Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 I 302



90 I 302

46. Auszug aus dem Urteil vom 30. Oktober 1964 i.S. Trösch gegen
Rekurskommission des Kantons Bern. Regeste

    Militärpflichtersatz.

    1.  Eine dauernde Ersatzbefreiung kommt erst in Frage, wenn die
Diensttauglichkeit endgültig beurteilt und auf Dauer verneint wird.

    2.  Ein Anspruch auf eine zeitlich begrenzte Ersatzbefreiung
besteht, sofern die Rückfallgefahr, deretwegen der Militärpflichtige
dienstuntauglich erklärt worden ist, durch den Militärdienst
verursacht worden ist. Die Rückfallgefahr, die eine vorübergehende
Dienstuntauglichkeit bewirkt, besteht - kraft gesetzlicher Vermutung -
zum mindesten während der. in der IBW genannten minimalen Karenzfrist.

    3.  Ist der Kanton oder der Bund allenfalls im Sinne von Art. 156
Abs. 2 OG zur Kostentragung herbeizuziehen?

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer ist nur für fünf Jahre dienstuntauglich
erklärt worden. Ob seine Untauglichkeit länger andauert, ist heute noch
ungewiss. Damit fehlt es vorläufig an einer wesentlichen Voraussetzung für
die dauernde Befreiung von der Ersatzpflicht, der Unmöglichkeit nämlich,
je wieder Militärdienst leisten zu können. Eine dauernde Ersatzbefreiung
kommt erst dann allenfalls in Frage, wenn die Diensttauglichkeit
endgültig beurteilt und auf Dauer verneint wird. Auf das Hauptbegehren des
Beschwerdeführers, er sei vom Militärpflichtersatz vollständig zu befreien,
kann zur Zeit nicht eingetreten werden. Gegenstand seiner Beschwerde ist
somit einzig die Befreiung von der Ersatzpflicht bis zum 31. August 1966.

Erwägung 4

    4.- Für die Beurteilung der Ersatzbefreiung bis 1966 ist entscheidend,
ob die Rückfallgefahr, deretwegen der Beschwerdeführer für fünf Jahre
dienstuntauglich erklärt worden ist, durch den von ihm geleisteten
Militärdienst verursacht worden ist

    Prof. Dr. med. G. Riva führt in seinem zweiten, vom Bundesgericht
eingeholten Gutachten aus, der Beschwerdeführer sei in der Zeit von Ende
Juli 1959 bis Ende August 1964 Träger einer aktiven, zuerst behandlungs-
und dann überwachungsbedürftigen Lungentuberkulose gewesen. Die
Behandlungs- und Überwachungsbedürftigkeit, die seine Dienstuntauglichkeit
bewirkt habe, sei "in erheblichem Ausmass durch den geleisteten Dienst
bedingt" gewesen.

    Die vom Experten genannten fünf Jahre (1959-1964) umfassen einmal die
Dauer der dienstlich bedingten akuten Erkrankung bis und mit der Nachkur
vom Sommer 1961, mit deren Abschluss der dienstliche Schub behoben war. Für
diese drei Jahre der Behandlungsbedürftigkeit ist der Beschwerdeführer
bereits von jeder Ersatzpflicht befreit. Eine Ersatzbefreiung ist nach
den Darlegungen des Experten, der eine Verursachung der Rückfallgefahr
durch den Militärdienst bis 1964 bejaht, auch für die Zeit der
sogenannten Überwachungsbedürftigkeit, die Jahre 1961/62, 1962/63 und
1963/64 gerechtfertigt. Einer derartigen Befreiung hat im übrigen die
eidgenössische Steuerverwaltung in ihrer Vernehmlassung zugestimmt.

Erwägung 5

    5.- Der Experte erklärt weiter, seit Ende August 1964 könne der
Beschwerdeführer als geheilt betrachtet werden. Er hält es für angezeigt,
die Frage der Diensttauglichkeit sofort neu zu überprüfen. Gestützt darauf
verlangt die eidgenössische Steuerverwaltung, die Ersatzbefreiung ab Ende
August 1964 sei zu verweigern, weil die dienstliche Verschlimmerung des
vorbestandenen tuberkulösen Leidens im August 1964 behoben gewesen sei. Sie
scheint damit die dienstliche Bedingtheit der Rückfallgefahr auf das Jahr
1964 begrenzen zu wollen, ohne einen neuen Entscheid der U.C. abzuwarten.

    Der Experte und die eidgenössische Steuerverwaltung übersehen, dass
die Karenzfrist, für die ein Wehrmann, der eine primo-sekundäre oder eine
sekundär-tertiäre Lungentuberkulose durchgemacht hat, dienstuntauglich
erklärt werden muss, nach Z. 250/16 lit. a und b IBW mindestens fünf oder
sechs bis acht Jahre beträgt. Darin liegt eine gesetzliche Vermutung, die
besagt, die Rückfallgefahr, die eine vorübergehende Dienstuntauglichkeit
bewirkt, bestehe während der in der IBW genannten Mindestdauer. Eine
Überprüfung der Dienstuntauglichkeit des Beschwerdeführers vor dem Ablauf
der minimalen Karenzfrist von fünf Jahren hat unter diesen Umständen
keinen Sinn.

    Von 1962 an beruht die Dienstuntauglichkeit des Beschwerdeführers
ausschliesslich auf der Rückfallgefahr, und diese ist nach dem Gutachten
in erheblichem Ausmass durch den geleisteten Dienst bedingt. Damit ist
die Untauglichkeit des Beschwerdeführers eine Folge des Militärdienstes
im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. b MStG. Der Umstand, dass sie wegen der
gesetzlichen Vermutung der IBW länger dauert, als das Gutachten Riva
beim Beschwerdeführer eine Überwachungsbedürftigkeit angenommen hat,
vermag hieran nichts zu ändern. Denn ohne den dienstlichen Schub wäre
es auch nach dem Gutachten überhaupt nicht zu einer Rückfallgefahr und
zu einer Dienstuntauglichkeit gekommen. Der Beschwerdeführer hat deshalb
Anspruch auf Ersatzbefreiung für die ganze Dauer seiner durch U.C. am 31.
August 1961 verfügten Dienstuntauglichkeit, das heisst bis und mit dem
Jahre 1966. In diesem Sinne ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen.

Erwägung 6

    6.- Was die Kostenfrage anbelangt, so erscheinen neben dem
Beschwerdeführer als beschwerdebeklagte Parteien die kantonale
Militärpflichtersatzverwaltung, beziehungsweise der hinter ihr stehende
Kanton, und der zur Vernehmlassung berechtigte Bund, vertreten durch den
Bundesrat (Art. 108 Abs. 2 OG), der sein Recht zur Vernehmlassung an die
eidgenössische Steuerverwaltung delegiert hat. Welche von diesen Parteien,
der Kanton oder der Bund, allenfalls im Sinne von Art. 156 Abs. 2 OG zur
Kostentragung herbeigezogen werden kann, ist grundsätzlich neu zu prüfen,
nachdem sich mit dem Inkrafttreten des MStG am 1. Januar 1960 die Stellung
des Kantons im Verfahren geändert hat.

    a) Unter der Herrschaft des MStG vom 28. Juni 1878 ist bei der
Kostenregelung der Kanton mit den Kosten belastet worden, wenn der
Ersatzpflichtige mit seinen Anträgen durchgedrungen ist. Diese Regelung war
nach der damaligen Ordnung gerechtfertigt, weil die Hälfte des Ertrages
des Militärpflichtersatzes den mit dem Bezug betrauten Kantonen verblieb
und diese somit das Bundesgericht in einer Sache beanspruchten, die
ihr eigenes Vermögensinteresse betraf (vgl. Art. 156 Abs. 2 OG). Durch
den Erlass des neuen MStG hat sich die Situation grundlegend geändert:
Die Kantone dürfen nach Art. 45 MStG nur noch die ihnen verfassungsmässig
zustehende Bezugsprovision für sich behalten, während der ganze Rohertrag
dem Bund zufliesst. Die Bezugsprovision beträgt gemäss Art. 6 der
Übergangsbestimmungen zur BV seit dem 1. Januar 1961 20% des Rohertrages
(AS 1958, S. 365). Nach der neuen Ordnung kann der Kanton, der die Abgabe
für den Bund erhebt und lediglich eine Bezugsprovision erhält, nicht mehr
als Partei betrachtet werden, die in eigenem Vermögensinteresse handelt
und deswegen Verfahrenskosten zu tragen hat.

    b) Der Ausdruck Bezugsprovision ist als Entschädigung für alle
Kosten und Obliegenheiten, die den Kantonen in Verbindung mit dem
Militärpflichtersatz erwachsen, zu verstehen. Dazu gehören die Kosten
des Veranlagungs- und kantonalen Beschwerdeverfahrens. Nicht zu den
Obliegenheiten des Kantons gehört aber das Verfahren vor Bundesgericht.

    c) Unterlegen und in seinen Vermögensinteressen beschwert ist im
vorliegenden Fall der von der eidgenössischen Steuerverwaltung vertretene
Bund. Er hat die Kosten des Gutachtens, welches den gutgeheissenen
Eventualantrag - die Ersatzbefreiung des Beschwerdeführers bis 1966 -
betrifft, zu tragen. Die übrigen Gerichtskosten sind angesichts des
Nichteintretens auf den Hauptantrag je zur Hälfte vom Beschwerdeführer
und vom Bund zu tragen. Da die Beschwerde nur teilweise geschützt
wird, ist dem Beschwerdeführer zu Lasten des Bundes eine herabgesetzte
Parteientschädigung zuzusprechen, die mit Fr. 200.-- angemessen erscheint.

    d) Die den Bund treffenden Kosten sind der eidgenössischen
Steuerverwaltung aufzuerlegen. Ihr Antrag, die Kosten seien durch die
Kasse des Bundesgerichtes zu übernehmen, käme im Ergebnis auf dasselbe
hinaus. Die Belastung der eidgenössischen Steuerverwaltung ist aber
vorzuziehen: Auf diese Weise werden die bundesgerichtlichen Kosten zu
den Auslagen des Bundes für den Militärpflichtersatz gerechnet, genau
gleich wie die Bezugsprovision mit der die Kantone unter anderem für das
kantonale Beschwerdeverfahren entschädigt werden.