Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 I 315



90 I 315

48. Urteil vom 13. November 1964 i.S. S. gegen Schweiz. Eidgenossenschaft.
Regeste

    Aus Art. 25 Abs. 1 der Statuten der eidgenössischen Versicherungskasse
lässt sich kein Rechtsanspruch des Rentenbezügers ableiten, es sei ihm die
Invalidenrente im Falle eines Mehrverdienstes ungekürzt auszuzahlen. Eine
Streitigkeit über einen vermögensrechtlichen Anspruch im Sinne von Art. 110
Abs. 1 OG liegt demnach nicht vor. Unzuständigkeit des Bundesgerichtes.

Sachverhalt

    A.- S. war von 1934 bis 1959 bei der schweizerischen Verrechnungsstelle
angestellt. Gestützt auf den Bundesratsbeschluss über die Aufnahme des
Personals der schweizerischen Verrechnungsstelle in die eidgenössische
Versicherungskasse wurde er im Jahre 1951 Mitglied dieser Kasse. Bei seiner
unverschuldeten Entlassung vom 28. Februar 1959, die durch teilweisen Abbau
der Verrechnungsstelle bedingt war, erhielt er gemäss Art. 22 der Statuten
der Versicherungskasse für das Personal der allgemeinen Bundesverwaltung
(Eidgenössische Versicherungskasse) eine Invalidenrente zugesprochen.

    Die eidgenössische Versicherungskasse kürzte die Rente im Hinblick auf
eine neue Erwerbstätigkeit, die der Rentenbezüger nach seiner Entlassung
ausübte. Die Kürzung betrug die Hälfte des Mehrverdienstes. Verschiedene
Gesuche des S., die Rente sei ihm voll auszubezahlen, da er durch
Krankheiten in seiner Familie aussergewöhnlich stark belastet werde,
wies die Verwaltung ab.

    B.- Mit verwaltungsrechtlicher Klage vom 1. Oktober 1964 beantragt S.,
die Schweizerische Eidgenossenschaft sei zur Zahlung von Fr. 5'866.10
nebst 5% Verzugszins vom Tage der Klageerhebung an zu verurteilen.

    Er macht geltend, nach Art. 25 Abs. 1 der Statuten sei auf eine Kürzung
der Rente bei neuem Verdienst ganz oder teilweise zu verzichten, wenn
besonders berücksichtigungswerte Verhältnisse vorlägen. Für die entlassenen
Angestellten der Verrechnungsstelle gelte als Regel eine Kürzung der Rente
um die Hälfte des Mehrverdienstes. Bei besondern sozialen Verhältnissen
könne aber auf eine Herabsetzung der Rente überhaupt verzichtet werden.
Aussergewöhnliche Umstände seien bei ihm gegeben. Er werde aus der
Krankheit seiner Ehefrau und seiner Söhne schwer belastet und habe
grössere Schulden eingehen müssen. Es rechtfertige sich, ihm die volle
Rente auszubezahlen. Er verlange den Betrag zurück, um den seine Rente im
letzten Jahr vor der Klageerhebung gekürzt worden sei. Von Oktober bis
Dezember 1963 seien ihm monatlich Fr. 699.70 und in den Monaten Januar
bis Mai 1964 Fr. 3'787.--, insgesamt also Fr. 5'886.10 vorenthalten worden.

    C.- Die Eidgenossenschaft, vertreten durch die eidgenössische
Finanzverwaltung, beantragt Abweisung der Klage.

    Die Beklagte führt aus: Entgegenkommend sei dem Kläger die
umstrittene Rente für die Jahre 1962 und 1963 um weniger als die Hälfte des
Mehrverdienstes herabgesetzt worden, indem Auszahlungen für Überstunden bei
der Berechnung des Hälfteanteils nicht berücksichtigt worden seien. Der
Kläger habe 1962 ein Nettoeinkommen von Fr. 29'590.70 und 1963 ein
solches von Fr. 31'067.45, davon je über Fr. 12'000.-- aus gekürzter
Rente, erzielt, er verdiene mehr, als er bei der Verrechnungsstelle je
erhalten hätte.

    Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Rente, soweit sie zusammen mit
dem Arbeitseinkommen den frühern Verdienst übersteige. In welchem Ausmass
sie ihm zu überlassen sei, falle in das Ermessen der Verwaltung. Das
Bundesgericht habe nur zu prüfen, ob die Versicherungskasse ihr Ermessen
missbraucht habe. Davon könne keine Rede sein. Der Kläger habe
die Behauptung, seine Finanzlage sei ausserordentlich prekär, nicht
nachgewiesen. Es liesse sich nicht verantworten, ihm einen grössern
Rentenanteil auszuzahlen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    1. - Der Kläger, dessen Dienstverhältnis bei der schweizerischen
Verrechnungsstelle ohne eigenes Verschulden und nicht auf seine
Veranlassung aufgelöst worden ist, hat gemäss Art. 22 der Statuten der
eidgenössischen Versicherungskasse Anspruch auf eine Invalidenrente. Die
Invalidenrente besteht aus einer Rente in Prozenten des versicherten
Verdienstes und einem festen Zuschlag. Die Summe von Rente und neuem
Einkommen des Rentenbezügers aus Arbeitsverdienst darf jedoch höchstens
seinen frühern Verdienst erreichen. In diesem Sinne ist der Anspruch
auf die Rente der Höhe nach begrenzt. Art. 25 Abs. 1 der Statuten vom
29. September 1950 hat bei der Entlassung des Klägers Ende Februar 1959
folgende zwingende Regelung vorgesehen: Die Rente wird "um den Betrag
gekürzt, um den die Summe von Rente und Arbeitseinkommen seinen frühern
Verdienst übersteigt."

    In der Folge ist - um Härtefälle zu beseitigen - Art. 25 Abs. 1
der Statuten mit Nachtrag vom 3. November 1959 u.a. durch den Satz
ergänzt worden: "Bei besonders berücksichtigungswerten Verhältnissen
kann auf die Kürzung ganz oder teilweise verzichtet werden" (s. AS
1959 S. 2116). Gestützt auf diese Änderung hat die eidgenössische
Versicherungskasse im Jahre 1960 mit der Verrechnungsstelle eine
generelle Lösung für deren ehemaligeAngestellte vereinbart. Sie lautet
gemäss Zirkularschreiben der Verrechnungsstelle vom 11. Januar 1960:
"Bei der Anwendung von Art. 25 gilt inskünftig als Regel, dass die Rente
im Maximum um die Hälfte des Mehrverdienstes ... gekürzt wird. Auf die
Kürzung kann in weitergehendem Mass oder ganz verzichtet werden, wenn
besondere soziale Verhältnisse dies rechtfertigen."

    2. - Der dem Kläger zustehende Rechtsanspruch erstreckt sich nach
dem Gesagten auf eine Invalidenrente gekürzt um die Differenz, die sich
zwischen dem frühern Verdienst und der höhern Summe von Rente und neuem
Arbeitseinkommen ergibt.

    Ein teilweiser oder ganzer Verzicht auf die so umschriebene
Rentenkürzung liegt bei besondern Verhältnissen im Ermessen der
Verwaltung. Diese hat hievon Gebrauch gemacht und für die ehemaligen
Angestellten der Verrechnungsstelle die Regel aufgestellt, die Rente sei
höchstens um die Hälfte des Mehrverdienstes zu kürzen; vorbehalten bleibt
ein noch weiteres Entgegenkommen, das bis zum gänzlichen Verzicht auf die
Kürzung gehen kann. Auch dieser weitergehende Verzicht liegt im Ermessen
der eidgenössischen Versicherungskasse. Ein Rechtsanspruch des Klägers,
die Invalidenrente sei ihm ungekürzt auszuzahlen, lässt sich weder aus
Art. 25 Abs. 1 der Statuten noch aus der zwischen der Versicherungskasse
und der Verrechnungsstelle geschlossenen Vereinbarung, die ohnehin keinen
Rechtssatz, sondern bloss eine von der Verwaltung aufgestellte Richtlinie
darstellt, herleiten.

    Eine Streitigkeit über einen vermögensrechtlichen Anspruch im Sinne
von Art. 110 Abs. 1 OG liegt demnach nicht vor. Über den teilweisen oder
ganzen Verzicht auf die Kürzung der Rente bei Mehrverdienst befindet
allein die Verwaltung nach ihrem Ermessen. Ein eigentlicher Missbrauch
dieses Ermessens ist nicht vorhanden und wird auch nicht behauptet. Das
Bundesgericht hat sich mit der Klage mangels Zuständigkeit nicht zu
befassen.

    3. - Eine andere Lösung der Eintretensfrage, als sie in BGE 88 I
55 lit. c mit Bezug auf Art. 64 Abs. 2 i. f. der Angestelltenordnung
getroffen wird, ist wegen der - sachlich bedingten - verschiedenen
Umschreibung der Rechtsansprüche gerechtfertigt. Insbesondere fehlt es
im vorliegenden Fall an der dort gegebenen unlösbaren Einheit zwischen
grundsätzlicher Regelung und Ausnahme. Eine über den behandelten Einzelfall
hinausgehende, allgemeine Bedeutung kann den Formulierungen von BGE 88
I 55 nicht beigemessen werden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Klage wird nicht eingetreten.