stadtrat von Luzern am 10. Oktober 1963 bestätigte
Veranlagung an den Regierungsrat zu rekurrieren. In diesem Zeitpunkt
waren indes die Stiftungsorgane noch nicht bestellt, weshalb der Rekurs
vom Gemeinderat Suhr in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde über die
Stiftung (§ 36 aarg. EG/ZGB) eingereicht wurde. Hiezu war der Gemeinderat
berechtigt. Wenn die Aufsichtsbehörde, wie in BGE 83 III 149 Erw. 2
ausgeführt ist, Massnahmen zum Schutze des Stiftungsvermögens treffen
und zu diesem Zwecke die Stiftung im Prozess vertreten darf, sofern die
Stiftungsorgane untätig bleiben, so muss sie zu solcher Vertretung erst
recht befugt sein, wenn die Stiftung noch gar keine Organe besitzt. Die
Organe der Jakob-Wildi-Stiftung sind dann in der Folge ernannt worden und
haben gegen den inzwischen ergangenen Rekursentscheid des Regierungsrates
vom 18. November 1963 staatsrechtliche Beschwerde erhoben, wozu sie,
wie nicht streitig ist, berechtigt waren. Ob auch der Gemeinderat Suhr,
der daneben als Beschwerdeführer auftritt, hiezu als Aufsichtsbehörde
noch legitimiert war, nachdem die Organe der Stiftung bestellt worden sind
und für sie Beschwerde erhoben haben, erscheint dagegen als zweifelhaft,
kann jedoch dahingestellt bleiben, da jedenfalls auf die Beschwerde der
Stiftung einzutreten ist. Aus dem gleichen Grunde kann offen bleiben,
ob die Einwohnergemeinde Suhr als Destinatärin der Stiftung legitimiert
ist, gegen die Veranlagung zu der von der Stiftung zu entrichtenden
Erbschaftssteuer staatsrechtliche Beschwerde zu erheben.

Erwägung 2

    2.- Mit der Beschwerde wird in erster Linie geltend gemacht, dass
der angefochtene Entscheid Art. 4 BV verletze, weil die vom Regierungsrat
vertretene Auslegung von § 11 lit. a EStG gegen den klaren Wortlaut und
Sinn dieser Bestimmung verstosse und überdies auf eine rechtsungleiche
Behandlung hinauslaufe.

    Während die Steuergesetze verschiedener Kantone gemeinnützige
Institutionen und Zuwendungen an diese ausdrücklich nur dann steuerfrei
lassen, wenn die Institution ihren Sitz im Kanton hat oder doch ihren Zweck
im Kanton erfüllt, kennen die Gesetze anderer Kantone diese Beschränkung
nicht. Zu diesen gehört auch das luzernische EStG, das in § 11 lit. a ohne
Einschränkung bestimmt, dass Vermächtnisse und Schenkungen zu öffentlichen,
gemeinnützigen, kirchlichen und Armenzwecken von der Entrichtung der
Erbschaftssteuer befreit sind. Das Bundesgericht hat indessen von jeher
sowohl für diese Bestimmung (BGE 46 I 388 ff., nicht veröffentlichte
Urteile vom 19. Mai 1923 i.S. Schulfonds Kirchberg c. Luzern und vom
4. November 1948 i.S. Allg. Musikgesellschaft Basel c. Luzern) als auch
für entsprechende Vorschriften anderer Kantone (BGE 28 I 315, 50 I 3,
nicht veröffentlichtes Urteil vom 18. Januar 1950 i.S. Salzburgerstiftung
c. Zürich) entschieden, dass es aus dem Gesichtswinkel des Art. 4 BV
nicht zu beanstanden sei, wenn die Steuerbefreiung auf Grund solcher
Vorschriften nur dann gewährt werde, wenn die gemeinnützige Institution
ihre Tätigkeit ganz oder zu einem angemessenen Teil zugunsten der
Angehörigen des betreffenden Kantons ausübe; denn der Grund für den
Verzicht auf die Besteuerung könne darin erblickt werden, dass derartige
Wohlfahrtseinrichtungen den Kanton und seine Gemeinden bei der Erfüllung
einer öffentlichen Aufgabe unterstützen und entlasten. Diese Erwägung wird
durch die Beschwerde nicht widerlegt. Sie behauptet zwar, die Verhältnisse
hätten sich seit dem Urteil BGE 28 I 313 ff. wesentlich geändert, indem
der Bevölkerungszuzug und -wegzug von einem Kanton zum andern erheblich
zugenommen habe und die Kantone Luzern und Aargau dem interkantonalen
Konkordat über die wohnörtliche Unterstützung vom 16. Juni 1937 (BS 8
S. 708) beigetreten seien. Wieso dies für die Auslegung von § 11 lit. a
EStG von Bedeutung sein soll, ist indes nicht einzusehen. Wenn heute in
den meisten Kantonen mehr Angehörige anderer Kantone wohnen als früher,
so ändert dies, eben wegen des Beitritts der Kantone zu jenem Konkordat,
wenig am Umfange ihrer Armenlasten, da sie nun anstelle der in andern
Kantonen wohnhaften eigenen Angehörigen die in ihrem Gebiet ansässigen
Angehörigen der andern Konkordatskantone zu unterstützen haben. Sie haben
daher weiterhin ein Interesse daran, vor allem diejenigen gemeinnützigen
Institutionen steuerlich zu begünstigen, die sich auf ihrem Gebiete
betätigen und damit den Kanton und seine Gemeinden bei der Erfüllung
öffentlicher Aufgaben unterstützen und entlasten.

Erwägung 3

    3.- Für den Fall, dass die im angefochtenen Entscheid vertretene
Auslegung von § 11 lit. a EStG haltbar sein sollte, macht die Beschwerde
geltend, dass die Zuwendung an die Jakob-Wildi-Stiftung gemäss
Ziff. I/2 der zwischen den Kantonen Luzern und Aargau abgeschlossenen
Gegenrechtsvereinbarung vom 13. April/1. Mai 1931 von der Erbschaftssteuer
befreit und die gegenteilige Auffassung des Regierungsrates willkürlich
sei.

    a) Durch die Gegenrechtsvereinbarung haben sich die beiden
Kantone verpflichtet, unter bestimmten Voraussetzungen auf die ihnen
gegenüber den Angehörigen des andern Kantons zustehende Steuerhoheit zu
verzichten. Derartige Abmachungen der Kantone über die Ausübung bzw.
Nichtausübung staatlicher Befugnisse, sogenannte Verkommnisse oder
Konkordate, sind gemäss Art. 7 Abs. 2 BV zulässig, wenn sie, wie das
hier der Fall ist, nichts dem Bunde oder den Rechten anderer Kantone
Zuwiderlaufendes enthalten. Sie bedürfen der Genehmigung des Bundes,
sind aber auch ohne diese wirksam (BGE 54 I 333/34).

    b) Der Regierungsrat nimmt an, die testamentarische Zuwendung von
Fr. 300'000.-- an die Jakob-Wildi-Stiftung falle unter Ziff. II/3 des
Konkordates und sei daher nur für den Betrag von Fr. 10'000.-- von der
Erbschaftssteuer befreit. Das Bundesgericht kann diese Auslegung des
Konkordates frei und nicht nur, wie die Beschwerdeführer anzunehmen
scheinen, unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüfen
(BGE 54 I 148). Sie ist jedoch auch bei freier Prüfung nicht zu
beanstanden. Nach dem Konkordat ist für den Entscheid darüber, ob
und wieweit eine durch letztwillige Verfügung oder durch Schenkung
erfolgte Vermögenszuwendung steuerfrei sei, die Person des Empfängers
massgebend. Dass es dabei auf den unmittelbaren Empfänger ankommt,
ist daraus zu schliessen, dass die Ziff. I und II des Konkordates von
Vermögenszuwendungen "an" den Kanton, die Gemeinden usw. sprechen. Für
diese Auffassung spricht auch der Umstand, dass der Wortlaut des
Konkordates offensichtlich an das aarg. EStG vom 16. Februar 1922
anschliesst, das den Zuwendungsempfänger als steuerpflichtig behandelt
und die in Ziff. I und II des Konkordates (= § 3 Ziff. 2-4 und § 4 Ziff. 6
aarg. EStG) aufgeführten Zuwendungsempfänger ganz bzw. für den Betrag von
Fr. 10'000.-- von der Steuer befreit. Die Berufung der Beschwerdeführer
auf den im Ingress des Abkommens verwendeten Ausdruck "zugunsten" ist
unbehelflich, da auch dieser auf den durch die Zuwendung Begünstigten
und damit auf den unmittelbaren Empfänger derselben hinweist. In diesem
Sinne erscheint die im Konkordat enthaltene Regelung als durchaus klar
und eindeutig. Selbst wenn dies aber nicht der Fall und ein Zweifel
möglich wäre, so könnte der in der Beschwerde vertretenen Auslegung nicht
beigepflichtet werden. Gleich wie bei Staatsverträgen, hat sich auch bei
Konkordaten die Auslegung möglichst an den Wortlaut zu halten und kommt
eine über diesen hinausgehende, ausdehnende Auslegung einer Bestimmung
nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte
derselben mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut abweichende, darin
versehentlich ungenau zum Ausdruck gebrachte Willensmeinung der
Vertragsstaaten zu schliessen ist (vgl. BGE 44 I 78, 77 I 48). Diese
Zurückhaltung muss für die Auslegung des vorliegenden Gegenrechtsabkommens
schon deshalb gelten, weil die beiden beteiligten Kantone damit auf die
Ausübung ihrer Steuerhoheit verzichtet haben und ein solcher Verzicht, wie
überhaupt eine staatsvertragliche Ausnahme von der sonst geltenden Ordnung,
nicht ausdehnend, sondern einschränkend auszulegen ist (vgl. VISSCHER,
Problèmes d'interprétation judiciaire en droit international public, 1963,
S. 91). Dass die im Konkordat verwendeten Ausdrücke "an" und "zugunsten"
einen andern Sinn hätten als im gewöhnlichen Sprachgebrauch, könnte daher
nur angenommen werden, wenn besondere Anhaltspunkte hiefür bestünden,
was jedoch nicht der Fall ist.

    Ist aber davon auszugehen, dass die Steuerbefreiung und ihr Umfang
nach dem Konkordat von der Person des unmittelbaren Empfängers der
Vermögenszuwendung abhängen, so kann es nicht zweifelhaft sein, dass der
angefochtene Entscheid dem Konkordat entspricht. Unmittelbarer Empfänger
der testamentarischen Zuwendung ist nicht die Gemeinde Suhr, sondern die
durch das Testament errichtete Jakob-Wildi-Stiftung. Stiftungen werden
zwar im Abkommen nicht ausdrücklich erwähnt, fallen aber offenbar unter den
weiteren Begriff der "Anstalten" und "Institutionen" im Sinne von Ziff. I/3
und II/3. Die Zuwendung von Fr. 300'000.-- an die Jakob-Wildi-Stiftung
wäre somit nur dann gänzlich von der luzernischen Erbschaftssteuer befreit,
wenn diese Stiftung eine "staatlich unterstützte wohltätige Anstalt" wäre,
was jedoch nicht behauptet wird und offenbar auch nicht zutrifft. Dagegen
fällt sie als "gemeinnützige und wohltätige Institution" unter Ziff. II/3
des Abkommens, weshalb die genannte Zuwendung, wie der Regierungsrat
zutreffend angenommen hat, nur für den Betrag von Fr. 10'000.-- von der
Steuer befreit ist.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.